Psychosoziale Kinderwunschberatung im Rahmen einer PID BKiD-Stellungnahme 1 (Stand: 09. Dezember 2015) Im Dezember 2011 trat ein verändertes Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräimpG) in Kraft, das die Rechtswidrigkeit der genetischen Untersuchung von Embryonen in vitro unter bestimmten Bedingungen aussetzt. Eine dieser Bedingungen sieht vor, dass vor Durchführung der PID eine Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen einer genetischen Untersuchung stattgefunden hat. Die landesrechtlichen Umsetzungen der PID-Rechtsverordnung (PIDV) sind allerdings noch nicht in allen Ländern abgeschlossen. Sechs nördliche Bundesländer (Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Brandenburg) haben eine gemeinsame PID-Kommission gegründet und tagen bereits. Eine gemeinsame Kommission für Hessen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ist inzwischen etabliert, ebenso eine in Bayern. Der Gesetzgeber hat beschlossen, dass die Paare vor Einberufung der Ethikkommission eine psychosoziale Beratung durch einen Mediziner bzw. Facharzt wahrnehmen müssen, der nicht in die PID involviert ist. Als Deutsche Gesellschaft für Kinderwunschberatung (BKiD e.v.) vertreten wir die Meinung, dass diese Regelung für die zu beratenden Paare nicht ausreichend ist. Die Mediziner haben in der Regel wenig Zeit und ihren Schwerpunkt in der medizinischen und nicht in der psychosozialen Beratung. So steht zu befürchten, dass die Paare, die eine PID erwägen und vor komplexen persönlichen, ethischen und psychischen Herausforderungen stehen, zwar eine medizinische Einschätzung erhalten, aber mit ihren Fragen, Sorgen und Ängsten nicht ausreichend psychosozial betreut und letztlich doch alleine gelassen werden. Daher erscheint es sinnvoll und fachlich angemessen, dass durch BKiD zertifizierte Kolleginnen und Kollegen (bzw. psychosoziale Fachkräfte mit äquivalenten Fachkenntnissen) - ggf. auch nach einer entsprechenden Weiterbildung - Paare zu den psychosozialen Fragen im Rahmen einer PID beraten dürfen. Ihre ausgewiesene und zertifizierte Expertise sollte sie in 1 (zum Teil basierend auf [1].)
Zukunft also dazu berechtigen, den entsprechenden Beratungsschein für die Ethikkommission auszustellen. Für die PID gibt es laut Embryonenschutzgesetz (ESchG) keine ärztliche Hinweispflicht auf psychosoziale Beratung gegenüber den Patientinnen. Jedoch sprechen sich die Deutsche Ethikkommission und die Bundesärztekammer für eine routinemäßige Zusammenarbeit mit psychosozialen Beratungsstellen aus [2]. Bei dem derzeitigen Stand ist die psychosoziale Beratung bei Paaren, die sich mit dem Thema PID persönlich auseinandersetzen, noch weit entfernt von einer Beratungsroutine. Da PID immer auch mit reproduktionsmedizinischen Verfahren einhergeht, können bestimmte Belastungsfaktoren aus der bisherigen Erfahrung der psychosozialen Kinderwunschberatung übertragen werden [3]. Psychosoziale Belastungsfaktoren von Paaren, die eine PID erwägen Eine PID bleibt in Deutschland straffrei, wenn aufgrund einer genetischen Disposition der Wunscheltern ein hohes Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit oder das hohe Risiko einer Tot- oder Fehlgeburt besteht ( 3a ESchG). Diese Gruppe von Wunscheltern hat sich daher einer entsprechenden Diagnostik unterzogen, oft bereits Tot- oder Fehlgeburten erlitten, trauert um ein verstorbenes Kind oder lebt mit einem behinderten Kind. Diese Belastungen sind im Rahmen einer psychosozialen Beratung zu thematisieren, im Prozess der Gespräche sollte der Auseinandersetzung mit der Diagnose, möglicher neuer Schwangerschafts- bzw. Kindsverluste und der Bedeutung behinderter Kinder entsprechend Raum und Zeit eingeräumt werden. Für viele Paare bzw. Eltern ist dies ein komplexer Trauerprozess. Eine Fruchtbarkeitseinschränkung liegt bei Paaren, für die eine PID möglich ist, in der Regel nicht vor. Sie müssen sich jedoch einer künstlichen Befruchtung unterziehen, da dies unabdingbare Voraussetzung für eine PID ist. Dies hat zur Folge, dass sie allen damit einhergehenden körperlichen und psychosozialen Belastungsfaktoren ausgesetzt sind (siehe oben). In der Beratung sollten sie darauf vorbereit werden. Sie sollten wissen, dass mehrere Versuche erforderlich sein können und über die Unwägbarkeit einer künstlichen Befruchtung aufgeklärt sein.
Auch im Rahmen einer assistierten Reproduktion mit PID gibt es keine Garantie für eine Schwangerschaft und die Geburt eines gesunden Kindes. Laut den Angaben der Uniklinik Lübeck beträgt die Lebendgeburtenrate nach PID ca. 27% (http://www.pid-luebeck.de/ablauf+einer+pid.html). International wird diese im Durchschnitt mit 20% pro Eizellenpunktion angegeben, hinzu kommt eine Mehrlingsschwangerschaftsrate von durchschnittlich 23% [4]. Das bedeutet, dass auch nach mehreren Versuchen mit PID ein Teil der Paare keine Schwangerschaft erzielt, bzw. ein hohes Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft eingeht. Zudem müssen die Paare die Kosten des Verfahrens in den meisten Fällen privat tragen (bis zu ca. 10.000). Nur in Fällen, in denen es eine zusätzliche medizinische Indikation zur assistierten Reproduktion gibt, übernehmen gesetzliche Krankenkassen Anteile der Kosten. Bei privaten Krankenkassen kann es Einzelfallentscheidungen geben. Wie zentral eine umfassende Beratung und Begleitung ist, zeigt die Studie von Karatas et al. [5] auf: Viele Frauen litten im Rahmen einer PID Behandlung unter starken Ängsten und erlebten die mehrfach erforderlichen In-vitro-Fertilisations- Zyklen als emotional sehr belastend. Zu den bereits erwähnten psychischen Belastungen kommt die Frage hinzu, wie viele der befruchteten Eizellen sich gesund weiterentwickeln, und bei wie vielen Embryonen die PID einen positiven Befund erbringt, so dass diese verworfen werden müssen, und damit möglicherweise gar kein Embryotransfer in dem Behandlungszyklus stattfinden kann. Eine PID umfasst zudem die Selektion und das Verwerfen von Embryonen. Für manche Wunscheltern wird dies mit moralischen Skrupeln einhergehen. In der Beratung sollten daher die Bedeutungszuschreibungen exploriert werden und es sollte dem Paar während des PID-Prozesses und auch danach psychosoziale Hilfe angeboten werden. Forderungen Da eine PID immer mit reproduktionsmedizinischen Methoden einhergeht, überschneidet sich die Beratung vor und während PID mit der psychosozialen Kinderwunschberatung. Die vom Gesetzgeber geforderte unabhängige psychosoziale Beratung von Paaren, die eine PID erwägen, bevor eine Ethikkommission einberufen wird, sollte von einer qualifizierten Fachkraft durchgeführt werden.
Die fachlichen Vorgaben für die psychosoziale Kinderwunschberatung sind dabei zu beachten. Zusätzlich werden spezielle Qualifikationen erforderlich sein. Hierzu gehören das Wissen um humangenetische Erkrankungen/Diagnosen mit deren Auswirkungen auf Lebensqualität und um die Möglichkeiten und Grenzen der PID als neues Verfahren, das innerhalb der Reproduktionsmedizin angesiedelt ist. Unerlässlich wird zudem eine kontinuierliche Weiterbildung sein, da davon ausgegangen werden kann, dass sich die Möglichkeiten der PID erweitern werden. Für die psychosoziale Beratung ist es darüber hinaus wichtig, auch um Alternativen der Familienbildung und der Diagnosemöglichkeiten zu wissen. Hierzu gehören u.a. Erfahrungen im Bereich der Adoption, Pflegekinderwesen, der Gametenspende und Wissen um die Pränataldiagnostik (PND). Da es sich bei der PID um ein in Deutschland neues Verfahren handelt, das ethisch lange Zeit kontrovers diskutiert wurde und wird, ist die psychosoziale Fachkraft auch dazu angehalten, in der Beratung reflektiert mit der eigenen Haltung umzugehen. Dementsprechend sollten qualifizierte Super- und Intervisionsangebote bedarfsnah vorgehalten werden. Der Beratungsansatz befindet sich zudem in der Nähe der psychosozialen Beratung in der Pränataldiagnostik [2], da es um bereits vorhandene Erkrankungen (PND) und die Verhinderung drohender Erkrankungen (PID) geht. BKiD ist bereit, für psychosoziale Fachkräfte entsprechende Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu entwickeln. Eine qualifizierte behandlungsunabhängige psychosoziale Beratung sollte auf jeden Fall in jedem Zentrum vorgehalten werden, das die PID durchführt. Zusätzlich kann es sinnvoll sein, in allen Bundesländern zumindest eine gewisse Anzahl ausgewiesener Beratungsstellen vorzuhalten, damit eine Beratung wohnortnah in Anspruch genommen werden kann; es kann davon ausgegangen werden, dass sich nicht alle Paare nach einer Beratung tatsächlich für die Durchführung einer PID entscheiden. Letztendlich sollte die psychosoziale Perspektive auch in den Ethikkommissionen vertreten sein; diese Kommissionen sollten daher um eine Fachkraft aus dem psychosozialen Bereich erweitert werden.
Literatur 1. Dorn A, Thorn P, Wischmann T. Psychosoziale Kinderwunschberatung im Rahmen einer PID: Spezifika und Besonderheiten. gynäkologische praxis 2014;39:55-62 2. Woopen C. Beratung bei Präimplantations- und Pränataldiagnostik. Bundesgesundheitsbl 2013;56:269-276 3. BKiD. Richtlinien "Psychosoziale Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch" (PB- Richtlinien von BKiD). In: Kleinschmidt D, Thorn P, Wischmann T eds, Kinderwunsch und professionelle Beratung Das Handbuch des Beratungsnetzwerkes Kinderwunsch Deutschland (BKiD). Stuttgart: Kohlhammer; 2008:117-121 4. Harper JC, Wilton L, Traeger-Synodinos J, et al. The ESHRE PGD Consortium: 10 years of data collection. Human Reproduction Update 2012;18:234-247 5. Karatas JC, Barlow-Stewart K, Meiser B, et al. Psychological adjustment, knowledge and unmet information needs in women undergoing PGD. Hum Reprod 2010:deq086