Delegation Substitution Innovation. Neue medizinische Versorgungsformen für eine alternde Gesellschaft Chancen für ein längeres Leben zu Hause



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Transkript:

Neue medizinische Versorgungsformen für eine alternde Gesellschaft Chancen für ein längeres Leben zu Hause Positionspapier des Managerkreises Autoren: Gudrun Schaich-Walch Stefan David www.managerkreis.de

Neue medizinische Versorgungsformen für eine alternde Gesellschaft Chancen für ein längeres Leben zu Hause Impressum ISBN: 978-3-86498-131-9 Herausgeber: Zentrale Aufgaben, Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung Redaktion: Dagmar Merk 2012 by Friedrich-Ebert-Stiftung Gestaltung: Werbestudio Zum Weissen Roessl, Schäpe Druck: BUB, Bonner Universitäts-Buchdruckerei 1. Auflage, 2.000 Exemplare Printed in Germany 2012 2

Neue medizinische Versorgungsformen für eine alternde Gesellschaft Chancen für ein längeres Leben zu Hause Positionspapier des Managerkreises Autoren: Gudrun Schaich-Walch Stefan David Dieses Positionspapier wird vom Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht. Die hier vertretene Meinung gibt ausschließlich die private Meinung der Verfasser wieder.

Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung Delegation Substitution Innovation Neue medizinische Versorgungsformen für eine alternde Gesellschaft Chancen für ein längeres Leben zu Hause Wir leben in einer alternden Gesellschaft. Die Menschen in Deutschland werden älter, ohne dass in annähernd notwendigen Umfang jüngere Generationen heranwachsen. Dies ist mittlerweile jedem bewusst, aber leider führt diese Erkenntnis noch nicht dazu, die Versorgung älterer Menschen konsequent an deren Bedürfnissen und den sich daraus ergebenden Notwendigkeiten auszurichten. Wir benötigen andere Versorgungsangebote als bisher. Es wird noch dringender, dass wir die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung bzw. zwischen Pflege und Medizin überwinden und die Zusammenarbeit der Gesundheits- und Sozialberufe neu gestalten. Die Herausforderungen sind groß: Die Zahl der über 80 Jährigen steigt zwischen 2010 und 2030 um 50 Prozent auf über 6 Millionen Menschen. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der im Gesundheitssektor beschäftigten Menschen alleine in 2010 um rund 2 Prozent auf 4,8 Millionen gestiegen. Je nach Hochrechnung 1 wird bereits ab 2015 ggf. erst in 2020 ein bundesweiter Mangel an Pflegepersonal erwartet regional besteht er bereits heute bei einem kontinuierlich steigenden Durchschnittsalter der Pflegenden. Multimorbidität älterer Menschen und alters- spezifische Krankheitsbilder nehmen kontinuierlich zu, beispielsweise wird die Zahl dementiell erkrankter Menschen von heute bereits rund 1,3 Millionen, wahrscheinlich schon in 2030 bei rund 2 Millionen Menschen liegen. 2 Gleichzeitig werden aber auf Grund der soziodemographischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte (steigende Anzahl an Ein-Personen- Haushalten, hohe Scheidungsraten, sinkende Geburtenraten und geforderte Arbeitsplatzmobilität) immer weniger Menschen sich um die (Pflege der) Angehörigen kümmern können. Bis jetzt wurde auf diese Herausforderungen nur unzureichend reagiert. Darüber hinaus ist die Versorgung älterer und oft multimorbider Menschen zu Hause vielerorts nicht möglich. Es fehlt an einem Zusammenspiel der einzelnen Bereiche einer wirklichen integrierten Versorgung aber auch an den geeigneten Qualifikationen. Außerdem mangelt es nicht nur an hausärztlichem Nachwuchs in vielen ländlichen Regionen. Ärztinnen und Ärzte sind auch nicht ausreichend darauf vorbereitet, die Versorgung einer großen Zahl alter zum Teil multimorbider Patienten zu organisieren und zu gewährleisten. Es ist zu erwarten, dass das neue Versorgungsgesetz, das die Bedarfsplanung und damit die Ärzteverteilung neu regelt, die beschriebenen Herausforderungen alleine nicht lösen können wird. 1 PWC (2010): Fachkräftemangel - Stationärer und ambulanter Bereich ; Projektion für Personalbedarf und Personalangebot in Pflegeberufen im Zeitraum bis 2025, Robert Koch Institut 2 Demenzreport 2011, Berlin Institut 5

Neue medizinische Versorgungsformen für eine alternde Gesellschaft Chancen für ein längeres Leben zu Hause Antworten, auf diese Herausforderungen sind: Delegation: Entlastung von Ärzten durch qualifizierte Pflegekräfte in der ambulanten und stationären Versorgung Substitution: Schaffung neuer Heilberufe verbunden mit einer Aufwertung der pflegerischen Tätigkeiten sowohl inhaltlich als auch finanziell Innovation: Förderung und konsequente sowie schnelle Evaluation von neuen Lösungen, insbesondere im Bereich der Pflege wie zum Beispiel von Assistenzsystemen (Ambient Assisted Living) Delegation: Entlastung von Ärzten durch qualifizierte Pflegekräfte in der ambulanten und stationären Versorgung Durch eine stärkere Delegation von ärztlichen Aufgaben können im stationären wie auch im ambulanten Sektor: die pflegerische Tätigkeit aufgewertet und damit die Arbeitszufriedenheit gesteigert werden, eine Entlastung der Ärzte, auch der Hausärzte erfolgen, eine Kostensenkung erzielt und Versorgungsdefizite beseitigt werden. Während die Delegation im Krankenhaus bereits praktiziert wird, ist die Umsetzung im ambulanten bzw. niedergelassenen Bereich noch gering. Es gibt hierzu bereits zwei Beispiele für erfolgreiche Ansätze, insbesondere der hausärztlichen Delegation: 1. Das Konzept Schwester AGNES (Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Health gestützte, Systemische Intervention), in denen qualifizierte nicht-ärztliche Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter insbesondere in ländlichen Regionen Ärzte unterstützen und stellvertretend Hausbesuche machen oder 2. VERAH (Versorgungsassistenz in der Hausarztpraxis), eine Qualifizierungsoffensive in ausgewählten Bundesländern für die medizinischen Fachangestellten in der Hausarztpraxis, um die Hausarztpraxis als zentralen Ort der Versorgung zu stärken, die Berufszufriedenheit der medizinischen Fachangestellten zu steigern und die Hausärztinnen und Hausärzte durch hochqualifizierte Unterstützungsleistungen zu entlasten. Diese Konzepte basieren aber immer auf einer Delegation der ärztlichen Tätigkeit. Das heißt der Arzt muss weiterhin stark involviert sein und nur er kann diese Leistungen abrechnen. 6

Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung Trotzdem sollte sowohl durch Kostenträger, Politik und auch medizinische Fachverbände eine deutlich stärkere ideelle aber auch finanzielle Förderung dieser Initiativen stattfinden, denn eine bessere Versorgung muss sich für alle bezahlt machen. Besonders wichtig ist es hierbei, möglichst schnell auf bundesweite Ausbildungs-, Versorgungs- und Vergütungsstandards zu kommen. Substitution: Schaffung neuer Heilberufe verbunden mit einer Aufwertung der pflegerischen Tätigkeiten Bei der Delegation wird nur die Durchführungsverantwortung auf Pflegekräfte übertragen, also nur die Art und Weise der Erbringung, das heißt das wie, obliegt der Pflegekraft, das ob der Leistung wird weiterhin vom Arzt veranlasst. Somit ist der Arzt immer unmittelbar eingebunden. Erst im Rahmen der Substitution ärztlicher Leistungen kann ein Heilberufler eigenverantwortlich über das ob entscheiden eine absolute Voraussetzung für neue medizinische Versorgungsformen für Patienten. In diesen Zusammenhang ist die Richtlinie über die Festlegung ärztlicher Tätigkeiten zur Übertragung auf Berufsangehörige der Alten- und Krankenpflege zur selbständigen Ausübung von Heilkunde im Rahmen von Modellvorhaben nach 63 Abs. 3c SGB V des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 20. Oktober 2011 vom Bundesgesundheitsministerium am 17. Februar 2012 unbeanstandet genehmigt worden und bietet damit die Möglichkeit neue Formen der Zusammenarbeit zu finden und notwendige neue Inhalte der Versorgung zu definieren. Auf Basis dieser Richtlinie können jetzt neue Berufsbilder entstehen die ähnlich der Profession der Hebammen selbständig den Patienten betreuen und versorgen. Mögliche Diagnosen und Versorgungsbereiche, die besonders bei älteren Menschen verstärkt vorkommen, sind hierfür besonders geeignet: Diabetes mellitus Typ II Hypertonus Geriatrie Versorgung chronischer Wunden Schmerzpatienten Hierbei würde zum Beispiel der Hausarzt einen Patienten an den/die Spezialist(in) für die Versorgung chronischer Wunden überweisen, der/die dann selbständig, auch im Rahmen von Hausbesuchen, diese medizinischen Aufgaben übernimmt und direkt mit der Krankenversicherung abrechnet. Insbesondere in ländlichen Regionen könnte dadurch der Hausarzt entlastet werden und wäre gegebenenfalls sogar eine intensivere Betreuung der Patienten gewährleistet. Gleichzeitig können diese neuen Berufsbilder ein Anfang sein, die Grenzen nicht nur zwischen Krankenhaus- und niedergelassenen Ärzten, sondern auch zwischen pflegerischer (SGB XI) und medizinischer Versorgung (SGB V) zu überwinden. Gerade bei den häufig auftretenden Erkrankungen älterer Menschen wie Diabetes, Demenz und Hypertonus ist eine konsequente Vernetzung zwischen Krankenhaus, niedergelassenener Ärzteschaft und Pflegeanbietern sinnvoll. Die bereits seit Jahren diskutierten Ansätze zur Bildung übergreifender Teams, zum Beispiel für die Betreuung demenziell erkrankter Menschen, wurden im neuen Versorgungsgesetz leider nicht ausreichend berücksichtigt. 7

Neue medizinische Versorgungsformen für eine alternde Gesellschaft Chancen für ein längeres Leben zu Hause Fachzeitschriften 3 haben diese Initiative zwar begrüßt, aber auch deutlich gemacht, dass sie eigentlich Jahre zu spät kommt, da zumindestens im stationären Bereich schon lange Pilot- Versuche zur Substitution von Aufgaben, zum Beispiel bei der Gabe von Zytostatika laufen. Denn bis zu einer flächendeckenden Einführung werden auf Grund der notwendigen Entwicklung von Lehrplänen, Durchführung und Evaluation von Modellprojekten wahrscheinlich mehr als zehn Jahre vergehen obwohl bereits heute gerade im ländlichen Gebieten eine signifikante Nachfrage besteht So lange darf die Umsetzung nicht dauern! Um hier die Initiative zu ergreifen und mit den Herausforderungen umzugehen, müssen: Schnell Strukturen zur Anmeldung, Genehmigung und Evaluation von (auch schon laufenden) Modellprojekten geschaffen werden. Ausreichende Ausbildungskapazitäten für neue und veränderte Berufsbilder etabliert und finanziert werden. Modellversuche der Krankenversicherer und Leistungserbringer müssen aktiv von Landesund Bundesregierungen durch finanzielle Mittel, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (gegebenenfalls auch durch Kommunikation und Werbung) unterstützt werden. Die Koordination der Modellversuche sollte bundesweit erfolgen, um die erzielten Ergebnisse zu sichern. Ziel hierbei muss es sein, nicht (nur) Leuchtturmprojekte zu initiieren, sondern möglichst schnell die als sinnvoll erachteten Leistungen zu einem Teil der Regelversorgung zu machen, damit diese möglichst schnell vielen Patienten zu Gute kommen, wirtschaftliche Anreize geschaffen werden, damit ein Interesse an den neuen attraktiveren Berufsbildern entsteht und so die drohende Unterversorgung abgewendet werden kann, die Strukturen sich bereits in den nächsten zehn Jahren zunehmend verändern und nicht erst ab 2022. Hierzu müssen auf Bundes- und Landesebene zeitnah Kompetenzen auf- und ausgebaut sowie eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung gestellt werden. Innovation: Förderung von technischer Unterstützung in der Pflege In den letzten Jahren sind auf Grund des rapiden technischen Fortschritts im Bereich der Telekommunikation und Informationstechnologie zahlreiche technologiebasierte Lösungen für die ambulante Pflege und Betreuung zu Hause entwickelt worden. Diese Assistenzsysteme (Ambient Assisted Living AAL) reichen von Monitoring-Lösungen, über den bereits etablierten Hausnotruf-Knopf bis hin zu vereinfachten Kommunikationslösungen gegen die Vereinsamung. Die fehlende Berücksichtigung von solchen AAL-Lösungen in relevanten Gesetzen und Regelungen beschränkt derzeit allerdings die Refinanzierung auf wenige Ausnahmen bzw. auf den Abschluss von Selektivverträgen zwischen einzelnen Krankenkassen mit den jeweiligen Leistungserbringern. 3 Z. B. kma - Das Gesundheitswirtschaftsmagazin, Ausgabe März 2012 8

Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung Es gibt zwar Gelder für Zusatzleistungen (100 bis 200 EUR monatlich) für festgelegte Betreuungsangebote (wie zum Beispiel für die teilstationäre Pflege), modellweise geförderte niedrigschwellige Betreuungsangebote (Schulung Angehöriger oder Helfer) oder Modellvorhaben (wie die besonders vernetzte Versorgung), aber die Verwendungsbestimmung der Zusatzleistungen berücksichtigt meist keine Nutzung von technischen Hilfsmitteln und auch in Modellvorhaben finden AAL-verwandte Leistungen in der Regel keine Erwähnung. Dies ist nicht ausreichend um evidenzbasiert diese Leistungen in den Leistungskatalog aufzunehmen und dadurch mehr Menschen diese technischen Hilfen zugänglich zu machen, die ambulante Pflege vor Ort zu entlasten und Innovationen zu fördern. Nur eine Überarbeitung der relevanten Regelungen im SGB XI, die sicherstellt, dass auch moderne und innovative Lösungen ausreichende Berücksichtigung finden, kann hier Abhilfe schaffen. Außerdem sollte sich auch die Aufnahme von Hilfsmitteln in den Leistungskatalog der Pflegekassen verstärkt an Kriterien der Prävention, Aktivierung und Kommunikation orientieren aktuell sind präventive Maßnahmen kaum erstattungsfähig. Zusätzlich kommt es durch das Fehlen von wirtschaftlichen Anreizen für die Anbieter auch zu keiner forcierten Weiterentwicklung dieser innovativen Systeme, deren Potentiale noch längst nicht ausgeschöpft sind. Daher könnte eine gesicherte Erstattung von innovativen Produkten deren Weiterentwicklung und Optimierung zur Kosteneinsparung erheblich beschleunigen. Abschließend kann man festhalten, dass sowohl für Landesregierungen als auch für die Bundesregierung ein enormer Spielraum zur Verbesserung zugunsten der Patienten besteht. Auch auf die Selbstverwaltungsorgane kommen in diesem Zusammenhang neue Aufgaben zu, die aktiv gestaltet werden müssen. Ohne zügige und einschneidende Veränderungen wird bereits in den nächsten zehn Jahren eine signifikante Unterversorgung, verbunden mit einer starken Einschränkung der persönlichen Wahlmöglichkeiten bezüglich der medizinischen und pflegerischen Versorgung, einhergehen. Nicht nur die Ärzteschaft, die Krankenkassen und Krankenhäuser, auch die Pflege muss als gleichberechtigter Partner in die Gestaltung mit einbezogen werden. Zusammenfassend noch einmal die Hauptforderungen: 1. Delegation forcieren 2. Substitution ermöglichen 3. Innovation fördern 9

Neue medizinische Versorgungsformen für eine alternde Gesellschaft Chancen für ein längeres Leben zu Hause Die Autoren Gudrun Schaich-Walch, ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium und Unternehmensberaterin in Frankfurt/Main. Sie ist Mitglied im Vorstand des Managerkreises und leitet dessen Arbeitsgruppe zur Gesundheitspolitik. Stefan David, Vorstand der Lohfert & Lohfert AG in Hamburg und Mitglied der Arbeitsgruppe Gesundheitspolitik des Managerkreises ist als Unternehmensberater seit vielen Jahren in der Gesundheitsbranche tätig. 10

Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung Permanente Arbeitsgruppe Gesundheitspolitik, soziale Sicherung Der Managerkreis hat sich seit 2003 regelmäßig in Positionspapieren und Veranstaltungen zu aktuellen Fragen der Gesundheitspolitik geäußert. Idee der Permanenten Arbeitsgruppe (PAG) ist es, fachlich geeignete Mitglieder des Managerkreises einzubinden und ihnen die Möglichkeit der aktiven Mitwirkung zu geben. Die PAG trifft sich ca. viermal jährlich. Je nach Bedarf werden externe Experten zu thematischen Fachgesprächen geladen. Administrativ wird die PAG durch Mitarbeiter der Friedrich- Ebert-Stiftung koordiniert. 11

Neue medizinische Versorgungsformen für eine alternde Gesellschaft Chancen für ein längeres Leben zu Hause THESENPAPIERE DES MANAGERKREISES ZUR GESUNDHEITSPOLITIK: Für eine zukunftssichere Krankenhauslandschaft in Deutschland, 2010 Wachstum und Gesundheit - Chancengleichheit, Wettbewerb und Konsumentensouveränität, 2008 Gesundheitsreform auf dem größten gemeinsamen Nenner, 2008 Wachstumsfeld Gesundheit? Reformen für mehr Qualität, Wirtschaftlichkeit, Solidarität und Eigenverantwortung, 2006 Wachstumsfeld Gesundheit: 12 Forderungen an eine nachhaltige Gesundheitspolitik, 2003 Publikationen des Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung sind erhältlich unter: www.managerkreis.de ISBN 978-3-86498-131-9