Fit für den Arbeitsplatz mit Neuroenhancement? Uta Pietsch Universitätsklinikum Jena Hans-Berger-Kliniken Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bild: Dtsch Arztebl 2008; 105(5): A-210 / B-188 / C-188
Was ist Neuroenhancement? Enhance (englisch): verbessern, erhöhen Neuroenhancement: Maßnahmen mit dem Ziel der Verbesserung kognitiver Funktionen und/ oder des psychischen Befindens von Gesunden Kognition [lat. >das Erkennen<, >Kennen lernen<] Sammelbegriff für alle Prozesse und Strukturen, die mit dem Wahrnehmen und Erkennen zusammenhängen (Denken, Erinnern, Vorstellen, Gedächtnis, Lernen, Planen u. a.) (Brockhaus Band 8 1998, S. 151)Kognitive Psychopharmakologisches Enhancement: nicht medizinisch begründete Gabe von Psychopharmaka
Geschichte des Neuroenhancements Psychostimulanzien für nichtmedizinische Zwecke seit 1930er Jahren (Verbesserung des Durchhaltewillens) beim Militär USA (erster Golfkrieg) Modafinil Amphetaminmissbrauch im Sport Medikamente zur Leistungssteigerung bei Gesunden am Arbeitsplatz Appetitzügler
Medieninteresse an Neuroenhancement 2/2008 10/2009 R. Kipke: Besser werden eine ethische Untersuchung zu Selbstformung und Neuroenhancement, Merten-Verlag 2011
Wie groß ist das Enhancement-Problem in Deutschland? DAK, bundesweite Befragung von ca. 3000 Erwerbstätigen 2009 20 bis 25 Jahre jeder fünfte hatte vom Arzt ohne medizinisch zwingende Notwendigkeit derartige Medikamente zur Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit oder psychischen Befindlichkeit empfohlen bekommen 17% hatten solche Medikamente einmal eingenommen 2,2% "dopten" lt. eigener Angabe regelmäßig Methylphenidat wurde bei 27,6% der Versicherten mindestens 1 mal verordnet ohne entsprechende Diagnose bei Modafinil traf dies bei 24,9% der Versicherten zu. Geschätzte 2 Mill. Erwerbstätige dopen in Deutschland Grafik 1: Gründe für ein Doping am Arbeitsplatz aus Sicht von Erwerbstätigen. DAK- Bevölkerungsbefragung 2009 (Mehrfachnennung möglich); nach (2)
Wie groß ist das Enhancement-Problem bei Schülern und in den USA? Studie von Franke et al.(pharmacopsychiatry 44, 2011): rund 1,5 Prozent der Studenten und Schüler bekannten sich zum Hirndoping mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln 2,6 Prozent der 1547 Befragten haben mind. einmal illegale Substanzen (u. A. Kokain und Ecstasy) zur Leistungssteigerung eingesetzt. Studie von Farah, M., et al. (Nature Reviews Neuroscience Vol. 5 2004) an einzelnen Oberschulen und Colleges greifen rund 16 Prozent der Schüler und Studenten zu verschreibungspflichtigen Stimulanzien wie Methylphenidat und Dextroamphetamin (ohne medizinische Indikation)
Wie groß ist das Enhancement-Problem bei Wissenschaftlern? Weltweite Online-Umfrage von Nature (2008) 1400 Personen aus 60 Ländern Frage nach Methylphenidat, Modafinil, Beta- Blockern jeder fünfte hatte ohne medizinische Gründe einmal Medikamente genommen, um Konzentration, Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen zu verbessern Quelle: http://www.nature.com/news/2008/080409/full/452674a.html
Umfang von riskantem Konsum psychotroper Substanzen in Deutschland (2006) (Quelle: Epidemiologischer Suchtsurvey 2008)
Konsum von Medikamenten (2006) (30-Tage-Prävalenz der mindestens 1 x wöchentlicher Medikamenteneinnahme) (KRAUS et al., 2008)
Welche Substanzen finden Verwendung? Legale dazwischen??? Illegale
Welche Substanzen finden Verwendung? Smart drugs : zur kognitiven Leistungssteigerung Methylphenidat, Modafinil, Antidementiva Happy pills : zur Verbesserugn des seeliscen Wohlbefindens Antidepressiva, Beta-Blocker Soft-Doping mit Gingko biloba und Coffein
Smart-Drugs zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit! Methylphenidat Amphetamin-ähnliche Wirkung zugelassen bei Kindern und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizitund Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) wirkt direkt sympathomimetisch (Noradrenalin wir freisetzt und dessen Rücknahme gehemmt) steigert wie Khat und Ecstasy die Freisetzung von Dopamin bei Gesunden erhöht es Wachheit und Aufmerksamkeit (vor allem bei müden Menschen) Nebenwirkungen: Schlafstörungen, Euphorie, Selbstüberschätzung, Herz- Kreislauf-Beschwerden, Appetitminderung Abhängigkeitsentwicklung besonders bei nicht indizierter Einnahme
Psychostimulanzien bei ADHS alle Medikamente für ADHS Btm-pflichtig (außer Strattera ) Tierversuch Missbrauchspotential ähnlich dem Kokain und d-amphetamin Methylphenidat - kann pulverisiert gesnifft oder auch i.v. missbraucht werden - kein erhöhtes Suchtrisiko bei erwachsenen ADHS-Kindern nach Methylphenidat, eher gegenteiliger Effekt das Suchtpotential von Stimulanzien kommt bei ADHS-Patienten nicht zum Tragen (zit. Remschmidt, Dt. Ärzteblatt 2005) Psychostimulantien sollten ADHS Patienten nicht vorenthalten werden, sondern fach- bzw. leitliniengerecht eingesetzt werden
Psychostimulanzien bei ADHS Stellungnahme der BÄK zur ADHS Die Entwicklung von Stimulanzien-Missbrauch und -Abhängigkeit ist bei sachgemäßer störungsspezifischer Einnahme nicht zu erwarten. Eine Dosis-Steigerung ist meist nicht notwendig. Katamnestische Befunde sprechen dafür, dass Kinder und Jugendliche mit ADHS, die mit Stimulanzien behandelt wurden, seltener und später zu Tabak-, Alkoholkonsum und Konsum illegaler Drogen kommen Unsachgemäße Anwendung (z. B. Injektion der Substanz in den Blutkreislauf) und mangelhafte Kontrolle der Verordnung in einem "Drogenmilieu" können eine missbräuchliche Verwendung ermöglichen. Zur Kontrolle des Gebrauchs sollte bei Verdacht auf Missbrauch das Verhältnis der verordneten Menge zum Verbrauch bei gegebener Tagesdosierung bei jeder Weiterverschreibung überwacht werden.
Smart-Drugs zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit Modafinil gehört zur Gruppe der zentral wirksamen Sympathomimetika, strukturchemisch nicht mit den Amphetaminen verwandt zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit exzessiver Schläfrigkeit bei Narkolepsie genauer Wirkmechanismus nicht bekannt (Wirkung am Dopamin-Transporter und an Dopamin-Wiederaufnahme) bei Gesunden: unterschiedlich, kann die Aufmerksamkeitsspanne geringfügig verbessern, aber auch durch Überaktivierung die Lernleistung verschlechtern bei Müdigkeit positive Wirkung auf Wachheit, Aufmerksamkeit und Reaktionsgeschwindigkeit Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Nervosität, Depressionen, Schlafstörungen Dosen von 100 bis 400 mg, die zum Hirndoping verwendet werden, können auch Tachykardie, Hypertonie, Tremor und Schwindel verursachen
Smart-Drugs zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit Antidementiva: Acetylcholinesterase-Hemmer, NMDA-Rezeptor-Antagonisten und Nootropika Acetylcholinesterase-Hemmer (Donepezil, Rivastigmin) hemmen den Abbau von freigesetztem Acetylcholin in D. zur Behandlung der leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz zugelassen Wirksamkeit bei Gesunden: tw. Verschlechterung von Reaktionszeit und Gedächtnis für die Eignung als Neuro-Enhancer: Studie mit 9 Probanden (Verum): ältere Piloten waren nach 30 d Donepezil aufmerksamer und in Notfallsituationen besser Nebenwirkungen: Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Tremor, Appetitlosigkeit dosisabhängig auch Halluzinationen, Erregungszustände und aggressives Verhalten möglich
Smart-Drugs zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit NMDA-Rezeptor-Antagonisten (Memantine) regulieren die Wirkung pathologisch erhöhter toxischer Glutamat- Konzentrationen Memantine: zugelassen zur Behandlung der moderaten bis schwerer Alzheimer-Demenz kann die geistige Leistung bei Gesunden nicht nachweislich steigern Nebenwirkungen: Hypertonie, Kopfschmerzen, Schwindel und Obstipation sowie Schläfrigkeit
Smart-Drugs zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit Nootropika (wie Piracetam) beeinflussen den Gehirnstoffwechsel und sollen dadurch verschiedene Hirnleistungen verbessern können selbst zur Behandlung von Demenz und kognitiven Störungen erwies sich der Wirkstoff in einem Cochrane-Review als nicht wirksam genug für eine Empfehlung Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass Piracetam das Sprachgedächtnis auch bei Gesunden verbessern kann Nebenwirkungen: Schlafstörungen, Nervosität, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, Depressionen, Angststörungen und aggressives Verhalten
Happy-Pills zur Verbesserung des psychischen Wohlbefindens Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (engl. SSRI) hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin aus dem synaptischen Spalt der Nervenzellen zugelassen zur Behandlung von Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen bei Gesunden keine Effekte auf die Stimmung und die soziale Funktionsfähigkeit, auch eine Verbesserung kognitiver Eigenschaften wie Vigilanz oder des Selbstvertrauens war nicht nachweisbar häufige Nebenwirkungen: Unruhe, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlaflosigkeit, Müdigkeit und Durchfall
Happy-Pills zur Verbesserung des psychischen Wohlbefindens Betablocker (z.b. Metoprolol) Gegenspieler von Adrenalin und Noradrenalin dämpfen Stressgefühle zugelassen zur Behandlung von Hypertonie, Koronare Herzkrankheit, Hyperkinetisches Herzsyndrom (funktionelle Herzbeschwerden), Tachykarde Herzrhythmusstörungen, Reinfarktprophylaxe, Migräneprophylaxe ängstlichkeitssenkende und ausgleichende Wirkung (Einsatz gegen Lampenfieber oder Prüfungsangst) Kein potenter und/ oder maßgeblicher Neuro-Enhancer Nebenwirkungen: Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Blutdruckabfall, gastrointestinale Beschwerden, gel. Depressionen, Konzentrationsstörungen, Alpträume, Libidostörungen und Impotenz
Die beliebtesten Präparate in Deutschland Nachvollziehbare und medizinisch nicht nachvollziehbare Verordnungen potenzieller Neuro-Enhancer in Deutschland; DAK-Arzneimittel-, Krankenhaus- und Arbeitsunfähigkeitsdaten 2006 bis 2007; modifiziert nach DAK-Gesundheitsreport
Soft-Doping mit Ginkgo- biloba Extrakt der Ginkgo-biloba-Blätter u. A. zur symptomatischen Behandlung von hirnorganischen Leistungsstörungen bei demenziellen Syndromen zugelassen zur Leistungssteigerung schätzen ihn vor allem ältere Menschen beschriebene Eigenschaften: neuroprotektive, antioxidative und durchblutungsfördernde Wirkungen 16 Studien mit nicht demenziell erkrankten Probanden: keine konsistente Verbesserung von Vigilanz, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und subjektiver Selbsteinschätzung Nebenwirkungen: leichte Magenbeschwerden, Kopfschmerzen oder allergische Hautreaktionen auftreten. Außerdem besteht die Gefahr von Spontanblutungen und Wechselwirkungen mit Gerinnungshemmern.
Soft-Doping mit Coffein Coffein als Kaffe, zur kurzfristigen Beseitigung von Ermüdungszuständen in Form eines apothekenpflichtigen Monopräparats oder als Energy Drink eingenommen ist Adenosinrezeptor-Antagonist, der unter anderem zu einer vermehrten Freisetzung von Noradrenalin führt Koffeingehalt 1 Tasse Kaffee (225ml) 125 mg 1 Tasse Instantkaffee (225ml) 90 mg 1 Tasse entcoffeinierter Kaffee 4 mg 1 Tasse Tee (Blatt oder Beutel) 60 mg 1 Tasse Kakao 5 mg 1 Dose Coca Cola 40 mg 1 typische coffeinhaltige Schmerztablette 50 mg Guarana 3-8% Koffeingehalt
Soft-Doping mit Coffein Pharmakologische Wirkungen des Coffein als Stimulans 50-200mg: Müdigkeit, M Erschöpfung, Schwäche, che, Reak.zeit, Denken und Fühlen lebhafter, Geschicklichkeit und Timing, Euphorie, Ausdauer und Atmung 250-600mg: Nervosität, t, Ängstlichkeit, Unruhe, Einschlafstörungen, Tremor, Hyperästhesie sthesie, ev. Übelkeit und Erbrechen, Tachykardie, Panikattacken bei sehr hohen Dosen (mehrere Gramm in kurzer Zeit) Psychosen, tödliche Dosis bei Erwachsenen 5-105 g Krampfanfälle schwaches Suchtpotenzial Symptome des Entzuges: Müdigkeit, M Unzufriedenheit, Erschöpfung, diffuser, frontal betonter Kopfschmerz Rauchen beschleunigt die Elimination erheblich
Geringer Nutzen? Ziel: Steigerung der geistigen Leistung bei Gesunden nur wenige Substanzen haben dazu Potenzial, am ehesten Methylphenidat, Modafinil und Coffein machen wacher, verbessern Aufmerksamkeit und Konzentration Effekte am größten bei Leistungsdefizit (bei müden Menschen nach Schlafentzug) bei Coffein: bei niedrigem Aktivierungsniveau Leistungssteigerung bei bereits hohem Aktivierungszustand ev. sogar Leistungsminderung Neuro-Enhancer machen nicht intelligenter, ersparen nicht das Lernen und Denken die Hoffnung auf bessere kognitive Leistungen ohne Anstrengung werden nicht erfüllt
welches Risiko? Methylphenidat und Modafinil Nebenwirkungen: Abhängigkeitsentwicklung, Auslösung psychischer Erkrankungen (Manien und Psychosen) bei jedem Neuro-Enhancement: Gefahr, dass die Nutzer die Grenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr erkennen Müdigkeit und Erschöpfung sind bei Gesunden deutliche Warnsignale!!!
Ethische Fragen zum Neuroenhancement Aus Das optimierte Gehirn in Gehirn und Geist 11/2009 zum Thema Neuroenhancement NE ist widernatürlich und ein Eingriff in die Natur Die dauerhafte Einnahme von NEs kann zu Persönlichkeitsveränderungen und Veränderungen der Authentizität führen. NE birgt Gefahren von Missbrauch und Abhängigkeitsentwicklung. Auf dem Weg zur Ellenbogengesellschaft : NE kann zu noch mehr Leistungsdruck führen und jene benachteiligen, die es ablehnen. entstehender sozialer Druck Verteilungsgerechtigkeit Die Rolle des Arztes (Heiler)
Psychische Erkrankungen und Arbeitsbelastungen Gesicherte arbeitsbedingte Risikofaktoren im Zusammenhang mit psychischen Beschwerden und psychischen Störungen ( Quelle: IGA-Fakten 1, 2008)
Verbreitung psychischer Arbeitsanforderungen (Quelle: BIBB/BAuA, 2006)
Wann wird Stress schädlich? Stress-Leistungskurve nach Yerkes und Dodson (Darstellung von World-Press Mai 2012)
Die Folgen von arbeitsbedingtem Streß? der Nährboden für Neuroenhancement?
Schutz vor Neuroehancement am Arbeitsplatz 1. Dauerhaft weniger Stress- nur durch dauerhaft verbesserte Arbeitsverhältnisse Ziel: Potentielle Stressquellen in der Arbeitsumwelt reduzieren und modifizieren Organisationsbezogenen Interventionen: Ungünstige Arbeitsabläufe umgestalten Entscheidungs- und Handlungsspielräume erweitern Mitarbeiter an Entscheidungsfindungs- und Problemlösungsprozessen beteiligen Kommunikation und Feedback verbessern Soziale Unterstützung auf- und ausbauen Weiterbilden und Qualifizieren
Schutz vor Neuroehancement am Arbeitsplatz 2. Stressbewältigung vermitteln (Verhaltensprävention) durch Stressbewältigungstraining für Mitarbeiter 3. Optimale Ergänzungen Entspannungsverfahren Sport
Was kann ich individuell tun?
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!