Medizinisch unterstützte Fortpflanzung



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Transkript:

Evangelische Frauen Schweiz (EFS) Femmes Protestantes en Suisse (FPS) Medizinisch unterstützte Fortpflanzung Anlass und gesetzliche Grundlage Standpunkt.15 Die Forschung zur menschlichen Fortpflanzung gewinnt immer mehr Erkenntnisse und Anwendungsmöglichkeiten. In einem bisher unbekannten Ausmass kann heute in die menschliche Fortpflanzung eingegriffen werden. Damit stellen sich auch neue ethische und praktische Fragen. Was soll in der Fortpflanzungsmedizin von dem, was man kann, auch getan werden? Und wie soll das, was man tun will, getan werden? Diese Fragen greifen die EFS in diesem Standpunkt auf. Die ethischen Fragen stellen sich dringend: Nicht nur weil 2015 die Stimmberechtigten mit Artikel 119 der Bundesverfassung darüber abstimmen, ob und wie neue medizinische Möglichkeiten angewendet werden dürfen oder nicht, sondern auch weil damit grundsätzliche Fragen des Lebens und seines Schutzes aufgeworfen werden. Aktuell ist die Präimplantationsdiagnostik (PID) im Gegensatz zur Pränataldiagnostik (PND) verboten. Die Bundesverfassung erlaubt aktuell, dass nur so viele Embryonen ausserhalb des Körpers der Frau entwickelt werden dürfen, «als ihr sofort eingepflanzt werden können.» Im Bundesgesetz über medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist die maximale Anzahl auf drei Embryonen beschränkt. Die Bundesverfassung soll nun so geändert werden, dass so viele Embryonen entwickelt werden können, «als für die medizinisch unterstützte Fortpflanzung notwendig sind.» Dabei dürfen laut dem vorgesehenen Gesetz bis zu zwölf Embryonen erzeugt werden. Mit der Revision der Bundesverfassung sind eine Reihe von Änderungen des Bundesgesetzes über medizinisch unterstützte Fortpflanzung geplant. Neu sollen folgende Eingriffe möglich sein: Untersuchungen des Erbgutes von Embryos in vitro (PID), wenn diese Untersuchungen die Gefahr einer Weitergabe einer schweren Erbkrankheit verhindern, die wahrscheinlich vor dem 50. Altersjahr ausbricht und für die es keine Therapie gibt. Untersuchungen des Erbgutes von Embryos in vitro (PID), um die Entwicklungsfähigkeit des Embryos zu testen. Die Konservierung von Embryonen in vitro. Die Verwendung von Samenzellen von verstorbenen Samenspendern.

Praktische und ethische Fragen zu medizinisch unterstützter Fortpflanzung Wie erfolgreich ist künstliche Befruchtung? Die Mehrheit der In-vitro-Fertilisationen sind bei Paaren, bei denen eine Infertilität vorliegt, nicht erfolgreich. Die Chance, dass nach der Einpflanzung einer befruchteten Eizelle ein Kind zur Welt kommt, liegt bei rund 15-20%. Ganz anders hingegen ist es, wenn die IVF bei fruchtbaren Paaren durchgeführt wird, dort sind die Erfolgschancen sehr viel höher. Davon machen bis heute nur sehr wenig Paare Gebrauch. Es ist aber denkbar, dass in Zukunft mehr Menschen IVF in Anspruch nehmen, um ihren Nachwuchs ausserhalb des Mutterleibes umfassend testen zu lassen. Welche Alternativen zu künstlicher Befruchtung gibt es? Paar-Psychotherapien erhöhen die Chance, ein Kind zur Welt zu bringen, ähnlich stark wie die künstliche Befruchtung. Eine Möglichkeit ist, ein Kind in die Familie aufzunehmen, das andere biologische Eltern hat, etwa durch Adoption oder das Anbieten eines Platzes für ein Pflegekind. Eine weitere Möglichkeit ist die Lebensgestaltung ohne Kind. Wie verlässlich sind die Resultate von Pränatal- und Präimplantationsuntersuchungen? Die heutigen Tests erlauben es zwar, Aussagen darüber zu machen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Krankheit auftritt. Jedoch ist auch bei einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Krankheit nicht ausgeschlossen, dass sich aus dem untersuchten Embryo oder Fötus ein gesundes Kind entwickeln kann. Andererseits ist es auch nicht sicher, dass sich ein gesundes Kind entwickelt, wenn der Test keine Krankheit angezeigt hat. Sowohl das Resultat eines Pränataltests, das eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Krankheit voraussagt, als auch die Wartezeit auf das Testresultat, kann eine grosse Belastung für werdende Eltern sein. Die nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin zeigt in ihrem Bericht zur Fortpflanzungsmedizin die unterschiedlichen Positionen bei der Einschätzung der Pränataldiagnostik (PND) und der Präimplantationsdiagnostik (PID) auf. Die Kommission war sich uneinig, inwiefern diese beiden Möglichkeiten ethisch unterschiedlich einzuschätzen sind: Während die einen ethisch keinen Unterschied darin sahen, ob der Test am Embryo in vitro (präimplantiv) oder während der Schwangerschaft (pränatal) stattfindet, war für die andere Gruppe dieser Unterschied auch ethisch hoch relevant. Mit welchen finanziellen, körperlichen und seelischen Belastungen der Eltern ist medizinisch unterstützte Fortpflanzung verbunden? In der Schweiz werden pro Schwangerschaft drei Inseminationen direkt in die Gebärmutter von den Krankenkassen bezahlt. Alle anderen Behandlungen gehen auf Kosten der Eltern. Die Kosten für einen Behandlungszyklus mit In-vitro-Fertilisation liegen bei circa 4000.- bis 5000.- Franken. Die In-vitro-Fertilisation ist mit körperlichen Eingriffen verbunden. So kann die Hormonbehandlung zu Nebenwirkungen führen und es kann zu Verletzungen von Bauchorganen kommen. Das Risiko für folgende Komplikationen während der Schwangerschaft ist zudem erhöht: Mehrlingsgeburten, Fehlgeburt, Frühgeburt, niedriges Geburtsgewicht, Eileiterschwangerschaft und Fehlbildungen. Die Verfahren zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung werden von vielen Paaren als sehr belastend erlebt. Dies kann sowohl mit den hohen Erwartungen, als auch mit der Unsicherheit während den Wartezeiten zusammenhängen. 2

Welchen Schutz sollen Embryonen erhalten? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Die Mehrheit der nationalen Ethikkommission (NEK) ist der Ansicht, dass Embryos zwar einen intrinsischen, das heisst einen Wert an sich, haben, aber nicht den gleichen Wert wie eine Person. Einem Embryo in vitro sei zudem nicht mehr Schutz zu gewähren, als einem Embryo im Mutterleib, der in der Schweiz bis zur 12. Woche abgetrieben werden darf. Die NEK stellt sich auf den Standpunkt, dass es deshalb sinnvoll ist, die Konservierung von Embryos zu erlauben, um insbesondere der Frau zusätzliche hormonelle Behandlungen zu ersparen, die zur Produktion neuer Embryos notwendig wären. Die Minderheit argumentierte in der NEK damit, dass es sich bei einem Entscheid nach einer PND während der Schwangerschaft um das Abwehrrecht der Frau gegenüber einer unerwünschten Schwangerschaft handelt, das heisst es geht darum, kein solches Kind zu bekommen. Bei der PID hingegen handle es sich um ein Einforderungsrecht der Frau und ihres Partners auf ein Kind mit bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten. Grundsätzlich kann aus ethischer Perspektive auch eingewendet werden, dass sich das Argument für die PID einseitig auf die Folgen des Entscheids konzentriert und die Grundlagen des Entscheids zu wenig berücksichtigt. Denn beim Schwangerschaftsabbruch geht es darum, das leibliche Wohl der Mutter gegenüber dem Wohl des Embryos abzuwägen. Bei der PID-Selektion von Embryonen gibt es diesen Konflikt nicht, weil Leib und Leben der Mutter keiner Gefahr ausgesetzt sind. Deshalb kann die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs keine Legalisierung der Embryonenselektion begründen. Es geht um zwei unterschiedliche Zusammenhänge. Welche Auswirkungen hat das Wissen um den Gebrauch der medizinisch unterstützten Fortpflanzung für die Beziehung zwischen Eltern und Kind? Den Eltern werden mit der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik Selektionsentscheidungen zugemutet, die die Beziehung zwischen Eltern und Kind verändern können. Während der Einleitung und dem Verlauf einer Schwangerschaft sind die Eltern immer wieder vor Entscheidungen gestellt. Damit ist die Beziehung zwischen Eltern und Kind nicht mehr bedingungslos. Eltern müssen ihre während der Schwangerschaft getroffenen Entscheidungen nicht nur sich selbst gegenüber verantworten, sondern auch ihrem Kind gegenüber rechtfertigen können. Zugleich entsteht die Illusion von der Machbarkeit eines erwartungskonformen Kindes. Was passiert, wenn das Kind diesen Erwartungen nicht entspricht? Bereuen die Eltern ihre damaligen Entscheidungen? Fragt sich das Kind, ob die Eltern den Entscheid für seine Geburt vielleicht bereuen? Diese Fragen stellen eine unabsehbare Belastung für die Eltern-Kind-Beziehung dar und niemand kann heute sagen, welche familiären und gesellschaftlichen Folgen daraus langfristig resultieren werden. Die biotechnologischen Diagnose- und Selektionsinstrumente konstruieren das Bild einer wenig realistischen Wunschwelt. Wie sollen Eltern, die alles daran setzen, ein gesundes Kind zu bekommen, damit umgehen, wenn ihr Kind früher oder später nach der Geburt durch Unfall oder Krankheit genau die Symptome und Merkmale entwickelt, die mit Hilfe von Präimplantations- und Pränataldiagnostik verhindert werden sollten? Schliesslich muss auch umgekehrt gefragt werden: Wie geht die Gesellschaft mit Menschen um, die mit Behinderungen leben, die die Medizin bekämpft, indem sie die Geburt solcher Menschen zu verhindern sucht? 3

Welche gesellschaftlichen Tendenzen spiegeln sich in der geplanten Verfassungs- und Gesetzesänderung? Und welche ethischen Bedenken ergeben sich daraus? Der Ethiker Frank Mathwig gibt zu bedenken, dass der tiefgreifende Wandel in der Wahrnehmung menschlicher Fortpflanzung sich bereits in der Bundesverfassung zeigt. Geht es nach der heute geltenden Formulierung um die Frau, fokussiert der neue Vorschlag ausschliesslich auf die medizinisch unterstützte Fortpflanzung. Erlaubt werden soll nicht mehr, was für die Schwangerschaft der Frau notwendig ist, sondern was die Fortplanzungsmedizin für ihre Massnahmen benötigt. Nach einer Verfassungsänderung käme die Frau gar nicht mehr vor, alles dreht sich um die Interessen eines rasant expandierenden und lukrativen Medizinbereichs. Die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle weist darauf hin, dass die Trennung der Fortpflanzung von der Sexualität sowie die Lagerung von Embryonen die Möglichkeit eröffne, menschliches Leben in seinen Anfängen zu ökonomisieren, kommerzialisieren und industrialisieren. Embryos und Föten können in einem ganz neuen Ausmass erforscht, getestet, verkauft und verbraucht werden. Damit sinke auch die Hemmschwelle, Eingriffe ins menschliche Erbgut vorzunehmen, die irreversibel sind und deshalb die menschliche Verantwortungsfähigkeit übersteigen. Der Begriff «Wunschkind» bekomme eine neue Dimension: Es sei absehbar und nur eine Frage der Zeit, bis auch fruchtbare Frauen und ihre Partner, die es sich finanziell leisten können, ihre Embryos und Föten nach gewünschten Eigenschaften und Fähigkeiten aussortierten. Dies umso mehr, als bei fruchtbaren Paaren die Erfolgsrate einer IVF sehr viel höher sei als bei infertilen. Diese Entwicklungen wiederum würden sich auch auf das gesellschaftliche Zusammenleben auswirken: Krankheiten und Behinderungen werden zunehmend als vermeidbar wahrgenommen und als privates Ereignis betrachtet. Dies gefährde die gesellschaftliche Solidarität. Zudem müsse die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht mehr vorangetrieben werden, angesichts der Möglichkeit, auch nach der Menopause noch Kinder bekommen zu können. 4

Leitlinien für den Umgang mit medizinisch unterstützter Fortpflanzung Die Entscheidung für oder gegen Massnahmen zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung ist schwierig. Bei der gesetzlichen Regelung und bei der ethischen Haltung jeder und jedes Einzelnen gegenüber diesen Technologien sind den Evangelischen Frauen Schweiz folgende Punkte besonders wichtig: Frauen und Männer, die Eingriffe zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung auf sich nehmen, sollen dies erst tun, wenn sie umfassende medizinische und ethische Informationen erhalten haben. Auf Risiken und die beschränkten Möglichkeiten der neuen Technologien muss hingewiesen werden. Betroffene müssen umfassend über Alternativen zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung informiert werden sei dies die Möglichkeit einer Adoption oder der Betreuung von Pflegekindern oder auch die Möglichkeit ein Leben ohne Kinder zu führen. Betroffenen müssen zudem die Verantwortung und die möglichen Konflikte aufgezeigt werden, die sie mit einer solchen Entscheidung eingehen. Die Informationen über medizinisch unterstützte Fortpflanzung und ihre Alternativen müssen von unabhängiger Stelle erfolgen. Das heisst, Beratende dürfen keine finanziellen oder anderweitigen Interessen am Entscheid haben. Die Beratungen müssen ergebnisoffen sein. Es muss möglich sein, sich nach der Beratung genau so gut für als auch gegen einen Eingriff zu entscheiden. Dies setzt gesellschaftliche solidarische Rahmenbedingungen voraus. Auf keinen Fall darf es dazu kommen, dass die Gesellschaft Unterstützungsleistungen davon abhängig macht, ob ein Paar alle Testmöglichkeiten beim Embryo und Fötus ausgeschöpft hat. Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik sollen nur angewendet werden, wenn die zukünftigen Eltern diese Tests explizit wünschen. Dabei muss vor den Tests auf die ethischen Entscheide hingewiesen werden, die die Testresultate nach sich ziehen können. Embryonen und Föten sollen nicht gehandelt werden können. Menschliches Leben ist keine Handelsware. Eingriffe ins menschliche Erbgut sollen bei überzähligen Embryonen verboten bleiben. Irreversible Eingriffe ins menschliche Erbgut übersteigen die Verantwortungsfähigkeit des Menschen. 5

Begriffserklärungen Medizinisch unterstützte Fortpflanzung Mit medizinisch unterstützter Fortpflanzung sind alle Verfahren gemeint, die eine Befruchtung ohne Geschlechtsverkehr zum Zweck haben. Insemination Die Befruchtung der Eizelle wird durch das künstliche Einführen von Samenzellen in die Vagina oder die Gebärmutter hergestellt. In-vitro-Fertilisation (IVF) Von einer In-vitro-Fertilisation spricht man dann, wenn eine Eizelle ausserhalb des Mutterleibs durch ein Spermium in einer Petrischale befruchtet wird. Anschliessend kann die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter eingepflanzt werden. Präimplantationsdiagnostik (PID) Bei einer In-vitro-Fertilisation ist es möglich, die befruchtete Eizelle ausserhalb des Mutterleibs morphologisch, chromosomal und genetisch zu untersuchen. Dabei kann beispielsweise geprüft werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit später Erbkrankheiten oder Gendefekte auftreten werden. Ebenfalls ist es möglich, Eigenschaften eines zukünftigen Kindes zu bestimmen, wie das Geschlecht, aber auch äusserliche Merkmale wie die Augenfarbe. Diese Tests werden durchgeführt, um aufgrund der Resultate entscheiden zu können, ob eine befruchtete Eizelle eingepflanzt werden soll oder nicht. Pränataldiagnostik (PND) Während der Schwangerschaft gibt es mehrere Möglichkeiten, um zu erfahren, ob das sich entwickelnde Kind gesund sein wird. Bei Bluttests und Ultraschall-Untersuchungen können beispielsweise Risiken auf Trisomie 21, andere Chromosomenabweichungen oder auch Erbkrankheiten festgestellt werden. Grössere Gewissheiten sind mit einer Fruchtwasseruntersuchung möglich. Diese birgt aber auch das Risiko eines Spontanaborts. Infertilität Infertilität oder Unfruchtbarkeit liegt dann vor, wenn ein Mann kein Kind zeugen oder eine Frau kein Kind empfangen oder austragen kann. Wenn nach einem Jahr regelmässigen, ungeschützten Geschlechtsverkehrs keine Schwangerschaft erfolgt, können sich Paare auf Infertilität untersuchen lassen. 6

Weiterführende Lektüre Der Standpunkt wurde mit Hilfe der folgenden Texte erarbeitet: Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK): Die medizinisch unterstützte Fortpflanzung. Ethische Überlegungen und Vorschläge für die Zukunft. Stellungnahme Nr. 22/2013. Bern 2013. Greifbar auf: www.nek-cne.ch Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund (SEK): Leben testen? 10 Fragen 10 Antworten zu neuen pränatalen Tests aus theologisch-ethischer Sicht. Bern 2013. Greifbar auf: www.kirchenbund.ch Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.4.1999. Greifbar auf: www.admin.ch Bundesbeschluss über die Änderung der Verfassungsbestimmung zur Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich vom 12.12.2014. Greifbar auf: www.admin.ch Revisionsvorschlag für das Bundesgesetz über medizinisch unterstützte Fortpflanzung. Greifbar auf: www.admin.ch Bundesgesetz über medizinisch unterstützte Fortpflanzung vom 18.12.1998. Greifbar auf: www.admin.ch Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Website Familienplanung: www.familienplanung.de Frank Mathwig: Tristram s Welt. Über einige Folgen der neuen Fortpflanzungstechnologien. Vortrag im Rahmen des Thementags der EFS 2014. Beziehbar auf der Geschäftsstelle der EFS. Die detaillierten Links finden Sie in der Online-Version des Standpunkts auf unserer Website www.efs-fps.ch. Die EFS stellen zudem gerne den Kontakt zu Referentinnen und Referenten her. Wenden Sie sich dazu an die Geschäftsstelle: geschaeftsstelle@efs.ch. Beratungsstellen zu medizinisch unterstützter Fortpflanzung Die Kantone sind bereits heute gesetzlich dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass unabhängige Informations- und Beratungsstellen zu pränatalen Untersuchungen bestehen. Wir möchten auf folgende kantonal anerkannte Stelle besonders aufmerksam machen: Appella, Zürich Kostenlose Telefonberatung: 044 273 06 60 E-Mail: info@appella.ch www.appella.ch Ein Verzeichnis der Informations- und Beratungsstellen finden Sie auf folgender Website: 7

www.sante-sexuelle.ch/beratungsstellen Die Evangelischen Frauen Schweiz danken Prof. Dr. Frank Mathwig und Dr. Ruth Baumann-Hölzle für die fachliche Unterstützung. Frank Mathwig ist Professor für Ethik am Institut für systematische Theologie der Universität Bern und Beauftragter für Theologie und Ethik des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK) und Mitglied der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK). Ruth Baumann-Hölzle ist Theologin und Leiterin des interdisziplinären Instituts Dialog Ethik. Sie war bis Ende 2013 Mitglied der NEK. Der Standpunkt konnte dank der Unterstützung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK), der Waadtländer Kantonalkirche, der Stiftung für staatsbürgerliche Erziehung und Schulung sowie des Fonds für Frauenarbeit SEK realisiert werden. Impressum Redaktion: Edith Siegenthaler Übersetzung: Verena Ginobbi Layout: Lisa Fankhauser Evangelische Frauen Schweiz, Scheibenstrasse 29, Postfach 189, 3000 Bern 22 www.efs-fps.ch Mai 2015 8