Landtagsfraktion Hessen HESSENGERECHT. Online-Petitionen Mehr Demokratie wagen! Veranstaltung der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag vom 10. Mai 2011 www.spd-fraktion-hessen.de SPD-Fraktion im Hessischen Landtag
An der Veranstaltung haben Experten und Besucher aus unterschiedlichsten Bereichen teilgenommen, das hat maßgeblich zum Erfolg der Debatte beigetragen. Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Fraktionsvorsitzender Auf dem Podium (v. l. n. r.): Thorsten Schäfer-Gümbel, MdL, PD Dr. Stephan Bröchler, Ernst-Ewald Roth, MdL, Prof. Dr. Annette Guckelberger, Ulrich Riehm Wir als SPD-Fraktion stehen für eine bürgernahe Politik. Durch die Online-Petition könnten direkte Impulse an die Politik gegeben werden. Ernst-Ewald Roth, Sprecher für Petitionen 2
Inhaltsverzeichnis Vorwort Thorsten Schäfer-Gümbel, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, und Ernst-Ewald Roth, Sprecher für Petitionen 4 Prof. Dr. Annette Guckelberger Inhaberin des Lehrstuhls für öffentliches Recht an der Universität des Saarlandes Zur Bedeutung elektronischer Petitionen aus rechtswissenschaftlicher Sicht 5 Ulrich Riehm Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag Zur Bedeutung elektronischer Petitionen aus praktischer Sicht 6 PD Dr. Stephan Bröchler Institut für Politikwissenschaften an der Universität Gießen Zur Bedeutung elektronischer Petitionen aus politikwissenschaftlicher Sicht 7 3
Vorwort von Thorsten Schäfer-Gümbel, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, und Ernst-Ewald Roth, Sprecher für Petitionen Online-Petitionen Mehr Demokratie wagen! Sehr geehrte Damen und Herren, wir möchten uns mit dieser Broschüre herzlich bei all denen bedanken, die an unserem Hearing zum Thema Online-Petitionen teilgenommen haben und somit für den Erfolg der Veranstaltung mitverantwortlich waren. Ein besonderer Dank gilt den Referenten, Prof. Dr. Guckelberger, Ulrich Riehm und PD Dr. Bröchler, die mit ihrem Fachwissen aus unterschiedlichsten Bereichen der Veranstaltung ihre Vielseitigkeit verliehen. Aber auch die Teilnahme verschiedenster Vertreter aus Ministerien, den Wohlfahrtsverbänden und den Kirchen haben die Debatte beflügelt und zu einer munteren Diskussion beigetragen. Uns persönlich ist durch das Hearing vor allem bewusst geworden, dass die vor dem Abschluss stehende Einführung der Online-Petition nur ein erster Schritt sein kann. Um das Ziel der SPD, eine bürgernahe Politik zu gestalten, weiterverfolgen zu können, muss nun als nächster Schritt die öffentliche Petition diskutiert werden! Hier werden wir anknüpfen. Mit freundlichen Grüßen, Thorsten Schäfer-Gümbel Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion Ernst-Ewald Roth Sprecher für Petitionen der SPD-Landtagsfraktion 4
I. Prof. Dr. Guckelberger Inhaberin des Lehrstuhls an der Universität des Saarlandes Zur Bedeutung elektronischer Petitionen aus rechtswissenschaftlicher Sicht Zu unterscheiden ist zunächst die Online-Petition von der öffentlichen Petition. Als Online-Petition bezeichnet man die Möglichkeit zur Einreichung einer Petition über das Internet. Das Formular zur Einreichung der Petition wird online ausgefüllt und an den zuständigen Petitionsausschuss versandt. Seit dem Jahr 2005 ist es möglich, die Petition auf Bundesebene online einzureichen, die Mehrzahl der Bundesländer ist diesem Vorbild bereits gefolgt. Die öffentliche Petition geht einen Schritt weiter. Hier wird die Petition mit Inhalt und Begründung im Internet unter Bekanntgabe des Namens des Einreichenden eingestellt. Die so öffentlich gestellte Petition kann von anderen Personen, welche die Petition unterstützen wollen, mitgezeichnet werden. Des Weiteren steht jeweils ein Forum zur Verfügung, in welchem registrierte Nutzer die Petition diskutieren können. Öffentliche Petitionen gibt es seit einiger Zeit auf Bundesebene. Auf Länderebene sind öffentliche Petitionen seit 2010 in Bremen und seit dem Frühjahr 2011 auch in Rheinland-Pfalz möglich. Das Grundgesetz fordert in Art. 17 die Schriftlichkeit bei der Petitionseinreichung. Über die Auslegung des Begriffes werden in der Literatur drei Auffassungen vertreten. Nach der ersten Auffassung ist unter der schriftlichen Einreichung immer die eigenhändige Unterschrift zu verstehen. Die zweite Auffassung definiert die Schriftlichkeit analog zum Verwaltungsverfahrensgesetz. Die dritte Auffassung spricht sich für eine zeitgemäße Begriffsauslegung der Schriftform aus, da man im Zeitpunkt des Erlasses des Grundgesetzes die Neuen Medien noch nicht kannte. Die diesbezüglichen Regelungen variieren. Überwiegend wird die Schriftform als gewahrt angesehen, wenn der Urheber und dessen Postanschrift ersichtlich sind und das im Internet für elektronische Petitionen zur Verfügung gestellte Formular verwendet wird. In Hessen wäre nach dem Wortlaut der Hessischen Verfassung zur Einführung der Online-Petition keine Verfassungsänderung notwendig, da in Art. 16 anders als in Art. 17 GG das Schriftlichkeitserfordernis bei Petitionen nicht erwähnt wird. Allein die Geschäftsordnung müsste zur Einführung der Online-Petition angepasst werden. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit öffentlicher Petitionen wird bislang unterschiedlich beurteilt. Wenn jedenfalls nur eine Mitzeichnungsmöglichkeit ohne besondere Privilegierung dieser Petenten, etwa in Form einer Anhörung durch den Petitionsausschuss, vorgesehen wird, dürfte diese Petitionsform verfassungsrechtlich unbedenklich sein, falls diese Petitionsform auf Gesetzesbasis näher ausgeformt wird. Bei öffentlichen Petitionen wird darüber nachgedacht, ob sie nicht in einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses behandelt werden sollten. Auf Bundesebene hört der Petitionsausschuss einen oder mehrere Petenten in öffentlicher Sitzung an, wenn eine öffentliche Petition 50.000 Stimmen erhalten hat. Daran werden von Teilen des Schrifttums Bedenken angemeldet, weil bei einer solchen Ausgestaltung die Grenze zur Volksinitiative überschritten sein könnte und diese Privilegierung gegenüber den herkömmlichen Petitionen nur schwer nachzuvollziehen sei. Bei Petitionen, die von einer Vielzahl von Personen unterstützt werden, muss man sich darüber hinaus Gedanken über die Verbescheidung machen, wenn man nicht jeden Einzelnen benachrichtigen möchte. Auch hier sind die rechtlichen Grenzen noch nicht ausreichend ausgelotet. 5
II. Ulrich Riehm Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag Zur Bedeutung elektronischer Petitionen aus praktischer Sicht Das Petitionswesen erscheint im Kontext der Diskussion um E-Demokratie und E-Parlament als ein besonders geeignetes Anwendungsfeld für einen die Bürgerbeteiligung fördernden Interneteinsatz. Elektronische Petitionen, d. h. die Nutzung des Internets für die Einreichung, Veröffentlichung, Mitzeichnung und Diskussion von Eingaben, sind ein wichtiges Element zur Modernisierung des Petitionswesens, sie versprechen mehr Transparenz und Diskursivität im Petitionsverfahren. Der Deutsche Bundestag hatte 2005 nach schottischem Vorbild einen Modellversuch öffentliche Petitionen gestartet. Dieser ermöglichte, sowohl Petitionen online einreichen zu können als auch Petitionen im Internet zu veröffentlichen. Beides ist zwischenzeitlich in den Regelbetrieb überführt. Die eigentliche Innovation ist nicht die Online-Petition, sondern die öffentliche Petition. Deren Nutzung ist seit dem Jahr 2006 um ein Vielfaches gestiegen. 2006 wurden 761 öffentliche Petitionen eingereicht, wovon 284 zugelassen wurden. 2010 lag die Zahl der als öffentliche Petitionen eingereichten Petitionen bei 4.598. Das waren bereits 29 % aller 15.918 neu eingegangenen Petitionen im Jahr 2010. Auffällig ist der hohe Wert an nicht zugelassenen öffentlichen Petitionen. Im Jahr 2010 wurden nur 12 % der als öffentliche Petitionen eingereichten Petitionen zugelassen (559 öffentliche Petitionen). Die nicht als öffentliche Petitionen zugelassenen Einreichungen werden im Normalverfahren der nicht öffentlichen Petitionen behandelt. Der Hauptgrund für die Nichtzulassung öffentlicher Petitionen ist, dass bereits eine im Wesentlichen sachgleiche Petition vorhanden ist. Ob solche sachgleichen Petitionen bereits vorliegen, ist jedoch für die Einreicher öffentlicher Petitionen kaum feststellbar. Insgesamt gab es zu den über 2.000 öffentlichen Petitionen seit 2005 mehr als drei Millionen Mitzeichnungen und etwa 100.000 Diskussionsbeiträge. Die Qualität in den Diskussionsforen wird im Allgemeinen als gut bewertet. Bemerkenswert ist vor allem, welche Medienwirksamkeit das Petitionsverfahren seit Einführung der öffentlichen Petition erhalten hat und damit das Petitionswesen im Allgemeinen und den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages und seine Mitglieder im Besonderen gestärkt hat. Der Modellversuch öffentliche Petitionen wurde in einer Evaluation von Petenten, Politikern und Verwaltungsmitarbeitern positiv bewertet. Die Ergebnisse dieser Evaluation sind veröffentlicht (Riehm, U.; Coenen, Chr.; Lindner, R.; Blümel, C.: Bürgerbeteiligung durch E-Petitionen. Analysen von Kontinuität und Wandel im Petitionswesen. Berlin: edition sigma 2009). 6
III. PD Dr. Stephan Bröchler Institut für Politikwissenschaften an der Universität Giessen Zur Bedeutung elektronischer Petitionen aus politikwissenschaftlicher Sicht Die Diskussion um die Weiterentwicklung des Petitionsrechts ist besonders vor dem Hintergrund eines strukturellen Wandels des politischen Engagements bedeutsam. Bürgerinnen und Bürger engagieren sich heute verstärkt punktuell und für einen begrenzten zeitlichen Raum für politische Themen, die ihnen am Herzen liegen. Die Art und Weise, wie sie ihr politisches Engagement zum Ausdruck bringen, vollzieht sich mehr und mehr in selbst gewählten konventionellen (Demonstrationen, Unterschriftenaktionen) wie unkonventionellen (Facebook, Twitter) Formen. Der Begriff Politikverdrossenheit ist ungeeignet, um den Wandel des Engagements zu verstehen. Sinnvoller ist es, von einer Schere des politischen Engagements zu sprechen. Einerseits belegen Studien Politikdistanz, die im Rückgang der Parteimitglieder und der Wahlbeteiligung zum Ausdruck kommt. Parlament und Regierung erreichen nur eine mittelmäßige Akzeptanz in der Bevölkerung. Andererseits lässt sich nachweisen, dass viele Bürgerinnen und Bürger ein großes Bedürfnis haben, sich sach- und themenbezogen am politischen Prozess zu beteiligen. Die Fortentwicklung des parlamentarischen Petitionswesens kann dazu beitragen, Politikdistanz abzubauen und die Bürger besser an der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung teilhaben zu lassen. Die Nutzung neuer Medien, wie das Internet, ermöglicht es, dass die Petitionen auf elektronischem Wege an das Parlament gesandt werden (Online-Petition). Die elektronische Zustellung erweist sich als ein erster notwendiger Schritt, mit dem die Potenziale jedoch bei Weitem nicht ausgeschöpft sind. Dies illustriert die Einführung der öffentlichen Petition im Schottischen Parlament, im Deutschen Bundestag sowie in der Bürgerschaft von Bremen und dem Landtag von Rheinland-Pfalz. Dort können die Bürger in Onlineforen über die Petitionen diskutieren und sich ggf. der Eingabe anschließen. Falls innerhalb eines Zeitfensters eine bestimmte Stimmenzahl erreicht wird, befasst sich der Ausschuss in einer öffentlichen Sitzung mit dem Thema. Öffentliche Petitionen versprechen Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger und das Parlament. Sie ermöglichen größere Bürgernähe, denn die Bürger können sich mit ihren politischen Ideen und Forderungen direkt an das Parlament wenden. Das Parlament wird gestärkt. Zum einen erhöht sich die Resonanzfähigkeit. Denn das Parlament erhält durch die Petitionen der Bürger eine weitere Möglichkeit, am Puls der politischen Debatte der Gesellschaft zu bleiben. Trotz der positiven Erfahrungen im Bund nutzen die deutschen Landesparlamente die Möglichkeiten der Online-Petition bis dato kaum. Heute ist das Petitionsverfahren auch im Hessischen Landtag noch offline. Zwar existiert eine Homepage des Petitionsausschusses, doch kann die Petition nicht online, sondern nur per Brief oder Fax an den Parlamentsausschuss geschickt werden. Politikwissenschaftliche Forschung, wie sie auch am Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen betrieben wird, kann helfen, Chancen und Restriktionen zu bewerten und Handlungskorridore für die Nutzung von Online-Petitionen auch auf Landesebene aufzeigen. 7
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