Klausur: Lösungen und Bewertungen



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Transkript:

Sommersemester 2004 Norbert Rüffer 1) Beschreiben Sie anhand des Logogenmodells die Verarbeitungsschritte beim 1. lauten Lesen von Wörtern und Pseudowörtern 2. Verstehen gelesener Wörter/Erkennen gelesener Pseudowörter 3. schriftliches Benennen 4. Nachsprechen von Wörtern und Pseudowörtern 5. Schreiben nach Diktat von Wörtern und Pseudowörtern 1a) Lesen von Wörtern und Pseudowörtern Wörter: Route 1 (lexikalisch-semantische Route): Geschriebenes Wort-visuelle Analysevisueller Arbeitsspeicher-orthographisches Eingangslexikon-semantisches Systemphonologisches Ausgangslexikon-phonologischer Arbeitsspeicher-Sprechen Route 2 (direkte phonologisch-lexikalische Route): Geschriebenes Wort-visuelle Analyse-visueller Arbeitsspeicher-orthographisches Eingangslexikonphonologisches Ausgangslexikon-phonologischer Arbeitsspeicher-Sprechen Route 3 (sublexikalisch-graphematisch-phonologische Route): Geschriebenes Wortvisuelle Analyse-visueller Arbeitsspeicher-orthographisch-phonologische Konvertierung (GPK)-phonologisches Ausgangslexikon-phonologischer Arbeitsspeicher-Sprechen Pseudowörter: Route 3: Geschriebenes Wort-visuelle Analyse-visueller Arbeitsspeicherorthographisch-phonologische Konvertierung (GPK)-phonologisches Ausgangslexikon-phonologischer Arbeitsspeicher-Sprechen Bewertung: 4 Punkte 1b) Verstehen gelesener Wörter Geschriebenes Wort-visuelle Analyse-visueller Arbeitsspeicher-orthographisches Eingangslexikon-semantisches System Erkennen gelesener Pseudowörter Geschriebenes Pseudowort-visuelle Analyse-visueller Arbeitsspeicherorthographisches Eingangslexikon Bewertung: 2 Punkte Seite 1

1c) schriftliches Benennen visuelle Objektwahrnehmung semantisches System-orthographisches Ausgangslexikon-graphematischer Arbeitsspeicher-Schreiben Bewertung: 1 Punkt 1d) Nachsprechen von Wörtern/Pseudowörtern Wörter: Route 1: Gesprochenes Wort-auditive Analyse-auditiver Arbeitsspeicher-auditives Eingangslexikon-semantisches System-phonologisches Ausgangslexikonphonologischer Arbeitsspeicher-Sprechen Route 2: Gesprochenes Wort-auditive Analyse-auditiver Arbeitsspeicher-auditives Eingangslexikon-phonologisches Ausgangslexikon-phonologischer Arbeitsspeicher- Sprechen Route 3: Gesprochenes Wort-auditive Analyse-auditiver Arbeitsspeicher-auditivphonologische Konvertierung-phonologischer Arbeitsspeicher-Sprechen Pseudowörter: Route 3: Gesprochenes Wort-auditive Analyse-auditiver Arbeitsspeicher-auditivphonologische Konvertierung-phonologischer Arbeitsspeicher-Sprechen Bewertung: 4 Punkte 1e) Schreiben nach Diktat von Wörtern und Pseudowörtern Wörter: Route 1: Gesprochenes Wort-auditive Analyse-auditiver Arbeitsspeicher-auditives Eingangslexikon-semantisches System-orthographisches Ausgangslexikongraphematischer Arbeitsspeicher-Schreiben Route 2: Gesprochenes Wort-auditive Analyse-auditiver Arbeitsspeicher-auditives Eingangslexikon-phonologisches Ausgangslexikon-orthographisches Ausgangslexikon-graphematischer Arbeitsspeicher-Schreiben Route 3: Gesprochenes Wort-auditive Analyse-auditiver Arbeitsspeicher-auditivphonologische Konvertierung-phonologischer Arbeitsspeicher-Phonem-Graphem- Konvertierung-graphematischer Arbeitsspeicher-Schreiben Pseudowörter: Route 3: Gesprochenes Wort-auditive Analyse-auditiver Arbeitsspeicher-auditivphonologische Konvertierung-phonologischer Arbeitsspeicher-Phonem-Graphem- Konvertierung-graphematischer Arbeitsspeicher-Schreiben Bewertung: 4 Punkte Seite 2

2) Welche deskriptiven Merkmale haben die folgenden erworbenen Störungen des Lesens und wie lassen sie sich im Logogenmodell lokalisieren?: a. Tiefendyslexie b. direkte Dyslexie c. phonologische Dyslexie d. Oberflächendyslexie a) Tiefendyslexie deskriptive Merkmale: Pseudowörter können nicht gelesen werden, semantische Fehler, visuelle Fehler, morphologische Fehler, visuelle und darauf aufbauende semantische Fehler, konkrete Wörter werden besser gelesen als abstakte (Konkretheitseffekt), Wortarteffekt: Nomina > Adjektive > Verben > Funktionswörter Lokalisation im Logogenmodell: Graphem-Phonem-Konvertierung gestört, direkte phonologisch-lexikalische Route gestört, ausschließliche Verwendung der (partiell geschädigten) lexikalisch-semantischen Route Bewertung: 2 Punkte b) direkte Dyslexie deskriptive Merkmale: schwere Störung des Lesesinnverständnisses (z.b. kein semantischer Priming-Effekt), sowohl regelmäßige als unregelmäßige Wörter können korrekt und flüssig gelesen werden, Neologismen können nicht gelesen werden Lokalisation im Logogenmodell: Ausfall der lexikalisch-semantischen Route und der GPK-Route, ausschließliches Lesen über die direkte phonologischlexikalische Route Bewertung: 2 Punkte c) phonologische Dyslexie deskriptive Merkmale: Neologismen können entweder überhaupt nicht oder nur unter bestimmten Umständen gelesen werden, keine semantischen Paralexien, gutes Sprachverständnis Lokalisation im Logogenmodell: Störung in einer bestimmten Stufe der Graphem- Phonem-Korrespondenz: Typ 1: GPK kann nicht aktiviert werden (Lesen von Neologismen blockiert) Typ 2: nur bestimmte GPK-Regeln sind gestört (graphematisch einfache Neologismen können gelesen werden, graphematisch komplexe Neologismen dagegen nicht) Seite 3

Typ 3: Störung in dem GPK nachgeordneten graphematischen Arbeitsspeicher (pseudohomophone Neologismen (Neologismen mit lexikalisierter phonologischer Form) können durch einen lexikalischen Abgleich mit dem orthographischen und phonologischen Ausgangslexikon gelesen werden) Bewertung: 4 Punkte a) Oberflächendyslexie deskriptive Merkmale: orthographisch regelmäßige Wörter können signifikant besser gelesen werden als orthographisch unregelmäßige, orthographisch ungegelmäßige Wörter werden beim Lesen regularisiert. Lokalisation im Logogenmodell: ausschließliches Lesen über die GPK-Route auf Grund einer Störung der beiden lexikalischen Leserouten Typ 1: präsemantische lexikalische Störung (die Bedeutung eines Wortes entspricht der seiner Regularisierung: listen/hören mit der phonologischen Form /lisn/ wird regularisiert zu /listen/ und verstanden als Liston/Boxer) Typ 2: postsemantische lexikalische Störung (listen/hören wird regularisiert zu zu /listen/ aber richtig verstanden) Bewertung: 3 Punkte 3) Welche Symptome sind bei einer erworbenen Störung des Schreibens zu erwarten, die durch eine isolierte Störung a) des phonologischen Arbeitsspeichers bzw. b) des graphematischen Arbeitsspeichers zustande kommt. Erklären Sie anhand des Logogenmodells. a) bei einer isolierten Störung des phonologischen Arbeitsspeichers (Phonemebene) - nur das Schreiben von Nichtwörtern ist beeinträchtigt, weil reale Wörter über die intakte semantisch-orthographische Route geschrieben werden können - die auftretenden Schreibfehler sind phonologisch rekonstruierbar - es kommen keine Ganzwortfehler (semantisch, visuell und/oder phonologisch) vor, da Wortsubstitutionen oberhalb der Phonemebene entstehen - die auftretenden Schreibfehler kommen durch Ersetzungen, Auslassungen, Hinzufügungen und Vertauschungen auf der phonologisch-segmentalen Ebene zustande - die Fehlerhäufigkeit nimmt mit der Wortlänge zu (Wortlängeneffekt) - phonologische Fehler sind nicht nur beim Schreiben, sondern auch in mündlichen Aufgaben (zum Beispiel beim Nachsprechen, lauten Lesen) nachweisbar Bewertung: 6 Punkte b) bei einer isolierten Störung des graphematischen Arbeitsspeichers Seite 4

(Graphemebene) - ist nur die schriftliche, nicht die mündliche Sprachproduktion betroffen - die Schreibstörung treten auf Grund der strategischen Lage der Graphemebene in allen Aufgaben auf (zum Beispiel im spontanen Schreiben, schriftlichen Benennen und Diktatschreiben) - die Störung ist nicht auf das Handschreiben beschränkt und tritt in allen Ausgangsmodalitäten auf (z.b. mündliches Buchstabieren) - Weil sowohl die lexikalische als auch die sub-lexikalische Schreibroutine über die Graphemebene führt, ist beim Diktatschreiben das Schreiben von Wörtern und auch von Nichtwörtern gestört - es treten keine Ganzwortfehler (semantisch, visuell und/oder phonologisch) auf, da Wortsubstitutionen oberhalb der Graphemebene entstehen - die auftretenden Schreibfehler kommen durch Ersetzungen, Auslassungen, Hinzufügungen und Vertauschungen auf der orthographisch-segmentalen Ebene zustande - die auftretenden Schreibfehler können nicht phonologisch erklärt werden, denn die Phonemebene wird als intakt angenommen - die segmentale Fehler spiegeln nicht Wahrscheinlichkeiten der Phonem- Graphem-Abbildungen wider - die segmentale Fehler ergeben phonematisch unplausible Nichtwörter - die Fehlerhäufigkeit erhöht sich mit der Wortlänge (Wortlängeneffekt) Bewertung: 10 Punkte 4) Wie entstehen One-Position Shifts beim Buchstabieren wie needle neddle? Erklären Sie mit Hilfe der Multiple Tier Hypothesis von McCloskey. Nach der Multiple Tier Hypothesis von McCloskey spezifizieren lexikalischgraphematische Repräsentationen unabhängig voneinander die letter position und die letter identity. Für Schreibgeminaten wie needle ist die Assoziation von zwei Graphempositionen mit einem Graphem charakteristisch: X X X X X X N E D L E Buchstabierfehler wie needle > neddle kommen dadurch zustande, dass eine der beiden Assoziation des Geminatenpaars mit der Positionsebene zu einem benachbarten Graphem verschoben wird: X X X X X X N E D L E 3 Punkte Seite 5

5) Die Schreibung von Affe verletzt GPK, weil die Zuordnung von Phonemen zu Graphen nicht eindeutig ist: /afe/ <AFFE> Warum ist die Schreibung <AFFE> trotzdem grammatisch? Die Schreibung von Wörtern wird nicht nur durch GPK, sondern auch durch andere orthographische Prinzipien beschränkt. Im Fall von Schreibgeminaten wie Affe ist das Prinzip PARSE CV relevant (Sternefeld): PARCE CV: Assoziationslinien müssen graphematisch erschöpfend interpretieret werden In der phonologischen Form von Affe bildet das Phonem f ein Silbengelenk zwischen der ersten und der zweiten Silbe des Wortes, d.h. ist mit zwei Positionen in der Silbenstruktur assoziiert: a f e VC=CV A F F E Auf Grund von PARCE CV muss die graphematische Form des Wortes diese beiden Assoziationslinien durch eine Verdopplung des Graphems sichtbar machen. Die Anwendung der Regeln GPK und PARCE CV wird durch eine Regelhierarchie unter der Optimalitätstheorie geregelt: PARCE CV vor GPK Die Schreibung von Affe ist grammatisch, weil PARCE CV in dieser Regelhierarchie vor GPK angewendet wird. 3 Punkte 6 a) Welche Phasen des Schrifterwerbs unterscheidet das Schrifterwerbsmodell von U. Frith? b) Wie lassen sich entwicklungsbedingte Störungen der Schriftsprache in dem Erwerbsmodell von Frith lokalisieren? a) Sechsphasenmodell 1 Logographische Phase A: logographisches Lesen, symbolisches Schreiben 2 Logographische Phase B: logographisches Lesen, logographisches Schreiben 3 Alphabetische Phase A: logographisches Lesen, alphabetisches Schreiben 4 Alphabetische Phase B: alphabetisches Lesen, alphabetisches Schreiben 5 Orthographische Phase A: orthographisches Lesen, alphabetisches Schreiben 6 Orthographische Phase B: orhographisches Lesen, orthographisches Schreiben Bewertung: 6 Punkte Seite 6

b) Wie lassen sich entwicklungsbedingte Störungen der Schriftsprache in dem Erwerbsmodell von Frith lokalisieren? - klassische Legasthenie: Störung im Übergang von der logographischen Phase zur alphabetischen Phase - Varianten: Störungen im Übergang der Phasen 3-6; z.b. Typ B spellers, deren Entwicklung in Phase 5 stagniert (unauffälliges Lesen von regulären und irregulären Wörtern, orthographische Fehler beim Schreiben) Bewertung: 2 Punkte 7 a) Nennen Sie Fakten, die als Evidenz für die phonologische Theorie von erworbenen Störungen der Schriftsprache gelten können. b) In einer in Portugal durchgeführten Studie von Maraus, Cary, Alegria und Bertelson (1979) wurde mit erwachsenen Analphabeten, die gerade die Schriftsprache erlernten, ein Test durchgeführt. Die Versuchspersonen sollten entscheiden, wie mündlich angebotene Wörter, die sich nur in einem Phonem unterschieden (z.b. slit-sit) zu verändern waren, um das eine Wort aus dem anderen abzuleiten ( l hinzufügen bzw. weglassen). Die Versuchspersonen konnten diese Aufgabe nicht lösen, solange sie noch Analphabeten waren. Sobald sie die Schriftsprache erworben hatten, waren sie demgegenüber dazu in der Lage. Interpretieren Sie diese Untersuchungsergebnisse im Hinblick auf die phonologische Theorie von erworbenen Störungen der Schriftsprache. a) Fakten, die als Evidenz für die phonologische Theorie von erworbenen Störungen der Schriftsprache gelten können: - Beeinträchtigungen im sprachlichen Kurzzeitgedächtnis - Störungen im mündlichen Benennen - beeinträchtigtes rapid automatized naming - Störungen im Nachsprechen von Nichtwörtern - metaphonologische Defizite - Beeinträchtigungen im phonologischen Lernen Bewertung: 6 Punkte b) portugiesische Studie Die Studie stellt in Frage, dass entwicklungsbedingte Störungen der Schriftsprache mit Störungen der phonologische Bewusstheit zusammenhängen. Die phonologische Bewusstheit, d.h. die Fähigkeit, Wörter bewusst in phonologische Einheiten zu zerlegen, basiert zum Teil auf dem Erwerb der Schrift und kommt deshalb nicht als Ursache für entwicklungsbedingte Dyslexie in Frage. Bewertung: 1 Punkt Seite 7

8 a) Bitte ordnen Sie die mit Zahlen markierten Verarbeitungsebenen und routen im Lexikonmodell von Ramus den entsprechenden Verarbeitungsebenen und routen im Logogenmodell zu: Lexikonmodell von Ramus Logogenmodell Bewertung: 8 X 0,5 Punkte= 4 Punkte Seite 8

b) In welcher Verarbeitungsebene ist nach Ramus die erworbenen Dyslexien zugrunde liegende phonologische Störung lokalisiert? sub-lexical phonological representation = phonologischer Arbeitsspeicher Bewertung:1 Punkt 9) Diskutieren Sie Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der phonologischer Dyslexie und Legasthenie Ähnlichkeiten: - die Graphem-Phonem-Korrespondenz ist beeinträchtigt und Nonwords können nicht gelesen werden Unterschiede: - im Unterschied zur Legasthenie ist das Lesen von Nonwords bei Phonologischer Dyslexie nicht in jedem Fall blockiert, weil Nonwords durch einen lexikalischen Abgleich mit dem intakten orthographischen Lexikon gelesen werden können - bei Legasthenie ist nicht nur das Lesen, sondern auch das Nachsprechen von Nonwords blockiert, weil die Phonemebene beeinträchtigt ist - bei Legasthenie ist sowohl das Lesen von Nonwords als auch das Lesen von regulären und irregulären Wörtern beeinträchtigt, weil im Schriftsystem von Legasthenikern nicht nur die Graphem-Phonem-Konvertierung, sondern auch das Orthographisches Lexikon gestört ist; Legastheniker können allerdings kompensatorisch ein logographisches Lexikon mit logographischphonologischen Links auf der Ganzwortebene aufbauen, das es ihnen ermöglich weitgehend unauffällig zu lesen - bei Legasthenie ist sowohl das Lesen als auch das Schreiben beeinträchtigt; bei gut gebesserter Legasthenie kommt es zu einer Diskrepanz zwischen gut kompensiertem Lesen und persistierenden Problemen beim Schreiben, weil das Schreiben eine segmentale Verarbeitung voraussetzt - bei Legasthenie ist nicht nur das Lesen und Schreiben, sondern auch die phonologische Verarbeitung beeinträchtigt Bewertung: 6 Punkte Gesamtpunkzahl: 74 Seite 9