Schriftgut der Wirtschaft in Hessen das Beispiel Hessisches Wirtschaftsarchiv



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Transkript:

Schriftgut der Wirtschaft in Hessen das Beispiel Hessisches Wirtschaftsarchiv Alte Akten und Dokumente aus der Wirtschaft sind in der Regel zu einem Schattendasein in Kellern und Speichern verurteilt. Aus ihrem Dornröschenschlaf reißt sie meist irgendwann der Papierwolf oder in seltenen Fällen ein Prinz in Gestalt eines Archivars 1 Diese Sätze aus dem Jahr 1989, die der Journalist Hans Riebsamen in seinem Bericht über den 59. Deutschen Archivtag in Frankfurt a.m. schrieb, besitzen leider immer noch Gültigkeit, obwohl in den vergangenen 18 Jahren auf diesem Gebiet einige Entwicklungen zu verzeichnen sind. Nach einem kurzen Überblick über die Situation der wirtschaftsgeschichtlichen Überlieferung in Hessen soll anschließend näher auf das Hessische Wirtschaftsarchiv eingegangen werden. Wirtschaftsschriftgut in Hessen Während Unternehmen wohl schon seit jeher Unterlagen zu Rechtssicherheit und Rechtswahrung aufbewahren, spielte der Aspekt der Dokumentation der Unternehmensgeschichte lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle, was sicherlich auch mit dem erst spät erwachenden Interesse der historischen Forschung an wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen zu tun hatte. So sind Unternehmensarchive schon grundsätzlich eine recht junge Erscheinung in der Archivlandschaft. Dies gilt aber insbesondere für den Bereich des Bundeslands Hessen vielleicht auch als Folge der hier erst verzögert einsetzenden Industrialisierung. Es ist bezeichnend, dass die Ursprünge vieler Unternehmensarchive aus der Beschäftigung mit der Familiengeschichte der jeweiligen Gründerfamilien erwachsen sind: So entstand beispielsweise 1905 bei der Merck KGaA in Darmstadt ein zunächst genealogisch orientiertes Archiv, das erst seit den 1970er Jahren auf eine breitere, auf das gesamte Unternehmen ausgerichtete Basis gestellt wurde. Ähnliche Ansätze sind auch bei der Dyckerhoff AG in Wiesbaden oder auch den Frank schen Eisenwerken in Niederscheld bei Dillenburg zu beobachten. Insgesamt ist die Zahl der Unternehmensarchive in Hessen verhältnismäßig gering, wobei die meisten erst in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg entstanden sind vielleicht auch im Zusammenhang mit dem in dieser Zeit neu erwachenden Interesse an der Wirtschaftsgeschichte. Der Mehrzahl der hessischen Unternehmensarchive sind im Rhein-Main-Gebiet angesiedelt. Dabei sind unter den fachlich und hauptamtlich betreuten Einrichtungen vor allem die Archive der Banken zu nennen, die häufig nicht nur ihre eigenen Unterlagen, sondern auch die Überlieferung von Vorläuferinstitutionen oder übernommenen Bankhäusern verwahren. So sind beispielsweise im Historischen Institut der Deutschen Bank auch Akten der Disconto-Gesellschaft aus Berlin und des A. Schaafhausen schen Bankvereins aus Köln zu finden. Weitere Banken-Archive wurden von der Commerzbank AG (mit der Überlieferung der Mitteldeutschen Creditbank), der Kreditanstalt für Wiederaufbau, der Dresdner Bank AG, der Deutschen Genossenschaftsbank sowie der Sparkasse Wetterau eingerichtet. Die Deutsche Bundesbank in Frankfurt a.m. unterhält nicht nur ein Historisches Archiv, sondern auch eine umfangreiche Bibliothek, eine Pressedokumentation und ein sehenswertes Geldmuseum. Aus dem Bereich der Chemischen Industrie in Hessen bemerkenswert sind vor allem das bereits erwähnte Unternehmensarchiv Merck KGaA in Darmstadt sowie das Archiv der Degussa AG in Frankfurt a.m., in dessen Zuständigkeit inzwischen auch das früher eigenständige Archiv der Chemischen Fabrik Röhm GmbH in Darmstadt fällt. Die Wella AG in Darmstadt unterhält ein Museum zur Geschichte 1 Hans Riebsamen, Kein Lagerraum für obsoletes Papier, in: FAZ, 15.10.1989. 1

der Haarpflege, dem auch eine Archivabteilung angegliedert ist. Das bedeutende und traditionsreiche Archiv der früheren Hoechst AG, das 1955 gegründet wurde war und auf rund 9.000 laufenden Metern das historische Schriftgut der Hoechst AG und der Chemischen Fabrik Griesheim verwahrte, wurde noch bei Bestehen der Hoechst AG als eigenständige HistoCom GmbH ausgegliedert. Inzwischen bietet die HistoCom GmbH als kommerzieller Dienstleister Service-Leistungen im Bereich Archivierung und Kommunikation für Industrie- und Handelsunternehmen 2 an. Weitere hessische Unternehmensarchive werden von der Dyckerhoff AG und der Henckell & Söhnlein Sektkellereien KG, beide in Wiesbaden, sowie der Buderus AG in Wetzlar und der B.Braun Melsungen AG in Melsungen (gegr. 1998) unterhalten. Neben diesen hauptamtlich betreuten hessischen Unternehmensarchive existiert eine Reihe weitere Archive, die neben- oder ehrenamtlich verwaltet werden, u.a. die Einrichtungen der Binding Brauerei AG in Frankfurt a.m., der Hensoldt AG Optische Werke sowie der Leica GmbH in Wetzlar, der Mineralbrunnen Gebrüder Appel KG in Rosbach und der Veritas AG in Gelnhausen. Die Leistungen und das Engagement der dort tätigen Archivarinnen und Archivare stehen außer Frage. Allerdings darf auch nicht verschwiegen werden, dass nicht hauptamtlich geführte Archive aufgrund der u.u. fehlenden Kontinuität in ihrer Existenz noch stärker gefährdet sind, als andere. In den bisher genannten Fällen kümmern sich die Unternehmen selbst um ihre historische Überlieferung, was im Grunde den Idealfall darstellt. Allerdings ist mit der Einrichtung und Unterhaltung eines Unternehmensarchivs fraglos ein gewisser Aufwand verbunden, den sich nicht alle Unternehmen leisten können und wollen. Zudem besteht immer die Gefahr, dass im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen, Betriebsverlagerungen oder gar Unternehmensschließungen Schriftgut vernichtet wird oder bestehende Archive aufgelöst werden. Historische Überlieferung von Unternehmen in kommunalen Einrichtungen In solchen akuten Situationen haben in der Vergangenheit bereits einige kommunale oder staatliche Archive und verwandte Einrichtungen historische Unterlagen von Unternehmen übernommen, um sie vor der Vernichtung zu retten. Als Beispiel soll hier das Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main genannt werden, das in einer eigens eingerichteten Abteilung Wirtschaftsarchiv zahlreiche Bestände verwahrt, von denen nur das Bankhaus Bethmann, die Feinseifen- und Parfümeriefabrik J.G. Mouson, Hartmann & Braun AG genannt werden sollen. Auch die Unterlagen der Handelskammer Frankfurt am Main aus der Zeit vor 1920 gelangten in den 1950er Jahren als Depositum des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden in das damalige Frankfurter Stadtarchiv. Daneben befinden sich im Stadtarchiv Rüsselsheim eine Dokumentation zur Geschichte der Adam Opel AG sowie im Stadtarchiv Offenbach a.m. die Überlieferung des Bankhauses Metzler aus Frankfurt a.m. Weitere wirtschaftsbezogene Bestände werden u.a. vom Bergbaumuseum in Borken (Materialien zu Braunkohlenbergbau), dem Bergbau- und Stadtmuseum Weilburg (Dachschiefergewerkschaft Langhecke), dem Heimatmuseum der Stadt Ober- Ramstadt (Automobilfabrik Röhr) und dem Werra-Kalibergbau-Museum in Heringen a.d.werra (Kaliindustrie) betreut. Einige ursprünglich von den Hessischen Staatsarchiven übernommene Bestände sind inzwischen an das Hessische Wirtschaftsarchiv abgegeben worden: Dazu gehören vor allem die Unterlagen des Privatbankhauses Pfeiffer in Kassel (zuvor Staatsarchiv Marburg) sowie die Überlieferung der Industrie- und Handelskammer Gießen und des Gießener Bankhauses Herz (zuvor Staatsarchiv Darmstadt). 2 http://www.histocom.de/ueber.php (27.9.2007). 2

Regionale Wirtschaftsarchive Das Hessische Wirtschaftsarchiv gehört zur Gruppe der Regionalen Wirtschaftsarchive, deren Aufgabe darin besteht, unentgeltlich Archivgut der Wirtschaft zu übernehmen, zu verwahren, zu erschließen und der Forschung zugänglich zu machen. Dabei ist es ihr Ziel, nicht alleine die Geschichte einzelner Unternehmen, Verbände oder Kammern zu dokumentieren, sondern auch die Wirtschaftsgeschichte der betreffenden Region insgesamt. Als erste Einrichtung dieser Art in Deutschland und wohl auch weltweit wurde 1906 das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv zu Köln ins Leben gerufen, das im Gegensatz zu den gleichzeitig in Saarbrücken und Leipzig entstandenen Einrichtungen bis heute existiert, seit 2000 in Form einer Stiftung. 1941 gründete die Industrie- und Handelskammer Dortmund das Westfälische Wirtschaftsarchiv, das 1969 in eine Stiftung umgewandelt wurde, an der auch öffentliche Stellen in Gestalt der Stadt Dortmund, des Landes Nordrhein- Westfalen, des Wirtschaftsverbands Lippe sowie sieben Industrie- und Handelskammern beteiligt sind. Orientiert an dem Dortmunder Archiv entstand in den Jahren 1980 1982 die Stiftung Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg in Stuttgart, und 1986 folgte das Archiv der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, das 1994 unter dem Namen Bayerisches Wirtschaftsarchiv als Gemeinschaftsreinrichtung aller bayerischen IHKn umgegründet wurde. Ein Jahr nach der im Jahr 1992 erfolgten Gründung des Hessischen Wirtschaftsarchivs kam 1993 als bislang letztes Regionales Wirtschaftsarchiv das Sächsische Wirtschaftsarchiv in Leipzig als gemeinschaftliche Einrichtung aller sächsischen Industrie- und Handelskammern hinzu. Vielversprechende Ansätze gibt es seit kurzer Zeit in Gestalt des Niedersächsischen Wirtschaftsarchiv Braunschweig in Wolfenbüttel sowie des in Gründung befindlichen Hamburger Wirtschaftsarchivs. Gründung des Hessischen Wirtschaftsarchivs Im Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen sind die vermutlich ersten Ansätze zur Einrichtung eines Wirtschaftsarchivs 1942 greifbar. Damals plante der Gauwirtschaftsberater Wilhelm Avieny eine Bestandsaufnahme der bestehenden Unternehmensarchive im Gau Hessen-Nassau. Es ist heute nicht mehr nachvollziehbar, ob seine Pläne die Errichtung eines Zentralarchivs vorsahen, ob er nur eine Auslagerung des Schriftguts zum Schutz der Akten vor den Auswirkungen von Luftangriffen plante oder ob vielleicht lediglich eine Beratungs- und Aufsichtsbehörde eingerichtet werden sollte. 1943 wurde Archivrat Demeter, Leiter der Außenstelle Frankfurt am Main des Reichsarchivs, zum Leiter des Referats Wirtschaftsarchiv beim Gauwirtschaftsberater ernannt. Einzelheiten seiner Tätigkeit sind nicht überliefert, auch wenn möglicherweise die Übernahme der historischen Akten der Gauwirtschaftskammer Frankfurt a.m. durch das damalige Preußische Staatsarchiv Wiesbaden in diesem Zusammenhang stehen könnte. Jedenfalls bedeuteten die Wirren der letzten Kriegsjahre das vorläufige Ende des Vorhabens in den Jahren des Wiederaufbaus nach Kriegsende wurden die Prioritäten anders gesetzt. Das neu entstehende Interesse der Geschichtsforschung an wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Themen seit den 1960er Jahren sowie der wirtschaftliche Strukturwandel der 1970er Jahre, der mit zahlreichen Werksschließungen einher ging, rückte das Projekt Wirtschaftsarchiv jedoch allmählich wieder ins Blickfeld des öffentlichen Interesses. Mehrfach wurde das Thema auf Archivtagen beraten, so 1979 auf dem zweiten Hessischen Archivtag und 1987 auf dem Deutschen Archivtag in Frankfurt a.m. zum Thema Archive und Wirtschaft Wirtschaftlichkeit in Archiven. Insbesondere Prof. Manfred Pohl vom Institut für bankhistorische Forschungen in Frankfurt a.m. und Prof. Dr. Wolfgang Klötzer, 3

Direktor des Stadtarchivs Frankfurt, forderten wiederholt die Einrichtung eines Regionalen Wirtschaftsarchivs, wobei damals mehrheitlich eine Beschränkung des Zuständigkeitsbereichs auf das Rhein-Main-Gebiet befürwortet wurde. So gab es 1975 konkrete Überlegungen zu einem Wirtschaftsarchiv Rhein-Main, das dem Stadtarchiv Frankfurt a.m. angegliedert werden sollte, Wie drängend die Schaffung einer entsprechenden Einrichtung war, zeigen die Aktivitäten des Stadtarchivs Frankfurt a.m., das in dieser Zeit mit Notübernahmen zur Rettung von Frankfurter Unternehmensbeständen begann. Es sollte allerdings noch über zehn Jahre dauern, bis konkrete Schritte zur Gründung unternommen wurden. Obwohl inzwischen auch mehrere Industrie- und Handelskammern im Prinzip von der Notwendigkeit zur Einrichtung eines Wirtschaftsarchivs überzeugt waren, verzögerte die Lösung praktischer Fragen, wie Organisationsform und Raumfrage, rasche Resultate. Den maßgeblichen Anstoß gaben wohl die Vorbereitungen zum Hessischen Archivgesetz, das am 18. Oktober 1989 vom Hessischen Landtag verabschiedet wurde. Es verpflichtete Personen des öffentlichen Rechts zu denen auch die Kammern gehören dazu, ihr historisches Schriftgut entweder den zuständigen Staatsarchiven anzubieten oder alternativ dazu eigene bzw. gemeinsame, fachlich geführte Einrichtungen zu unterhalten. 3 Bereits im Mai 1988 war von der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern eine Arbeitsgruppe Wirtschaftsarchiv ins Leben gerufen worden, die unter der Federführung von Dr. Volker Merx, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Darmstadt, und Richard Speich, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Frankfurt a.m., und in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Eckhart Franz vom Hessischen Staatsarchiv Darmstadt ein konkretes Konzept erarbeitete, das die Unterbringung des Wirtschaftsarchivs in dem geplanten Neubau des Staatsarchivs Darmstadt vorsah. Die hessischen Kammern entschieden sich zur Einrichtung eines Regionalen Wirtschaftsarchivs nach dem Vorbild der Institutionen in anderen Bundesländern. Während die Wirtschaftsarchive in Köln, Dortmund, Stuttgart und München jedoch ursprünglich als Archive der dortigen Industrie- und Handelskammern entstanden waren und ihre Zuständigkeit erst allmählich auf die übrigen Kammern des jeweiligen Bundeslands ausgedehnt hatten, wurde das Hessische Wirtschaftsarchiv von Anfang an als landesweit zuständiges Regionales Wirtschaftsarchiv konzipiert. Über die Vorgaben des Hessischen Archivgesetzes hinausgehend hat das Hessische Wirtschaftsarchiv die Aufgabe, archivwürdige Unterlagen aus dem Bereich der hessischen Wirtschaft, und zwar nicht alleine der Kammern, sondern auch von Verbänden und Unternehmen, dauerhaft zu sichern, zu erschließen und der Forschung zugänglich zu machen. Organisation und Finanzierung Als Träger des Archivs wurde am 21. Juni 1991 der gemeinnützige Verein Hessisches Wirtschaftsarchiv e.v. von zunächst acht der damals insgesamt zwölf existierenden Industrie- und Handelskammern gegründet. Gründungsmitglieder waren die Kammern Darmstadt, Dillenburg, Frankfurt am Main, Friedberg, Kassel, Wetzlar und Wiesbaden. Einige Jahre später traten auch die übrigen Industrie- und Handelskammern dem Verein bei: zunächst 1996 die IHK Gießen, 1997 folgten die Kammern Fulda, Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern und Offenbach. Für die Finanzierung der Personal- und laufenden Kosten des Archivs, kommen die Mitglieder durch Zahlung einer jährlichen Umlage auf. Das Land Hessen stellt unentgeltlich Büro- und Magazinräume zur Verfügung. 3 (1) Die sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts und ihre Vereinigungen bieten Unterlagen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr benötigt werden, dem jeweils zuständigen Staatsarchiv zur Verwahrung an. (2) Die Anbietungspflicht gegenüber den Staatsarchiven entfällt, wenn die betreffende juristische Person oder Vereinigung ein eigenes öffentliches Archiv unterhält, das archivfachlichen Ansprüchen genügt, oder wenn die Unterlagen bei einer dazu geschaffenen Gemeinschaftseinrichtung archiviert werden. HessArchG, 5. 4

Zur Einwerbung weiterer Mittel wurde gleichzeitig mit dem Trägerverein die Gesellschaft für hessische Wirtschaftsgeschichte als Förderverein gegründet, die allen Interessenten offenstand. Der Förderverein gab die Schriftenreihe des Wirtschaftsarchivs heraus und trat auch als Veranstalter von Ausstellungen auf. Allerdings stellte sich schon bald heraus, dass der Verwaltungsaufwand für zwei Vereine unverhältnismäßig hoch war, so dass 1997 beide Vereine miteinander verschmolzen wurden: Auch im neuen Verein Hessisches Wirtschaftsarchiv e.v. finanzieren die sogenannten Trägermitglieder (die Industrie- und Handelskammern) im Umlageverfahren die Fixkosten, während die Fördermitglieder einen von ihnen selbst bestimmten Jahresbeitrag entrichten. Zum 1. Oktober 1992 nahm das Hessische Wirtschaftsarchiv seine Tätigkeit auf, und zwar zunächst in den Räumen des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden. Gut ein Jahr später, im November 1993, zog das Archiv in das inzwischen weitgehend fertig gestellte Haus der Geschichte in Darmstadt um. Das Gebäude in der Darmstädter Innenstadt, das frühere Hessen-Darmstädtische Hoftheater, beherbergt heute einen Archivverbund, zu dem neben dem Hessischen Wirtschaftsarchiv auch das Hessische Staatsarchiv Darmstadt, das Stadtarchiv Darmstadt, das Archiv der Technischen Universität Darmstadt, die Theatergeschichtlichen Sammlung des Staatstheaters sowie die Hessische Familiengeschichtlichen Vereinigung, die Hessische Historische Kommission und der Historische Verein für Hessen gehören. Durch die gemeinsame Nutzung des Gebäudes können Einrichtungen wie beispielsweise der Lesesaal oder Besprechungsräume und Vortragssaal von allen im Haus ansässigen Archiven gemeinsam genutzt werden. Zusätzlich haben die kleineren Archive die Möglichkeit, gegen Übernahme der anfallenden Materialund Personalkosten auch auf die Restaurierungs- und die Fotowerkstatt des Staatsarchivs zurückgreifen zu können. Der Magazinraum, der dem Wirtschaftsarchiv im Haus der Geschichte zur Verfügung steht, reichte aufgrund der rasch anwachsenden Bestände schon nach wenigen Jahren nicht mehr aus und auch die zusätzlich im Gebäude des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden bereit gestellte Fläche von ca. 600 laufenden Metern war nach kurzer Zeit ausgeschöpft. Seit dem 1. Juni 1998 verfügt das Hessische Wirtschaftsarchiv daher über ein angemietetes Außenmagazin mit einer Fläche von 450 m² Fläche, das inzwischen allerdings ebenfalls fast voll ist. Eine 1995 zur besseren Betreuung der Region Nordhessen bei der IHK Kassel eingerichtete Außenstelle des Hessischen Wirtschaftsarchivs wurde im Juni 1997 aufgelöst und die dortigen Bestände nach Darmstadt übernommen. Das Wirtschaftsarchiv wird in wirtschaftshistorischen und archivspezifischen Fragen von einem am 3. Februar 1994 konstituierten Wissenschaftlichen Beirat beraten, der auch den Kontakt zu Hochschulen und zur Forschung verbessern soll und die Schriftenreihe des Archivs herausgibt. Zu seinen Mitgliedern gehören die Leitern der drei hessischen Staatsarchive vom Amts wegen; die derzeit sechs Vertreter hessischer Hochschulen werden dagegen von der Mitgliederversammlung des Hessischen Wirtschaftsarchivs ernannt. Bestände Seit seiner Gründung hat das Wirtschaftsarchiv mehr als 4.000 lfd. m Akten übernommen. Etwa ein Drittel davon betrifft Bestände der Industrie- und Handelskammern, wobei einschränkend zu sagen ist, dass der größte Teil dieser Unterlagen aus der Zeit nach 1960 stammt. Durch Kriegseinwirkungen, und z.t. leider auch durch Vernichtung ist die Überlieferung vor allem der historisch bedeutenden Kammern Darmstadt und Kassel stark gestört. Nur von drei Kammern, nämlich Frankfurt am Main, Gießen und, Limburg, sind noch in größerem Umfang Akten aus der Zeit vor 1945 vorhanden, wobei im Fall Frankfurts die Unterlagen zu Vorläufern der Handelskammer, wie den 5

Börsenvorstehern, teilweise bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts oder sogar ins 18. Jh. zurückreichen. Weiterhin verwahrt das Archiv eine Reihe von Beständen aus dem Bereich von Verbänden oder wirtschaftsnahen Vereinigungen sowie bislang 90 Unternehmensbestände. Zu den größten und bedeutendsten Beständen aus dieser Gruppe gehört das ehemalige Konzernarchiv der Metallgesellschaft AG, das insgesamt rund 300 lfd. m umfasst und als vier eigenständige Teilbestände (Metallgesellschaft AG, Vereinigte Deutsche Metallwerke AG, Nachlass des Gründersohns Richard Merton, Institut für Gemeinwohl eine sozialpolitische Gründung des Gründers Wilhelm Merton) verwahrt wird. Der Bestand Deutsche Börse AG, der auf 270 lfd. m vornehmlich Börsenzulassungsakten mit Mustern von Aktien, Geschäftsberichten und Börsenprospekte enthält, hat ebenfalls überregionale Bedeutung. Neben diesen sehr umfangreichen Beständen verwahrt das Hessische Wirtschaftsarchiv aber in der Mehrzahl kleinere und sogar einige kleinste Bestände, die einen halben Meter nicht überschreiten. Branchenspezifische Schwerpunkte liegen in der Eisenverarbeitung, insbesondere des Lahn-Dill-Gebiets (mit den Beständen Frank AG, Isabellenhütte Heusler KG, Neuhoffnungshütte Haas + Sohn, J.D. Wehrenbold & Sohn), Maschinenbau (mit den Beständen OHL Bau- und Industrieholding in Limburg, Schiele & Co. GmbH in Frankfurt a.m., Heyligenstaedt & Comp. in Gießen, Deutsche Vereinigte Schuhmaschinenfabriken in Frankfurt a.m. und Goebel AG in Darmstadt). Als weitere Schwerpunkte sind der Braunkohlenbergbau in der Wetterau und bei Borken (mit zwei Preussag-Bestände), die Lebensmittel- und Getränkeindustrie (Brauerei Busch, Schloßbrauerei Braunfels, Oberselters Mineral- und Heilquellen GmbH, Friedrichsdorfer Zwiebackfabrik Ferd. Stemler sowie Milchlieferungs- und Absatzgenossenschaft Schaafheim) und die Kaliindustrie (mit Beständen mehrerer Werke der Kali + Salz AG) zu nennen. Die Bestände werden durch eine Reihe von Sammlungen ergänzt, von denen neben Reklamemarkensammlung insbesondere die Fotosammlung mit mehr als 21.000 erfassten Bildern hervorzuheben ist. Daneben unterhält das Hessische Wirtschaftsarchiv eine umfangreiche Fachbibliothek, die durch die teilweise Übernahme verschiedener Kammerbibliotheken inzwischen auf mehr als 25.000 Bände angewachsen ist. Sammlungsschwerpunkte sind neben allgemeiner regional- und wirtschaftshistorischer Literatur vor allem Festschriften und Geschäftsberichte hessischer Unternehmen. Während die Industrie- und Handelskammern als öffentlich-rechtliche Einrichtungen durch das HArchivG verpflichtet sind, ihre Unterlagen dem Wirtschaftsarchiv anzubieten, sieht die Situation im Fall der Unternehmen völlig anders aus. Deren Schriftgut wird als privates Eigentum angesehen, und die Verfügungsberechtigung der Unternehmen unterliegt von fiskalisch relevanten Unterlagen einmal abgesehen keinerlei Beschränkungen. Obwohl die Leistungen des Wirtschaftsarchivs, wie Lagerung und Erschließung, kostenfrei sind, ist die Akzeptanz der Unternehmen häufig nur zögernd aus allgemeinem Desinteresse an der eigenen Geschichte, oder aus Misstrauen. So gehen der Übernahme eines Bestandes oft mehrjährige Verhandlungen voraus. Immerhin ist nach eher zähen Anfängen inzwischen eine positivere Entwicklung bei der Akquisition neuer Bestände zu verzeichnen. Neben der eigentlichen archivarischen Tätigkeiten berät das Wirtschaftsarchiv auch Unternehmen bei der Einrichtung eigener Archive. Auch aus Gründen der Außenwirkung erscheinen inzwischen zwei Schriftenreihen im Selbstverlag des Wirtschaftsarchivs, in denen bislang sechs bzw. zwei Bände erschienen sind. 6

Weiterhin wurden schon mehrere Ausstellungen zu wirtschaftshistorischen Themen erstellt, die jeweils in mehreren hessischen Städten gezeigt wurden. Mit diesen Projekten soll vor allem die Außenwirkung des Archivs gesteigert werden. Das Hessische Wirtschaftsarchiv ist grundsätzlich ein öffentliches Archiv, dessen Nutzung bei berechtigtem Interesse für jeden möglich ist. Dabei werden die Schutzfristen-Bestimmungen des Hessischen Archivgesetzes angewendet. Davon abweichende Regelungen können im Fall von Deposita greifen, falls zusätzlich einschränkende Vorgaben der Eigentümer berücksichtigt werden müssen. Recherchemöglichkeiten bestehen in der online-datenbank im Lesesaal, für abgeschlossene Bestände werden darüber hinaus auch Findbücher in der herkömmlichen Form erstellt. 7