Alternativen zu Freiheitsentziehenden Maßnahmen im Pflegeheim Ist es so Recht?



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Transkript:

Alternativen zu Freiheitsentziehenden Maßnahmen im Pflegeheim Ist es so Recht? RA Andreas Klein Kanzlei Dr. Heß und Kollegen Luisenstr. 5 79098 Freiburg Tel.: 0761/388030 Fax.: 0761/3880333 email: klein@drhess-kollegen.de

In der Pflege stehen wir immer mit einem Bein im Gefängnis RA Andreas Klein 2

Sturzprophylaxe im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Sorgfaltspflicht Fürsorgepflicht Autonomie Schutz der körperlichen Unversehrtheit Handlungs- und Entscheidungsfreiheit RA Andreas Klein 3

Rechtsprechung 2005 Nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls kann entschieden werden, welchen konkreten Inhalt die Verpflichtung hat, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines alten und kranken Menschen zu achten und andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen. aus dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 28.4.2005, Az.: III ZR 399/04 RA Andreas Klein 4

Rechtsprechung 2005 Allein aus dem Umstand, dass ein Heimbewohner im Bereich des Pflegeheimes stürzt und sich dabei verletzt, kann nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals geschlossen werden. Die Pflichten des Pflegeheimes sind begrenzt auf die im Pflegeheim üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Was sich dem Medizinischen Dienst und der Krankenversicherungen an Sicherungsmaßnahmen nicht aufdrängt, muss sich auch der Leitung eines Pflegeheimes nicht aufdrängen. (Leitsätze der Redaktion) BGH Urteil vom 28.04.2005, Aktenzeichen: III ZR 399/04 RA Andreas Klein 5

Risikogruppe für BEM Heimbewohner mit: - Kognitiver Beeinträchtigung oder Demenz - Einschränkung der Mobilität - Pflegebedürftigkeit und Inkontinenz (Joanna Briggs Institut, 2002) RA Andreas Klein 6

Häufigste Gründe für BEM % 0 20 40 60 80 100 Psychomotorische Unruhe/ Umtriebigkeit/ Rastlosigkeit Sturzgefährung/ Gang-/ Transferunsicherheit Verbale u./o. körperliche Aggressivität n = 60 Sonde/ Infusion/ BDK Suizidalität Andere Verhaltensinventar modif. n. Weyerer Ärztliche Begründungen der Fixierung bei dementen alten Menschen in der Gerontopsychiatrie Bredthauer, Dissertation, 2002 RA Andreas Klein 7

Häufigkeit und Dauer von BEM International - 12 47 % der Heimbewohner werden mit BEM behandelt - Durchschnittliche Dauer betrug 86 Tage - Die Dauer schwankt zwischen 1 und 350 Tagen - Grosse Unterschiede in den Einrichtungen (Joanna Briggs Institut, 2002) BRD - 29 41% Fixierungsmaßnahmen incl. Bettgitter - 5-10% der Heimbewohner sind von körpernaher Fixierung betroffen - Im Bett annähernd jeder Dritte länger als 20 Stunden (incl. Bettgitter) - Am Stuhl liegt die Höchstdauer bei 14 Stunden, auch nahezu ein Drittel der Personen sind mehr als 8 Stunden betroffen RA Andreas Klein 8 (Klie & Pfundstein, 2002; Becker et al., 2003)

Fallsammlung von n = 17 Todesfällen Rechtsmedizin Hamburg RA Andreas Klein 9

10 Punkte, die gegen eine Fixierung sprechen Fixierungsmaßnahmen haben erhebliche negative Auswirkungen Psychosozial gehen sie einher mit: Ł dem Verlust von Kontrolle, Freiheit, Autonomie und sozialen Bezügen Ł erhöhtem Stress Direkte mechanische Verletzungsgefahren können sein: Ł Quetschungen, Nervenverletzungen und Ischämien Ł Einzelne Todesfälle durch Herzversagen oder Ersticken sind bekannt Indirekte Gefahren können sein: Ł Medizinische Komplikationen wie Pneumonie, Dekubitus, Infektionen oder Thrombosen sowie Zunahme von Stuhl- und Urininkontinenz Ł Muskelatrophie und Verlust der Balance Fixierungsmaßnahmen sorgen nicht für Sicherheit: Ł Die Gefahr von sturzbedingten Verletzungen nimmt eher zu Ł Fordernde Verhaltensweisen sind damit nicht behandelbar Ł Fixierung kann ohne negative Konsequenzen reduziert werden Ł Es stehen zahlreiche Alternativen zur Verfügung RA Andreas Klein 10

Stand des Wissens Beobachtungsstudien geben Hinweise: Fixierte Bewohner haben das gleiche oder ein erhöhtes Sturzrisiko Fixierte Bewohner sind eher mehr von ernsthaften sturzbedingten Verletzungen betroffen Eine Unterbrechung von Fixierung scheint das Risiko von sturzbedingten Verletzungen zu reduzieren. Keine Studie weist auf eine einen positiven Effekt von Fixierungen fordernde Verhaltensweisen eher das Gegenteil (Joanna Briggs Institut, 2002) RA Andreas Klein 11

Die rechtliche Haftungsprüfung Tatbestandsmäßigkeit Entspricht ein bestimmtes Verhalten dem Gesetzeswortlaut? Rechtswidrigkeit Schuld Greifen keine Rechtfertigungsgründe für ein bestimmtes Verhalten ein? Man darf sich z.b. gegen einen Angreifer wehren (Notwehr). Kann einer Person ein bestimmtes von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten vorgeworfen werden? So handelt z.b. ein Geisteskranker nicht schuldhaft, da er nicht in der Lage ist, die Verwerflichkeit seines Handelns zu erkennen. Tatbestandsmäßigkeit + - Rechtswidrigkeit + - Schuld + HAFTUNG KEINE HAFTUNG RA Andreas Klein 12 -

Schuldformen Schuld Vorsatzschuld Fahrlässigkeitsschuld Vorsätzlich handelt, wer mit Wissen und Wollen einen gesetzlichen Tatbestand erfüllt. Ich weiss,, dass ich mit der Spritze den Patienten töten kann. Und ich will den Patienten auch töten. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht lässt. Es ist möglich, dass ich mit der Spritze den Patienten töte. Ich vertraue aber darauf, dass es nicht passiert. RA Andreas Klein 13

Freiheitsberaubung Schutzgut: potentielle Bewegungsfreiheit Möglichkeit, sich bei einem entsprechenden Willen fortzubewegen (Selbstbestimmungsrecht). Dabei ist es irrelevant, ob der Betroffene sich in der konkreten Situation wirklich fortbewegen will. Allerdings keine Freiheitsberaubung gegenüber Personen, denen die Fortbewegungsfähigkeit objektiv fehlt, z.b. Bewusstlosen. Tatbestand Einsperren Darunter versteht man das Festhalten in einem verschlossenen Raum durch äußere Vorrichtungen, so dass der Betroffene objektiv daran gehindert wäre, sich von der Stelle zu bewegen, wenn er das wollte. Auf eine andere Weise der Freiheit berauben Beispiele: Festbinden oder Fixieren, Absperren, List, Drohung, Gewalt, psychischer Druck. RA Andreas Klein 14

Formen des Freiheitsentzuges Absoluter Freiheitsentzug Dem Patienten wird die Bewegungsfreiheit komplett genommen z. B.: Der Patient wird mit Leibgurten an das Bett/ den Stuhl fixiert; Bettgitter hindern den Patienten am Verlassen des Bettes Relativer Freiheitsentzug Die Bewegungsfreiheit des Patienten wird lokal beschränkt. z. B. : Der Patient darf sich innerhalb der Station, seines Zimmers oder des Krankenhausgeländes frei bewegen Medikamentöser Freiheitsentzug Die Bewegungsfreiheit des Patienten wird beschränkt oder aufgehoben durch Medikamente z. B.: Sedativa sollen den verwirrten Patienten am Verlassen des Bettes hindern Zu den freiheitsentziehenden Maßnahmen zählen auch indirekte Freiheitsbeschränkungen wie z. B. die Wegnahme der Gehhilfe, Straßenkleidung oder Sehhilfe. Im Zweifelsfall ist die freiheitsentziehende Maßnahme zu wählen, die am geringsten in die Freiheitsrechte des Patienten eingreift. RA Andreas Klein 15

Rechtsprechung: Einerseits wird eine dauerhafte Fixierung von Patienten mit Demenz und Verwirrtheitszuständen oft nicht akzeptiert, da man ihnen den Sinn der Maßnahme nicht erklären kann; andererseits können bei einer dauerhaften Fixierung vermehrt Komplikationen wie Lungenentzündung, Harnwegsinfektion, Dekubitus oder Thrombosen auftreten. Dementsprechend geht auch der im Februar 2005 veröffentlichte "Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege" " des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) davon aus, dass die Verwendung freiheitseinschränkender Maßnahmen zur Sturzprävention unbedingt vermieden werden sollten, zumal der Effekt und die Nützlichkeit von Maßnahmen wie der Fixierung an das Bett oder an Sitzmöbel unter Verwendung eines Bauchgurts bisher nicht nachgewiesen sind. OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2006, Az.: I-8 U 163/04, 8 U 163/04

Rechtsprechung: Die Anbringung eines Bettgitters ist kontraindiziert, solange der Patient das Bettgitter überklettern kann. Bei einem an Pneumonie erkrankten Patienten kommt eine Fixierung durch Fesselung nicht in Betracht. LG Heidelberg, Urteil vom 05.11.1996, Az.: 4 O 129/93

Rechtfertigungsgründe Notwehr/Nothilfe ( 32 StGB) Jeder gegenwärtige, rechtswidrige Angriff auf ein fremdes Rechtsgut darf durch das mildeste Mittel abgewehrt werden. Notwehr ist die Selbsthilfe. Nothilfe ist die Hilfe für einen anderen. Notstand ( 34 StGB) Jede gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für ein Rechtsgut, die keinen menschlichen Angriff darstellt, darf durch ein angemessenes Mittel abgewehrt werden. Einwilligung/mutmaßliche Einwilligung Ist ihrem Wesen nach ein Verzicht auf Rechtschutz. Ihr Wirkungsbereich beschränkt sich daher auf Fälle, in denen die Rechtsordnung dem Geschützten die Möglichkeit einräumt, von seinem Selbstbestimmungsrecht durch Preisgabe seiner Güter Gebrauch zu machen. In Fällen rechtlich zulässiger, aber aus tatsächlichen Gründen fehlender Einwilligung bleibt Raum für eine mutmaßliche Einwilligung. RA Andreas Klein 18

Verfügungsbefugnis Einwilligung Der Einwilligende muss über das verletze Rechtsgut verfügen können. Grenze bei Sittenwidrigkeit; z.b. kann keiner in die eigene Tötung einwilligen. Einwilligungsbefugnis Liegt vor, wenn der Einwilligende die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs erkennen kann. abhängig z.b. von der geistigen Reife bei Jugendlichen. Erkennbarkeit und Rechtzeitigkeit Einwilligung muss vor dem Eingriff nach außen bekundet worden sein. Sie ist jederzeit widerrufbar. Einwilligung muss bewusst und freiwillig erteilt werden. RA Andreas Klein 19

Einwilligung Aufklärung Zeitpunkt: vor der Einwilligung und vor dem Eingriff Umfang: abhängig von der Art des Eingriffes und der Persönlichkeit des Patienten Inhalt: Informationen über Art, Bedeutung und Tragweite des Eingriffes Behandlungsalternativen Folgen Risiken und Nebenwirkungen RA Andreas Klein 20

Verfassungsrecht Art. 104 GG (Rechtsgarantie bei Freiheitsbeschränkung): Abs. 1 S. 1 Die Freiheit einer Person kann nur aufgrund eines Gesetzes und nur unter der Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Abs. 2 S. 1, S 2 Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsberaubung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Freiheitseinschränkende Maßnahmen = Jeder Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit RA Andreas Klein 21

Genehmigungsbedürftigkeit 1906 Abs. 4 BGB Längerer Zeitraum Regelmäßig Keine gesetzliche Definition zeitliche Grenzen bestimmen sich nach Charakter und Intensität der Maßnahme Max. jedoch 24 Stunden Die Maßnahme findet entweder stets zu selben Zeit oder aus wiederkehrenden (hinreichend bestimmbaren Anlass) statt. RA Andreas Klein 22

Zivilrecht Freiheitsbeschränkende Maßnahmen Eingriff in die Bewegungsfreiheit von geringer Intensität und/oder Dauer Freiheitsentziehende Maßnahmen Ausschluss der körperlichen Bewegungsfreiheit RA Andreas Klein 23

Richterliche Genehmigung 1906 Abs. 2 S. 1 BGB Genehmigung legitimiert Entscheidung des Betreuers Genehmigung ist vor der Maßnahme einzuholen oder unverzüglich nachzuholen (akute Krise) Höchstdauer der Unterbringung max. ein Jahr (Ausnahme: 2 Jahre) RA Andreas Klein 24

Hauptfokus der Intervention RA Andreas Klein 25

Hüftprotektoren Projekt Softprotektor kleines Polster Fest eingenäht Dünn (Optik!) neue Form Hufeisenform Polster ist flexibel, passt sich an RA Andreas Klein 26

Hüftprotektoren Istzustand Weichprotektoren Biomechanisch wirksam Energie wird im Polster absorbiert Material flexibel / Temperatur! Nachts tragbar Nachteil: großes Polster RA Andreas Klein 27

Hüftprotektor Projekt Vorteile: Bequem im Sitzen Alternative bei Stuhlfixierungen Stört nicht im Liegen Bewohner, die selbständig aufstehen, aber unsicher sind RA Andreas Klein 28

Prinzip: Sensormatten meldet das Aufstehen des Bewohners Ortsunabhängig RA Andreas Klein 29

Sensormatte Wann einsetzen? Stark sturzgefährdete Bewohner Schnelle Benachrichtigung Bei Sturz: schnelle Hilfe Weglaufgefahr RA Andreas Klein 30

Praxis / Hinweise Sensormatte sorgfältige Auswahl der Bewohner! nicht bei jedem Bewohner sinnvoll z.b. sehr häufiges Aufstehen Indikation muss besprochen sein RA Andreas Klein 31

Rechtsprechung: Bei der Frage, ob ein Sendechip im Schuh eine freiheitsentziehende Maßnahme darstellt ist vom Schutzzweck des Genehmigungsvorbehaltes auszugehen, der darin liegt, die körperliche Bewegungs- und Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsbestimmungsfreiheit zu gewährleisten.die Ausstattung des Betroffenen mit einer Sendeanlage, die es dem Pflegepersonal lediglich ermöglicht festzustellen, ob sie das Heim verlässt, stellt noch keine Freiheitsentziehung dar. Vielmehr hängt die Frage, ob die Freiheit entzogen wird, von der Reaktion der Einrichtung ab,wenn die Betroffene den Bereich, in dem sie sich aufhalten soll, verlässt. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19.01.2006, Az.: 11 Wx 59/05 RA Andreas Klein 32

ABS Socken können Ausrutschen verhindern warme Füsse Wohlbefinden? Angehörigenmaß- nahme Socken RA Andreas Klein 33

Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege Was wird verlangt? Wissen: Risikofaktoren Beratungskompetenz Wirksame Interventionen Dokumentation + Analyse RA Andreas Klein 34

Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege Was ist zu tun? Risikoeinschätzung Information Pflegeplanung Gezielte Interventionen Dokumentation RA Andreas Klein 35

Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege Interventionen Schulung der Mitarbeiter Kraft- und Balancetraining Sichere Umgebung Angepasste Hilfsmittel Einsatz von Hüftprotektoren Wichtig: Mobilität soll gefördert werden! RA Andreas Klein 36

Haftung des Pflegepersonal bei Risikoschäden (z.b. Stürzen) Die Pflegekraft erkennt ein bestimmtes erkennbares Risiko nicht. Der Patient stürzt. Die Pflegekraft erkennt das Risiko. Es werden keine Maßnahmen eingeleitet. Die Pflegekraft erkennt das Sturzrisiko. Es werden Maßnahmen eingeleitet. Der Patient stürzt aber dennoch. RA Andreas Klein 37

Haftungsverantwortung (2) Handlungsverantwortung Anordnungsverantwortung Durchführungsverantwortung Vertrauensgrundsatz/Eigenverantwortung In einem bestimmten Rahmen darf man sich auf die Zuverlässigkeit und Qualifikation des Arztes verlassen. Auch der Arzt kann in einem gewissen Maße der Einrichtung und der Pflegekraft vertrauen. Gibt es jedoch Anzeichen dafür, dass Arzt/Heimleitung fehlerhaft handeln, ist der Vertrauensgrundsatz durchbrochen und Einschreiten geboten. RA Andreas Klein 38

Landgericht Zweibrücken, Beschluss vom 7.6.2006 3 S 343/06, BtPrax 2006, 154 Die Pflichten eines Pflegeheims zur Sicherung sturzgefährdeter Heimbewohner sind begrenzt auf die in solchen Heimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab sind die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit für die Heimbewohner und das Pflegepersonal. Solange keine konkrete Zustimmung des Betreuers zu einer weitergehenden Fixierung vorliegt, muss angesichts der Würde des Patienten (Art. 1 GG) und dessen allgemeinen Freiheitsrechts (Art. 2 GG) die Abwägung mit den Sicherheitserfordernissen dazu führen, die zur Gefahrenabwehr geeignete, den Patienten aber am wenigsten beeinträchtigende Fixierungsmaßnahme anzuwenden (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). RA Andreas Klein 39

OLG Koblenz, Urteil vom 21.3.2002-5 U 1648/01 Ohne konkreten Anhalt für eine Gefährdung ist ein Altenheim nicht verpflichtet, beim Vormundschaftsgericht die Fixierung eines geistig verwirrten und gehbehinderten Heimbewohners in seinem Rollstuhl zu beantragen. Maßgeblich sind insoweit die Erkenntnisse, die vor dem Schadensereignis gewonnen werden konnten. Hat der Betreuer des Altenheimbewohners in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände einen Antrag auf Fixierung des Betreuten aus vertretbaren Erwägungen abgelehnt, ist die Leitung des Altenheims im Regelfall gehalten, diese Entscheidung zu respektieren. Was sich dem medizinischen Dienst der im Schadensfall eintrittspflichtigen Krankenkasse an Sicherungsmaßnahmen nicht aufdrängt, muss sich bei unverändertem Befund auch der Leitung eines Altenheims nicht aufdrängen. Dass der zuständige Vormundschaftsrichter die Fixierung von Heimbewohnern auf entsprechenden Antrag immer" anordnet, ist nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich ist allein, wie er nach Auffassung des Regressgerichts im konkreten Fall über einen derartigen Antrag hätte entscheiden müssen. RA Andreas Klein 40

Dokumentation Eine Pflegedokumentation muss für einen Dritten (Richter) erkennen lassen, wer, was, wann.wie wie und warum getan hat! Grundsatz der Vollständigkeit hinsichtlich aller pflegerisch und medizinisch relevanten Wahrnehmungen, insb. atypische Verläufe. Pflegeanamnese, Pflegediagnostik, Pflegetherapie sowie sonstige Behandlungsmaßnahmen unter Angabe der genauen Uhrzeit und des zeitlichen Ablaufs sind zeitnah zu dokumentieren mit dem Ziel eines lückenlosen Bildes über den Gesundheitszustand des Patienten. Bei ärztlichen Anordnungen: Eintragung durch Arzt und Abzeichnung mit seinem Handzeichen! Anordnung nicht mündlich, sondern per Fax vornehmen und beim nächsten Besuch abzeichnen lassen. RA Andreas Klein 41

Beweislast Prozessuale Fragen Zu wessen Lasten geht es, wenn bestimmte entscheidungserhebliche Tatsachen nicht bewiesen werden können? Beispiel: Der Nachbar behauptet, Sie sind an sein Garagentor gefahren. Kann er diese Tatsache nicht vor Gericht beweisen, wird seine Klage kostenpflichtig abgewiesen. Beweislastumkehr Überträgt demjenigen die Beweislast, der sie in der Regel nicht hat. Im obigen Beispielsfall bedeutet das, dass nicht Ihr Nachbar beweisen muss, dass Sie das Garagentor beschädigt haben, sondern Sie müssen beweisen, dass Sie es nicht waren. Eine Beweislastumkehr kommt dann in Betracht, wenn aufgrund des Fehlverhaltens desjenigen, der keine Beweislast trägt, der Beweis nicht möglich ist. In der Pflege müssen wesentliche Maßnahmen dokumentiert werden. Hat die schadenverursachende Pflegekraft die Maßnahme nicht dokumentiert, kann der Beweis nicht erbracht werden. Es kommt dann zur Beweislastumkehr mit der Folge, dass die Pflegekraft nun beweisen muss, dass sie sorgfältig gearbeitet hat. RA Andreas Klein 42