Strafrechtswissenschaftliches Kurzgutachten



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Prof. Dr. L. Böllinger - FB 06 Uni Bremen Postfach 33 04 40 28334 Bremen Prof. Dr. jur. Lorenz Böllinger Bremer Institut für Kriminalpolitk BRIK Fachbereich 06 Rechtswissenschaft Universitätsallee GW 1, Haus B 2141 28359 Bremen Telefon (0421) 218-3068 Fax (0421) 218-9316 email boe@uni-bremen.de www www.brik.uni-bremen.de Ihr Zeichen: Ihre Nachricht vom: Unser Zeichen: Datum: 07.01.2005 Strafrechtswissenschaftliches Kurzgutachten zur Frage der Strafbarkeit der Beteiligung am Solidaritätskreis Hanfapotheke I. Sachverhalt gemäß Konzept Solidaritätskreis Hanfapotheke Die Hanfapotheke soll Schwerkranke mit Cannabis versorgen. Die Initiatoren halten dies für nicht strafbar. Sie berufen sich dafür unter anderem auf einen Beschluss des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 28.06.2000 (Pet-Nr. 5-14-15-212-001234) und das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24.06.2004 (Az.: 3 Ss 187/03). Dem Petitionsausschuss zufolge sollen Möglichkeiten der medizinischen Verwendung von Cannabis geschaffen werden. Das OLG entschied, dass bereits zum jetzigen Zeitpunkt nach geltendem Recht die Einnahme von Cannabis zur medikamentösen Behandlung unter bestimmten Voraussetzungen aus Notstandsgesichtspunkten gerechtfertigt sein kann. Daraus wird gefolgert, dass zwar möglicherweise in einigen Jahren die Apotheken und Krankenkassen legal die kostenlose Versorgung mit einem notwendigen Medikament Cannabis vornehmen könnten. Der Solidaritätskreis geht davon aus, dass Kranke darauf nicht warten können, sondern unverzüglich Hilfe benötigen. Die Vermittlung solcher Hilfe in Form adäquater medikamentöser Behandlung soll die Hanfapotheke besorgen. Als rechtliche Grundlage für die medikamentöse Behandlung mit der nach wie vor gemäß Betäubungsmittelgesetz nicht verkehrs- bzw. verschreibungsfähigen Droge Cannabis wird im Wesentlichen das genannte Urteil des OLG herangezogen. Bei der Vermittlung adäquater Behandlung soll die Hanfapotheke gemäß Konzept, auf das im Übrigen verwiesen wird, folgende Prinzipien und Verfahrensregeln einhalten: 1. Es muss eine schwere Erkrankung vorliegen. 2. Eine Behandlung mit den zur Verfügung stehenden legalen Behandlungsmöglichkeiten, inklusive Dronabinol, reicht zur Behandlung nicht aus, verursacht starke Nebenwirkungen oder ist nicht möglich, beispielsweise weil die Krankenkassen die Kosten einer potenziell nützlichen, jedoch teuren und vom Patienten nicht finanzierbaren Therapie nicht erstatten.

Seite 2 von 5 3. Eine Behandlung mit Cannabisprodukten muss tatsächlich angezeigt sein. Dies soll durch eine entsprechende ärztliche Stellungnahme eines Arztes, der von der Hanfapotheke als Gutachter akzeptiert wird, gewährleistet werden. 4. Eine Behandlung mit Cannabisprodukten muss die Beschwerden tatsächlich lindern. Die tatsächliche Linderung soll ebenfalls durch ärztliche Stellungnahmen bescheinigt werden. Als ethische und organisatorische Prinzipien werden genannt: 1. Die Versorgung der Patienten mit Cannabis ist kostenlos. 2. Patienten können mit der Hanfapotheke direkt über das Internet in Kontakt treten. 3. Mögliche Spender von Cannabisprodukten können mit der Hanfapotheke direkt über das Internet in Kontakt treten. 4. Die Spender bleiben den Patienten unbekannt. Dies soll durch anonyme Zusendungen von Cannabis geschehen. Denkbar sind Patenschaften, in der ein Spender sich um die Versorgung eines Patienten bemüht. Ziele der Hanfapotheke seien: 1. zu versuchen die schlimmsten Auswirkungen der gegenwärtigen Gesetzeslage zu lindern, weil diese selbst bei Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes unbescholtene Bürger kriminalisiere, die durch eine Behandlung mit Cannabisprodukten Linderung ihrer Leiden erfahren. 2. auf einen Misstand aufmerksam zu machen und zu seiner Veränderung beizutragen. Die Hanfapotheke sei kein Ersatz für vernünftige rechtliche Regelungen zur Versorgung der Bevölkerung mit Cannabisprodukten, könne keine optimale Versorgung von Patienten mit Cannabisprodukten gewährleisten und sei nicht in der Lage, für die Qualität des Cannabis zu bürgen oder auf seinen THC-Gehalt standardisiertes Cannabis anzubieten. Sie könne auch keine Qualitätskontrolle durchführen, wie dies unter anderen rechtlichen Rahmenbedingungen leicht möglich wäre. Der Solidaritätskreis Hanfapotheke erkenne, dass durch die gegenwärtige Gesetzeslage die Grundrechte von Bürgern auf körperliche Unversehrtheit verletzt werden und dass sie unverschuldet in Not geraten. Der Solidaritätskreis Hanfapotheke betrachtet die Hanfapotheke daher als gesellschaftlich wünschenswerte Einrichtung. und bemängelt im Übrigen, dass der Gesetzgeber in der Frage der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten nicht in dem wünschenswerten und erforderlichen Maße aktiv geworden sei. II. Strafrechtliche Begutachtung A. Strafbarkeit der Spender 1. 29 Abs.1 Nr. 1 und 3 BtMG 1.1 Tatbestandsmäßigkeit des Spender-Verhaltens Zweifelsfrei sind durch Versenden des in Anlage zu 1 BtMG aufgeführten Substanz Cannabis an Kranke objektiv- und subjektiv-tatbestandlich folgende in Nr.1 genannte Modalitäten verwirklicht: erwerben oder anbauen, gegebenenfalls einführen oder sich in sonstiger Weise verschaffen, und schließlich abgeben. Subsidiär kommt auch Nr.3 besitzen in Betracht. 1.2 Rechtfertigung nach 34 StGB

Seite 3 von 5 In Frage kommt aber, wie nunmehr durch Urteil des OLG Karlsruhe vom 24.06.2004 (Az. 3 Ss 187/03) auch höchstrichterlich anerkannt, der Rechtfertigungsgrund des Notstandes ( 34 StGB). Voraussetzung der Rechtfertigung eines an sich gemäß Betäubungsmittelgesetz tatbestandsmäßigen Verhaltens insbesondere Anbau, Besitz, Erwerb und Abgabe von Cannabis - ist, dass der Bürger den Verstoß gegen das BtMG in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben begeht. Der Gesetzesverstoß muss dazu dienen, die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen muss das Interesse des Betreffenden, ein annährend erträgliches Dasein zu führen, die Belange des Staates am Verbot von Betäubungsmitteln überwiegen. Dies kann im Einzelfall ausnahmsweise bejaht werden, wenn es sich um eine schwere Krankheit handelt, die nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht anders behandelbar ist, z.b., wie in dem entschiedenen Fall, einer Multiplen Sklerose mit der Folge der Ataxie. Cannabis darf in diesem Fall lediglich als Medikament zur Abwendung schwerer Gesundheitsbeeinträchtigungen eingenommen werden. Der Erfolg solcher Eigentherapie braucht dabei lediglich nicht ganz unwahrscheinlich zu sein, ein sicherer wissenschaftlicher Nachweis ist dafür nicht erforderlich. Die Spender handeln hier zum Zweck der Behandlung einer akuten schweren Krankheit, also angesichts einer gegenwärtigen Leibesgefahr für die Kranken. Das Interesse an Heilung und körperlicher Integrität überwiegt jedenfalls das durch 29 Abs.1 Nr.1 BtMG geschützte, nur sehr vage und diffus zu beschreibende Rechtsgut Volksgesundheit. Damit ist das Verhalten der Spender nicht strafbar. 1.3 Entschuldigung nach 35 StGB Gleichwohl könnte ein Gericht diesen Rechtfertigungsgrund verneinen, weil es die eine oder andere höchstrichterlich definierte Voraussetzung nicht für gegeben hält. In diesem Falle bliebe die Prüfung des entschuldigenden Notstandes nach 35 StGB. Hier kommt es auf eine Interessenhierarchie nicht an: entschuldigt und damit straflos sind die Spender, wenn sie bewusst gegen das Btm-Recht verstoßen, um die Leibesgefahr für die Patienten abzuwenden. Vorausgesetzt wird dabei, dass sich aus der ärztlichen Empfehlung bzw. Indikation ergibt, dass kein anderes, gleichwertiges Mittel zur Abwendung dieser Gesundheitsgefahr zur Verfügung steht. 1.4 29 Abs.1 Nr.6 b BtMG Weiter ist der spezifische Tatbestand des Überlassens zum unmittelbaren Verbrauch gem. 29 Abs.1 Nr.6 b BtMG zu erwägen. Die Anwendbarkeit scheitert aber daran, dass der angestrebte Verbrauch nicht sofort und an Ort und Stelle erfolgt. Selbst wenn man dies bejahen würde, müsste genauer erörtert werden, ob hier nicht eine medizinische Begründung vorliegt. Sinn und Zweck dieser Norm ist nämlich die Verhinderung medizinisch unbegründeter Behandlungsweisen mit Btm. Bei materieller Betrachtungsweise kann gut begründet werden, dass aufgrund internationaler Forschungslage medizinische Indikationen für eine Behandlung mit Cannabis-Pharmaka bejaht werden müssen. Dass das Medikament an sich als Btm. nicht verkehrs- und verschreibungsfähig ist, ändert daran nichts. Zu einem anderen Ergebnis kommt man bei einer formalen Auslegung: dann würde die fehlende Verschreibungsfähigkeit auch die medizinische Indikation ausschließen. Für diesen Fall würden aber auch der unter 1.2 genannte, inzwischen höchstrichterlich anerkannte Rechtfertigungsgrund 34 StGB sowie gegebenenfalls 35 StGB greifen. 2. 32 Nr. 15 BtMG Weiter wird von der Strafverfolgungsbehörde möglicherweise wegen der Postversendung auch noch eine Ordnungswidrigkeit nach 32 Nr.15 BtMG geltend gemacht. Das Einlegen von Btm in eine Postsendung kann danach mit einem Bußgeld von bis zu 25.000 Euro belegt werden.

Seite 4 von 5 Auch diesbezüglich wäre aber der Rechtfertigungsgrund des Notstandes ( 16 OWiG) geltend zu machen. 3. 223 StGB Grundsätzlich kommt bei einer medizinischen Behandlung durch einen Nicht-Arzt und erst recht bei nicht kunstregel- und sorgfaltspflichtgemäßer Behandlung eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung in Betracht. Insofern kann gemäß deutscher Rechtsdogmatik ein Patient auch nicht gem. 228 in die Behandlung einwilligen. Voraussetzung einer solchen Strafbarkeit wäre jedoch, dass ein durch einen Nicht-Arzt vorgenommener quasi-ärztlicher Heileingriff vorliegt. Das bedeutet, dass der Spender sich wie ein Arzt geriert haben müsste, welcher eine Indikation stellt und das Mittel verschreibt. Im schlichten Spenden oder Abgeben einer Substanz aufgrund ärztlicher Indikationsstellung und Behandlungsempfehlung liegt aber kein eigenständiger Heileingriff. Die hier in Frage stehende Handlungsweise wäre allenfalls als gem. 27 StGB strafbare Beihilfe zu einer kunstregelwidrigen und deshalb strafbaren ärztlichen Handlung zu werten. Um eine solche handelt es sich aber, wie anschließend gezeigt wird, nicht. B. Strafbarkeit der gutachtenden bzw. die Indikation stellenden Ärzte. Hierzu verweise ich auf meine frühere Veröffentlichung zur Frage der Strafbarkeit einer ärztlichen Cannabis-Indikationsstellung bzw. Empfehlung von Cannabis: Rechtsstellung des Helfers. Stichwort in: Fengler, Jörg (Hrsg.): Handbuch der Suchtbehandlung. Beratung Therapie Prävention. Landsberg 2002: ecomed Verlag. S.432 442. Im Ergebnis und in Übereinstimmung mit anderen Strafrechtswissenschaftlern vertrete ich die Rechtsmeinung, dass die ärztliche Indikationsstellung und Empfehlung, zur Heilung und/oder Symptomlinderung normales Cannabis und nicht eine der sehr teuren Zubereitungen oder Synthetisierungen zu benutzen, keinen Tatbestand erfüllt. Weder sind die Voraussetzungen von 29 Abs.1 Nr.6 gegeben, weil Verschreiben, Verabreichen oder Verbrauchsüberlassung nicht vorliegen. Noch ist 223 StGB erfüllt, weil es sich aufgrund heutigen Erkenntnisstandes zwar nicht um eine schulmedizinische, aber auch nicht um eine kunstregeloder sorgfaltspflichtwidrige Behandlung handelt. Dies ist nunmehr auch durch die bereits oben erwähnte höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt (OLG Karlsruhe v. 24.06.2004). C. Strafbarkeit der Empfänger Die Patienten und Empfänger der Hanf-Spende würden durch die Annahme dieser Spenden jedenfalls die Tatbestände des Sich-Verschaffens ( 29 Abs.1 Nr.1 BtMG) und Besitzes (dito Nr.3) erfüllen. Jedoch wäre ihr Handeln nach den bereits oben geprüften Kriterien des Notstandes ( 34 StGB gerechtfertigt und damit straflos. Äußerstenfalls müsste man sie als nach 35 StGB wegen Notstandes entschuldigt ansehen. D. Strafbarkeit der Initiatoren und Organisatoren der Hanfapotheke Für die Initiatoren und Organisatoren der Vermittlungsstelle Hanfapotheke kommt eine Strafbarkeit nach 29 Abs.1 Nr.10 in Betracht. Voraussetzung wäre, dass den Empfängern eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch verschafft wird. Da der, wie oben gezeigt, zwar im Sinne von 29 Abs.1 Nr.1, 3 BtMG tatbestandsmäßig, jedoch gerechtfertigt ist, liegt kein unbefugter Verbrauch vor. Käme man zur Wertung, dass das Verhalten der Empfänger lediglich entschuldigt ist, wäre

Seite 5 von 5 das Verhalten der Vermittler jedenfalls deshalb als nicht-tatbestandsmäßig anzusehen, weil es an der Eigennützigkeit fehlt. Diese ist nach restriktiver teleologischer Auslegung des Tatbestandes auch für die Modalität des Gelegenheit-Verschaffens voraus zu setzen, auch wenn der Wortlaut insofern nicht eindeutig ist (vgl. dazu Böllinger, L.: Gesundheitsvorsorge für Heroinabhängige strafbar? - Systemwidersprüche und verfassungskonforme Auslegung. In: Juristische Arbeitsblätter 1991, S.292-302). Im Übrigen sind die Handlungen der Vermittler bzw. Träger der Hanfapotheke nur als straflose Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) zu werten, weil die entsprechenden Haupttaten von Spendern und Empfängern nicht strafbar sind. E. Strafbarkeit der Mitglieder des Solidaritätskreises Hanfapotheke Erst recht und aufgrund der gleichen Erwägungen wie unter D. machen sich die Mitglieder des Solidaritätskreises nicht wegen Teilnahme an Btm-Delikten strafbar. gez. Prof. Dr. jur. L. Böllinger