Romeo Bissuti, Karin Korn, Ida Moranjkić Diversität als Chance Geschlechtssensible betriebliche Gesundheitsförderung auf neuen Wegen Ausgangslage Steigende Belastungen am Arbeitsmarkt, Leistungsdruck, ungesunder Lebensstil, psychosoziale Belastungen und die damit verbundenen Leistungsminderungen und Krankenstände führen dazu, dass betriebliche Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz immer breiteren Raum einnimmt und auch seitens der ArbeitgeberInnen zunehmend unterstützt wird. Trotz zahlreicher Erhebungen und Praxisansätze im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung werden frauen- und männerspezifische Themen selten angesprochen. Die betriebliche Gesundheitsförderung geht von eindeutig messbaren Größen wie Arbeitsdauer, Grad der körperlichen Belastung, ergonomischen Faktoren, etc. aus. Psychosoziale Faktoren finden in der Praxis oft wenig Berücksichtigung. Doch ist es unter dem Gesichtspunkt der zunehmenden Diversität im Arbeitskontext wesentlich, gender- und kulturspezifische Aspekte in die betriebliche Gesundheitsförderung zu integrieren. Bislang gibt es kaum Projekte, die explizit die Bedürfnisse von Frauen und Männer unter Einbeziehung ihres Migrationshintergrundes adressieren. Bei herkömmlichen Gesundheitsförderungsprojekten haben viele MigrantInnen vor allem aufgrund von sprachlichen Barrieren keinen Zugang. Dies betrifft insbesondere Frauen und Männer in Niedriglohnbranchen wie HausarbeiterInnen, KüchenmitarbeiterInnen, AbteilungshelferInnen, Transportdienste etc. Setting Mit Vielfältig & gesund: Frauen im Wiener Krankenanstaltenverbund wird die Gesundheit der Frauen in Niedriglohnbranchen in den Mittelpunkt gestellt. Seit dem Jahr 2006 setzt der Wiener Krankenanstaltenverbund in Kooperation mit dem Frauengesundheitszentrum FEM Süd die ersten gender- und kultursensiblen Projekte der betrieblichen Gesundheitsförderung in Österreich um. Mittlerweile wurden Durchgänge in neun Wiener Spitälern, vier Geriatriezentren und Pflegewohnhäusern und einem zuarbeitenden Betrieb durchgeführt. Gesund Arbeiten mit Männern bietet für die Zielgruppe männlicher Hausarbeiter in Niedriglohnbranchen im Krankenhaus Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung an, die sowohl auf der Verhaltens- als auch auf der Verhältnisebene wirksam werden. Dazu wurde ein Pilotprojekt im Wiener AKH sowie im Donauspital/SMZ Ost durchgeführt. Mit den Maßnahmen konnten etwa 450 Mitarbeiter aus der Zielgruppe erreicht werden. Eine Fortführung des Projektes in weiteren Krankenhäusern ist ab Herbst 2014 vorgesehen. Seite 1 von 5
Zielgruppe Beide betrieblichen Gesundheitsförderungsprojekte richten sich an die Berufsgruppen der Frauen und Männer in Niedriglohnbranchen in Gesundheitseinrichtungen (Krankenhäuser, Pflegewohnhäuser, Geriatriezentren) des Wiener Krankenanstaltenverbundes, wie z.b. Hausarbeiterinnen und Hausarbeiter, Küchenmitarbeiterinnen und Küchenmitarbeiter, Abteilungshelferinnen, Transportdienste, spezielle Reinigungsdienste, Wäscherei etc. Die Finanzierung beider Projekte erfolgt bzw. erfolgte durch den Wiener Krankenanstaltenverbund, den Fonds Gesundes Österreich sowie die Wiener Gesundheitsförderung gemeinnützige GmbH. Ziel Die Vision von Vielfältig & gesund ist die Steigerung des subjektiven Wohlbefindens und der Arbeitsplatzzufriedenheit sowie das Empowerment der Zielgruppe. Dies soll durch Sensibilisierung der Zielgruppe für das Thema Gesundheitsverhalten sowie durch die Steigerung der gesundheitsfördernden Faktoren im Betrieb auf struktureller Ebene erreicht werden. Die Projektziele von Gesund Arbeiten für und mit Männer(n) sind Zufriedenheit und Wohlbefinden der Zielgruppe am Arbeitsplatz fördern, mehr Mitbestimmung der Zielgruppe hinsichtlich gesundheitsfördernder Elemente am Arbeitsplatz, Ressourcenaktivierung der Zielgruppe hinsichtlich ihrer Gesundheitspotentiale am Arbeitsplatz, Gesundheitswissen im Betrieb erhöhen, Sensibilität auf Risiken rollenstereotyper männlicher Lebensstile, mehr Wissen über die Bedürfnisse und die gesundheitsfördernden Elemente der Zielgruppe. Maßnahmen Das betriebliche Gesundheitsförderungsprojekt Vielfältig & gesund setzt auf drei unterschiedlichen Ebenen an und mit den gesetzten Maßnahmen konnten bis jetzt etwa 480 Mitarbeiterinnen aus der Zielgruppe erreicht werden. Auf Ebene der Geriatriezentren und Pflegewohnhäuser kommt es in vier Häusern zu einem klassischen betrieblichen Gesundheitsförderungskreislauf mit ein oder mehreren Kick Off Veranstaltungen, einer muttersprachlichen Fragebogenerhebung, interkulturellen und geschlechtssensiblen Gesundheitszirkeln, maßgeschneiderten gesundheitsfördernden Maßnahmen auf der Verhaltensals auch auf der Verhältnisebene (stets unter Berücksichtigung des Genderaspekts) sowie zur Ausbildung mind. einer Gesundheitsmultiplikatorin pro Haus. Auf Ebene der Krankenhäuser finden tiefergehende und maßgeschneiderte Maßnahmen zur Nachhaltigkeit in maximal drei Betrieben statt. Auf häuserübergreifender Ebene finden Maßnahmen zur Sichtbarmachung und Stärkung der Rolle der Gesundheitsmultiplikatorinnen im KAV, wie z.b. vermehrte Schulungen explizit für diese Zielgruppe, statt. Um einen regelmäßigen Austausch aller Gesundheitsmultiplikatorinnen zu gewährleisten, werden dazu zwei Mal pro Jahr Treffen im Frauengesundheitszentrum FEM Süd organisiert. Seite 2 von 5
Hauptbelastung der Zielgruppe ist neben zahlreichen arbeitsbedingten körperlichen Beschwerden wie Wirbelsäulenprobleme vor allem Stress. Aber auch finanzielle Probleme und Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper rücken vermehrt in den Vordergrund. Mehrfachbelastung durch Arbeit und Familie sowie die Arbeitssituation am untersten Ende der Hierarchie wird von der Zielgruppe als krankmachender Faktor sowie psychisch belastend erlebt. Das Projekt will diese Frauen dazu empowern, Schwierigkeiten an- und auszusprechen und gemeinsam mit dem Betrieb Lösungen dafür zu erarbeiten und umzusetzen. Auf Ebene der Geriatriezentren und Pflegewohnhäuser erfolgt die Entwicklung und Umsetzung maßgeschneiderter Angebote partizipativ mit der Zielgruppe. Auf der Verhaltensebene kann aus mehreren gesundheitsförderlichen Angeboten gewählt werden, wie zum Beispiel Wirbelsäulengymnastik, Nordic Walking, Kommunikations- und Konflikttraining oder Umgang mit Stress. Mit Hilfe der Führungsebene des jeweiligen Hauses werden strukturelle Veränderungen im Arbeitsprozess umgesetzt, wie zum Beispiel Teambesprechungen, Optimierung des Informationsflusses, (Mit)Entscheidungsmöglichkeit bei der Wahl der Arbeitsgeräte etc. Das Feedback der Frauen ist sind die Anfangshürden einmal genommen höchst positiv. Mit dem muttersprachlichen Angebot können die Frauen erreicht und Missverständnisse ausgeschaltet werden. Die Treffen der Gesundheitsmultiplikatorinnen werden, von den bereits 35 ausgebildeten Mitarbeiterinnen, gut besucht und von den anwesenden Frauen sehr wertgeschätzt. Auf Ebene der Krankenhäuser kam es u.a. zu geschlechtssensiblen Workshops zum Thema Gesundes Führen für VorbeiterInnen des Reinigungdienstes sowie Führungskräfte der Küche. Die Rückmeldungen waren äußerst positiv und die TeilnehmerInnen gaben an, sich viel in den Berufsalltag mitnehmen zu können. Das Projekt wird gezielt öffentlichkeitswirksam auf Tagungen und Kongressen vorgestellt, um so eine Übertragbarkeit des Projektes auf andere Bereiche zu erwirken. Darüber hinaus wird bei regelmäßigen Treffen der AnsprechpartnerInnen für Gesundheitsförderung der Häuser im KAV die Weiterentwicklung des Projektes diskutiert und transportiert. Mit September 2011 wurde mit dem Projekt Gesund Arbeiten mit Männern begonnen. In der Vorphase von September 2011 bis Dezember 2011/Jänner 2012 wurde das Projekt gender-, kultur- bzw. zielgruppensensibel vorbereitet. Dies geschah u.a. durch mehrere Fokusgruppen mit Hausarbeitern des Kaiser Franz Josef Spitals, sowie durch das Prüfen und Überarbeiten vorhandener Erhebungsinstrumente (z.b. ein für das Projekt "Gesund arbeiten ohne Grenzen 1-3" entwickelter Fragebogen oder der IMPULS-Test). Weiters wurden die bisherigen Evaluationsergebnisse der vorangegangenen Projekte der Kolleginnen des FEM Süd herangezogen, um daraus resultierende Ergebnisse berücksichtigen zu können. Dazu zählten etwa eine verlängerte Laufzeit sowie eine Intensivierung des Themas Gesundes Führen. Nach Einrichtung der Steuerungsgruppen in den beiden gewählten Krankenhäusern (AKH sowie Donauspital) erfolgten die Kick Off Veranstaltungen und die Befragung der Mitarbeiter. Anschließend wurde mit den Gesundheitszirkeln begonnen um die Gesundheitsressourcen und Seite 3 von 5
Gesundheitsbelastungen, sowie Lösungsmöglichkeiten dazu mit der Zielgruppe zu erarbeiten. In beiden Spitälern wurden die Ergebnisse aus der Befragung und der Gesundheitszirkel der Steuerungsgruppe von den Hausarbeitern (Gruppensprecher) und Mitarbeitern des MEN präsentiert. Die Präsentation vor der Steuerungsgruppe durch die Hausarbeiter selbst unterstrich die Wichtigkeit der betrieblichen Gesundheitsförderung und gab den Sprechern entsprechende Zuversicht und Vertrauen, dass es um sie selber geht und das Projekt Veränderungspotential besitzt. Im Anschluss an die Ergebnispräsentationen klärten die Betriebe intern, welche Maßnahmen auf Verhältnisebene sich aus den gesammelten Vorschlägen aus den Zirkeln umsetzen lassen. Hier konnten kurz und mittelfristig in folgenden Bereichen Maßnahmen umgesetzt werden: Mensaöffnungszeiten, Pausenräume, Rauchen/Nichtrauchen in Pausenräumen, Angebote für Fortbildungsmöglichkeiten, Verbesserungen bei Arbeitsmitteln, mehr Gewand, Betriebsausflüge, Gremien für mehr Mitbestimmung für Hausarbeiter, Vernetzungsgespräche mit anderen Stationen u.v.a.m. Weiters wurden Gremien und Foren, in denen die Mitsprache der Hausarbeiter zu gesundheitlichen Themen weiterhin gewährleistet ist, etabliert. Dazu wurden auch Nachhaltigkeitsworkshops und Schulungen zu Gesundheitssprechern im Betrieb durchgeführt. Darüber hinaus erfolgten in den beiden Spitälern Workshops zum Thema Gesundes Führen, die ebenfalls mit großem Interesse und Erfolg besucht wurden. Zur Verbreitung der Erfahrungen und der Ergebnisse wurde ein Fachreader für männerspezifische betriebliche Gesundheitsförderung in Niedriglohnbranchen verfasst, der auf der Homepage des Männergesundheitszentrum MEN zum kostenlosen Download zur Verfügung steht. Seite 4 von 5
Literatur / Quellen: Interkulturelle betriebliche Gesundheitsförderung für Frauen in Niedriglohnbranchen. Manual Maga Karin Korn, Maga Huberta Haider, Slavica Blagojevi Herausgeberin Frauengesundheitszentrum FEM Süd, Wien 2009 Download unter http://www.fem.at/shared/bgf_manual.pdf Gesund Arbeiten mit Männern Anregungen für männerspezifische betriebliche Gesundheitsförderung im Niedriglohnbereich Mag. Romeo Bissuti, Selim Akmese Bakk., Mag. Paul Brugger, Mag. Predrag Pljevaljcic, Hans Günther Vetter Bsc. Herausgeber MEN Männergesundheitszentrum, Wien 2013 Download unter http://www.men-center.at unter der Rubrik Downloads Kontakt Mag.a Karin Korn Institution Frauengesundheitszentrum FEM Süd, Wien E-Mail: karin.korn@wienkav.at www.fem.at Mag. Romeo Bissuti Institution Männergesundheitszentrum MEN, Wien E-Mail: romeo.bissuti@wienkav.at www.men-center.at Seite 5 von 5