Hochschule für Kunsttherapie Nürtingen Behandlungsleitlinien und gesicherte Erkenntnisse zur PTSD: Was bedeuten sie für PTSD bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung? Prof. Dr. Ulrich Elbing Workshop Psychotraumata bei Menschen mit geistiger/autistischer Behinderung Zürich, 6. März
Ausgangslage Zu PTSD und komplexer Traumafolgestörung liegen aktuelle allgemeine Behandlungsleitlinien vor Für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung: Bisher keine Behandlungsleitlinie für PTDS und komplexe Traumafolgestörung (gesicherte) Erkenntnisse bisher nur zu Vorkommen und bedingenden / aufrecht erhaltenden Faktoren vor Spezifische Behandlungsempfehlungen in der Fachliteratur haben (bisher nur) Empfehlungscharakter mit Evidenz im Expertenstatus 2
Vorgehen Essenz der Leitlinien für die Behandlung von PTSD und komplexen Traumafolgestörungen dem Erkenntnisstand über Spezifika bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung gegenüberstellen und daraus erste Schlüsse für die Behandlung ableiten Auch S3 Behandlungsleitlinien sind ständig weiter in Revision und spiegeln (nur) den jeweils aktuellen Kenntnisstand unter den jeweils gewählten methodischen und thematischen Auswahlkriterien 3
S3 - LEITLINIE POSTTRAUMATISCHE BELASTUNGSSTÖRUNG ICD 10: F 43.1 Kurzfassung Flatten G, Gast U, Hofmann A, Knaevelsrud Ch, Lampe A, Liebermann P, Maercker A, Reddemann L, Woller W (2011): S3 - Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. Trauma & Gewalt 3: 202-210
Epidemiologie Die Häufigkeit von PTBS ist abhängig von der Art des Traumas. Ca. 50% Prävalenz nach Vergewaltigung Ca. 25% Prävalenz nach anderen Gewaltverbrechen Ca. 50% bei Kriegs-, Vertreibungs- und Foltereopfern Ca. 10% bei Verkehrsunfallopfern Ca. 10% bei schweren Organerkrankungen, (Herzinfarkt, Malignome) Lebenszeitprävalenz für PTBS in der Allgemeinbevölkerung: zwischen 1% und 7% (Deutschland 1,5 2 %). Die Prävalenz subsyndromaler Störungsbilder ist wesentlich hoher. Es besteht eine hohe Chronifizierungsneigung. 5
Häufigkeit von Misshandlung und Missbrauch bei Menschen mit geistiger Behinderung (Hennicke, 2008) Life-time Prävalenz 90% (REYNOLDS 1997) 39-68% der Mädchen und 16-30% der Jungen werden vor ihrem 18. Geburtstag sexuell missbraucht (SOBSEY 1994) 64% der Frauen und 50% der Männer in Institutionen geben sexuelle Gewalterfahrungen an; davon 13% durch das Pflegepersonal (ZEMP 2002) 69% der Erwachsenen, 75% der Kinder der ambulanten Klientel (SINASON 1993) 14,3% des Klientels eines ambulanten Dienstes für Kinder und Jugendliche waren als Opfer und als Täter in sexuellen Missbrauch verwickelt (21 Opfer, 6 Täter, 16 beides) (FIRTH et al. 2001) Dunkelziffer 1:30 (d.h. nur ein Fall von 30 Misshandlungsfällen bei Menschen mit geistiger Behinderung wird bekannt) (THARINGER et al. 1990) Nur die krassesten Vorfälle in Einrichtungen werden berichtet (MARCHETTI & McCARTNEY 1990) 6
Unstrittige Erkenntnisse über traumatisierte Menschen mit geistiger Behinderung (Hennicke, 2008) 3-4-mal höhere psychiatrische Morbidität Gewalt im Leben von Menschen mit geistiger Behinderung Gleiche Psychophysiologie gleiche Symptomatik mangelhafte Diagnostik Diagnostic overshadowing defizitäre Versorgung bei gleichem oder höherem Bedarf 7
Geistige Behinderung und PTSD: Prävalenz Wendet man die Prävalenzwerte der S3-Leitlinie auf die von Hennicke zusammengetragenen Daten an, bedeutet dies, konservativ und ohne Dunkelziffer geschätzt: Ca. 20 % aller Mädchen und ca. 8 % aller Jungen mit geistiger Behinderung (bis zum 18. Lebensjahr) leiden unter einer PTSD nach sexuellem Missbrauch, wie auch 40% aller Heimbewohner mit geistiger Behinderung aufgrund von Missbrauch oder Misshandlung Diese Schätzwerte beziehen sich nur auf die PTSD als eine der möglichen Traumafolgestörungen 8
Cave! Übersehen einer PTBS bei lange zurückliegender Traumatisierung (z.b. körperliche und sexualisierte Gewalt bei Kindern, frühere Kriegserfahrungen), bei klinisch auffälliger Komorbiditat (Depression, Angst, Somatisierung, Sucht, Dissoziation) bei unklaren, therapieresistenten Schmerzsyndromen (z.b. somatoforme Schmerzstörung), bei misstrauischen, feindseligen und emotional-instabilen Verhaltensmustern (z.b. insbesondere bei Persönlichkeitsstörungen), bei medizinischen Eingriffen und Erkrankungen (z.b. Malignome, Patienten nach Intensivbetreuung, Problemgeburten). 9
Obsolet! Anwendung nicht traumaadaptierter kognitivbehavioraler oder psychodynamischer Techniken E:III (z.b. unmodifiziertes psychoanalytisches Verfahren, unkontrollierbare Reizüberflutung, unkontrollierte regressionsfordernde Therapien) Alleinige Pharmakotherapie E:II-3 Traumatherapie ohne Gesamtbehandlungsplan 10
Kontraindikation für traumabearbeitende Verfahren (nicht: Stabilisierung) Relative Kontraindikation: Mangelnde Affekttoleranz Anhaltende schwere Dissoziationsneigung Unkontrolliert autoaggressives Verhalten Mangelnde Distanzierungsfähigkeit zum traumatischen Ereignis Hohe akute psychosoziale und körperliche Belastung Absolute Kontraindikation: Akutes psychotisches Erleben Akute Suizidalität Täterkontakt mit Traumatisierungsrisiko Haben dies Menschen mit GB nicht immer? Ellert und Huber: nicht dogmatisch anzuwenden 11
Erste Maßnahmen (vergleiche hierzu auch die Empfehlungen der S2- Leitlinie: Diagnostik und Therapie akuter Folgen psychischer Traumatisierung ) Herstellen einer sicheren Umgebung, wenn immer möglich (Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung) Organisation des psycho-sozialen Helfersystems Frühes Hinzuziehen eines mit PTBS-Behandlung erfahrenen Psychotherapeuten Erfahrung in Behandlung komplexer PTSD, Geistiger Beeinträchtigung, Kommunikationstechniken Psychoedukation und Informationsvermittlung bzgl. traumatypischer Symptome und Verläufe 12
Abklärung des individuellen Stabilisierungsbedarfs: E:III durch entsprechend qualifizierten ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten oder qualifizierte Berater in Psychotraumatologie oder andere Fachpersonen Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung Anbindung zur engmaschigen diagnostischen und therapeutischen Betreuung Abklärung von Affektregulation, Selbst- und Beziehungsmanagement, soziale Kompetenzen Einschätzung und Umgang mit Selbst- und Fremdgefährdungstendenzen Aufbau von intra- und interpersonellen Ressourcen (imaginative Selbstberuhigung, soziales Netzwerk) E:III 13
Abklärung des individuellen Stabilisierungsbedarfs: E:III Unterstützung von Symptomkontrolle (z.b. Kontrolle intrusiver Phänomene, Distanzierungstechniken) adjuvante Pharmakotherapie (symptomorientiert) E:I Einbeziehung adjuvanter kunst- und gestaltungs-, ergosowie körpertherapeutischer Verfahren E:III Antidepressiva aus der Stoffgruppe der SSRI E:I (Vorsicht bei Suizidgefährdung, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen) Cave! Besondere Suchtgefährdung bei PTBS (besonders Benzodiazepine) 14
Heilpädagogische Stabilisierung (Hennicke, 2008) Beziehungsgestaltung: eine wohlwollende, Sicherheit spendende Beziehung anbieten, brachliegende Ressourcen reaktivieren, neue Kompetenzen aufbauen und das Selbstbild in eine positive Richtung beeinflussen (SENCKEL 2008) Heranführen an angenehme, positive, entlastende Zustände (evtl. mit imaginativen Techniken) Körperliche Stabilisierung (Pflege, Bewegung, Ausdruck, Ernährung, Selbstwahrnehmung, Grenzen kennen und stärken) 15
Heilpädagogische Stabilisierung (Hennicke, 2008) Schutz vor und Vermeidung von Triggern (Prävention von Re-Traumatisierung) Stressreduktion bei geringen/fehlenden Copingstrategien und individuellen Regulationsmöglichkeiten Reframing: das Verhalten ist nicht primär behinderungsbedingt, sondern 16
Leitlinienempfehlungen Leitlinienempfehlung 1: Bei der Diagnostik soll beachtet werden, dass die Posttraumatische Belastungsstörung nur eine, wenngleich spezifische Form der Traumafolgeerkrankungen ist. 28/28 Leitlinienempfehlung 2: Es soll beachtet werden, dass komorbide Störungen bei der Posttraumatischen Belastungsstörung eher die Regel als die Ausnahme sind. 27/27 17
Leitlinienempfehlung 3: Die Diagnostik der PTBS soll nach klinischen Kriterien (ICD 10) erfolgen. 33/36 Leitlinienempfehlung 4: Zur Unterstützung der Diagnostik können psychometrische Tests und PTBS- spezifische strukturierte klinische Interviews eingesetzt werden. 33/36 nicht brauchbar für Menschen mit GB. Brauchbar sind: PTSS-10, KERF 18
Leitlinienempfehlung 5: Manche PatientInnen mit PTBS haben eine unzureichende Affektregulation (z.b. mangelnde Impulskontrolle, dissoziative Symptome, Substanzmissbrauch, Selbstverletzungen, Suizidalität), die diagnostisch abgeklärt werden muss und intitial in der Behandlungsplanung (individueller Stabilisierungsbedarf) zu berücksichtigen ist. 16/28 Das gilt für viele, wenn nicht alle PatientInnen 19
Leitlinienempfehlung 6: Psychopharmakotherapie soll nicht als alleinige Therapie der Posttraumatischen Belastungsstörung eingesetzt werden. Adjuvante Psychopharmakotherapie kann zur Unterstützung der Symptomkontrolle indiziert sein, ersetzt aber keine traumaspezifische Psychotherapie. 28/28 Leitlinienempfehlung 7: Adjuvante Verfahren wie Ergotherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie, Körper- und Bewegungstherapie, Physiotherapie können in einem traumaspezifischen Gesamtbehandlungsplan berücksichtigt werden. 36/36 20
Leitlinienempfehlung 8: Bei der Therapie der Posttraumatischen Belastungsstörung soll mittels Konfrontation mit der Erinnerung an das auslösende Trauma das Ziel der Integration unter geschützten therapeutischen Bedingungen erreicht werden 27/28 Leitlinienempfehlung 9: Die Bearbeitung traumatisch fixierter Erinnerungen und sensorischer Fragmente ist ein zentraler Bestandteil der Behandlung. 26/27 21
Leitlinienempfehlung 10: Dazu sollen traumadaptierte Behandlungsmethoden eingesetzt werden. 19/19 Leitlinienempfehlung 11: Bei der Indikationsstellung zur Traumabearbeitung sind klinische Komorbidität und Stabilität in einem Gesamtbehandlungsplan mit partizipativer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. 17/17 22
Leitlinienempfehlung 12: Mangelnde Affekttoleranz, akuter Substanzkonsum, instabile psychosoziale und körperliche Situation, komorbide dissoziative Störung, unkontrolliert autoaggressives Verhalten sind als relative Kontraindikation zur Traumakonfrontation anzusehen. 28/28 Leitlinienempfehlung 13: Akute Psychose, schwerwiegende Störungen der Verhaltenskontrolle (in letzten 4 Monaten: lebensgefahrlicher Suizidversuch, schwerwiegende Selbstverletzung, Hochrisikoverhalten, schwerwiegende Probleme mit Fremdaggressivität) und akute Suizidalität sind als absolute Kontraindikation für ein traumabearbeitendes Vorgehen zu werten. 34/36 23
Leitlinienempfehlung 14: Bei Vorliegen von Kontraindikationen ist eine konfrontative Traumabearbeitung erst indiziert, wenn äußere Sicherheit und eine hinreichend gute Emotionsregulierung ('ausreichende Stabilisierung') vorhanden sind. 31/36 Leitlinienempfehlung 15: Traumatherapie endet in der Regel nicht mit der Traumabearbeitung. Wenn indiziert, sollte der psychotherapeutische Prozess zur Unterstützung von Trauer, Neubewertung und sozialer Neuorientierung fortgeführt werden. 17/18 24
Leitlinienempfehlung 16: Eine traumaadaptierte Psychotherapie soll jedem Patienten mit PTBS angeboten werden. 18/18 Leitlinienempfehlung 17: Die behandelnden PsychotherapeutInnen sollen über eine traumatherapeutische Qualifikation verfugen. 16/16 25
Ätiologie (Ehlert, 2007) Emotionaler Missbrauch erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Depersonalisationsstörung (Simeon et al., 2001) Körperlicher oder sexueller Missbrauch oder Vernachlässigung im Kindesalter zeigen in der Adoleszenz eine vierfach erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Persönlichkeitsstörung (Johnson et al, 1999) Interpersonale Traumatisierungen in der Kindheit führen mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit zu einer Persönlichkeitsstörung als vergleichbare Traumatisierungen in der Adolszenz (Gibb et al., 2001) Kumulative Traumatisierung im Kindesalter führt bei erwachsenen Frauen zu massiven subjektiv erlebten körperlichen Beschwerden (Cloitre et al., 2001) 26
Ätiologie (Ehlert, 2007) In einer Gruppe von 64 delinquenten Adoleszenten zeigten 28.3% dissoziative Symptome (primär Depersonalisation), davon gaben 96.8% Traumatisierungen in der Kindheit an (Carrion & Steiner, 2000) Die Häufigkeit dissoziativer Symptome bei schizophrenen Patienten ist mit emotionalem und physischem Missbrauch in der Kindheit hoch korreliert (Holowka et al., 2003) Dissoziative Symtome führen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu selbstverletzendem Verhalten. Dieses Verhalten ist insbesondere bei jüngeren Patienten häufiger zu beobachten (Low et al., 2000; Saxe, Chawla & van der Kolk, 2002) 27
PTSD und entwicklungspsychologische Aspekte (Korte, 2010) Kumulativ-Traumata, Belastung durch Entwicklungsaufgaben subklinische Störung kann sich zum Vollbild ausweiten Traumatisierungspotential abhängig von der intellektuell-kognitiven und emotional-affektiven Entwicklungsstufe Auswahl und Effektivität der Bewältigungsstrategien unterschiedl. Entwicklungsaufgaben in verschiedenen Phasen Interferenz: Trauma / anstehende Entwicklungsaufgabe 28
Auswirkungen früher Stresserfahrungen: Bindungsstörung, Widrigkeiten in der Kindheit (Egle, ) eingeschränkte Funktion des Stressverarbeitungssystems lebenslang dysfunktionale Stressverarbeitung basal höhere (Kinder) bzw. niedrigere Cortisolspiegel (Erwachsene) Vergrößerung (Kinder) bzw. Verkleinerung der Amygdala (Erwachsene) Hippokampale Volumenreduktion Erhöhte Entzündungsparameter 29
Auswirkungen früher Stresserfahrungen: Bindungsstörung, Widrigkeiten in der Kindheit (Egle, ) Kinder: Eingeschränkte Aufmerksamkeit Erhöhter Aktivitätslevel Eingeschränkte Affektregulation und Selbstregulation im Verhalten Erwachsene: Depression Substanzmissbrauch PTBS 30
Risikofaktoren Bindungsstörung, Widrigkeiten in der Kindheit (Egle, ) Schlechte soziale und ökonomische Bedingungen Familiäre Gewalt körperliche Misshandlung sexueller Missbrauch Emotionale Vernachlässigung Chronisch krankes Elternteil Elternteil psychisch krank / Sucht Krankes Geschwister Parentifizierung Ein-Eltern-Familie Zu viel Medienkonsum Unsichere Bindung 31
Kompensatorisch wirksame biografische Schutzfaktoren (Egle ) Einfühlsame und verlässliche Hauptbezugsperson Dauerhafte und gute Beziehung zu mindestens einer Hauptbezugsperson (z. B. Kinderfrau, Großmutter, Tante, ) Großfamilie Entlastung der (alleinerziehenden) Mutter Soziale Förderung (z. B. Jugendgruppen, Schule, Kirche) 32
Kompensatorisch wirksame biografische Schutzfaktoren (Egle ) Überdurchschnittliche Intelligenz Robustes, aktives und kontaktfreudiges Temperament Geschlecht: Mädchen weniger stressanfällig als Jungen Lebenszeitlich spätere Familiengründung Verlässlich unterstützende Bezugsperson im Erwachsenenalter Resilienz: erhöhte Belastbarkeit, wenn bei ungünstigen frühen Umweltbedingungen hinreichend Schutzfaktoren vorhanden sind. 33
Resilienz (Kohl, 2013) mind. 1 gute Bezugs-/Vertrauensperson weibl. Geschlecht, gute Intelligenz Starke interne Kontrollüberzeugung Empathie und Verantwortungsgefühl Optimismus, positives Selbstkonzept Soziale Kompetenz, Realismus Gute Impulskontrolle, Geduld, Selbstdisziplin Offenheit, Interesse, Kohärenzgefühl Kreativität, Zielorientierung, Problemlösefähigk. 34
Protektive Faktoren (Kohl, 2013) Stabile Persönlichkeit, Resilienz Stabile aktuelle Lebenssituation Kein Beziehungstrauma Kein völliges Überraschtwerden Rest von Selbstwirksamkeit Nicht-Alleine-Sein Bindungsmuster: Sicher gebunden (Brisch und Hellbrügge, 2012) 35
PTSD: Risiko- und Verlaufsprädiktoren (Korte, 2010) Art und Dauer des Traumas / Intentionalität (Kessler et al. 1995) Schweregrad des Traumas (Schepker 1995) peritraumatische Dissoziation (Harvey 1998) prämorbide Entwicklung / frühere traumatische Erlebnisse (Silva 2000) Stand der kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklung (Pynoos & Nader 1993) Nähe des Kindes zum Geschehen / Verhältnis zum Täter oder anderen Opfern (Fischer & Riedesser 1999, Yule 2000) evt. auftretende Schuldgefühle des Opfers (Fischer & Riedesser 1999) Ausmaß der elterlichen Stressbelastung / emotionale Reaktion der Bezugspersonen (Foy et al. 1996, Pfefferbaum 1997) Vorhandensein protektiver Faktoren (Foy et al. 1996) Auswirkungen des traumatischen Ereignisses auf den Lebensalltag (Goenijan 1997) andere postexpositorische Einflüsse (Stigmatisierung, Reviktimisierung) genetische Faktoren, Geschlecht (Stein et al. 2002) 36
Guidelines for Treating Dissociative Identity Disorder in Adults, Third Revision INTERNATIONAL SOCIETY FOR THE STUDY OF TRAUMA AND DISSOCIATION Journal of Trauma & Dissociation, 12:115 187, 2011; Copyright International Society for the Study of Trauma and Dissociation ISSN: 1529-9732 print/1529-9740 online DOI: 10.1080/15299732.2011.537247 Deutsch: INTERNATIONAL SOCIETY FOR THE STUDY OF TRAUMA AND DISSOCIATION: Expertenempfehlung für die Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) bei Erwachsenen. Epidemiologie, klinische Diagnose und diagnostische Verfahren. TRAUMA & GEWALT 8. Jahrgang Heft 1/2014
Prävalenzrate von DID Normalbevölkerung: 1% bis 3% Unter stationären Psychiatrie-Patienten: 1% - 5% 38
Phasenorientierter Behandlungsansatz 1. Sicherheit, Stabilisierung und Reduktion der Symptome, 2. Konfrontation, Durcharbeiten und Integration von traumatischen Erinnerungen, 3. Integration der Identität und Rehabilitation (näheres bei: Hart, Nijenhuis, Steele 2008) 39
Behandlungsrahmen Ambulante Behandlung prioritär; stationäre Behandlung mit fokussiertem Auftrag (z. B. gründliche diagnostische Abklärung; Erwerb Stabilisierungstechniken usw.) Nach Möglichkeit hochfrequent Häufigste Empfehlung: Psychodynamisch orientiert mit Integration spezifischer / fokussierter Techniken und Elemente (DBT, EMDR, Hypnose, ) zur Stabilisierung, Symptomkontrolle Bestrafende Modifikationstechniken für Teilpersönlichkeiten sind kontraproduktiv Gruppensetting auch stationär nicht die primäre Behandlungsform 40
Validität der Erinnerung an Gewalt und Missbrauch in der Kindheit Konsens von 65 großen Studien angloamerikanischer Fachgesellschaften: Korrekte Erinnerungen an Gewalt und Missbrauch sind auch nach langer Zeit des Vergessens möglich Bei einigen Personen besteht die Möglichkeit von Pseudoerinnerungen Externe Daten zur Prüfung sind manchmal nicht mehr zu gewinnen Wie jede Erinnerung kann auch die Erinnerung an Gewalt und Missbrauch in der Kindheit eine Mischung aus Gedächtnis, Fantasie, Konfabulation und Rationalisierung sein, wie auch die Kondensierung mehrerer Ereignisse 41
Therapeutischer Umgang mit Erinnerungen Respektvolle neutrale Haltung des Therapeuten CAVE: Keine Stellung beziehen wird als Billigung der Gewalt verarbeitet. Y. Schlumpf (2014): Therapeuten sollten sich emotional engagiert zeigen. Neutrale Gesichter lösen bei DIS-EP erhöhtes Arousal aus. Kombiniert mit der Sorge, suggestive und hinführende Fragetechniken zu vermeiden Wiederholte Diskussion und Psychoedukation über die Natur von Erinnerungen: größtmögliche Freiheit für Patienten, Wahrheitsgehalt und Bedeutung ihrer Erinnerungen selbst zu evaluieren 42
Quellen Brisch KH, Hellbrügge T (2012): Bindung und Trauma. Risiken und Schutzfaktoren für die Entwicklung von Kindern (4. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta. Egle UT (): Kindheit beeinträchtigt die Lebenserwartung. Körperliche Langzeitfolgen frühkindlicher Traumatisierung und Vernachlässigung. Hauptvortrag 17. Jahrestagung der DeGPT, Innsbruck, 27.02.. Ehlert U (2007): Diagnostik und Psychophysiologie von Traumafolgestörungen. Präsentation PTSD- Workshop Pfäfers. Flatten G, Gast U, Hofmann A, Knaevelsrud Ch, Lampe A, Liebermann P, Maercker A, Reddemann L, Woller W (2011): S3 - Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. Trauma & Gewalt 3: 202-210 Hart O vd, Nijenhuis ERS, Steele K. (2008): Das verfolgte Selbst: Strukturelle Dissoziation und die Behandlung chronischer Traumatisierung. Paderborn: Junfermann. Hennicke K (2008): Trauma und geistige Behinderung. Eine Einführung. Präsentation Fachtagung Geistige Behinderung und Trauma, 5.12.2008 Konsul-Hackfeld-Haus Bremen. International Society for the Studie of Traum and Dissociation (2014): Expertenempfehlung für die Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) bei Erwachsenen. Epidemiologie, klinische Diagnose und diagnostische Verfahren. Trauma & Gewalt 8(1). Kohl N (2013): Traumata im Kindesalter. Unmittelbare und Langzeitfolgen. Präsentation Kolloquium terre des hommes Ein Fenster zum Leben - Traumahilfe nach Gewalt und Flucht. Nürnberg, 1. Juni 2013. Korte A (2010): Traumatisierung im Kindes- und Jugendalter: Zur Problematik der Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD). Präsentation Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Klinikum der LMU München. Zemp A (2002): Sexualisierte Gewalt gegen Menschen mit Behinderung in Institutionen. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 51(8): 610-625. 43
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