BWV-Bayern Report 2013-1 67



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Transkript:

BWV-Bayern Report 2013-1 67 Informationsbrief für Freunde und Mitglieder des BWV-Bayern Inhalt: Herausgeber: BWV Bayern auf der Gedenkveranstaltung zum 68. Jahrestag der Befreiung des Lagers Dachau Bürgermedaille der Stadt Nürnberg für Ehrenmitglied Bertold Kamm Vorstand des Bund Widerstand und Verfolgung (BWV-Bayern) e.v., www.bwv-bayern.org Verantwortlich : Robert Hagen, Ölbergring 17 a, 83620 Feldkirchen-Westerham, Telefon: 08063-7930 - Mobiltelefon: 0176-322-51112 E-Mail: robert.hagen@gmx.de Bund Widerstand und Verfolgung Bayern auf der Gedenkveranstaltung zum 68. Jahrestag der Befreiung des Lagers Dachau rh. Am 22. März 1933, wenige Wochen nachdem Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, wurde in Dachau ein Konzentrationslager für politische Gefangene errichtet. Es diente als Modell für alle späteren Konzentrationslager und als Schule der Gewalt für die Männer der SS, unter deren Herrschaft es stand. In den zwölf Jahren seines Bestehens waren hier und in den Außenlager über 200.000 Menschen aus ganz Europa inhaftiert. 41.500 wurden ermordet. Am 29. April 1945 befreiten amerikanische Truppen die Überlebenden. So werden durch die KZ-Gedenkstätte Dachau knapp und präzise das Grauen, das vor den Toren Münchens und den Augen ihrer Bürger stattfand, sowie die Befreiung der Überlebenden geschildert. Dieses Jahr wurde der Tag der Befreiung des Lagers und seiner Außenlager zum 68. Mal gefeiert. Über hundert Abb 1: Kranz des BWV-Bayern 1

Delegationen aus über 25 Staaten waren angereist und legten Kränze und Blumen am Internationalen Mahnmal nieder. Und es jährte sich zum 80. Mal die Errichtung dieses unseligen Ortes, Stammhaus und Vorbild des Schreckens für das durch den SS-Staat aufgebaute System der Konzentrationslager, das wie ein Spinnennetz das gesamte damalige Reichsgebiet und danach die eroberten Länder überzog. Daran erinnerte der Vorsitzende des Internationalen Dachau-Komitees, Pieter Dietz de Loos, in seiner Rede an die mehrere hundert Teilnehmer der Feierlichkeiten. Nie wieder!, sagte er, Nie wieder? Dass ich nicht lache!. Und de Loos, dessen Vater das Comité International de Dachau (CID) 1950 und 1955 mit gründete 1, erinnerte an die anhaltenden Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen in vielen Regionen dieser Welt. Auch in Europa sei das Wiederaufleben eines nachgerade offenen Abb 2: Bernd Sibler, StS StMuK; Pieter Dietz de Loose, Président CID; Karl Freller, Direktor StBG Antisemitismus zu erleben. Der latent vorhandene wird darüber hinaus in zahlreichen Umfragen bestätigt. Und auch an die schwierige Situation, unter denen Sinti & Roma, Opfer von damals, heute wieder in Teilen von Europa zu leben hätten. Das ist angesichts des Schicksals ihrer Volkes unerträglich, sagte er, gerade auch weil mit der Gründung und Entwicklung der Europäischen Union so vieles erreicht, großartige Fortschritte in Sachen Demokratie und Menschenrechte gemacht wurden. Erst kürzlich hatte de Loos anlässlich der Schändung der Gedenkstätte Dachau, bei der Davidsterne auf den Gedenktafeln für die Opfer der Shoah zerkratzt und abgerissen wurden, den Vorfall als ein Beweis mehr für den nach wie vor existierenden abscheulichen Antisemitismus bezeichnet. Ist die Welt vor einem neuen NS gefeit? fragte er in seiner Rede. Er gab keine Antwort, aber es war jedem verständlich: Ja, wenn sich die Gesellschaft nicht energisch die weit verbreitete Intoleranz aller Schattierungen bekämpft. Dieses 1 Das erste Internationale Häftlingskomitee nahm noch am Tag der Befreiung in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Armee seine Arbeit im Rahmen der internen Organisation und Auflösung des Lagers auf. 1950 und 1955 wurde es erneut von ehemaligen Häftlingen gegründet. 2

stetige und energische Einsetzten, die Schrecken der Vergangenheit nicht wieder aufstehen zu lassen, ist die eigentliche Motivation für die Erinnerungsarbeit. Wie betrachten die Deutschen ihre Geschichte? Wie kann Deutschland seine Identität wiedergewinnen? Pieter Dietz de Loos stellte klar, dass das Vergebungsrecht allein den Opfern gehöre. Aber Versöhnung mit den Deutschen das ist unsere Aufgabe. Er erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass der Aufbau ersten Widerstands schon in den Anfängen des KZ in Dachau durch zumeist deutsche Häftlinge - vor allem durch inhaftierte Parlamentarier des Weimarer und Bayrischen Parlaments von SPD, KPD, DDP und BVP - erfolgte. Erinnern heiß auch, dem Widerstand tapferer Frauen und Männer in und außerhalb der Lager zu gedenken. In der den offiziellen Reden vorangehenden Gedenkfeier am Grabmal des unbekannten Häftlings hatte unser Ehrenvorsitzender, Dr. h.c. Max Mannheimer, Vizepräsident des CID und Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau, bereits der Politik ins Stammbuch geschrieben, Konsequenzen aus den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds zu ziehen und ein Verbot der NPD entschlossen anzugehen. Organisationen, die die Zerstörung der Demokratie aktiv betreiben, dürfen nicht auch noch durch ebendiese finanziert 2 werden. Er erinnerte daran, dass der Nationalsozialismus in München seinen Anfang nahm. Und dass, während in der Stadt das Oktoberfest auf den nur wenige Kilometer entfernten Wiesen hörbar gefeiert wurde, im nahen Dachau die Häftlinge die Hölle durchlitten. Er rief dazu auf, alles zu tun um dieser verbrecherischer Ideologie dauerhaft den Boden zu entziehen. Als Vertreter der Bayrischen Staatsregierung erinnerte der Kultusstaatssekretär Bernd Sibler in seiner Ansprache auf dem Appellplatz an die Befreiung des KZ durch amerikanische Truppen. Er zitierte aus einem Brief eines US Leutnants, der angesichts der vielen Toten und dem Elend im Lager an seine Familie schrieb: Kann nicht verstehen, was ich hier zu Augen bekommen habe. Dieser Erschütterung, die der junge Soldat erfahren habe, könne sich auch heute niemand entziehen. Bezugnehmend auf den laufenden NSU Prozess und die beschämende NSU-Mordserie Abb 3: Kultusstaatssekretär Bernd Sibler während seiner Rede 2 Über das Parteiengesetz durch die entsprechende Wahlkampffinanzierung 3

stellte er fest, dass Demokratie Erinnerung brauche und wir mit der Erinnerungsarbeit noch lange nicht zu Ende seien. In der Immunisierung gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sowie in der Stärkung des Bewusstseins für die Werte der Demokratie sieht Bernd Sibler einen zentralen Auftrag an Schule, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung. Dabei plädierte er für den Ausbau der bayerischen Gedenkstätten zu Zentren der Erinnerungskultur. Mit einem bewegenden Appell wandte er sich dankend an die ehemaligen Häftlinge, die immer noch zahlreich und aus der ganze Welt nach Dachau gekommen waren und bat sie ihre Aufgabe als Zeitzeugen wahrzunehmen, der Jugend ihre bitteren Erfahrungen nachfühlbar zu machen. Sie hinterlassen Spuren, in unserem Gedächtnis und in unseren Herzen. Umrahmt wurde die Feier durch die feierliche Musik einer Gruppe von Musikern aus der Nähe von Oradour-sur-Glane 3. Dort hatte die Waffen-SS 1944 ein Massaker unter Zivilisten angerichtet. Die Reihen der Überlebenden haben sich stark gelichtet hatte Max Mannheimer konstatiert. Läuft die jährliche Gedenkfeier Gefahr, zu einer Routine für die noch verbleibenden Zeitzeugen, für die offiziellen Gäste und für die organisierten Besucher zu werden und schließlich der Historisierung anheim zu fallen? Auf den ersten Blick und als regelmäßiger Teilnehmer könnte man diesen Eindruck gewinnen. Wenn da nicht einige Zeichen wären, die dagegen sprechen: Zum einen die bewegenden Augenblicke, als die Schicksale von 15 Opfern in ihrer jeweiligen Landessprache vorgetragen wurden. Da lag über dem Appellplatz zwischen den einzelnen Lesungen diese Stille der Betroffenheit und der Beklemmung. Abbildung 4: Dr. h.c. Max Mannheimer (rechts) Und da waren an diesem Sonntagmorgen eine überraschend große Anzahl Jugendli- 3 Die Bluttat im französischen Oradur (Limoges) gilt als eines der schlimmsten Wehrmachts-Verbrechen des 2. Weltkrieges. Fast alle seiner über 600 Einwohner wurden ermordet, der Ort komplett zerstört. Seit 2009 besteht auf Initiative des Direktors der Stiftung Bayrische Gedenkstätten, Karl Freller, eine enge Verbindung zur dortigen Gedenkstätte. Siehe auch http://www.muenchen.info/ba/03/ba_info/erinnerung%20ns/muenchen_im_dritten_reich/gegen_vergessen_gedenk03. pdf 4

cher gekommen. Schülerinnen und Schüler aus Dachau, die mit den Flaggen aller Häftlingsnationen eine belebte Kulisse vor die Tod und Gefangenschaft dokumentierenden Zäune von Dachau bildeten, dazwischen der Bürgermeister von Dachau, der weiße Rosen an sie verteilte. Ebenso in den Delegationen aller Länder und Organisationen mehrheitlich junge Gesichter. Und auf dem Gelände und in der eindrucksvollen Ausstellung der Gedenkstätte zahlreiche Jugendgruppen, viele im Gespräch mit offensichtlich Zeugen jener Zeit. Also keine Routine, kein eingespieltes Ritual, sondern bemerkenswerte Zeichen einer lebendigen Erinnerungskultur. Der Bund Widerstand und Verfolgung nahm übrigens, wie jedes Jahr, mit einer Delegation von Vorstand und Mitgliedern an den Feiern und der Kranzniederlegung teil. Abb 5: Dr. Edith Raim; Robert Hagen; Dr. Ernst Raim; alle BWV-Bayern Die Feier endete mit einem traurigen, hoffnungsvollen Lied: Morgens ziehen die Kolonnen in das Moor zur Arbeit hin. Graben bei dem Brand der Sonne, doch zur Heimat steht der Sinn. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor. Doch für uns gibt es kein Klagen, ewig kann's nicht Winter sein. Einmal werden froh wir sagen: Heimat, du bist wieder mein. Dann zieh n die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten ins Moor! 4 4 Das Moorsoldatenlied wurde 1933 von Häftlingen des Konzentrationslagers Börgermoor bei Papenburg im Emsland geschaffen. 5

Bericht aus dem BWV Bayern Bund Widerstand & Verfolgung Bürgermedaille der Stadt Nürnberg für Bertold Kamm Unserem Ehrenmitglied Bertold Kamm, Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender des BWV-Bayern, ist für seine zahlreichen politischen Verdienste vom Ältestenrat des Nürnberger Stadtrats die Bürgermedaille der Stadt Nürnberg verliehen worden. Ihm und weiteren vier Persönlichkeiten aus Nürnberg wird die Medaille am 16. Juli 2013 feierlich überreicht. Bertold Kamm wurde am 10. Mai 1926 in Schorndorf geboren. Als 18-jähriger Abiturient kam er zum Reicharbeitsdienst nach Salzburg. Er engagierte sich bei der verbotenen katholischen Jugendbewegung Bund Neudeutschland. Nach Aufdeckung seiner Aktivitäten wurde er unter dem Vorwurf des Hoch- und Landesverrat in Gestapohaft genommen. Sie dauerte über drei Monate, von April bis Juni 1944. Ein Einberufungsbefehl als Luftwaffenhelfer rettete ihn schließlich vor weiteren Misshandlungen und einer Verurteilung. Mit seiner Fallschirmjägereinheit geriet er schließlich in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er Ende 1946 zurückkehrte. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte Kamm Rechts- und Sozialwissenschaften in Tübingen Abb 6: Bertold Kamm und Erlangen/Nürnberg. Hier wurde er Mitbegründer einer Gruppe des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, die die schrecklichen Erfahrungen aus der Zeit des Krieges und der NS-Diktatur begannen aufzuarbeiten Auch nach Auflösung dieser studentischen Gruppe blieb Bertold Kamm der Politik treu und er engagierte sich weiter in der SPD, um dort seine Vorstellungen über eine gerechte Sozialpolitik in die Tat umsetzen zu können. Bereits 1966 zog er als Abgeordneter in den bayerischen Landtag ein. Von 1972 bis 1978 war er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion und deren sozialpolitischer Sprecher. 1978 wurde er zum 1. Vizepräsidenten des Bayrischen Landtags gewählt und füllte dieses Amt bis zu seinem Ausscheiden aus dem Landtag am 22. Oktober 1986 aus. Die Stadt Nürnberg stellt in ihrer Würdigung u.a. fest: Gemeinsam mit seiner Frau Ruth leitete Bertold Kamm von 1951 bis 1955 verschiedene Jugendwohnheime der AWO für verhaltensauffällige und milieugeschädigte Jugendliche. 1955 wurde Bertold Kamm Geschäftsführer des AWO-Kreisverbands Nürnberg-Stadt. Bis 1975 entstanden unter seiner Verantwortung zwei Alten- und Pflegeheime, ein Mutter-Kind- Heim, ein Kindergarten und ein Kinderhort. 1978 übernahm er den Vorsitz der bayerischen 6

AWO und trieb in dieser Position den Ausbau der Bildungsangebote für Fachkräfte der Sozialarbeit und Pflege voran. Bertold Kamm wirkte als Dozent an der Hans-Weinberger-Akademie Nürnberg, dem Bildungsinstitut der AWO, und war Lehrbeauftragter an der Staatlichen Fachhochschule Nürnberg. Ehrenamtlich war er Vorstandsmitglied des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsrecht in München. Ob Kinder, Jugendliche, Erwachsene oder alte Menschen Bertold Kamm setzte sich stets für die Verbesserung der Lebensbedingungen derjenigen ein, die aufgrund von sozialer Benachteiligung, Krankheit oder Behinderung einen schweren Stand in der Gesellschaft haben. Dies gilt nicht nur für seinen Wirkungsbereich in der Stadt Nürnberg und in Bayern sondern auch weit darüber hinaus: 1982 gründete Bertold Kamm die Landesarbeitsgemeinschaft Bayern Entwicklungshilfe Mali e.v. In zahlreichen Projekten, die Hilfe zur Selbsthilfe leisten, wurde bis heute vielen Menschen eine Perspektive eröffnet und direkt geholfen. Geprägt von einem politisch engagierten Elternhaus und dem Leid, das er in der NS-Zeit erlebte, war und ist es Bertold Kamm ein großes Anliegen, seine Erfahrungen mit der Unterdrückung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Durch sein soziales Wirken, die unermüdliche ehrenamtliche Einsatzbereitschaft, besonders aber auch durch sein mit großer Ausdauer geführtes Handeln gegen das Vergessen der Gräueltaten der Nationalsozialisten hat sich Bertold Kamm um seine Heimatstadt Nürnberg und deren Bürgerinnen und Bürger verdient gemacht. Bertold Kamm ist Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender des Vereins Bund Widerstand und Verfolgung Bayern e.v. (BWV-Bayern). Dabei hat er sich große Verdienste um die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und die Erinnerungsarbeit erworben. Unermüdlich war er auch als Zeitzeuge für den BWV und für die Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten an zahlreichen Schulen und anderen Bildungseinrichtungen tätig um Aufklärungsarbeit über die deutschen Diktaturen zu betreiben. Der Vorstand des BWV-Bayern gratuliert Bertold Kamm auf das Herzlichste zu dieser herausragenden Auszeichnung und wünscht ihm und seiner Frau alles Gute. Für den Vorstand Dr. Helmut Ritzer Vizepräsident des Bayerischen Landtages a.d. 7