Perspektiven der Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland Jörg Maywald, Bad Boll, 25.1.2009
Gliederung Das neue Bild vom Kind Warum Kinderrechte? Das Kind als Rechtssubjekt Perspektiven für das 21. Jahrhundert
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Das neue Bild vom Kind Rückschritt oder Fortschritt? Das Kind (ist) nun von den Erwachsenen getrennt und wird in einer Art Quarantäne gehalten. ( ) Damit beginnt ein langer Prozess der Einsperrung der Kinder Philippe Ariès (1960). L enfant et la vie familiale sous l ancien régime Die Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum, aus dem wir gerade erst erwachen. Lloyd demause (1974). The History of Childhood
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Warum Kinderrechte? Kinderrechte sind Menschenrechte Kinder sind Menschen Kinder sind keine kleinen Erwachsenen Kinderrechte sind Menschenrechte für Kinder
Warum Kinderrechte? Kinder sind Menschen von Anfang an Das Kind wird nicht erst ein Mensch, es ist schon einer. Janusz Korczak
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Das Kind als Rechtssubjekt Internationale Entwicklungen Ellen Key: Das Jahrhundert des Kindes (1900) (u.a. gleiche Rechte für eheliche und nichteheliche Kinder, Recht auf körperliche Unversehrtheit) Janusz Korczak: Magna Charta Libertatis für das Kind ( Das Recht des Kindes auf Achtung ) Genfer Deklaration des Völkerbundes (1924) (Verpflichtungen der Erwachsenen gegenüber Kindern) Erweiterte Erklärung zu Kinderrechten der Vereinten Nationen (1959) (Kind als Rechtssubjekt, Appell an guten Willen) Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention durch die Vereinten Nationen (20.11.1989) (Kinder als Träger eigener Rechte, Staatenverpflichtungen) Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen (Weltkindergipfel) (2002) (Internationaler Aktionsplan A World fit for Children )
Das Kind als Rechtssubjekt Das Gebäude der Kinderrechte Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 Artikel 3 Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, ( ), ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. Schutzrechte Artikel 2, 8, 9, 16, 17, 19, 22, 30, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38 Förderrechte Artikel 6, 10, 15, 17, 18, 23, 24, 27, 28, 30, 31, 39 Beteiligungsrechte Artikel 12, 13, 17 Artikel 1 Geltung für Kinder; Begriffsbestimmung Artikel 4 Verwirklichung der Kinderrechte Artikel 42 Verpflichtung zur Bekanntmachung Artikel 44 Berichtspflicht an UN-Ausschuss
Das Kind als Rechtssubjekt Vorrang des Kindeswohls Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. (UN-Kinderrechtskonvention Artikel 3, Absatz 1)
Das Kind als Rechtssubjekt Kindeswohl: rechtliche Orientierungen Kindeswohl als allgemeines Prinzip elterlicher und familienrichterlicher Entscheidungen ( 1627 bzw. 1697 a BGB) Kindeswohl als unbestimmter Rechtsbegriff (Verweis auf Erkenntnisse der Medizin- und Sozialwissenschaften) Kindeswohl: nähere Bestimmung Umgang des Kindes mit beiden Eltern ( 1626, Absatz 3 BGB) Körperliches, geistiges und seelisches Wohl ( 1666 BGB)
Das Kind als Rechtssubjekt Kindeswohl: Arbeitsdefinition Wohl des Kindes (best interests of the child) Ein am Wohl des Kindes ausgerichtetes Handeln ist dasjenige, welches die an den Grundbedürfnissen und Grundrechten orientierte, für das Kind jeweils günstigste Handlungsalternative wählt.
Das Kind als Rechtssubjekt Grundbedürfnisse von Kindern Das Bedürfnis nach beständigen liebevollen Beziehungen Das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit, Sicherheit und Regulation Das Bedürfnis nach Erfahrungen, die auf individuelle Unterschiede zugeschnitten sind Das Bedürfnis nach entwicklungsgerechten Erfahrungen Das Bedürfnis nach Grenzen und Strukturen Das Bedürfnis nach stabilen, unterstützenden Gemeinschaften und kultureller Kontinuität Das Bedürfnis nach einer sicheren Zukunft für die Menschheit T. Berry Brazelton und Stanley I. Greenspan 2002
Das Kind als Rechtssubjekt Kindeswohl: Abwägungsgebot Es muss erwogen werden, welche positiven und negativen Implikationen eine anstehende Entscheidung für ein Kind hat. (1. Verfahrensschritt) Die auf das Kindeswohl bezogenen Erwägungen müssen in hohem Maße berücksichtigt werden. (2. Verfahrensschritt)
Das Kind als Rechtssubjekt Elternrecht und Kinderrecht Elternrecht heißt vor allem Elternverantwortung. Diese Verantwortung beinhaltet das Recht und die Pflicht der Eltern, das Kind bei der Ausübung seiner anerkannten Rechte in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise angemessen zu leiten und zu führen. Artikel 5 UN-Kinderrechtskonvention
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Perspektiven für das 21. Jahrhundert Mega-Trends Verlängerung der Lebenszeit (aber: neue Morbidität und Umweltgefährdung) Akzeleration (Beschleunigung körperlicher und geistiger Entwicklung) Zivilisierung (Wandel der Affekt- und Kontrollstrukturen) Globalisierung (Migration, globale Regulierungen usw.) Wandel von der postfigurativen zur präfigurativen Kultur
Perspektiven für das 21. Jahrhundert Fachliche Maßnahmen Kinder über ihre Rechte informieren (Familie, Kita, Schule, Freizeiteinrichtungen, Jugendhilfe) Eltern und Fachkräfte bilden und unterstützen (Familienbildung, Aus- und Fortbildung) Orientierung an Kinderrechten als Teil der Werteerziehung Kinderrechte in die Einrichtungen für Kinder tragen (Leitbild, Konzept, Beschwerdemanagement, Projekttage Kinderrechte) Alle Programme für Kinder und mit Kindern an den Kinderrechten orientieren (Child Rights based Approach)
Perspektiven für das 21. Jahrhundert Prinzipien des Kinderrechteansatzes Das Prinzip der Unteilbarkeit der Rechte (ganzheitlicher Ansatz; alle Rechte sind gleich wichtig) Das Prinzip der Universalität der Rechte (alle Kinder haben gleiche Rechte) Die vier allgemeinen Prinzipien der Kinderrechtskonvention - Das Recht auf Nicht-Diskriminierung (Artikel 2) - Der Vorrang des Kindeswohls (Artikel 3) - Das Recht auf Leben und bestmögliche Entwicklung (Artikel 6) - Berücksichtigung des Kindeswillens (Artikel 12) Das Prinzip der Kinder als Träger eigener Rechte Das Prinzip der Verantwortungsträger (Familie, Gesellschaft und Politik tragen Verantwortung für die Verwirklichung der Kinderrechte) Quelle: International Save the Children Alliance: Child Rights Programming, London 2002
Perspektiven für das 21. Jahrhundert Von den Bedürfnissen zu den Rechten (1) Bedürfnis-Ansatz Private Wohltätigkeit Freiwilligkeit Wohlfahrt, Almosen, Wohltätigkeit an Symptomen orientiert Hierarchie der Bedürfnisse Bedürfnisse sind je nach Situation verschieden Bereitstellung von Diensten Festlegung von Bedürfnissen ist subjektiv Kurzzeitperspektive (Stopfen von Löchern) Rechte-Ansatz Öffentliche Verpflichtung Verbindlichkeit gesetzlicher Anspruch: Gleichheit, Gerechtigkeit an Ursachen orientiert Unteilbarkeit der Rechte Rechte sind universell Einforderung von Rechten Rechte basieren auf internationalen Standards Langzeitperspektive
Perspektiven für das 21. Jahrhundert Von den Bedürfnissen zu den Rechten (2) Bedürfnis-Ansatz Kinder erhalten Hilfe Spezifische Projekte mit spezifischen Zielgruppen Kinder können sich beteiligen, um Angebote zu verbessern aufgrund knapper Mittel bleiben manche Kinder außen vor jeder Arbeitsbereich hat sein eigenes Ziel bestimmte Gruppen verfügen über technische Fertigkeiten, mit Kindern umzugehen Rechte-Ansatz Kinder haben Anspruch auf Hilfe ganzheitlicher Ansatz Kinder haben ein Recht auf aktive Beteiligung alle Kinder haben das Recht, ihre Potentiale auszuschöpfen es existiert ein übergreifendes Ziel alle Erwachsenen (und Kinder) tragen dazu bei, die Rechte von Kindern umzusetzen
Perspektiven für das 21. Jahrhundert Rechtliche Reformschritte Weiterentwicklung des Sozialrechts im Sinne einer Stärkung der Kinder und ihrer Rechte (Kinder als Anspruchsberechtigte von Hilfen) Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz Einführung eines Wahlrechts von Geburt an Etablierung eines Individualbeschwerderechts auf internationaler Ebene
Perspektiven für das 21. Jahrhundert Politische Initiativen Rücknahme der Vorbehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention Kindergerechtigkeitsprüfung bei allen legislativen und administrativen Maßnahmen Fortschreibung des Nationalen Aktionsplans Für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010 Einführung eines Systems des Monitoring der UN-Kinderrechtskonvention (u. a. Gründung einer Nationalen Konferenz für die Rechte des Kindes)
Perspektiven für das 21. Jahrhundert Eigenwert des Kindes An unserer Neigung, Unreife als bloßen Mangel aufzufassen, und Wachstum als etwas, was die Lücke zwischen Unreife und Reife ausfüllt, ist die Tatsache schuld, dass wir den Zustand der Kindheit vergleichend, nicht an sich betrachten. Wir behandeln ihn einfach als mangelhaft, weil wir ihn an der Erwachsenheit als dem festen Maß messen. Das lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Dinge und Eigenschaften, die das Kind nicht hat und nicht haben wird, bis es erwachsen sein wird. Wenn wir den Versuch aufgeben, den Begriff der Unreife durch Vergleich mit den Leistungen Erwachsener zu definieren, müssen wir anerkennen, dass Unreife nicht in einem Fehlen wünschenswerter Züge besteht. (...) Wenn Leben identisch ist mit Wachstum, so lebt ein Geschöpf in einem Stadium seines Lebens genauso wirklich wie in einem anderen, mit der gleichen inneren Fülle und den gleichen Ansprüchen auf Absolutheit. John Dewey, Demokratie und Erziehung