Stuttgart/Filderstadt, 5.11.2015 DIN-AKADEMIE JAHRESTAGUNG MASCHINENRICHTLINIE WER HAFTET BEI UNFÄLLEN MIT FEHLERHAFTEN PRODUKTEN? 25 JAHRE PRODUKTHAFTUNGSGESETZ Rechtsanwältin Dr. Susanne Wende, LL.M.
Produkthaftung Einstieg: Die Abschälmaschine Herr X Angestellter einer Raumausstattungsfirma arbeitete mit der von Produzent Y hergestellten Abschälmaschine, die das Ablösen von auf Doppelbodenplatten verlegten Belägen ermöglicht. Dabei versuchte er, eine Platte durch manuellen Druck in die Einzugsrolle hinein zu bekommen und geriet dabei mit den Fingern selbst in die Einzugsrolle. Durch den Anpressdruck wurden die Finger der rechten Hand gebrochen. Die Einzugsrollen sowie das Schälmesser verfügten zu dieser Zeit noch über keinerlei Abdeckung oder Verkleidung. Die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Betriebsanleitung der Maschine hatte unter anderem folgenden Inhalt: "Verklemmt sich eine Platte während des Abschälvorgangs unter dem Messer, Maschine sofort still setzen (Not-Aus). Maschine auf Handbetrieb schalten, mit Schlüsselschalter Messerlift hochnehmen und Platte entnehmen. Maschine in Grundstellung fahren. "Sicherheitshinweise: Betätigen Sie bei jeder Unregelmäßigkeit während des Abschälens sofort den Not- Aus-Schalter. Dieser setzt die Maschine sofort still. Greifen Sie niemals in die laufende Maschine! Quetschgefahr! Nach dem Unfall wurde die Maschine von der Beklagten mit einer großen Klappe nachgerüstet, welche herunter geklappt, Einzug und Messer abdeckt. Zum manuellen Nachdrücken müsste die Klappe nunmehr geöffnet werden, Das Öffnen wiederum schaltet die Maschine jedoch automatisch stromlos. Eine solche Nachrüstung hatte die Beklagte nach dem Unfall allen Käufern dieses Maschinentyps angeboten. 2
Drei Säulen des Produktrechts behördliches Produktsicherheitsrecht (z.b. ProdSG; 9. ProdSV) (Maßstab ist 1:1-Einhaltung des geschriebenen Rechts) zivilrechtliche Produzenten- und Produkthaftung (Maßstab ist Einhaltung des neuesten Stands der Wissenschaft und Technik) Minimum strafrechtliche Produkthaftung (Maßstab ist Einhaltung des neuesten Stands der Wissenschaft und Technik) 3
D a t e - C l i c k V i e w / H e a d e r a n d F o o t e r t o e d i t Rechtsbeziehungen rund um die Produkthaftung Vertrag Vertrag Hersteller Händler Benutzer - Vertragsrecht - Produkthaftung - Vertragsrecht - Produkthaftung =Handelskette - Produkthaftung 4
Produkthaftung: Innenverhältnis / Außenverhältnis Hersteller 1 Endkunde Bystander Hersteller 2 Hersteller 3 Gesamtschuldner Alle für den Produktfehler Verantwortlichen haften im Außenverhältnis auf den vollen Schadensersatz. 55
Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem Produkthaftungsgesetz Inverkehrbringen eines Produktes sicherheitsrelevanter Produktfehler Verletzung/Schaden Kausalität des Produktfehlers für den Schaden 6
Verjährung eines Anspruchs nach dem Produkthaftungsgesetz Verjährung: 3 Jahre nach dem Zeitpunkt der Kenntnis oder des Kennenmüssens des Schadens, des Produktfehlers und des Ersatzpflichtigen Erlöschen: 10 Jahre nach Inverkehrbringen des konkreten Produktes 7
Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) 1 Abs. 1 ProdHaftG: Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. 8
Produkthaftungsgesetz Wofür wird gehaftet? Personenschaden Sachschaden Heil- und Behandlungskosten Andere Sache Verdienstausfall Schmerzensgeld Schaden Für den privaten Geoder Verbrauch bestimmt und hauptsächlich hierzu verwendet Selbstbehalt: 500 EUR 9
Produkthaftungsgesetz Wer haftet? Hersteller tatsächlicher Hersteller Quasi-Hersteller Importeur Einführer in den EWR-Raum Händler Wenn er den Hersteller nicht benennt 10
Produkthaftungsgesetz Wer ist Hersteller? Tatsächlicher Hersteller Jede natürliche oder juristische Person, die ein Produkt herstellt oder entwickeln oder herstellen lässt und dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet Hersteller Quasi-Hersteller Jede natürliche oder juristische Person, die sich durch das Anbringen seines Namens, seiner Marke oder eines anderen unterscheidungskräftiges Kennzeichens als Hersteller ausgibt 11
Produkthaftungsgesetz Produktfehler Ein Produkt ist gem. 3 ProdHaftG fehlerhaft wenn es nicht diejenige Sicherheit bietet, die von ihm berechtigterweise erwartet werden kann. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen: Darbietung billigerweise zu erwartender Gebrauch Sicherheitserwartung eines durchschnittlichen Adressaten Zeitpunkt des Inverkehrbringens bestimmungsgemäße Verwendung und vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung 12
Produkthaftungsgesetz Fehlerkategorien Konstruktionsfehler Fabrikationsfehler Instruktionsfehler Fehler im Schaltplan Designfehler Falsche Spezifikation für Zulieferteile schwache Lötstelle Robotik-Panne Zulieferer-Fehler QM + QS etc. Technische Redaktion Betriebsanleitung Warn- und Hinweispflichten Merkmal: Betroffenheit der gesamten Serie Merkmal: Betroffenheit einer Produktionscharge Merkmal: Betroffenheit der gesamten Serie; kein Konstruktionsfehler Grundsatz: Keine Flucht in die Instruktion! 13
Produkthaftungsgesetz Produktfehler Maßstab: aktueller Stand von Wissenschaft und Technik BGH, NJW 2009, 2952 - Airbag: Die Möglichkeit der Gefahrvermeidung ist gegeben, wenn nach gesichertem Fachwissen de r einschlägigen Fachkreise praktisch einsatzfähige Lösungen zur Verfügung stehen (Serienreife). Der Hersteller ist dagegen nicht dazu verpflichtet, solche Sicherheitskonzepte umzusetzen, die bisher nur auf dem Reißbrett erarbeitet oder noch in der Erprobung befindlich sind. Bei erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen sind dem Hersteller weitergehende Maßnahmen zumutbar als in Fällen, in denen nur Eigentums- oder Besitzstörungen oder aber nur kleinere körperliche Beeinträchtigungen zu befürchten sind. Maßgeblich für die Zumutbarkeit sind darüber hinaus die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sicherungsmaßnahme, im Rahmen derer insbesondere die Verbrauchergewohnheiten, die Produktionskosten, die Absatzchancen für ein entsprechend verändertes Produkt sowie die Kosten-Nutzen- Relation. öffentliches Produktsicherheitsrecht (MaschinenRL) nur ein Mindeststandard 14
Vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung Auswirkungen der Betriebsanleitung Sorgfältig erstellte Bedienungsanleitung kann vorhersehbare Fehlanwendung einschränken: BGH: Die berechtigte Sicherheitserwartung geht grundsätzlich nur dahin, dass von einem Produkt bei vorhersehbarer üblicher Verwendung unter Beachtung der Gebrauchs- bzw. Installationsanleitung keine erheblichen Gefahren für Leib und Leben der Nutzer oder unbeteiligter Dritter ausgehen, das Produkt also so konzipiert ist, dass es unter Beachtung der Installations- und Gebrauchsanleitung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch oder vorhersehbarem Fehlgebrauch gefahrlos benutzt werden kann. (BGH, Urt. v. 5. 2. 2013, Az: VI ZR 1/12 Heißwasseruntertischgerät) Defizite der Bedienungsanleitung können zu sehr weiter Auslegung der vorhersehbaren Fehlanwendung führen (OLG Nürnberg, Urt. v. 20.5.2014, Az: 4 U 206/14 Mountainbike) 15
Produkthaftungsgesetz kein Verschulden erforderlich Ein Verschulden ist nicht erforderlich Es handelt sich um eine sog. Gefährdungshaftung, nicht an die schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht anknüpft, sondern allein an die von dem Produktvertrieb ausgehenden Gefährdungen Deshalb erstreckt sich die Haftung nach dem ProdHaftG auch auf Ausreißer im Fertigungsprozess 16
Produkthaftungsgesetz Ausnahmen von der Haftung 1 Abs. 2 ProdHaftG Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat, nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte, er das Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck hergestellt noch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat, der Fehler darauf beruht, dass das Produkt in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller es in den Verkehr brachte, dazu zwingenden Rechtsvorschriften entsprochen hat, oder der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte (Entwicklungsfehler). 17
Produkthaftungsgesetz Ausnahmen von der Haftung für Zulieferer 1 Abs. 3 ProdHaftG Die Ersatzpflicht des Herstellers eines Teilprodukts ist ferner ausgeschlossen, wenn der Fehler durch die Konstruktion des Produkts, in welches das Teilprodukt eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitungen des Herstellers des Produkts verursacht worden ist. 18
Der Einstiegsfall: Abschälmaschine LG Düsseldorf, 30.11.2005 Herr X Angestellter einer Raumausstattungsfirma arbeitete mit der von Produzent Y hergestellten Abschälmaschine, die das Ablösen von auf Doppelbodenplatten verlegten Belägen ermöglicht. Dabei versuchte er, eine Platte durch manuellen Druck in die Einzugsrolle hinein zu bekommen und geriet dabei mit den Fingern selbst in die Einzugsrolle. Durch den Anpressdruck wurden die Finger der rechten Hand gebrochen. Die Einzugsrollen sowie das Schälmesser verfügten zu dieser Zeit noch über keinerlei Abdeckung oder Verkleidung. Die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Betriebsanleitung der Maschine hatte unter anderem folgenden Inhalt: "Verklemmt sich eine Platte während des Abschälvorgangs unter dem Messer, Maschine sofort still setzen (Not-Aus). Maschine auf Handbetrieb schalten, mit Schlüsselschalter Messerlift hochnehmen und Platte entnehmen. Maschine in Grundstellung fahren. "Sicherheitshinweise: Betätigen Sie bei jeder Unregelmäßigkeit während des Abschälens sofort den Not- Aus-Schalter. Dieser setzt die Maschine sofort still. Greifen Sie niemals in die laufende Maschine! Quetschgefahr! Nach dem Unfall wurde die Maschine von der Beklagten mit einer großen Klappe nachgerüstet, welche herunter geklappt, Einzug und Messer abdeckt. Zum manuellen Nachdrücken müsste die Klappe nunmehr geöffnet werden, Das Öffnen wiederum schaltet die Maschine jedoch automatisch stromlos. Eine solche Nachrüstung hatte die Beklagte nach dem Unfall allen Käufern dieses Maschinentyps angeboten. 19
Abschälmaschine LG Düsseldorf, 30.11.2005 (Az. 10 O 144/04) Aus den Urteilsgründen: fehlende Abdeckung der Einzugsrollen und Messer = Konstruktionsfehler 20 MaschinenRL Anhang I Ziffer 1.3.7: Die beweglichen Teile der Maschine müssen so konstruiert und gebaut sein, dass Unfallrisiken durch Berühren dieser Teile verhindert sind; falls Risiken dennoch bestehen, müssen die beweglichen Teile mit trennenden oder nichttrennenden Schutzeinrichtungen ausgestattet sein. Hineingreifen gehört zur vorhersehbaren Fehlanwendung: Einzugsrollen liegen offen, so dass Gefahr des Hineingelangens jederzeit besteht In der Betriebsanleitung wird ausdrücklich vor einer Quetschgefahr bei Hineingreifen in die Maschine in Zusammenhang mit Funktionsstörungen gewarnt Mitverschulden des Herrn X (1/3) Quetschungsgefahr sichtbar, da Einzugsrolle offen Hinweis auf Quetschungsgefahr in der Betriebsanleitung: Um sich selbst vor Schaden zu bewahren, ist jeder Benutzer einer Maschine zur sorgfältigen Lektüre der Gebrauchsanweisung und Warnhinweise gehalten.
Noch ein Fall: Knetermaschine In der Maschine war der Kunststoff erkaltet und hatte den Kneter verklebt, der sich dadurch nicht öffnen ließ. Statt die Maschine gemäß der diesbezüglichen Bestimmung der Betriebsanleitung mit für solche Fälle vorgesehenen und vom Hersteller mitgelieferten Abdrückschrauben zu öffnen, erhitzte Mitarbeiter K den Kunststoff in der Maschine und versuchte dann, die Gehäusehälften mit der Hydraulik, die zum Öffnungs- und Schließmechanismus für den Normalbetrieb gehört, zu öffnen. Dabei entstand ein zunehmender Druck bis zu 350 bar. Nachdem sich zumindest eine Gehäusehälfte durch Betätigen des Hydraulikhebels nicht öffnen ließ, stieg der Kläger auf die Maschine, um nachzusehen. Dabei sprang die Gehäusehälfte nach Abriss von zwei durch den entstandenen Druck überlasteten Halteschrauben am Gabelkopf auf, klappte um 110 Grad statt der beim ordnungsgemäßen Betrieb vorgesehenen 45 Grad ab und quetschte dem Kläger das linke Bein. Der Kläger trug dadurch erhebliche und andauernde körperliche Beeinträchtigungen davon. Die Betriebsanleitung enthielt folgende Hinweise: Vorgehen bei verklebtem Kneter: [ ] Die Gehäusehälften müssen dann mit den mitgelieferten Abdrückschrauben durch die vorgesehenen Bohrungen gelöst werden. [ ] 21 Verletzungsgefahr; primär Quetsch-, Schergefahr von Fingern, Händen, Armen! Beim Aufklappen der Gehäuse entstehen im Neigungsbereich der Gehäusehälften große Druck- und Scherkräfte. Während des Öffnens der Kneterhälften dürfen keine weiteren Personen am Kneter arbeiten oder sich im Neigungsbereich der Gehäusehälften aufhalten!
Konstruktionsfehler Instruktionsfehler Grundsatz der Integration der Sicherheit EU-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, Anhang I 22
Konstruktionspflicht Instruktionspflicht 3-Stufen-Methode EU-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, Anhang I 23
Knetermaschine, OLG Koblenz, Urt. v. 29.08.2005, Az: 12 U 538/04 Aus den Urteilsgründen: Kein Konstruktionsfehler: Ein Fehler, der sich bei ordnungsgemäßer Bedienung im Sinne des Unfallereignisses ausgewirkt hätte, ist nicht ersichtlich: Die Maschine ist nicht für einen Druck von 350 bar ausgelegt. Ein solcher Druck kann bei ordnungsgemäßer Benutzung auch nicht entstehen. Die von K gewählte Vorgehensweise ist kein Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden konnte, da in der Betriebsanleitung eindeutig das Vorgehen bei verklebter Knetermaschine beschrieben ist. Die Maschine muss konstruktiv nicht einem groben Bedienungsfehler standhalten. Kein Instruktionsfehler: Die Vorgehensweise in der Bedienungsanleitung war zwingend vorgeschrieben und hätte den Schadensablauf verhindert. Auf die drohenden Gefahren ist ausreichend deutlich hingewiesen worden. Der Gefahrenhinweis bezieht sich zwar auf den Normalbetrieb, aber für Fachpersonal war im Kontext erkennbar, dass sich die Scherkräfte bei Druckerhöhung noch erheblich vergrößern müssen. 24
Zusammenfassung Ansätze zur Minimierung von Produkthaftungsrisiken 1 Stetes Überprüfen des eigenen QS-Managements 2 Besondere Aufmerksamkeit bei Auswahl von Zulieferern, Spezifikationen und QSV 3 Besondere Aufmerksamkeit bei der Erstellung der Betriebsanleitung 4 Überprüfen des eigenen Rückrufmanagements 5 Einhaltung technischer Normen allein schützt nicht vor Produkthaftung 25
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. Susanne Wende, LL.M. Rechtsanwältin Lehrbeauftragte an der Technischen Universität Berlin Noerr LLP Brienner Straße 28 80333 München T +49 89 28628105 susanne.wende@noerr.com 26
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