Beispiel 11 (Ökonomie des Islam)



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Transkript:

1 Beispiel 11 (Ökonomie des Islam) Quelle: Bassam Tibi, Wirtschaft und Kultur im Islam, Warum sind die Muslime ökonomisch zurückgeblieben? Die militärische Revolution des Westens und der Erfolg der Orthodoxie im Kampf gegen Rationalität und Berechenbarkeit, Süddeutsche Zeitung, Montag, 24. Dezember 2001, Seite 27 Die Welt des Islam umfasst heute 1,5 Milliarden Muslime. 56 Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit gehören der Organisation der islamischen Konferenz an. In der Weltwirtschaft aber stehen die Muslime trotz ihres demographischen und politischen Gewichts am Rande. Unter den 56 islamischen Staaten exportiert allein Malaysia Industriegüter, alle anderen sind wirtschaftlich unterentwickelt. Warum ist das so? Auf die Frage gibt es zwei entgegengesetzte Antworten. Während die verbreitete Meinung im Westen Islam und Rückständigkeit aufeinander bezieht, erklären sich die Muslime ihr wirtschaftliches Elend alleine mit der Dominanz des Westens. Wer hat Recht in der Debatte? Richtig ist, dass eine allgemeine Deutung des historischen Befundes möglich ist, aber auch ihre Grenzen hat. Die Welt des Islam zeichnen Einheit und Vielfalt aus. Richtig ist auch, dass die islamische Zivilisation bessere Tage hat, weshalb es schlicht falsch ist, die Rückständigkeit der Muslime auf den Islam zurückzuführen. Für Europa bedeutete das Mittelalter Rückständigkeit, Ignoranz und Dunkelheit. Die islamische Zivilisation rangierte damals an erster Stelle; sie hatte eine prosperierende Wirtschaft, die weite Teile Asiens und Afrikas bis hin nach Spanien umfasste, wenngleich es damals noch keine Weltwirtschaft gab. Der angesehenste Historiker der islamischen Zivilisation, Marshal Hodgson, schreibt in seiner Islamgeschichte: Ein Besucher vom Mars könnte im 16. Jahrhundert unserer Zeit beim Besuch der Erde durchaus angenommen haben, dass die Menschheit im Begriff war, muslimisch zu werden. Diesem Urteil hätte er nicht nur die Tatsache der strategischen und politischen Überlegenheit der Muslime zugrunde gelegt, sondern auch die Vitalität ihrer Kultur im allgemeinen. Die Djihad-Expansion Trotzdem besteht in der westlichen, und besonders in der deutschen Geschichtsschreibung die Neigung, die Europäer höher als die nicht- westlichen Völker einzustufen. Diese Sicht gilt es zu revidieren, denn die islamische Zivilisation war vom 9. und bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts die entwickeltste der Welt: Auf die Religionsstiftung im 7. Jahrhundert folgte das islamische Welteroberungsprojekt, aus dem die islamische Zivilisation hervorgegangen ist. Vom 9. Jahrhundert an wendeten sich die Muslime von der Djihad- Expansion ab und der inneren Entfaltung ihrer Zivilisation zu. Die Hellenisierung des Islam und das Aufblühen von Wirtschaft und Handel, trugen zur Entstehung eines islamischen Rationalismus bei. Eine islamische Aufklärung entwickelte sich. Diese gute Zeit ging spätestens mit dem 17. Jahrhundert zu Ende. Warum dieser Bruch? Zunächst gibt es unzweifelhaft eine zeitliche Parallelität zwischen dem Aufstieg des Westens und dem Niedergang der islamischen Zivilisation. Bedeutet dies, dass beides auch kausal zusammenhängt? Muslime unterstellen dies. Wir wissen aus der Arbeit westlicher Historiker, vor allem von Geoffrey Parker, dass die Entstehung des Westens als neue Zivilisation in die Zeit zwischen 1500 und 1800 fiel. Hierzu gehörte die militärische Revolution auf der Basis neuer Waffen, die Parker mit der Entstehung des Westens gleichsetzt. In diese Zeit fällt die Expansion Europas, die wir heute Globalisierung nennen.

2 Auch die islamische Zivilisation strebte eine Globalisierung an. Es war die Vision des Islam, als Religion und Zivilisation das eigene Gebiet, das Dar al-islam (Haus des Islam) auf die gesamte Welt zu erweitern. Diese Vision leitete die Handlungen der Muslime seit dem 7. Jahrhundert. Doch mussten sie diesen Platz seit Ende des 16. Jahrhunderts verstärkt für den Westen räumen, der ein technisch-wissenschaftlich überlegenes Globalisierungsprojekt in Gang setzte. Dies bleibt eine Wunde in der muslimischen Kollektiv-Seele. Muslime argumentieren noch heute, der Westen habe ihnen ihren Platz an der Sonne mit Gewalt weggenommen; hierauf geht die anti-westliche Orientierung in der islamischen Welt zurück. Selbst vor den Toren des Dar al-islam hat die europäische Expansion keinen Halt gemacht, ja sie hat diese Welt in die Domäne ihrer Kolonialdominanz mit einbezogen. Aber ist dies auch die Ursache dafür, dass Muslime heute ökonomisch rückständig sind? In der Zeit von Karl dem Großen bis zur Renaissance hat der Islam besser abgeschnitten als das Abendland. Trotzdem gelang dem Islam mit seiner damals überlegenen Wirtschaft nicht der Sprung zur Globalisierung. Die Frage nach den Ursachen ist noch immer nicht beantwortet; besonders durch die Ereignisse um den 11. September ist sie wieder brennend aktuell. Es gilt die Deutung, dass die vom Westen ausgehende Globalisierung der Hintergrund des Terrorakts sei. Als rational denkender Reform-Muslim, der in der Spannung zwischen westlicher und islamischer Zivilisation lebt, bin ich fest davon überzeugt, dass die hier angeführte zivilisationshistorische Dimension uns hilft, den Anschlag vom 11. September besser zu verstehen. Dieser war mehr als nur Terrorismus. Schon nach der Auflösung der islamischen Ordnung mit dem Ende des Osmanischen Reiches 1924 hat in den dreißiger Jahren der islamische Erneuerer Schakib Arslan sich die Frage im Titel eines Buches gestellt: Warum sind die Muslime heute rückständig, während andere sich vorwärts bewegt haben? Arslans Antwort ähnelt jener, die sich viele Muslime nach der erschütternden Niederlage im Sechs-Tage-Krieg 1967 gaben: Weil wir uns vom Islam wegbewegt haben. Demnach heißt das Allheilmittel: Al-Islam huwa al-hall (Der Islam ist die Lösung). Damit kann man allerdings ebenso wenig die Wirtschaftsentwicklung erklären wie mit dem anderen Extrem, dem Hinweis auf die Überlegenheit des Westens. In der Schule in Damaskus lernte ich wie meine Generation einen weiteren Erklärungsversuch: Die Kreuzzüge seien schuld am Niedergang der islamischen Zivilisation. Seither habe der Westen versucht, die Muslime unten zu halten so denken viele Muslime. Diese kreuzzüglerische Strategie reiche von der Eroberung Jerusalems im Jahr 1099 bis zum 8. Kreuzzug gegen den Irak" im Jahr 1991 so heißt ein Bestseller des ägyptischen Generals und Helden aus dem Oktoberkrieg von 1973, Saalduldin al-schadli. Der neue Krieg gegen Bin Laden wird ebenfalls hier eingeordnet. Es war ein grober Fehler von Präsident George W. Bush, ohne Kenntnis der christlich-islamischen Geschichte von einem Kreuzzug gegen Bin Laden zu sprechen. Am nächsten Tag war dies die Schlagzeile der islamischen Presse und ist unauslöschbar in das islamische Kollektivgedächtnis eingegangen. Die von Präsident Bush beabsichtigte Korrektur durch den respektvollen Besuch der Großmoschee in Washington am nächsten Tag und sein Lob des Islam als great faith haben viele Muslime gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Haften blieb die Androhung des Kreuzzugs. Wie auch immer, die Erklärung der wirtschaftlichen Rückständigkeit der Muslime mit den

3 Kreuzzügen ist historisch falsch. In jener Zeit gab es weder eine westliche Zivilisation noch eine Globalisierung. Die religiösen Eiferer wollten Jerusalem erobern und hatten keine Vision von einer globalisierten Welt, wie sie die Muslime seit dem 7. Jahrhundert betrieben. Der Wettstreit findet nicht zwischen den Religionen Islam und Christentum, sondern zwischen dem Westen und der islamischen Zivilisation statt, zwischen zwei rivalisierenden Globalisierungsprojekten. Das Zinsverbot Ich korrigiere hier falsche Deutungen, aber ich maße mir nicht an, die gestellte Frage autoritativ zu beantworten. Der große jüdisch- französische Islamologe Maxime Rodinson hat sich die hier formulierten Fragen in seinem großen Werk Islam und Kapitalismus gestellt. Er sieht eine Erklärung in der Unfähigkeit der islamischen Zivilisation, ihr Wirtschaftssystem vom Handel, also der Merkantilwirtschaft zur Manufaktur weiterzuentwickeln. Doch gleich fügt er hinzu, dass es falsch sei, diese Unfähigkeit dem Islam selbst zuzuschieben. Oft wird behauptet, der Islam lasse keine modernen Wirtschaftsformen zu; als Beispiel wird das Zinsverbot im Islam angeführt. Rodinson zeigt, dass die islamische Weltanschauung viele wirtschaftsfeindliche Verbote kenne, zugleich aber Wege zu deren legaler Umgehung. So wurde in der islamischen Wirtschaftsgeschichte der religiös strikt verbotene Zins auf Umwegen doch erhoben. Rodinson spricht vom Islam daher als einer ideologischen Gesellschaft. Damit meint er die Praxis, durch die Hintertür das zu erlauben, was die religiöse Doktrin verbietet. So erlaubte die klassische islamische Wirtschaft Riba (Zins) unter anderem Namen und mit anderen Methoden zu erheben. Obwohl ich zu Rodinsons Interpretation des Verhältnisses von Religion, Kultur und Wirtschaft neige, bin ich mir der Grenzen seiner Deutung bewusst. Einerseits lehne ich das Junktim okzidental und rational ab. Im Islam hat es zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert eine rationalistische Philosophie gegeben. Andererseits kann ich einen Zusammenhang zwischen moderner Wirtschaft, Rationalität und Berechenbarkeit nicht verleugnen. Ich meine lediglich, dass Rationalismus kein Monopol des Westens ist. Es gab den Rationalismus der islamischen Aufklärung von al-farabi im 9. Jahrhundert bis Ibn Ruschd (Averroës) im 12. Jahrhundert. Doch war diese Strömung der islamischen Orthodoxie nie willkommen. Beim inner-islamischen Wettkampf zwischen Fiqh- Orthodoxie und den islamischen Hellenisten des Mittelalters galt die Maxime: Man tamantaqa tazandaqa ( Wer sich auf die Logik einlässt, wird ein Häretiker ). Schließlich siegte die Orthodoxie über die Rationalisten. Der Bildungshistoriker George Makdisi hat gezeigt, wie die Orthodoxie mit allen Mitteln die Aufnahme der rationalen Wissenschaften in das Curriculum der islamischen Medressen (Hochschulen) blockiert hat. Dies hat entscheidend verhindert, dass Rationalität und Berechenbarkeit von Wirtschaft und Gesellschaft institutionalisiert wurden. Wirtschafts- und Sozialgeschichte hat bisher kaum islamische Historiker angezogen. Die meisten Wirtschaftshistoriker, die sich mit dem Islam befassen, sind jüdische Gelehrte; sie haben fast nur Positives über das Thema zu berichten. Der israelische Politikwissenschaftler und Philosoph Schlomo Avineri fragte einmal, ob die weitgehend positive Darstellung von Wirtschaft und Gesellschaft im Islam durch jüdische Gelehrte nicht doch der eigenen Aufwertung in einer vorwiegend antisemitischen europäischen Umwelt gedient habe. Der Islam bot den Juden seine

4 Toleranz. Tatsache ist: Die wichtigsten wirtschafts- und sozialhistorischen Forschungen über die islamische Zivilisation stammen aus der Feder jüdischer Gelehrter. Der Historiker Martin Kramer von der Universität Tel Aviv spricht von der jüdischen Entdeckung des Islam. Aber auch diese Historiker geben keine befriedigende Antwort. Warten auf den Imam Gewiss waren es weder die Kreuzzüge noch die Religion, die die islamische Zivilisation an der Entwicklung eines modernen Wirtschaftssystems gehindert haben. Der Aufstieg des Westens mit seiner modernen Wissenschaft und Technologie hat eine Rolle beim Niedergang der islamischen Zivilisation gespielt; dies darf aber nicht von den innerislamischen Ursachen ablenken. Dazu gehören innere Kämpfe und Fragmentation, die die islamische Zivilisation zum Stillstand, dann zum Niedergang brachten. Der Islam lehrt, dass die Umma-Gemeinde nur einen Imam haben darf, und dieser heißt Kalif oder besser Amir al-muminin (Oberhaupt der Gläubigen). Im 10. Jahrhundert hatten die Muslime drei einander bekämpfende Kalifen, einen in Bagdad, einen in Kairo und schließlich einen dritten in Cordoba. Der einzige Muslim, der heute den Kalifentitel beansprucht, Metin Kaplan, sitzt wegen Aufrufs zum Mord im Gefängnis in Köln. Der andere Muslim, der sich Oberhaupt der Gläubigen nennt, Muhammed Omar, ist zusammen mit den Taliban untergegangen. Und wieder war es der Westen, der daran schuld ist! Nein, wir benötigen andere Deutungen für die islamische Wirtschaftsgeschichte, die über antiwestliche Schuldzuweisungen hinausgehen sie fehlen uns noch. Bassam Tibi ist Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen und Autor zahlreicher Bücher über den Islam, darunter: Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche Welt und Der wahre Imam. Der Islam von Mohammed bis zur Gegenwart.

Beispiel 11 (Der erste Ökonom des Islam: Ibn Khaldun) Quelle: Nikolaus Pieper, Der erste Ökonom des Islam: Ibn Khaldun entwarf eine Theorie der Wirtschaftsentwicklung. Süddeutsche Zeitung, Montag, 24. Dezember 2001, Seite 27 5 Wahrscheinlich wäre Ibn Khaldun nie auf die Idee gekommen, sich selbst einen Ökonomen zu nennen, auch wenn er wohl den Begriff selbst aus der griechischen Literatur kannte. Der im Jahre 1332 in Tunis geborene Rechtsgelehrte war politisch aktiv, als Richter und als Ratgeber arabischer Herrscher. Trotzdem zählen ihn heute viele Wirtschaftswissenschaftler auf der ganzen Welt zu ihren Vorläufern. Der Grund für diese Wertschätzung liegt in seinem Hauptwerk, der Einleitung (Muqaddima) zum Buch der Beispiele über die Geschichte der Araber, Nichtaraber und Berber. Herausragend ist vor allem, dass Ibn Khaldun eine Art innerer Logik der Weltgeschichte zu entwerfen sucht. Diese fußt nach seiner Analyse vor allem auf sozioökonomischen Wirkungszusammenhängen: Die Menschen schließen sich abhängig davon wie sie ihren Lebensunterhalt fristen auf unterschiedliche Weise zusammen, entweder nach Art der Nomaden oder nach Art der sesshaften Stadtbevölkerung. Die Kluft zwischen beiden Kulturformen ist unüberbrückbar. Der Reichtum der Städte veranlasst die Nomaden immer wieder zu Eroberungsversuchen. Manche Gedanken Ibn Khalduns erinnern an moderne Sozialphilosophen: Der Zusammenhalt der Nomaden ist geprägt von verwandtschaftlichem Mitgefühl und Solidarität. Auf der Basis dieses Zusammengehörigkeitsgefühls entwickeln jedoch Führer ihre Macht, aus denen sich dann Dynastien bilden, die den Rahmen der Nomadenherrschaft sprengen. IBN KHALDUN (1332 bis 1406): Ökonomie aus Muqaddima. Faksimile (in Auszügen), der 1401/02 entstandenen Handschrift mit deutscher Übersetzung und einem Kommentarband (Beiträge von Bertram Schefold u.a.), Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 2000, 184 Seiten, 1180 DM.