Roma in Serbien 1. Gruppenbezeichnungen 2. Sprache 3. Statistik und Demographie 4. Siedlungsgebiet und -schwerpunkte 5. Siedlungs- und Gruppengeschichte 6. Religion, konfessionelle Struktur 7. Politische und kulturelle Selbstorganisation 8. Schulwesen 9. Medien 1 Die Roma gehören zu den größeren Minderheiten Serbiens. Von der Mehrheitsbevölkerung werden sie im allgemeinen als Cigani (Zigeuner) bezeichnet, doch ist die Gruppe unter der Bezeichnung Roma staatlich anerkannt. Die Gruppe bezeichnet sie sich selbst als Romi. 2 Die Roma Serbiens sprechen zum Teil zwei Varianten des Romani, Gurbet und Arli. Ein Teil der serbischen Roma spricht auch ausschließlich Serbisch. Ferner gibt es Roma, die überwiegend Rumänisch sprechen. Gurbet wird meist von orthodoxen Roma in Zentralserbien und in der Vojvodina gesprochen, während Arli von islamischen Roma in Kosovo und den umliegenden Gebieten Serbiens gesprochen wird. Beide Varianten sind stark vom jeweiligen sprachlichen Umfeld geprägt, so dass Arli zahlreiche Lehnwörter aus dem Albanischen und auch dem Türkischen enthält, während Gurbet durch serbische Einflüsse geprägt ist. Die Unterschiede zwischen beiden Varianten sind so stark ausgeprägt, dass deren Sprecher sich kaum gegenseitig verständigen können. Es bestehen innerhalb der beiden Varianten noch zusätzliche Untergruppen. Die Serbische Akademie der Wissenschaft und Künste arbeitet zur Zeit an der Standardisierung der Romani-Sprache.
3 Nach Angaben der Volkszählung von 2002 leben 79.136 Roma in Zentralserbien. Diese Zahl entspricht 1,45% der Gesamtbevölkerung. Obwohl Roma überall in Serbiens leben und nirgendwo eine Mehrheitsposition erreichen, sind sind anteilsmäßig vor allem im südlichen Serbien konzentriert. Neben einer großen Zahl von Roma in Belgrad (19.191), machen sie in Südserbien (um Vranje, Sudurlica, Preševo und Bujanovac) 5,3% der Bevölkerung aus. Überdurchschnittlich viele Roma sind auch in Niš und Leskovac ansässig. Diese Angaben gelten jedoch allgemein als zu niedrig. Generell belegen die Angaben der Volkszählungen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine hohe Fluktuationsrate bei der Zahl der Roma, was in erster Linie auf Angst vor ihrer Identifizierung als Roma und verschiedene Einschränkungen bei den Deklarationsmöglichkeiten bei den Volkzählungen zurückzuführen ist. Noch dazu wird ihre Identifizierung mit der Mehrheitsbevölkerung von Teilen der Roma als Schritt zu Assimilierung und sozialer Integration und somit zu einer Verbessung ihrer Lebensbedingungen angesehen. Ähnlich wie in den meisten anderen Ländern Osteuropas liegt die tatsächliche Zahl der Roma in Serbien jedoch weitaus höher als das die Ergebnisse der Volkszählungen zeigen. Schätzungen verschiedener Roma- Organisationen und Wissenschaftler gehen von einer Zahl zwischen 600.000 und 700.000 Roma in Serbien und Montenegro aus. Auch wenn diese Angaben mit Sicherheit die tatsächliche Zahl überschätzen, stehen sie der Realität näher als die Angaben der Volkszählungen. Außerdem ist in den vergangenen Jahren ein deutliches Wachstum der Roma zu beobachten. Dazu hat auch der verbesserte Organisationsgrad der Minderheit und deren verstärkte Unterstützung durch externe Akteure (Menschenrechtsorganisationen, sowie Internationale Organisationen), schließlich auch eine hohe Geburtsrate beigetragen. Diese erreichte einen Wert von 25,2 auf 1.000 Geburten, während der jugoslawische Durchschnitt bei 16,5 Promille liegt. Zuletzt hat sich die Zahl der Roma durch Flucht und Vertreibung der meisten Roma aus dem Kosovo nach Ende des Kosovo Krieges 1999 erhöht. Diese werden jedoch nicht von den Volkszählungen erfasst.
Roma in Serbien, 1948-2002 1948 33.366 1 1953-2 1961 3.312 1971 27.541 1981 57.140 1991 69.564 2002 79.136 4 Der Ursprung der Roma bleibt umstritten. Allgemein wird ihre Herkunft aus Indien angenommen. Roma leben als Minderheit seit Beginn der osmanischen Herrschaft in Südosteuropa, so auch in Serbien. Generell lassen sich drei Gruppen von Roma in Serbien unterscheiden. Die erste Gruppe umfasst jene Roma, die unter der osmanischen Herrschaft nach Serbien gezogen sind. Ursprünglich islamischen Glaubens sind die meisten zur Orthodoxie übergetreten. Die zweite Gruppe umfaßt die Roma, die nach der Aufhebung ihres Sklavenstatus aus der Walachei nach Serbien gezogen sind. Diese Roma sind auch orthodoxen Glaubens, sprechen jedoch im Gegensatz zur ersten Gruppe meist kein Romani sondern Rumänisch. Die dritte Gruppe der Roma stammte ursprünglich aus Bosnien, ist islamischen Glaubens und spricht nur Serbisch. Aufgrund der unterschiedlichen Ursprünge der verschiedenen Roma- Gruppen in Serbien kann man kaum von einer einheitlichen Roma-Minderheit in Serbien sprechen. Zu stark sind einzelne Gruppenidentitäten ausgeprägt und die Antagonismen zwischen den Gruppen sind erheblich. 1 2 1948 konnten sich Roma als Cigani, d.h. Zigeuner deklarieren. In der Volkzählung 1953 wurden in Serbien Roma nicht eigenständig deklariert.
5 Die meisten Roma Serbiens gehören der serbisch-orthodoxen Kirche an. Die Kirche hat Romani als Sprache anerkannt und gestattet den Gebrauch von Romani in ihren Gottesdiensten. Roma aus der Region Kosovo und Roma Flüchtlinge aus dem Kosovo sind überwiegend muslimischen Glaubens. Aufgrund der religiösen, sprachlichen und historischen Trennlinien zwischen den verschiedenen Roma Gruppen ist die politische und kulturelle Repräsentation der Roma stark fragmentiert. Auch aufgrund ihrer schwachen sozio-ökonomischen Lage ist diese Minderheit im kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Leben Serbiens stark unterrepräsentiert. In Serbien, insbesondere jedoch in der Vojvodina, bestehen zahlreiche kulturelle Vereinigungen der Roma. Die Organisationen leiden jedoch an fehlenden finanziellen Mitteln und erhalten nur geringe Gelder vom Staat. In den Gemeinden mit großem Roma-Bevölkerungsanteil in Sudurlica Meka Redžepović und in Bujanovac Zulfikar Bajramović bestehen relativ starke kulturelle Organisationen der Roma. Eine wichtige Einrichtung ist ferner die Kommission der Serbischen Akademie der Wissenschaft und Künste, die sich mit der Pflege des kulturellen Erbes der Roma beschäftigt und von Intellektuellen der Roma Minderheit geleitet wird. 6 Im politischen Leben Serbiens finden sich kaum Roma. Keine Partei der Roma ist auf Gemeinde- oder Republiksebene vertreten. In ganz Serbien sind nur zwei Roma in Gemeindeversammlungen zu finden. Obwohl seit 1990 eine große Zahl an Roma-Parteien entstanden, konnte sich keine langfristig etablieren und eine ausreichende Zahl von Wähler für sich mobilisieren.
7 Aufgrund der fehlenden Standardsprache und der gesellschaftlichen Diskriminierung besteht kein romaspezifisches Schulwesen in Serbien. Die größte Herausforderung stellt bereits die prinzipielle Ermöglichung des Schulbesuchs für Roma dar. Seit den späten 1990er Jahren bestehen an einigen Schulen in Serbien Wahlfächer in Romani mit Elementen der nationalen Kultur Dieses Angebot beschränkt sich jedoch auf die Gemeinden Obrenovac and in Lazarevac, während derartige Fächer im südlichen Serbien noch nicht angeboten werden. Bislang wurde erst ein Schulbuch für Roma in Serbien veröffentlicht. Da es jedoch das unter Roma unübliche kyrillische Alphabet verwendet, ist es nur begrenzt einsetzbar. Neben mangelndem Angebot seitens staatlicher Einrichtungen ist das Schulwesen der Roma auch durch den Mangel an Roma mit entsprechender Bildung geprägt. Nur wenige Roma sind in der Lage, entsprechende Kurse in Schulen zu unterrichten. Die Ausbildungslage der Roma in Serbien ist somit ähnlich katastrophal wie in den übrigen Ländern Südosteuropas. In Serbien und Montenegro ist die Analphabetenquote bei den Roma mit 34,8% höher als bei allen anderen ethnischen Gruppen. Die Zahl der Roma mit Universitätsabschlüssen liegt bei lediglich 0,4%. 8 Die Lage der Medien für Roma ist ähnlich problematisch. In den 1980er Jahren strahlten die staatlichen Fernsehsender regelmäßig Programme auf Romani aus. In den 1990er Jahren verringerte sich dieses Angebot, insbesondere durch die Abschaffung des eigenständigen Programms von TV Priština, das zuvor die meisten Sendungen für Roma produziert hat. Die Mehrzahl der Programme für Roma in vergangenen Jahren wurden von lokalen Fernsehsendern ausgestrahlt, waren jedoch meist nur kurzlebig. Seit 2002 besteht ein regelmäßiges Programm von Radio Belgrad auf Romani. Der einzige Verlag, der Roma-spezifische Publikationen veröffentlich ist Romainterpres. Die
Veröffentlichungen sind jedoch entweder wissenschaftlicher Natur oder richten sich an Kinder oder erscheinen nur selten und unregelmäßig. Es fehlen somit gänzlich regelmäßig erscheinende Printmedien für Roma, die sich politischer und anderer aktueller Themen annehmen würden. Florian Bieber, Belgrad