Concilium medii aevi 17 (2014), S

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Transkript:

OLE HARCK, Archäologische Studien zum Judentum in der europäischen Antike und dem zentraleuropäischen Mittelalter (Schriften der Bet Tfila- Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa 7), Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG, Petersberg 2014, S. 656, Abb. 195; ISBN 978-3-7319-0078-8, 69,00. Eine knappe Einleitung beschreibt Anliegen und methodisches Vorgehen dieses Buches: Es gilt, die Lebensweise einer Minderheit zu erfassen (S. 17 19), und zwar einer Minderheit, deren kennzeichnenden Eigenheiten sich im archäologischen Fundgut nur kaum erkennen lassen (S. 20 25). Neben die Präsentation der zu berücksichtigenden Befunde sollte also eine sehr abwägende Diskussion treten. Die immense Arbeitsleistung Ole Harcks zeigt sich bereits im ersten größeren Kapitel zu den archäologischen Quellen des Judentums von der Antike bis etwa 700 n.chr. (S. 26 44). Hier werden überwiegend epigraphische Zeugnisse und namenkundliche Forschungen diskutiert, aber auch die Aussagekraft der bekannten Menora-Darstellungen. Etwas unklar bleibt die Trennung von den anschließend vorgestellten Baubefunden (Synagogen, Mikwa'ot, u. a. m.; S. 45 65), den Bestattungsplätzen und den Münzhorten (S. 66 84). Die in diesen Abschnitten diskutierten Gruppen sind nämlich ebenfalls in das 1. bis 7. Jahrhundert zu datieren, wobei vor allem seit dem 3./4. Jahrhundert eine stärkere Überlieferung einsetzt. Konsequent ist wiederum die getrennte Erörterung der zeitlich nicht näher einzuordnenden Einzelfunde, meist Inschriften, Sarkophage oder Grabsteine (S. 85 98), und vor allem der Gegenstände aus dem persönlichen Bereich, der Religionsausübung und dem alltäglichen Haushalt (S. 99 115). Die hier gewonnenen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Für die römische Spätantike und die Merowingerzeit ist für den mediterranen Raum zwischen Syrien und Spanien mit zahlreichen Diaspora-Gemeinden zu rechnen, Belege aus dem Europa nördlich der Alpen sind hingegen nur in sehr geringer Zahl bekannt. Juden bildeten offensichtlich eine Minderheit in der heidnischen bzw. frühchristlichen Mehrheitsbevölkerung. Angesichts der von Concilium medii aevi 17 (2014), S. 1003 1008

O. Harck zusammengetragenen Belege fragt man sich unwillkürlich, ob diese Minderheit zahlenmäßig nicht doch so groß und kulturell bzw. wirtschaftlich so prägend war, dass ihre Integration in die spätrömische Gesellschaft vergleichsweise gut vollzogen wurde. Eigenentwicklungen sind zu beobachten, können aber wohl aufgrund der intensiveren Forschung bisher vor allem für Syrien, Südfrankreich und Italien gut bewertet werden. Für alle zukünftigen Studien, beispielsweise aus den Disziplinen Alte Geschichte, Vorund Frühgeschichte oder Christliche Archäologie, zu Themenfeldern wie der Integration der jüdischen Bevölkerung in den spätantiken Staat oder die Gesellschaft des Byzantinischen Reiches, aber auch bei Überlegungen zur Rolle der Juden als Traditionsträger von der Antike in das Merowingerreich werden die von O. Harck geschaffenen Grundlagen relevant sein. Die weiteren Kapitel sind den archäologischen bzw. bauhistorischen Quellen zum Judentum im Mittelalter gewidmet. Angenehm kritisch lesen sich die Ausführungen zur Identifizierung des Judentums in den archäologischen Quellen, d. h. im Sachgut (S. 136 139): O. Harck erteilt hier einer allzu positivistischen Deutung der Funde eine Absage. Ähnlich vorsichtig bewertet er die vermeintlich gesicherten Belege für jüdische Wohnbezirke innerhalb einzelner Städte (S. 140 216). Hier findet sich, gegliedert nach Bundesländern und Städten bzw. Gemeinden, eine detaillierte Darstellung jener Befunde, die von der Forschung als Beleg für einen geschlossenen jüdischen Bezirk innerhalb einer bestimmten Stadt angeführt wurden. Die Arbeitsleistung, die hinter dieser Zusammenstellung steht, ist immens und kaum hoch genug einzuschätzen: Offensichtlich wurde eine vollständige Erfassung der relevanten Literatur bis zum Jahr 2012 erzielt. Sorgfältig werden die einzelnen Argumentationsstränge geprüft und vor dem Hintergrund ihrer forschungsgeschichtlichen Position bewertet. O. Harck hat damit für beinahe jede Stadt mit einer ehemaligen jüdischen Gemeinde auf deutschem Boden die Literatur umfassend zusammengefasst, die publizierten Grabungen hinsichtlich ihrer Aussagekraft ausgewertet und schließlich in einen übergeordneten Rahmen eingebunden. Aus der Fülle der gebotenen Informationen seien einige Beispiele herausgegriffen. Zunächst wird deutlich, dass nur die Kultbauten wie Synagogen oder Mikwa'ot anhand einer spezifischen Bauweise sicher identifiziert werden können. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass allein durch archäologische 1004

Kriterien kein jüdischer Wohnbezirk erschlossen werden kann hierzu bedarf es immer des Abgleichs mit den Ergebnissen der Mediävistik. Die erforderliche Quellenkritik mahnt O. Harck mehrfach an. Ferner sind entsprechende Untersuchungen bisher vor allem an Synagogen vorgenommen worden, handelt es sich doch bei diesen Gebäuden um die prominentesten und meist auch im historischen Material (Karten, Beschreibungen, Urkunden etc.) zu verortenden Gebäude. Die enge Verknüpfung von Forschungsziel (z. B. Untersuchung eines Gebäudes mit dem Ziel, seinen jüdischen Charakter zu erfassen) und Forschungsergebnis (z. B. Aussage zum jüdischen Charakter einer Synagoge) legt große methodische Sorgfalt nahe, um sich nicht in die Gefahr eines Zirkelschlusses zu begeben. Am Beispiel von Köln (S. 145 152) wird dies besonders deutlich: recht zuverlässig lässt sich das jüdische Wohnviertel anhand der vorhandenen urkundlichen Überlieferung rekonstruieren. Dabei ist auch festzustellen, dass nicht wenige Juden außerhalb dieses Wohnviertels, also in anderen Bereichen der Stadt, lebten. Unbeantwortet bleibt aber die Frage nach der möglichen Kontinuität der jüdischen Gemeinde von der Antike über die Merowingerzeit bis in das 10./11. Jahrhundert. Betrachtet man die Ergebnisse der Archäologie, so wird schnell deutlich, dass die für eine entsprechende Antwort heranzuziehenden Befunde keineswegs so klar und eindeutig sind, wie noch in den jüngsten Vorberichten dargestellt. Die bisher publizierten Pläne sind widersprüchlich und unvollständig man wird also die zuverlässige Abschlusspublikation abwarten müssen, und zugleich sei man gewarnt vor einer allzu optimistischen bzw. positivistischen Interpretation der archäologischen Strukturen. Dies gilt nicht nur für die spätantiken Befunde, sondern auch für die Strukturen aus dem 9./10. Jahrhundert und teilweise sogar noch für die hochmittelalterlichen Überreste. War hier bei den bisher geäußerten Interpretationen eventuell ein gewisser Erwartungs- und Profilierungsdruck (gleich von welcher Seite auch immer) wirkmächtig? Sowohl für Speyer (S. 153 159) als auch für Worms (S. 159 162) scheint man sich von einer allzu einfachen und vorschnellen Interpretation der unsicheren Befunde verabschiedet zu haben. Dies ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber den älteren, noch in den 1980er-Jahren publizierten Aussagen. Eindrücklich sind auch die Ergebnisse, die für Frankfurt/Main (S. 162 168), Regensburg (S. 168 174) und Erfurt (S. 182 187) erzielt worden sind. 1005

Richtet man den Blick nach Norddeutschland, so fallen zwei Besonderheiten auf: Mit Ausnahme von Braunschweig liegen für kaum eine der größeren Städte gute und großflächigere archäologische Untersuchungen vor, bei denen auch Teile der ehemaligen jüdischen Wohnviertel erfasst worden sind. Man könnte zu dem Schluss kommen, dass die jüdischen Gemeinden vergleichsweise bedeutungslos gewesen sind. Hierzu scheinen der auffällige Mangel an historischen Untersuchungen, die sich zudem meist auf das Spätmittelalter oder aber die Neuzeit (19./20. Jahrhundert) beschränken, sowie die geringe Zahl der bauhistorischen/bauarchäologischen Untersuchungen zu passen. In den folgenden drei Kapiteln werden die bisherigen Überlegungen zur Topographie der jüdischen Viertel vertieft. Im Mittelpunkt stehen dabei mit Verweis auf die Arbeit von Simon Paulus (2007) jene Gebäude, die anhand archäologischer Befunde eindeutig der jüdischen Bevölkerung zugewiesen werden können: Dies sind Synagogen (S. 217 310), Mikwa'ot (S. 311 335) und Ritualbäder (S. 336 342). Man findet in diesen Kapiteln also den genauen Beleg für jene Aussagen, die bei den topographischen Studien diskutiert wurden. Für das Beispiel Köln (s. o.) bedeutet dies, dass man die Auseinandersetzung mit den zahlreichen Publikationen zunächst im Zusammenhang mit den Gesamtergebnissen findet (i. e. S. 145 152), die detaillierte Diskussion der archäologischen Befunde und ihre einander widersprechenden Interpretationen nun hier erfolgt (i. e. S. 217 242: Synagoge; S. 314 316: Mikwe). Eine parallele Lektüre der entsprechenden Abschnitte ist demnach bei allen diesen Einzeluntersuchungen unabdingbar. Man mag dies auf den ersten Blick als Nachteil empfinden. Die inhaltliche Trennung von Topographie und Gebäudebefunden hat aber den großen Vorteil, dass sie eine schnelle Suche nach den relevanten Vergleichen erlaubt. Dies steigert den Wert des Buches als Handbuch und Nachschlagewerk erheblich. Ein weiteres Kapitel ist den Friedhöfen gewidmet (S. 343 376). Dies ist dem besonderen Charakter dieser Bestattungsplätze und den sich daraus ergebenden Aussagemöglichkeiten (i. S. der Minderheitenarchäologie ) geschuldet. Die Nekropolen werden u. a. hinsichtlich der Gesichtspunkte Topographie, Baulichkeiten oder Umzäunungen untersucht. Die Hinweise auf archäologische Untersuchungen sind angesichts der strengen Religionsgesetze erstaunlicherweise gar nicht so selten; es handelt sich meist um 1006

Zufallsfunde bei Erd- oder Bauarbeiten mit Dokumentation in entsprechend unterschiedlicher Qualität. Für die mittelalterlichen Grabsteine möchte O. Harck drei Gruppen unterscheiden, die anhand einzelner Merkmale auch chronologisch zu trennen sind (S. 376 394). Auffällig ist dabei, dass die Grabsteinformen über weite Regionen zwischen Oberrheingraben, dem Main- bzw. Donaugebiet bis hin zur mittleren Donau sowohl in ihrer Form als auch in ihrer Verzierungsvariation identisch sind. Damit lässt sich anhand dieser Materialgruppe ein weitreichendes Kommunikationsnetz innerhalb der jüdischen Gemeinden aufzeigen. Quellenkritisch ist anzumerken, dass sicherlich bei weitem nicht alle vorhandenen Grabsteine publiziert sind oder die Qualität der Publikation stark schwankt. Die Beobachtungen O. Harcks verdienen demnach Aufmerksamkeit bei zukünftigen Arbeiten. Eine Analyse der Verwahrfunde, also Deponierungen von Münzen aus Edelmetall sowie Gold- oder Silberschmuck, bietet Kapitel 16 (S. 395 410). Diese Horte waren überwiegend in Ruinen bzw. Häusern niedergelegt worden. In der Vergangenheit wurden die Niederlegung der Ensembles gerne in Zusammenhang mit möglichen Progromen gesehen, was nicht ohne Zirkelschlüsse zu einer Datierung ausgehend von der historischen Überlieferung geführt hat. O. Harck möchte sich dieser Deutung mehrheitlich anschließen (dagegen zuletzt Scholz 2013). Die Analyse der Horte ist mit einer Betrachtung zur Sachkultur eng verknüpft (S. 411 426), sind doch ausgewählte Objekte aus dieser Gruppe wie Fingerringe oder Siegeltypare geradezu kennzeichnend für die Zuweisung der Horte an ehemalige jüdische Besitzer. Auch epigraphische und numismatische Zeugnisse werden hier abgehandelt. Dabei ist festzuhalten, dass eigentlich nur einige wenige besonders gefertigte liturgische Geräte anhand besonderer Symbole oder hebräischer Inschriften zweifelsfrei als jüdische Ritualobjekte zu identifizieren sind. Für zahlreiche andere Objekte gilt dies bei genauerer Betrachtung nicht. Gewissermaßen die Gesamtauswertung der verschiedenen Einzelstudien stellen die Kapitel zur jüdischen Minderheit im Mittelalter aus archäologischer Sicht (S. 427 438) und zum Kontinuitätsproblem (S. 439 441) dar. Es wird deutlich, dass sich im Mittelalter die jüdische Minderheit in ihrer 1007

alltäglichen Sachkultur nur wenig von ihrer christlichen Umgebung unterschieden hat. Eine deutliche Abgrenzung ist allein für die Objekte liturgischen bzw. religiösen Charakters sowie bei besonderen, mit der Religionsausübung verbundenen Baulichkeiten festzustellen. Für die mögliche Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter, namentlich für die Zeit zwischen dem frühen 4. Jahrhundert und der Zeit um 1000 scheinen beim derzeitigen Forschungsstand allein aus Köln belastbare Hinweise vorzuliegen. Für eine befriedigende, auch außerhalb der Archäologie zu rezipierende Interpretation wird man hier die Auswertung und Gesamtpublikation der jüngsten Grabungen abwarten müssen. Ein detaillierter Katalog (S. 442 586), mehrere Fundlisten (S. 587 592), ein Glossar (S. 595 597) und vor allem ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 599 639) schließen den Band ab. Ole Harck hat zweifelsohne ein grundlegendes Werk verfasst, das allein aufgrund der Materialfülle, aber auch aufgrund seiner Sorgfalt bei der Interpretation der Quellen Maßstäbe setzt. Und so mischt sich in den großen Respekt vor dieser in den letzten 25 Jahren erbrachten Arbeitsleistung die Befürchtung, dass in 25 Jahren leider kein vergleichbares Nachfolge-Werk erscheinen wird. Literaturhinweise: Paulus 2007: SIMON PAULUS, Die Architektur der Synagoge im Mittelalter Überlieferung und Bestand (Schriften der Bet Tfila-Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa 4), Petersberg 2007. Scholz 2013: ANKE K. SCHOLZ, Pest Progrome Pfandleiherhorte. Ein standardisiertes Deutungsschema für spätmittelalterliche Schatzfunde, in: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 25 (2013) S. 189 202. Dr. Markus C. Blaich HAWK Hildesheim, Fakultät Bauen und Erhalten Hohnsen 2 31134 Hildesheim www.bab.pronobis.de 1008