Das heutige China in der Position des wilhelminischen Deutschland

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Transkript:

Das heutige China in der Position des wilhelminischen Deutschland aus:. Mit freundlicher Genehmigung

Die Geschichte wiederholt sich nicht, zumindest nicht in exakt der Form, in der sie schon einmal stattgefunden hat. Aber die Konstellationen, die einer Ereignisabfolge zugrunde liegen, sind einander oft ähnlich, und nur deswegen hat die Formel Sinn, man könne und müsse aus der Geschichte lernen. Dies gilt etwa für Ostasien, wo eine Reihe von Beobachtern davon ausgeht, dass sich China heute in einer ähnlichen Position befindet wie das Deutsche Reich vor einem Jahrhundert und die Konstellationen im Fernen Osten denen auf dem Balkan vor dem Ersten Weltkrieg vergleichbar seien: Das «Reich der Mitte» durchläuft zurzeit eine Phase der stürmischen Wirtschaftsentwicklung, strotzt vor Kraft und sucht nach Möglichkeiten, seine ökonomische Stärke in politischen Einfluss umzusetzen und dies nicht nur in Ostasien, sondern weltweit. China hat Japan, das mehr als ein Jahrhundert lang die ostasiatische Wirtschaft dominierte, eingeholt und inzwischen überrundet. Aber seine Abhängigkeit von Rohstoffzufuhren macht China verwundbar, zumal es (vorerst) nicht in der Lage ist, die langen Handelsrouten, die weitgehend über See verlaufen, militärisch zu sichern; eine Strangulation dieser Routen hätte für China dramatische Folgen. Seit mehr als einem Jahrzehnt sind die Chinesen bemüht, in Afrika Einflusszonen aufzubauen, aus denen sie sich langfristig mit Rohstoffen versorgen können. Das findet heute nicht mehr in den kolonialpolitischen Formen des 19. Jahrhunderts statt, sondern wird sehr viel subtiler gehandhabt. China leistet in Afrika in großem Stil Entwicklungshilfe, baut Straßen und Kommunikationssysteme und entwickelt damit die Infrastruktur von Ländern, die sich seit der Abschüttelung der europäischen Kolonialherrschaft in dieser Hinsicht eher rückentwickelt haben als vorangekommen sind. Das findet vor allem dort statt, wo sich die USA und die Europäer infolge politischer Beschlüsse aus der Wirtschaftshilfe zurückgezogen haben. Sudan und Mosambik sind dafür die bekanntesten Beispiele. Die moralpolitischen Selbstbindungen des «Westens» kommen hier den Chinesen zugute, denen als industriellem Spätankömmling der Zugang zu den globalen Märkten für strategische Ressourcen nicht leichtgefallen ist. Darin ähneln sie dem Deutschen Reich im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, und wie dieses sind sie in Sorge, bei Kon- Seite 2 von 5

flikten mit der führenden Seemacht, den USA, von der Zufuhr der Rohstoffe abgeschnitten oder mit Blockadedrohungen politisch erpresst werden zu können. Das «Reich der Mitte» ist durch die Globalisierung der Wirtschaft in eine geostrategisch unkomfortable Lage geraten. Inzwischen arbeitet China am Aufbau einer Kriegsflotte, die einerseits die Versorgungswege durch die indonesische Inselwelt und den Indischen Ozean sichern soll und andererseits einen Risikofaktor für die in diesen Räumen operierenden USamerikanischen Kriegsschiffe darstellt. Das kann auf längere Sicht zu einer chinesischamerikanischen Konfrontation führen, die ähnlichen Mustern folgt wie der deutsch-britische Gegensatz am Anfang des 20. Jahrhunderts. Der deutsch-britische Gegensatz hätte freilich keineswegs in einen Krieg münden müssen. Er ist vielmehr durch einen peripheren Konflikt scharf gemacht worden, und das könnte auch beim chinesisch-amerikanischen Konflikt eintreten. Ein solcher Konflikt könnte etwa der Streit um Inseln sein, die wegen der in ihrer Nähe vermuteten Rohstoffe von China wie Japan beansprucht werden; er könnte sich aber auch an einer Auseinandersetzung um die Zukunft Taiwans oder einer chinesischen Militäraktion gegen einen seiner kleineren Nachbarn entzünden. Nationalistische Leidenschaften auf beiden Seiten würden dann möglicherweise zu einer Eskalation führen, gegen die es rationale Kalküle schwer haben. Das «Drehbuch» vom Sommer 1914 zeigt, wie sich ein solcher Konflikt unter keinen Umständen entwickeln darf. Eine Ähnlichkeit ist schon jetzt zu beobachten: Der wirtschaftliche und politische Aufstieg Chinas löst bei den Nachbarn Ängste aus; sie beginnen, antiimperiale Koalitionen zu bilden, um den Einfluss Pekings in der Region zu begrenzen. Diese Politik der Gegengewichtsbildung ist längst nicht mehr auf den traditionellen Rivalen Indien beschränkt, sondern hat inzwischen auch Vietnam und Indonesien erfasst, um nur die wichtigsten Akteure zu nennen. Das «Reich der Mitte» steht in der Gefahr, ganz buchstäblich in die Mitte genommen und eingekreist zu werden. Aus Sicht der Amerikaner liegt hierin freilich auch eine Chance, weswegen sie seit einiger Zeit im pazifischen Raum an der Bildung einer potenziell antichinesischen Koalition arbeiten. Die Führung in Peking sucht dem wiederum durch die Verbesserung ihrer Beziehungen zu Russland und eine wachsende Einflussnahme im zentralasiatischen Raum entgegenzuarbeiten. Seite 3 von 5

Sie befindet sich in einer Position erhöhter Verantwortung, aber das sind auch die USA: Die Regierung in Washington muss darauf achten, dass die von ihr beeinflusste antihegemoniale Koalitionsbildung bei den Chinesen nicht zu Einkreisungsängsten führt, die diese dazu verleiten, mit Präventivkriegsideen zu spielen. Die Vorstellung, man könne aus der Geschichte lernen, zeigt hier ihr ambivalentes Gesicht je nachdem, ob damit strategisches oder systemisches Lernen gemeint ist. Strategisches Lernen hieße in diesem Fall, dass China bestrebt sein müsste, die Fehler, die Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemacht hat, zu vermeiden allerdings nicht in dem Sinne, dass es den «Griff nach der Weltmacht» überhaupt nicht anstrebte, sondern um ihn geschickter und umsichtiger vorzunehmen. Ein systemisches Lernen hingegen wäre darauf ausgerichtet zu verhindern, dass Konstellationen wie die, aus denen der Krieg von 1914 bis 1918 hervorgegangen ist, überhaupt entstehen. Während jede am Konflikt beteiligte Macht für sich allein und ohne Austausch mit anderen strategisch lernen kann, ist systemisches Lernen auf Kommunikation und Austausch angewiesen; die Lernergebnisse müssen kommuniziert werden, damit daraus Schlussfolgerungen für die Implementierung von Eskalationsblockaden und Verständigungsmechanismen gezogen werden können. Die Gefahr besteht darin, dass sich systemisches und strategisches Lernen gegenseitig blockieren. Aus keinem Krieg kann in dieser Hinsicht mehr gelernt werden als aus dem Ersten Weltkrieg. Er ist ein Kompendium für das, was alles falsch gemacht werden kann. Prof. Dr. Herfried Münkler Lehrstuhl Theorie der Politik Humboldt-Universität zu Berlin Redaktioneller Hinweis: In der Originalausgabe verfügt der Text über ein umfangreiches und lesenswertes Fußnotenverzeichnis, auf das an dieser Stelle verzichtet wurde. Für weiterführende Informationen werfen Sie bitte einen Blick in die Originalversion. Seite 4 von 5

Weitere Textpassagen aus und Videostatements des Autors auf den Seiten der FES OnlineAkademie verfügbar: Ost- und Westfront im kollektiven Gedächtnis Die Kriegserklärung als Fest Die Last der geopolitischen Mitte Seite 5 von 5