Hessischer Rundfunk Hörfunk Bildungsprogramm Redaktion: Arne Kapitza WISSENSWERT Wer schreibt denn sowas? (2) Vormärz und Biedermeier Von Rainer Dachselt Sendung: 08.01.2008, 08:30 Uhr, hr2 Sprecher: Regie: Helge Heynold 08-005 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.
TAKE 10 Sprecher: Wer schreibt den sowas? Vormärz und Biedermeier. Mitwirkende: Heinrich Heine Georg Herwegh Ferdinand Freiligrath (Ludwig Börne) Eduard Mörike Annette von Droste Hülshoff Johann Nestroy Georg Büchner TAKE 11 ((der Anfang, schnell, bewegt, tumultartig)) Schlage die Trommel und fürchte dich nicht! Freiheit! Laß o Welt, o laß mich sein... Ach was! Deutscher Sänger sing und preise deutsche Freiheit!.. und küsse die Marketenderin! Lasst dies Herz alleine haben seine Wonne, seine Pein! Unsinn! Vor der Freiheit sei kein Frieden und dem Mann kein Weib beschieden! Und die Marktenderin? Erst Freiheit! Und die Kunscht? Innerlicher Quatsch! Eskapist! (das jetzt auch schon Durcheinander, kann geblendet werden, damit der Erzähler hineingeht) Terrorist! Biedermeier! Schlage die Trommel... (tut es) Eine sehr lebendiges Bild der Zeit zwischen 1814 und 1848 eine Zeit, zerrissen zwischen Revolution und Restauration, zwischen Radau und Rückzug. Vielleicht nur etwas laut. Meine Herren können Sie draußen weiter diskutieren?
((die anderen außer Heine gehen diskutierend hinaus)) TAKE 12 Ich bleibe mal besser hier. Sie wären? Heine der Name, Heinrich Heine, meine Freunde nennen mich Harry. Herr Heine, mit Ihnen wollte ich ohnehin reden. Sie umspannen ja sozusagen diese Epoche. Ja, sicher. Ähm, welche Epoche? Vormärz, Biedermeier Restauration. 1814 der Wiener Kongress ordnet Europa neu im Sinne der ((bing)) Restauration. Die Deutschen haben ihren Freiheitskrieg gegen Napoleon gewonnen und stellen plötzlich fest, dass sie trotzdem nicht frei sind. Zwischen den Großmächten Preußen und Österreich liegen Hunderte von Kleinstaaten und -Fürstentümern. ((Einspieler fertig)) Ah, diese Epoche! Und ob ich die umspanne! Herr Heine, darf ich Sie als politischen Autor ansprechen. Einer. der für die Freiheit das Wort erheben. Schlage die Trommel..... und fürchte dich nicht. Küsse die Marketenderin! (schmatz) Ich bin Sprecherin! Gleichviel! (schmatz) Was für ein revolutionärer Schwung! (plötzlich eher sarkastisch, er wechselt die Tonfälle immer deutlich) Revolutionär? Ach, hören Sie mir damit auf. Der
Knecht singt gern ein Freiheitslied, des Abends in der Schenke, das fördert die Verdauungskraft und würzet die Getränke! Sicher, in Ihren Gedichten finden sich auch skeptische Töne... (seufzend) Da finden sich noch ganz andere Töne: Mein Herz, mein Herz ist traurig, doch lustig leuchtet der Mai, ich stehe gelehnt an der Linde, hoch auf der alten Bastei. (steigt ein) Er spielt mit seiner Flinte, die funkelt im Sonnenrot.l (seufzt noch heftiger) er präsentiert und schultert ich wollt, er schösse mich tot. Ach, das gefällt mir. (trocken) Nicht nur Ihnen. Die Gedichtsammlung, wo das drin steht, hatte einen Riesenerfolg. Fragen Sie mich nicht warum (singt) ich weiß nicht, was soll es bedeuten... Sie meinen das Buch der Lieder. Sprecherin Heinrich Heines ((bing)) Buch der Lieder erscheint 1827. Die Mischung aus volksliedhaften, sentimentalen und ironischen Versen trifft den Nerv der Zeit das Buch der Lieder wird eine Art Hausbuch der Deutschen. Lobe mich ruhig weiter, schöne Marketenderin! Sprecherin! Und mehr habe ich nicht! Wussten Sie übrigens, dass sogar die Nazis Ihre Loreley aus dem Buch der Lieder gegröhlt haben, obwohl Sie doch jüdischer Herkunft sind. Nein, aber es klingt.. ironisch. Das ist es auch, Aber sagen Sie mal, volksliedhaft, kämpferisch, sentimental, ironisch...
Jaja... Herr Heine, wenn einer so in allen Sätteln gerecht ist wie Sie, nimmt man den überhaupt ernst? ((Börne, Herwegh und Freiligrath reißen die Tür auf)) TAKE 13 Börne Börne Herwegh/Freiligrath Den Heine? Ernst? Wie kann man dem glauben, der selbst nichts glaubt? Wer ist denn das? Ach, nur Ludwig Börne. So ein knorriger Revolutionär, der keine Ironie versteht. (kommt näher) Den verzärtelten Heine bei seiner sybaritischen Natur kann das Fallen eines Rosenblattes im Schlafe stören. Wie sollte er behaglich auf der Freiheit ruhen, die so knorrig ist? Freiheit! Jawohl! Haha! Ich glaube, Herr Heine, Sie nehmen jetzt besser etwas ironische Distanz ein. Die Revolutionäre übernehmen das Feld. Aber gerne... (verdrückt sich) ((die Marseillaise ertönt, Freiligrath, Herwegh und Börne stürmen den Tisch)) Bei mir sind Georg Herwegh... Freiligrath: Freiheit! Ferdinand Freiligrath Freiheit! Und Ludwig Börne!
Börne: Sprecherin. Freiligrath: Nieder mit den Fürsten! Stellvertretend für das Junge Deutschland. Das ((bing)) Junge Deutschland so nannte der Kritiker Ludolf Wienbarg eine Gruppe von Literaten, die mit der romantischen und klassischen Ästhetik radikal brach und ihr Talent in den Dienst des politischen Kampfes für Demokratie und Freiheit stellte. ((fertig)) Trage die Fahne voran, Freiheitsgöttin! Ich bin nur Sprecherin, aber geben Sie her. Stichwort politische Dichtung, Herr Herwegh.. Freiligrath: Erwach, mein Volk, mit neuen Sinnen! Blick in des Schicksals goldenes Buch! Lies aus den Sternen dir den Spruch! Du sollst die Welt gewinnen! Sie beschwören pathetisch eine goldene Zukunft herauf, und Sie, Herr Freiligrath, die Nationalfarben... Hurra, du Schwarz, du Rot, du Gold Pulver ist schwarz, Blut ist rot, Golden flackert die Flamme! Heute sieht man das natürlich etwas nüchterner... Nüchterner??? Hinweg die feige Knechtsgebärde! Ist ja gut? Sie alle haben ja die Freiheit nicht nur überschwänglich bedichtet, sondern auch selber etwas gewagt... Jawohl, Knechtsseele! Aus Preußen haben Sie mich ausgewiesen! Freiligrath: Börne: Und ich bin nach Belgien emigiert. Ich nach Paris! Sie haben immer Partei genommen...
Freiligrath: Freiligrath: Börne: Partei Partei, wer sollte sie nicht nehmen, die noch die Mutter jedes Sieges war! Moment. Der Dichter steht auf einer höhern Warte als auf den Zinnen der Partei! Wie? Das von dir? Knechtsseele! Ich? Knechtsseele? Niemals. Freiheit! Meine Herren, ich glaube wir sollten den Beitrag einer Dichtung zur radikalen Umwälzung der Verhältnisse noch einmal unter uns diskutieren.. ((alle drei diskutierend ab)) TAKE 14 Vielen Dank. Ich glaube, Sie können hereinkommen, Herr Mörike. Wirklich? Ja, machen Sie sich s bequem. Ich denke mir derweil eine elegante Überleitung zum Biedermeier aus. Mit ((bing)) Biedermeier bezeichnet man eine kulturelle und literarische Gegentendenz zum kämpferischen politischen Liberalismus des Jungen Deutschland: den Rückzug ins Private, die Aufmerksamkeit für die kleinen unbedeutenden Dinge und einen kleinen Lebenskreis. ((fertig)) Kleiner Lebenskreis? Wollen Sie mich jetzt auch damit aufziehen, dass ich immer nur in Cleversulzbach war? Nein, hier wird niemand aufgezogen. Eduard Mörike, Sie setzen als Lyriker, ohne Goethe und andere zu imitieren, mit großer Formbegabung die klassische und romantische Dichtung fort.
(verlegen) Findet Sie? Ja möchten Sie nicht selber etwas vortragen? Selber? Vor all dene Leut? Bitte. Vielleicht das mit dem Tännlein. Denk es, o Seele? Ja, bitte. Ein Tännlein grünet wo, wer weiß im Walde ein Rosenstrauch, wer sagt, in welchem Garten? sie sind erlesen schon, denk es, o Seele auf deinem Grab zu wurzeln und zu wachsen. (seufzt) Ach ja. S gäht noch weiter... Gerne, später ich würde gerne mit Ihnen noch etwas über Ihre Lyrik reden. Über Lyrik redet man nicht, Lyrik macht man. ((Annette Droste-Hülshoff kommt herein)) Droste: Droste: Droste: (applaudierend) Sehr richtig, Herr Mörike. Ah, Annette von Droste-Hülshoff, mit Ihnen wollte ich später... Ich dachte, ich schau schon mal rein der Herr Heine draußen war etwas anstrengend.. Gut Sie stehen ja beide für einen eher biedermeierlichen Rückzug auf das Regionale. Herr Mörike in Schwaben, Sie Frau Droste Hülshoff, in der westfälischen Landschaft... Er liegt so still im Morgenlicht so friedlich wie ein fromm Gewissen...
Schön. Aber über Lyrik wollte ich mit Ihnen gerade nicht sprechen, Frau von Droste-Hülshoff. Droste: Wieso nicht? Meine Gedichte...... sind sehr schön, aber ich wollte mich eigentlich mit Ihnen über das Prosawerk unterhalten, das bis heute Ihr Bekanntestes ist: die Judenbuche Sprecherin. Die ((bing)) Judenbuche.... Droste: Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen. Die Geschichte des Friedrich Mergel, der aus Habsucht einen jüdischen Geschäftsmann ermordet und nach Jahren an den Ort der Tat zurückkehrt, um sich dort umzubringen. Ein Portrait des Paderborner Landes und seiner Bewohner, eine kriminalistisch-psychologische Studie und düstere Schicksalsgeschichte. Oft interpretiert und bis heute Schulstoff. ((fertig)) Das Novellchen wird immer noch gelesen? Das war doch nichts Besonderes. Naja, wie schreiben Sie doch selber, Frau Droste Hülshoff? Daß nur das Einfache großartig und nur das ganz Ungesuchte wahrhaft rührend und eindringlich ist. Das gefällt mir auch. Nicht nur Ihnen, Herr Möriker... Stimmen des Biedermeier TAKE 15 ((Biedermeiermusik)) Viele deutschsprachige Schriftsteller besinnen sich auf das Regionale, Heimatliche. Der Schweizer Albert Bitzius nennt sich Jeremias Gotthelf. In seinen Geschichten verteidigt er das fromme, geordnete Leben der Bauern gegen moderne Einflüsse
Zitat: Zitat: Sprecherin. Lenau: TAKE 16 Wie Ueli der Knecht glücklich wird. Eine Gabe für Dienstboten und Meisterleute. (1841) Ebenfalls eher zum Biedermeier werden Adalbert Stifters Romane gezählt: er sucht in der Natur nach dem sanften Gesetz, wodurch das menschliche Gesetz geleitet wird. "Das Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers, das Wachsen der Getreide, das Wogen des Meeres, das Grünen der Erde, das Glänzen des Himmels, das Schimmern der Gestirne halte ich für groß... Andere Dichter der Zeit geben ihrer inneren Zerrissenheit Ausdruck. Nikolaus Lenau. "Am Himmelsantlitz wandelt ein Gedanke die düstre Wolke dort, so bang, so schwer, wie auf dem Lager sich der Seelenkranke, wirft sich der Strauch im Winde hin und her". August von Platen... Platen: Platen: Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode schon anheimgegeben... (stürzt herein, durchbricht die Atmo) Platen? Der war doch schwul! Gar nicht wahr, Judenbengel Aber, Herr Heine, wir müssen Ihre niveaulose Polemik mit August von Platen doch nicht gerade jetzt hier fortsetzen. Warum nicht? Die gehört doch auch zu dieser Epoche. Stimmt. Und wenn Sie etwas Düsteres, Zerrissenes wollen, dann fragen Sie doch mich. Im traurigen Monat November war s die Tage wurden trüber...
Nestroy Nestroy: Nestroy: Nestroy: Nestroy: Nestroy: Deutschland ein Wintermärchen. Das ist doch nicht düster, sondern eher satirisch... Hauptsache zerrissen. (tritt auf, trällert) Meiner Seel, s is a fürchterlichs Gfühl Wammer selber net weiß, was ma wüll. Moment, wenn sich hier einer über mich lustig macht, dann bin ich das selber. Wer sind Sie denn? Nestroy, der Name, Johann Nestroy habediehre aber ich mach mi doch net lustig. Des verbietet mir die Nächstenliebe. Die Nächstenliebe? Ja gwiss. Die Nächstenlieb is meine schwache Seiten. Wenn die lieben Nächsten nicht wären, man wüßte gar nicht, wem man was antun sollt. Nicht schlecht. Könnte von mir sein. Ist es aber nicht. Es sei denn sie hättens gstohln. Was denken Sie von mir! Ich glaube von jeden Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich hab mich noch selten getäuscht. Johann Nepomuk Nestroy. Johann Nepomuk ((bing)) Nestroy (1801 1862), Wiener Schauspieler und Komödiendichter. Nestroy macht aus den harmlosen Possen des Wiener Volkstheaters aggressive, satirische Stücke. Zu witzig und klug für das Biedermeier, zu pessimistisch für einen Revolutionär. Das habens charmant gsagt, Frau Ansagerin. Ich bin Sprecherin! Also wir beide müssen uns unbedingt einmal unterhalten, Herr Nestroy. Heinrich Heine der Name...
Nestroy: Nestroy: Ah, ich hab schon einigs von Ihnen ghört. Gehma auf a Viertel. Gerne. Kennen Sie meine Harzreise "Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh; (lacht) Des is gscheit. ((beide plaudernd ab)) TAKE 17 Ja, da gehen sie hin, die beiden satirischen Geister. (ist schon da, leise) Und müden Füßen jeder Weg zu weit... Da ist ja noch jemand. Und müden Ohren jedes Wort zu viel. Ach, Sie. Herr (leise) ((Bing)) Büchner. Was? ((bing)) Georg Büchner. 1813 1837. Danke. Natürlich! Friede den Hütten, Krieg den Palästen! Noch ein Revolutionär. Ich bin kein Guillotinenmesser. Herr Büchner, nein. Aber sie haben sich doch für die Revolution eingesetzt... Trotzdem. Ich gehöre für meine Person keineswegs zu dem sogenannten jungen Deutschland, der literarischen Partei Gutzkows und Heines. Nur ein völliges Mißkennen unserer gesellschaftlichen Verhältnisse konnte die Leute glauben machen, daß durch die Tagesliteratur eine völlige
Umgestaltung unserer religiösen und gesellschaftlichen Ideen möglich sei. Sie sind weitaus weniger optimistisch. Vor allem ihr Drama Dantons Tod da frisst die Revolution ihre Kinder. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, allen und keinem verliehen. Sie lehnen jeden falschen, pathetischen Idealismus ab aber auch den Rückzug in die Idylle. Sie brechen in Ihrem kleinen Werk am radikalsten mit der Kunstperiode. Das klingt schmeichlerisch. Was meinen Sie mit brechen? Lenz - das Portrait eines psychisch Kranken. Woyzeck das Drama des gequälten, unterdrückten Menschen ohne Verherrlichung, ohne große Töne. Ich habe es einfach versucht, so dazustellen, wie es wirklich ist. Könnte man das Realismus nennen? Ja, wenn Sie so wollen. Wussten Sie, dass die folgende Epoche oft Realismus genannt wird. Nein wie Sie wissen, habe ich nicht so lange gelebt. Aber das ist ja ganz in meinem Sinne.