Menschliche Sicherheit

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NICHT WEINEN, MEIN KLEINES, DIE MAFIA PASST AUF UNS AUF!... Menschliche Sicherheit ist ein Synonym für,sicherheit der Menschen... Die menschliche Sicherheit soll die Sicherheit und das Überleben der Menschen gewährleisten. Dr. Sverre Lodgaard Zugehörige Aktivitäten Der Kampf um Geld und Macht, Seite 103 Gewalt in meinem Leben, Seite 147 Haushaltskasse, Seite 153 Kann ich reinkommen? Seite 176 Rechte-Bingo! Seite 204 Sprachbarriere, Seite 214 Wenn das Morgen kommt, Seite 245 Das Thema menschliche Sicherheit wurde gegen Ende des 20. Jahrhunderts weltweit auf die Tagesordnung gebracht. Bis dahin war die Idee der Sicherheit stets an Staaten gebunden. Staaten waren berechtigt und es wurde von ihnen erwartet, ihre territoriale Integrität gegen Bedrohungen von außen zu verteidigen. Zu diesem Zweck waren auch außerordentliche Maßnahmen zulässig, doch die Idee der Sicherheit machte, jedenfalls auf internationaler Ebene, an den Staatsgrenzen Halt. In den 1990er-Jahren veränderte sich der Sicherheitsdiskurs. Die internationale Staatengemeinschaft begann die Notwendigkeit zu akzeptieren, außerordentliche Maßnahmen nicht nur zur Verteidigung des Staates, sondern auch der Menschen zu treffen, selbst gegen den Willen der betreffenden Regierungen. Zwar wurde der Begriff Sicherheit auch schon zuvor auf Menschen angewandt, doch der radikale Wandel in den 1990ern vollzog sich im internationalen Diskurs: Zum ersten Mal wurde die Verteidigung einer Bevölkerung, die früher als souveräne Aufgabe einzelner Nationalstaaten galt, zu einer potenziellen Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft. Mit der Sprache änderten sich auch die Taten Kollektive Sicherheitsmaßnahmen, an denen sich mehrere Nationen gemeinsam unter der Führung der Vereinten Nationen beteiligten, galten nicht unbedingt dem Ziel, die Sicherheit von Staaten zu verbessern, sondern wurden vor allem im Namen der Sicherheit von Menschen bzw. Völkern ergriffen. Ereignisse, die zuvor nur im Zusammenhang mit humanitären Katastrophen genannt wurden, wurden im Hinblick auf Frieden und Sicherheit neu bewertet. Damit wurden internationale Vollstreckungsmaßnahmen gerechtfertigt, von denen das erzwungene humanitäre Programm in Somalia (1992 93) eines der ersten Beispiele war. Damals befand der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dass das Ausmaß der menschlichen Tragödie... eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit darstellt. Der Einsatz der Vereinten Nationen in Somalia (UNOSOM) wurde 1992 zur Überwachung des Waffenstillstands in Mogadischu als Begleitschutz für Hilfslieferungen an die Verteilerzentren in der Stadt durchgeführt. Mandat und Umfang der Mission wurden später erweitert, um Konvois mit Hilfslieferungen und Verteilerzentren in ganz Somalia zu schützen. 372

Der Sicherheitsrat, unter Berücksichtigung der Prinzipien und Ziele der Charta der Vereinten Nationen, einschließlich der vorrangigen Verantwortung des Sicherheitsrates für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit, in der Entschlossenheit,die schwerwiegende humanitäre Lage im Kosovo zu lösen und für die sichere und freie Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Häuser zu sorgen, in der Feststellung,dass die Situation in der Region weiter eine Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit darstellt,... bestimmt, dass die internationale Sicherheitspräsenz, die im Kosovo stationiert und handeln wird, folgende Aufgaben hat: 1. die Verhinderung neuer Feindseligkeiten...; 2. die Entwaffnung der Kosovo-Befreiungsfront (UCK)... ; 3. die Errichtung eines sicheren Umfeldes, damit Flüchtlinge und Vertriebene sicher in ihre Häuser zurückkehren können... damit... humanitäre Hilfe ausgeführt werden kann, 4. die Garantie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung... Auszüge aus der Resolution 1244 (1999), verabschiedet vom UN-Sicherheitsrat bei seinem 4011.Treffen am 10. Juni 1999 Zwei Aspekte des Wandels: Der obige Auszug aus der Kosovo-Resolution der Vereinten Nationen illustriert die zwei grundlegenden Veränderungen, die bei der Bewertung von Problemen im Hinblick auf die Bedrohung der internationalen Sicherheit eingetreten sind: 1. Die Art der Ereignisse, die als Bedrohung für die Sicherheit angesehen werden 2. Die Ausweitung der Sicherheitsbelange auf innerstaatliche Ereignisse ebenso wie auf Konflikte zwischen Nationalstaaten Was hat zu diesem Wandel geführt? Der Wandel von einer Definition der Sicherheit mit Blick auf die Staaten hin zu einer Definition mit Blick auf die Menschen hat mehrere Begründungen. Ein wichtiger Faktor war zweifellos das Ende des Kalten Krieges. Dadurch kamen Interessen von Regierungen und Völkern ans Licht, die bis dahin im Dunkeln gelegen hatten. Ein Ergebnis war der Ausbruch komplizierter und feindseliger, oft innerstaatlicher Konflikte, die viele zivile Opfer forderten und eine neue Art der Reaktion notwendig machten. Doch es gab vielleicht noch einen wichtigeren Faktor als lediglich die Erkenntnis, dass die Verteidigung von Völkern hin und wieder eine internationale Reaktion erfordert. Das schärfer werdende Profil der Menschenrechte führte in der Welt zu einer Rechtfertigung, die, wenn nicht überall, so doch immerhin auf breiter Ebene akzeptabel war: Menschenrechte sind für den Schutz von Menschen geschaffen und nicht für Staaten. Alle Länder der Welt bringen ihre prinzipielle Zustimmung zu diesen Normen zum Ausdruck.? In welchem Maße sollte die innerstaatliche Politik einer Nation der Überwachung durch die internationale Staatengemeinschaft unterworfen sein? Einzelinteressen oder staatliche Interessen? Der zentrale Gedanke hinter den Menschenrechten ist, dass ein bestimmter Grad der menschlichen Würde von keinem Staat und keiner Person verletzt werden darf. Bejaht man die Menschenrechte, ist es daher unausweichlich, dass Staaten etwas von ihrer Souveränität, wie sie früher verstanden wurde, abtreten. Durch die Unterzeichnung internationaler Menschenrechtsnormen haben Staaten zugestimmt, den einzelnen Menschen bei all ihren Maßnahmen in den Vordergrund zu stellen. Damit geben sie ihre uneingeschränkte Handlungsfähigkeit im Namen staatlicher Interessen auf. 373

Human security Sicherheit ist ein Zustand, der andere Dinge erst ermöglicht. Emma Rothschild Dieser Gedanke hat in den letzten zehn Jahren auf dem Feld der internationalen Beziehungen an Boden gewonnen. Dies hatte nicht nur eine wachsende Zahl von UN-Missionen mit weiter gefasstem Mandat als früher zur Folge, sondern es wuchs auch der Druck zur Einrichtung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofs, vor dem Personen, die die Menschenrechte verletzt haben, außerhalb der Grenzen irgendeines Staates der Prozess gemacht werden kann. Der Internationale Strafgerichtshof Die internationale Staatengemeinschaft traf sich vom 15. Juni bis 17. Juli 1998 in Rom (Italien), um ein Statut auszuarbeiten, welches nach der Ratifizierung durch mehr als 60 Länder den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) etabliert hat. Dieser ist ein ständiges Gericht für Prozesse gegen Personen, denen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt werden. Anhaltende Diskussionen: Freiheit von Not Der neue Fokus auf die menschliche Sicherheit wird häufig auf die Veröffentlichung einer Friedensagenda durch den damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen Boutros Boutros-Ghali 1992 zurückgeführt. Dieses Dokument stützte die Annahme, dass die globale Sicherheit nicht nur militärisch bedroht wurde: Eine zerlöcherte Ozonschicht könnte für eine exponierte Bevölkerung eine größere Bedrohung darstellen als eine feindliche Armee. Dürre und Krankheiten vermögen eine Bevölkerung genauso gnadenlos zu dezimieren wie Kriegswaffen. Es wurde darauf hingewiesen, dass Umweltprobleme, Armut, Hunger und Unterdrückung nicht nur an und für sich sicherheitsrelevante Themen darstellen, sondern sowohl Ursachen als auch Folgen militärischer Konflikte sind. Der Bericht über die menschliche Entwicklung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen von 1994 nahm diese Idee einer weiter gefassten Interpretation des Sicherheitsbegriffs auf und schlug vor, das Konzept menschliche Sicherheit auf zwei Komponenten zurückzuführen: 1. Sicherheit vor plötzlichen und nachteiligen Störungen unseres alltäglichen Lebens (Freiheit von Furcht), und 2. Sicherheit vor der ständigen Bedrohung durch Hunger, Krankheiten, Verbrechen und Unterdrückung (Freiheit von Not). Der Bericht differenzierte diese Konzepte noch weiter und nannte sieben Einzelkomponenten der menschlichen Sicherheit: Wirtschaftliche Sicherheit (gesichertes Grundeinkommen) Nahrungssicherheit (physischer und wirtschaftlicher Zugang zu Nahrung) Gesundheitliche Sicherheit (relative Freiheit von Krankheiten und Infektionen) Ökologische Sicherheit (Zugang zu sauberem Wasser, sauberer Luft und intaktem Boden) Persönliche Sicherheit (Sicherheit vor körperlicher Gewalt und Bedrohung) Gemeinschaftliche Sicherheit (Sicherheit der kulturellen Identität) Politische Sicherheit (Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten) Dieses sehr weit gefasste Konzept zu menschlicher Sicherheit wurde jedoch von vielen kritisiert, die der Auffassung sind, dass, je mehr Komponenten hinzukommen, das Konzept als politisches Instrument desto weniger Wirkung zeigt. Eines der Gründungsmitglieder der internationalen Human Security Partnership des kanadischen Ministeriums für Außenpolitik und Internationalen Handel (DFAIT) schlägt eine viel enger gefasste Definition vor: Menschliche Sicherheit bedeutet Sicherheit vor gewaltsamen und gewaltfreien Bedrohungen. Dieser Zustand ist gekennzeichnet durch Freiheit 374

von einschneidenden Bedrohungen der Rechte, der Sicherheit oder sogar des Lebens von Menschen. Der Lackmustest für die Entscheidung, ob es sinnvoll ist, ein Thema im Bereich der menschlichen Sicherheit anzusiedeln, ist der Grad, in dem die Sicherheit von Menschen gefährdet ist.? Welche Vor- und Nachteile hat die Ausweitung des Konzepts der Sicherheit auf die Freiheit von Furcht und Not? Jugend und menschliche Sicherheit Alle Jugendorganisationen, die Frieden, Menschenrechtsbildung und Umweltschutz fördern oder den Hunger bekämpfen und sich für mehr menschliche Sicherheit einsetzen, wollen Bedingungen schaffen, unter denen Menschen mehr Freiheit von Furcht und Not genießen. Die Agenda zu menschlicher Sicherheit Bei allen Unterschieden in der Interpretation, Definition und Schwerpunktsetzung haben die verschiedenen Konzepte zu menschlicher Sicherheit doch einige Elemente gemeinsam. Die folgenden Kennzeichen einer Agenda der menschlichen Sicherheit kristallisieren sich als zentral heraus: Der Schwerpunkt verlagert sich von der Sicherheit der Staaten auf die Sicherheit der Menschen. Dies gilt als einer der wichtigsten Punkte für das Konzept der menschlichen Sicherheit. Wie bereits erwähnt, wurde Sicherheit Jahrhunderte lang vor allem als nationale oder staatliche Sicherheit angesehen. Heute ist der Begriff der menschlichen Sicherheit Gegenstand internationaler Diskussionen über die Sicherheit und den Schutz von Menschen anstelle von Staaten. Dies impliziert und bekräftigt die Verpflichtung der Staaten, die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten. Indem die Sicherheit der Menschen in den Vordergrund tritt, wird der Staat verstärkt zum Garanten von Sicherheit und Schutz. Die Beziehungen der Menschen untereinander und die Tatsache, dass viele Probleme staatliche und andere Grenzen überschreiten, werden anerkannt. Eine Position zu menschlicher Sicherheit hebt die Interdependenz der Menschen in der heutigen Welt hervor und gibt zu bedenken, dass viele Probleme keinen Pass haben und nicht an politischen Grenzen aufgehalten werden können. So bleiben Frauen und Männer in Industrieländern von der Armut in den Ländern des Südens nicht unberührt, wie an der Migration und an Krankheiten, die an Grenzen nicht stehen bleiben, erkennbar ist, und Menschen in den Ländern des Südens sind durch die von den Fabriken des Nordens produzierte Umweltverschmutzung bedroht. Es wird anerkannt, wie wichtig nichtstaatliche Akteure sind. Als wirkungsvolle Initiative wird häufig die internationale Kampagne gegen Landminen genannt, deren Speerspitze von Nichtregierungsorganisationen gebildet wird. Organisationen der Zivilgesellschaft streben erweiterte Möglichkeiten und mehr Verantwortung bei der Förderung menschlicher Sicherheit an. In vielen Fällen haben sich Nichtregierungsorganisationen als äußerst effektive Partner bei der Durchsetzung der Sicherheit von Menschen erwiesen. 39 Wer für Verstöße gegen die Menschenrechte und humanitäre Gesetze verantwortlich ist,muss zur Rechenschaft gezogen werden. Die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs und der Internationalen Tribunale für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien gelten als wichtige Fortschritte bei den Bemühungen um eine Agenda zu menschlicher Sicherheit. Die Komplexität der Sicherheitsfragen wird hervorgehoben und die Notwendigkeit fassettenreicher Reaktionen bekräftigt. Bei aller Unterschiedlichkeit der Auffassungen über menschliche Sicherheit herrscht Übereinstimmung darüber, dass es sich um ein vielgestaltiges Konzept handelt, das die Koordination und Zusammenarbeit vieler verschiedener Akteur/innen erfordert. Eine maßgebliche Reaktion darauf ist ein wachsendes Vertrauen in die Soft Power bzw. Überzeugungsarbeit anstelle der alleinigen Konzentration auf militärische Macht und Rüstung ( schlagkräftige Ideen statt schlagkräftiger Waffen ). 40... anständige Menschen können sich angesichts systematischer, staatlich gelenkter Massaker an anderen Menschen nicht zurücklehnen. Anständige Menschen können dies einfach nicht tolerieren und müssen zu Hilfe kommen, wenn eine Hilfsaktion in ihrer Macht steht. Vaclav Havel 375

Human security Menschliche Sicherheit und die Europäische Menschenrechtskonvention Das Recht auf Freiheit und menschliche Sicherheit wird durch den Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt. Die Bedeutung des Artikels 5 erwies sich bereits in einigen der ersten Prozesse in Straßburg. Von den ersten 10 000 Klagen kamen fast ein Drittel von Personen, denen die Freiheit entzogen wurde. Dieser Artikel betrifft den Schutz der körperlichen Freiheit und insbesondere den Schutz vor willkürlicher Festnahme oder Freiheitsentziehung. Er garantiert bestimmte grundlegende Verfahrensrechte wie etwa das Recht, unverzüglich über den Grund der Verhaftung informiert zu werden, das Recht, unverzüglich einem/r Haftrichter/in vorgeführt zu werden, und das Recht, Maßnahmen zu ergreifen, um über die Rechtmäßigkeit der Festnahme oder der Freiheitsentziehung innerhalb kurzer Frist durch ein Gericht entscheiden zu lassen. Einige Beispiele für Klagen aufgrund von Artikel 5, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt wurden: 1. Bozano gegen Frankreich, 1986 Das Gericht befand,dass die Umstände der Verhaftung und Ausweisung des Antragstellers aus Frankreich in die Schweiz weder rechtmäßig noch mit dem Recht auf menschliche Sicherheit vereinbar waren. 2. Brogan und andere gegen das Vereinigte Königreich, 1988 Das Gericht befand,dass das Festhalten der Antragsteller über längere Zeiträume als vier Tage ohne Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verhaftung (Antiterror-Gesetze) gegen deren Recht verstieß, innerhalb kurzer Frist einem/r Haftrichter/in vorgeführt zu werden. 3. De Wilde, Ooms und Versyp gegen Belgien, 1970/71 Das Gericht erklärte, dass den Antragstellern im Zuge der Verfahren, die ihnen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Verhaftung nach dem Gesetz über Landstreicherei offen standen, kein Zugang zu Rechtsmitteln mit den notwendigen Garantien zur Anfechtung ihrer langen Freiheitsentziehung zwischen sieben und einundzwanzig Monaten gewährt wurde. Quellen Charta der Vereinten Nationen: www.un.org/peace, www.humansecuritynetwork.org Bericht über die menschliche Entwicklung 1994, Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP): www.undp.org 376