Vorlesung Wie regiert das Gehirn den KörperK. rper L. Deecke Neuropsychologie. Alma Mater Rudolphina

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Transkript:

Vorlesung Wie regiert das Gehirn den KörperK rper L. Deecke Neuropsychologie α-privativum-syndrome Alma Mater Rudolphina

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Broca-Area

Aphasie Allgemeines: Broca-Aphasie: Il ne peut pas parler.

Wernicke-Area

Aphasie Allgemeines: Wernicke-Aphasie: Il ne sait pas parler.

n A m n e s t. A p h a s i e C:\text\folien\N_Ps_AphasB2.doc Vorlesung Funktionelle Hirntopographie / Neuropsychologie L. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien APHASIE (nach Poeck) Forts. 2 3.7 nam -400ms Etwa die Hälfte der Patienten mit einem li-hemisphärigen Insult haben eine behandlungsbedürftige Aphasie. Bei Tumoren, Hirntraumen, Enzephalitiden und hirnatrophischen Prozessen verwischen sich die Syndrome, und es treten nichtsprachliche Symptome modifizierend hinzu (s.u.). Da Gefäßsyndrome aber den weit überwiegenden Anteil der Aphasien ausmachen (rund 80 %), werden sie zur Grundlage der nachfolgenden Darstellung gemacht.

Amnestische Aphasie Amnestische Aphasie -400ms Synonyme: verbale Amnesie (Broca 1861), Anomie (Goodglass u. Kaplan 1972), "nominal aphasia" (Head 1926, Brain 1965), semantic aphasia" (Wepman u. Jones 1961). Sprachliche Leitsymptome Wortfindungsstörungen bei gut erhaltenem Sprachfluß und überwiegend intaktem Satzbau. Siehe nächste Folie! Semantische Paraphasie mit geringer bedeutungsmäßiger Abweichung vom Zielwort, Sprachverständnis nur geringfügig gestört, gute Kommunikationsfähigkeit (Poeck et al. 1974, 1975). Klinisches Bild Die Spontansprache ist meist gut artikuliert und die Prosodie (Intonation und Betonung) ist unauffällig. Die Patienten sprechen in längeren Phrasen mit meist mehr als fünf Wörtern, die mit normaler Geschwindigkeit hervorgebracht werden. 3.7 nam

Wortfindungsstörung rung

C:\text\folien\N_Ps_AphasB3.doc Vorlesung Funktionelle Hirntopographie / NeuropsychologieL. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien Amnestische APHASIE (nach Poeck) Forts. 3 Satzbau und Struktur der Wörter weichen nur wenig von der Standardsprache ab. Amnest.Aphasie3 Es kommen beide Arten von Paraphasien vor, phonematische selten, semantische häufiger. Semantische Paraphasien stammen regelmäßig aus dem engeren Bedeutungsfeld des Zielwortes. So wird z. B. eine gesuchte Verwandtschaftsbeziehung durch eine andere und nicht etwa durch eine Berufsbezeichnung ersetzt. Oft bemerken die Patienten solche Fehler und versuchen, sich zu verbessern. Der Sprachfluß kommt häufig dann ins Stocken, wenn dem Patienten ein bestimmtes Wort zur Bezeichnung von bestimmten Objekten, Ereignissen, Eigenschaften oder Tätigkeiten gerade nicht zu Gebote steht. Dadurch können Satzabbrüche entstehen, die den Anschein von falsch konstruierten Sätzen erwecken. Bei diesen Unterbrechungen zeigen die Patienten individuell verschieden eine oder mehrere der folgenden Verhaltensweisen: - Ausweichen in allgemeine Floskeln, z. B. "na, Sie wissen schon... da hab' ich das halt so gemacht", - Stellvertreterworte ohne spezifische Bedeutung wie "das Dingsda", - Beschreibung von Gebrauch oder Eigenschaft, z. B."um die Zeit zu sehen" für Uhr oder "was so schwarz ist" für Kohle, - Ausweichen in Pantomime, - perseveratorische Wiederholung von gerade gebrauchten Wörtern, - Abbrechen und Fortführen des Themas in variierter Form, wobei oft der neue Ansatz weiter von der intendierten Aussage wegfährt, - seltener ist ein vollständiges Abbrechen der sprachlichen Äußerung. Wortfindungsstörungen und die dabei auftretenden Ersatzstrategien bewirken, daß die Rede des amnestisch aphasischen Patienten redundant und informationsarm ist. Jedoch können Patienten mit amnestischer Aphasie die jeweilige kommunikative Absicht meist mit Hilfe der Ersatzstrategien verwirklichen.

C:\text\folien\N_Ps_AphasB4.docVorles. Funkt. Hirntopographie / Neuropsychol. L. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien Amnest. APHASIE (nach Poeck) Forts. 4 Die folgenden 2 Beispiele illustrieren Wortfindungsstörungen und die dabei auftretenden Ersatzstrategien: Untersucher: "Wie hat das angefangen mit Ihrer Krankheit?" Patient: "Samstags bin ich dann dahin und sonntags bin ich dann nach hier gekommen... und dienstags ham se mich denn... also dienstags...dienstags ham se mich denn... hm das müßte man jetzt wieder sagen können... in jenem Fall da war ich dann 2 Tage...in... eh... da war ich dann zwei Tage im... na soll ich jetzt denn...trauma sagen oder... in jedem Fall ich wußte nicht mehr was ich tat." Patient: "Jetzt hab ich mich... eh... im Dezember... ich hab gehört...hier wäre also eine... eh man könnte hier neu Aphasietest...also machen lassen...und eventuell net... Moment wie heißt das... also, von außen...her... eh... ohne mi'm Haus zu sein... wie heißt das?" Untersucher: "Eine ambulante Behandlung." Patient: "Arn... ambula... also manche Worte da komm ich einfach...noch nicht drauf... das was... also ambulant Behandlung... eh... und um noch eine wesentliche Besserung des Zustands zu er-reichen." Nachsprechen ist meist nur geringfügig gestört: Es zeigen sich selten phonematische Paraphasien, oder der Patient spricht nur den ersten Teil eines längeren Wortes oder Satzes aus. Amnest. Aphasie 4

Amnest. Aphasie Benennen Beim Benennen bestätigt sich die Beobachtung aus der Spontansprache, daß der Patient seine Wortfindungsstörungen durch außersprachliche Verhaltensstrategien kompensiert. In schweren Fällen kommt es zum Verstummen. 1.Für die Diagnose ist es also nicht nur wichtig, wie häufig die Patienten bei der Benennungsaufgabe Fehler machen. Aufschlußreicher ist die Art der Fehlreaktionen, da Broca-, Wernicke- und amnestische Aphasiker in ganz unterschiedlicher Weise bei dieser Prüfung versagen. Fast immer kann der Patient das fehlende Wort aus einer sprachlich vorgegebenen Menge von Wörtern auswählen und dann auch aussprechen. Auch hilft es ihm häufig, wenn man ihm den Anlaut des fehlenden Wortes an-bietet oder den A f b h t b i ht

C:\text\folien\N_Ps_AphasB5.docVorlesung Funkti. Hirntopographie / NeuropsychologieL. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien Amnest. APHASIE (nach Poeck) Forts. 5 Nahezu genauso wirksam sind semantische Hilfen. So kann beispielsweise das Wort "Sonne" gesagt werden, wenn ein Lückensatz wie "Heute scheint die..." vorgegeben wird. Amnest.Aphasie Schluss Im Hinblick auf das auditive Sprachverständnis sind Patienten mit amnestischer Aphasie im Gespräch unauffällig, und auch bei Tests unterscheiden sie sich kaum vom hirnorganisch Geschädigten ohne Aphasie. Im Umgang mit der Schriftsprache sind die Patienten meist wenig beeinträchtigt. Das gilt für das Schreiben und das laute Lesen. Verlauf Der Verlauf der amnestischen Aphasie ist, wenn der Krankheitsprozeß nicht fortschreitet, im Vergleich zu den anderen Aphasieformen besonders günstig. Über amnestische Aphasie bei nichtvaskulären Hirnerkrankungen s. S. 103. Lokalisation Die Zuordnung zur Läsion einer bestimmten Hirnregion ist bei der amnestischen Aphasie weit weniger sicher als bei den anderen Aphasieformen. Die Läsionen liegen vorwiegend retrorolandisch, d.h. temporoparietal. Differentialdiagnose Es gibt Patienten mit amnestischer Aphasie, die eine sehr geringe Sprachproduktion haben, und bei denen die Abgrenzung zur Broca Aphasie notwendig ist. Die geringe Sprachproduk-tion kommt aber bei der anmestischen Aphasie nicht durch generell verlangsamtes, müh-sames Sprechen zustande. Vielmehr werden normal rasch und gut artikuliert gesprochene Passagen durch längere Pausen unterbrochen, die dadurch entstehen, daß Wort-findungsstörungen nicht durch Ersatzstrategien überbrückt werden können. Agrammatismus mit dem charakteristischen Fehlen von grammatischen Funktionswörtern kommt bei diesen Patienten nicht vor. Die Abgrenzung zur Wernicke-Aphasie wird später besprochen.

Pierre Broca

Broca-Aphasie: Il ne peut pas parler.

Broca-Aphasie Broca Synonyme: motorische Aphasie (Goldstein 1948) "expressive aphasia" (Weisenburg, u. McBride 1935) verbale Aphasie (Head 1926). Sprachliche Leitsymptome Meist erheblich verlangsamter Sprachfluß mit großer Sprachanstrengung bei meist schlechter Artikulation (Dysarthrie) und stark gestörter Prosodie. Reichlich phonematische Paraphasien Agrammatismus Sprachverständnis mäßig beeinträchtigt Kommunikationsfähigkeit vorwiegend aufgrund der expressiven Sprachstörung stark eingeschränkt (Kerschensteiner u. Mitarb. 1978, Poeck u. Mitarb. 1975). Klinisches Bild Spontansprechen. Patienten mit Broca-Aphasie sprechen langsam, mit vielen Pausen und großer Sprachanstrengung. Interjektionen wie "äh", "geht noch nicht", "na... nein" drücken Unzufriedenheit und oft Gequältheit aus. Sie werden durch Gestik und Mimik unterstrichen, die manchmal auch allein die Sprachanstrengung erkennen lassen. Bedeutungsmäßig zusammenhängende Äußerungen von Broca-Aphasikern bestehen meist nur aus 1 bis 3 Wörtern. Die syntaktische Struktur dieser Sätze ist vereinfacht, immer wieder fehlen Funktionswörter und Flexionsformen. Bei stärkster Störung werden Sachverhalte, deren Mitteilung üblicherweise einen Satz erfordert, in 2 Wörtern oder in nur 1 Wort ausgedrückt, z. B. "Skifahren Österreich. Abfahrt und Peng. Kaputt". Eine Differenzierung nach verschiedenen grammatischen Relationen, wie z. B. Subjekt gegenüber Objekt, direktes gegenüber indirektem Objekt, Hauptsatz gegenüber Nebensatz ist nicht erkennbar.

Bild Broca S/W

Broca 8 APHASIE (nach Poeck) Forts. 8 Broca Oft haben Broca-Aphasiker eine gestörte Prosodie (Weniger 1977). Diese äußert sich in Abweichungen des Wort- und Satzakzentes und der Satzintonation, die ersten Satz z. B. als Frage, Aussage, Aufforderung kennzeichnet. So wird bei einem gestörten Wortakzent die Anfangssilbe oder die Endsilbe betont, auch bei Wörtern, die in der Standardsprache eine andere Betonung verlangen. Beispiele hierfür sind "geduscht", "Nervenärzt". Ein Beispiel für gestörten Satzakzent ist die Hauptbetonung des letzten Wortes im Satz statt des letzten Inhaltswortes. Bei gestörter Satzintonation wird etwa der steigende Tonhöhenwechsel einer Frageintonation durch einen fallenden ersetzt. Solche Merkmale von Dysprosodie sind Ausdruck der Sprachstörungen von Broca-Aphasikern. Demgegenüber sind Nivellierung der Sprechmelodie, skandierender Rhythmus und veränderte Phonation Zeichen einer Sprechstörung. Diese tritt fakultativ zur Broca-Aphasie hinzu. Weitere Zeichen dieser Sprechstörung sind die unscharfe, verwaschene Artikulation von Konsonanten und vor allem von Konsonantenfolgen sowie die fehlerhafte Veränderung der Vokalqualität. Viele Patienten bringen ihre Äußerungen mit großer Sprechanstrengung hervor. Diese ist im Unterschied zur fluktuierenden Sprachanstrengung durchgehend vorhanden. Die Sprechanstrengung spiegelt Schwierigkeiten des Sprechrhythmus, der Artikulation und der Phonation wider und nicht Schwierigkeiten bei der Wortfindung oder bei der Wort- und Satzbildung. Wenn diese Merk-male einer Sprechstörung bei einer Großhirnläsion auftreten, werden sie als kortikale Dysarthrie bezeichnet (Bay 1957). In kommunikativer Hinsicht fällt auf, daß die Spontansprache von Broca-Aphasikern vor-wiegend Äußerungen enthält, die informative Funktionen haben und kaum solche, die vor-wiegend eine interpersonale Funktion erfüllen. Im Gegensatz zu den informativen dienen die interpersonalen Äußerungen vor allem dem Ausdruck gefühlsmäßiger Inhalte und Einstellun-gen. Dieser Aspekt hat in alltäglichen Gesprächssituationen von Gesunden eine hervor-ragende Bedeutung.

APHASIE (nach Poeck) Forts. 9 Broca Wenn man bei Broca-Aphasikern die Emotionalität vermißt, so hat das mehrere Gründe: - Sprachanstrengung - gestörte Prosodie und - syntaktische Schwierigkeiten. Broca 9 Die Störung dieser 3 Elemente erlauben es nicht, die komplexen emotionalen Aspekte in möglichen Interaktions-situationen auszudrücken. Das spontane Sprechen bei Broca-Aphasie zeigt also ein breites Spektrum, das vom reinen, gut artikulierten und intonierten Agrammatismus über Agrammatismus mit Dysprosodie bis zu agrammatischem Sprechen mit starker Dysarthrie reicht. Schließlich gibt es Broca-Aphasiker, deren agrammatische Störungen nur gering ausgeprägt sind, wogegen die Sprechstörung ganz im Vordergrund steht. Ein Textbeispiel für Sprachproduktion eines Patienten mit starkem Agrammatismus: Untersucher: "Wie hat es mit Ihrer Krankheit angefangen?" Patient: "Eins, zwei, drei vier Tage... eh... Flugzeug fahren... Sonne scheint und so... vier Tage und zwei Tage... eh... bewußtlos und umfallen und später eine Woche... Hubschrauber... zu Hause bleiben und Böblingen Krankenwagen... Stuttgart Böblingen und später eins zwei Monate... eh... hier Böblingen... eh..." Untersucher: "Sind Sie von Böblingen aus hierher gekommen?" Patient: 'Eh... eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben... silben eh... sieben Tage Hubschrauber hier Böblingen Krankenhaus. Und... eh... Nein nein... eh... zwei Pilote... ein Doktor und ihr Mann und eine Frau... ich." Untersucher: "Was machen Sie in Ihrer Freizeit?" Patient: "Laden gehen einkaufen." Trotz der Sprech- und Sprachanstrengung sind Broca-Aphasiker meist zum Nachsprechen von Wörtern oder Sätzen zu bewegen. Dabei bringen die meisten Patienten phonematische Paraphasien hervor. Sie sind gut zu identifizieren, da die Zielwörter bekannt sind und die dysarthrische Komponente beim Nachsprechen meist zurücktritt.

Broca 10 APHASIE (nach Poeck) Forts. 10 Broca Auch agrammatische Fehler lassen sich beim Nachsprechen von Sätzen mit zunehmender Komplexität hervorrufen. Beispiele: Stimulus: Fritz läßt sich ungern die Haare schneiden. Reaktion: Fritz... Fritz Haare schneiden. Stimulus: Er holte seine Mutter mit einem neuen Auto vom Bahnhof ab. Reaktion: Auto... Mutter... holt du... holst du ab. Beim Benennen kommen phonematische Paraphasien vor. Die Patienten produzieren jedoch auch semantisch abweichende Bezeichnungen (semantische Paraphasien), und nur diese werden als Benennungsfehler bewertet. Die semantischen Paraphasien haben meist eine bedeutungsmäßig enge Beziehung zum Zielwort, grob abweichende Fehlbenennungen und Neologismen kommen im Gegensatz zu Patienten mit Wernicke- Aphasie und globaler Aphasie bei der Broca-Aphasie nicht vor. Sprachverständnis. In der Unterhaltung gewinnt man den Eindruck, daß Broca-Aphasiker überhaupt keine Sprachverständnisstörungen haben. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß sich der Untersucher in vielerlei Hinnsicht dem verbalen Verhalten des Patienten anpaßt: Da ein schwer gestörter Broca-Aphasiker so gut wie nichts zur Fortführung der Unterhaltung beiträgt, stellt sich der Untersucher, wie jeder andere Gesprächspartner auch, rasch darauf ein, nur noch einfache Fragen oder kurze Aufforderungen an den Patienten zu richten, auf die dieser noch verständlich antworten kann. So wird dem Patienten besonders einfaches sprachliches Material angeboten, welches nur noch geringe Anforderungen an sein Sprach-verständnis stellt. Bei Testuntersuchungen des Sprachverständisses unterscheiden sich Broca-Aphasiker zwar von gesunden Kontrollpersonen, von rechtsseitig hirngeschädigten unterscheiden sie sich jedoch nur bei schwierigen Satzverständnisaufgaben, die wenig Redundanz enthalten und sprachliches Schlußfolgern auf gegebene Sachverhalte erfordern (Stachowiak et al. 1977a).

Broca 11 Verlauf APHASIE (nach Poeck) Forts. 11 Broca Will man eine Störung im Satzverständnis bei Broca Aphasikern erfassen, so kommt es nicht darauf an, daß die Sätze lang, sondern daß sie syntaktisch komplex sind. Dies gilt übrigens für Aphasiker aller Gruppen (Shewan u. Canter 1971). Beim lauten Lesen kommen alle o.g. expressiven Störungen vor, wenn-gleich in quantitativ geringerem Maße. Sätze werden in grammatisch reduzierter Form wied-ergegeben. Die Störungen im Lesesinnverständnis entsprechen im Schweregrad der Störung für das auditive Verständnis (Hartje u. Poeck 1978). Das Schreiben ist, anders als bei Patienten mit Wernicke-Aphasie oder globaler Aphasie, nicht durch räumlich-konstruktive Störungen beeinträchtigt. Im übrigen treten mehr oder weniger reichlich Paragraphien auf, die in ihrer Fehlerstruktur den phonematischen Paraphasien der Lautsprache entsprechen. Ebenso kommt es je nach Ausprägung des Agrammatismus beim Sprechen zu agrammatischer Vereinfachung von Sätzen. Die Beein-trächtigung von Schrift- und Lautsprache zeigt, daß die phonematischen Paraphasien nicht durch Störung der Sprechmotorik erklärt werden können. --> Deshalb eignet sich das Schreiben zur Differenzierung von aphasischen und dysarthrischen Symptomen bei Broca Aphasie. Wenn der Patient wegen einer Parese des Armes selbst mit Hilfe eines Schreibgerätes nicht schreiben kann, läßt man ihn mit der linken Hand schreiben, eine Schreibmaschine benutzen oder Wörter und kurze Sätze aus Buchstabentäfelchen zusammensetzen. Die Schreib-störung belegt weiterhin, daß der Agrammatismus nicht als Zeichen einer Ökonomie zu ver-stehen ist, die dem Patienten trotz der erheblichen dysarthrischen Sprechanstrengung noch die Vermittlung des Satzinhaltes ermöglicht (vgl. Kerschensteiner u. Mitarb. 1978). Verlauf In der Rückbildung nimmt die Sprachanstrengung ab, ohne daß dabei immer die Verlangsamung im Sprachfluß entsprechend zurückgeht. Während die Prosodie lange deutlich gestört bleibt, bessert sich die Artikulation rascher.

Broca 12 DD APHASIE (nach Poeck) Forts. 12 Broca Verlauf Außerdem nimmt die Häufigkeit der phonematischen Paraphasien ab. In zunehmendem Maße werden längere kornplexere Sätze gebildet und grammatische Funktionswörter wieder verwendet. Dennoch überwiegen auch in der späten Rückbildung einfache Satzkonstruktionen, und es kommen gelegentlich auch agrammatische Fehler vor. Lokalisation Keine andere Aphasieform ist so strikt einer umschriebenen Hirnläsion zugeordnet worden wie die Broca-Aphasie (motorische Aphasie). Die Läsionen sollten am Fuß der dritten Stirn-windung der sprachdominanten Hemisphäre lokalisiert sein. Diese Region (Brodmann-Area 44 und 45), die später Brocasche Stelle genannt wurde, gehört zum motorischen Assozia-tionskortex für das Gesicht. Computertornographische Untersuchungen (vgl. Blunk u. Mitarb. 1981) haben aber gezeigt, daß bei Broca-Aphasie die Läsion nicht in der Brocaschen Region sondern mehr dorsal davon im Marklager des Stirnhirns liegt, meist mit Übergreifen auf die Insel. Auch diese Läsionen befinden sich im Versorgungsgebiet der A. praerolandica. Die Broca-Aphasie ist damit, wie die Wernicke-Aphasie, ein typisches Gefäßsyndrom, und beide unterscheiden sich hierin von der amnestischen Aphasie, der man keine distinkte Lokali-sation und keine Durchblutungsstörung in einem speziellen Gefäßterritorium zuordnen kann. Differentialdiagnose Die wichtigste Unterscheidung ist zu treffen gegen die Anarthrie (Unfähigkeit zu jeder mündlichen Sprachäußerung) und die sog. kortikale Dys-arthrie. Die Anarthrie wird in der Literatur auch als subkortikale motorische Aphasie oder reine Wortstummheit bezeichnet. Zwischen Anarthrie und Dysarthrie besteht kein grundsätzlicher sondern nur ein gradueller Unterschied. Die für Anarthrie auch gebrauchten genannten Termini sind aus zwei Gründen unzutreffend: - Sie implizieren eine Lokalisation, die in dieser Regelmäßigkeit weder nachge-wiesen noch anzunehmen i t

APHASIE (nach Poeck)Forts. 13 BrocaSchluß - Außerdem handelt es sich bei der Anarthrie und Dysarthrie nicht um Aphasien, weil das Sprachsystem intakt ist. Die Hemisphärendysarthrie hat mit der Broca-Aphasie die - schlechte Artikulation, -die Verlangsamung des Sprechens und - das Auf-treten phonematischer Paraphasien gemeinsam. Sie ist aber nach folgenden Kriterien von der Broca-Aphasie abzugrenzen: - kein Agrammatismus - keine Benennungsstörungen - intak-tes Sprachverständnis und - keine aphasischen Störungen beim Schreiben. Im Token-Test bleiben Patienten mit sog. kortikaler Dysarthrie unter dem Grenzwert für Aphasiker. Wenn sich der zugrunde liegende Krankheitsprozeß wieder zurückbildet, klingt die Dysarthrie in aller Regel folgenlos ab. Schreitet der Krankheitsprozeß fort, entwickelt sie sich zur Broca-Aphasie. Broca 13 Schluss Dysarthrische Funktionsstörungen, wie sie oben beschrieben sind, kom-men auch bei Läsionen der rechten Hemisphäre vor. Sie finden sich oft bei frischen Insulten mit linksseitiger Hemiplegie, bilden sich aber gewöhnlich rasch wieder zurück. Die Anarthrie dagegen hat eine weit schlechtere Prognose. Eine schwere Broca-Aphasie mit sehr eingeschränkter Sprachproduktion läßt sich von der globalen Aphasie durch das verhältnismäßig gut erhaltene Sprachverständnis unterscheiden. Globale Aphasiker in Rückbildung zeichnen sich immer durch Stereotypien, Automatismen und phonematische Neologismen in der Spontansprache aus, Merkmale, die nicht züm Bild der Broca-Aphasie gehören. Zur Abgrenzung von amnestischer Aphasie s. S. 85.

Die aphasiologischen Begriffe nach: Goldenberg Neuro- Psychologie Urban & Fischer

Bild von Wernicke

Vorstellung von Wernicke

Wernicke-Aphasie: Il ne sait pas parler.

C:\text\folien\N_Ps_AphasB14.doc Vorlesung Funktionelle Hirntopographie / Neuropsychologie L. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien APHASIE (nach Poeck) Forts. 14 Wernicke-Aphasie Wernicke- Aphasie Synonyme: sensorische Aphasie (Wernicke 1874, Goldstein 1948), rezeptive Aphasie (Weisenburg u. McBride 1935), syntaktische Aphasie (Head 1926), pragmatische Aphasie (Wepman u. Jones 1964), akustische Aphasie (Luria 1970) oder "posterior aphasia" (Benson 1967). Sprachliche Leitsymptome Reichlich phonematische und/oder semantische Paraphasien, die z.t. grob vom Zielwort ab-weichen und Neologismen, gut erhaltener Sprachfluß, häufig überschießende Sprachpro-duktion, Paragrammatismus, Sprachverständnis erheblich gestört, Kommunikationsfähigkeit stark eingeschränkt (Huber u. Mitarb. 1975, Poeck u. Mitarb. 1975). Klinisches Bild Spontansprechen. Patienten mit Wernicke-Aphasie sprechen flüssig, d. h. mit normaler Sprechgeschwindigkeit von durchschnittlich 100 und mehr Wörtern pro Minute und in zusammenhängenden Phrasen, die mehr als vier Wörter lang sind (Kerschensteiner u. Mitarb. 1972). Artikulation und Prosodie sind gut erhalten. Lautstruktur der Äußerung häufig durch phonematische Paraphasien verändert. Diese entstehen oft durch Veränderun-gen der phonetischen Merkmale des Ziellautes (z. B. hoher statt tiefer Vokal in "Kinn" statt "Kamm"), ebenso kommen sie durch Perseverationen und Vorwegnehmen eines anderen Phonems aus der gleichen Wortkette zustande ("Tirnspitze" für "Turmspitze"). Phonema-tische Entstellungen können so gehäuft auftreten, daß die Äußerung über große Strecken nicht mehr mit Lautfolgen bekannter Wörter in Verbindung gebracht werden kann (phonematischer Jargon). Die einzelnen Laute gehören jedoch selbst dann meist zum Lautinventar der jeweiligen Um-gangssprache. An Lücken im Satz, an abgebrochenen Sätzen und an Interjektionen wie "äh" ist zu erkennen, daß den Patienten bereits in der Spontansprache die gerade passenden Wörter fehlen.

Wernicke 15 APHASIE (nach Poeck) Forts. 15Wernicke Häufig bringen die Wernicke-Aphasiker semantische Paraphasien hervor. Dabei wird das erwartete Wort entweder durch ein semantisch naheliegendes (z. B. "Licht" oder "Docht" statt "Kerze") oder durch ein Wort ersetzt, das keinen direkten Bedeutungszusammenhang zum Zielwort mehr erkennen läßt ("wild paraphasic misnaming"; z. B. "Nachtjacke" statt "Kerze"). Kenn-zeichen der semantischen Störungen sind auch die vielen Redefloskeln, in denen nur wenige inhalttragende Wörter vorkommen. Die paraphasischen Entstellungen können zu Neologismen führen, d. h. zu Wörtern, die aus phonematischen oder semantischen Gründen nicht zum Wortschatz der jeweiligen Sprache gehören. Wortentstellungen werden auch in Form von Überproduktion ("Augmentation") beobachtet, z. B. als Verdoppelung von Endsilben, wie in "laufenen". Patienten mit Wernicke-Aphasie können, wie Gesunde, lange und komplexe Sätze anlegen, die jedoch in der Wahl, der Kombination und z.t. auch der Stellung der Wörter von gram-matisch akzeptablen Sätzen abweichen. Neben Satzabbrüchen kommen Verschränkungen von Sätzen sowie Verdoppelung von Satzteilen vor. Folgende Beispiele: - Es war in der Nacht muß das gewesen sein. - Bei der Arbeit einfach hörte es einfach auf langsam auf. Das klinische Syndrom der Wernicke-Aphasie ist nicht einheitlich. Nach der Beobachtung der Spontansprache erscheint uns eine Einteilung unter 2 Aspekten brauchbar: - nach der vorherrschenden Art der Paraphasien (phonematische bzw. semantische) und - nach dem Schweregrad der Beeinträchtigung im lnformationsgehalt. Dort, wo keine zusammen-hängende Information mehr vermittelt wird, spricht man von Jargon-Aphasie. Damit ergeben sich vier Spielarten: - Wernicke-Aphasie mit vorwiegend semantischen Paraphasien - Wernicke-Aphasie mit semantischem Jargon - Wernicke-Aphasie mit vorwiegend phonema-tischen Paraphasien - Wernicke-Aphasie mit phonematischem Jargon.

Wernicke16 APHASIE (nach Poeck) Forts. 16Wernicke Der Paragrammatis-mus ist allen Typen gemeinsam, jedoch ist er bei den Unterformen mit semantischen Paraphasien leichter zu erkennen. Im folgenden geben wir 2 Beispiele für die Sprachproduktion von Patienten mit Wernicke-Aphasie: 1. Wernicke-Aphasie mit vorwiegend semantischen Paraphasien: Untersucher: "Können Sie mal erzählen, wie es Ihnen jetzt so geht, und ob Sie noch Beschwerden haben?" Patient: "Ja das kann ich Ihnen sagen, daß ich Beschwerden habe. Na ich muß mal anders... ich glaube man sollte bei Null beginnen und nicht bei oben. Es ist so: gegenüber früher möcht ich erst einmal sagen über den ganz großen Beginn erst mal als ich ankam ist es natürlich ganz entschieden... eh... ein Unterschied... heute besser als früher wollen gar nicht drüber debattieren." 2.Wernicke-Aphasie mit vorwiegend phonematischen Paraphasien: Untersucher: "Wie hat das mit Ihrer Krankheit angefangen?" Patient: "Ja ich bin... ich war unter terännegünte und bin eh im jui dui unter geworden und bin zusammgegamen und war weg...aus aus... twass dann... und dann bin ich auch gekommen und so bin ich auch schon da... und es geht also jetzt gar nicht mehr... ich kann zwar bißchen, jetzt na... aber ich kann mir gar nicht mehr schrechten... das kann ich alles... mehr kann ich Ihnen jetzt mehr keinen eins mehr kann ich nicht sagen was." In der Kommunikationssituation ist zunächst die ungehemmte Sprachproduktion (Logorrhoe) auffällig, die man leicht durch Fragen auslösen kann, die nur kurze Antworten erfordern. Häufig genügen selbst Interjektionen, um den Redefluß in Gang zu halten oder anzuregen. Dennoch läßt sich der formale Rahmen einer Konversation mit Rede und Gegenrede ohne Schwierigkeiten herstellen, selbst wenn die Gesprächspartner inhaltlich und gelegentlich selbst thematisch aneinander vorbeireden. Die Fähigkeit, einen Dialog formal zu führen. be-ruht möglicherweise darauf, daß Wernicke-Aphasiker trotz schwerster Sprachverständnis-störungen die Oberflächenmerkmale von Sprechakten, wie die Intonation von Fragen und Aufforderungen, erkennen (Green u. Boller 1974).

Wernicke 17 APHASIE (nach Poeck) Forts. 17Wernicke Nachsprechen. Wernicke-Aphasiker sprechen bereitwillig nach. Dabei sind die Wörter mit großer Häufigkeit phonematisch entstellt. Wie bei anderen aphasischen Syndromen beob-achtet man, daß phonematisch ähnliche Laute nicht diskriminiert und daß Verbindungen mehrerer Konsonanten vereinfacht werden. Beim Nachsprechen längerer Sätze werden diese häufig lexikalisch und syntaktisch fehlerhaft verändert. Für Wernicke-Aphasiker charakteristisch sind die sequentiellen Fehler, d. h. die Vorwegnahme oder Perseveration von einzelnen Lauten, Silben sowie Wort- und Satzteilen. Benennen. Diagnostisch wichtig ist auch die Art der Fehler bei den Benennungsaufgaben. Die Patienten geben statt der verlangten Bezeichnung eine Paraphasie, die entweder aus dem semantischen Feld des Zielwortes stammt oder ohne jeden semantischen Bezug dazu ist ("wild paraphasic misnaming"). Anstatt zu benennen, beschreiben die Patienten oft Gebrauch oder Eigenschaften des abgebildeten Objektes, wobei diese Beschreibungen häufig ebenfalls durch Paraphasien entstellt sind. Wir geben für diese Arten von Fehlbenennungen 2 Beispiele: Stimulusbild: Reaktion: Staubsauger Besen (mit semantischem Bezug), Luftwiderstand (ohne semantischen Bezug), zum Saubermachen (Beschreibung von Gebrauch). Waage Gewicht (mit semantischem Bezug), Esel (ohne semantischen Bezug), wenn ich mein Gewicht prüfen will (Beschreibung von Gebrauch). Oft werden Fehler beim Benennen über mehrere Aufgaben perseveriert. Die Patienten per-severieren auch richtige Bezeichnungen, wodurch ebenfalls Benennungsfehler entstehen. Beim Benennen, wie auch in der Spontansprache, zeigen Wernicke Aphasiker eine stufen-weise phonematische, gelegentlich semantische Annäherung an das Zielwort ("Conduite d'approche"). Im Gegensatz zu den anderen Aphasieformen ist aber fast genauso häufig zu beobachten, daß Wernicke- Aphasiker mit Erreichen des Zielwortes oder eines semantisch bzw. phonematisch ähnlichen Wortes nicht innehalten, sondern wieder davon abdriften.

Wernicke 18 APHASIE (nach Poeck) Forts. 18Wernicke Die Conduite d'approche wird durch folgendes Beispiel verdeutlicht: "Klösen Schlase... Schlage... Klause... Glesen Kretten Kretten gebunden eingeschlagene einge-schlossene Kretten ein Kräusel ein Krausliger... ein Fänger... ein Ver... ein Vergebrachener ein Fangener... Gefangener" (abgebildet ist ein Gefangener mit Fußketten). In dieser Kette sind nebeneinander Folgen von phonematisch, morphologisch und semantisch ähnlichen Wörtern zu erkennen. Ein Beispiel für das Abdriften ist: Hier ist ein Türm..... Türn... Türnspit... Türmsürze... Türn... die Türntüsche... die Kürnstücke" (abgebildet ist eine Turrnspitze). Paraphasische Antworten werden vom Patienten meist auch dann nicht korrigiert, wenn man ihm Hilfen vorgegeben hat, wie Anlaut des Wortes oder Lückensätze. Sprachverständnis. In der Unterhaltung ist das Sprachverständnis grob gestört. Bei der systematischen Prüfung sind Wernicke-Aphasiker bereits beim Erkennen einzelner Phoneme erheblich beeinträchtigt. Erhalten ist jedoch die Fähigkeit, Äußerungen der eigenen Sprache von solchen in einer Fremdsprache oder Kunstsprache zu unterscheiden (Boller u. Green 1972). Bereits im Einwortverständnis, geprüft an Objekt- und Farbnamen, sind Wernicke-Aphasiker deutlich schlechter als Patienten mit amnestischer und Broca-Aphasie (Poeck u. Mitarb. 1973). Der Leistungsabstand in diesen anderen Gruppen wird noch größer beim Satzverständnis. Schreiben und Lesen sind gewöhnlich in gleicher Weise gestört wie Sprechen und Sprachverständnis. Häufig ist die Schrift durch Perseveration und Überproduktion von Buchstaben und Buchstabenkombinationen entstellt. Die Patienten bemerken eher die beeinträchtigte Schreibfähigkeit als das beeinträchtigte Sprechen (Hècaen u. Angelergues 1965). Es gibt aber immer wieder Wernicke-Aphasiker, bei denen bald das Schreiben, bald das Lesen relativ geringer als die anderen Sprachmodalitäten beeinträchtigt ist.

Wernicke 19 C:\text\folien\N_Ps_AphasB19.doc Vorlesung Funktionelle Hirntopographie / Neuropsychologie L. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien APHASIE (nach Poeck) Forts. 19Wernicke Die Schreib- und Lesestörung soll auf einer begleitenden Läsion des Gyrus angularis (Benson u. Geschwind 1969) beruhen. Verlauf In der Rückbildung der Wernicke-Aphasie bessert sich, wie bei allen Aphasikern, die Ver-ständnisstörung rascher und in stärkerem Maße als die Sprachproduktion. Häufig wird ein Übergang von einer Sprachproduktion mit reichlichen phonematischen Paraphasien zu vor-wiegend semantischen Paraphasien beobachtet. Dies zeigt, daß die gehäuften phonematischen Paraphasien zunächst die semantischen Verstöße überdecken. Dadurch ist auch verständlich, warum die umgekehrte Entwicklung nicht zu beobachten ist. Lokalisation Die Läsion liegt im rückwärtigen Anteil des Schläfenlappens und bezieht immer die erste Temporalwindung mit ein. Diese Region entspricht dem Versorgungsgebiet der A. temporalis posterior aus der A. cerebri media. Differentialdiagnose Die Differentialdiagnose ist am häufigsten gegenüber der Leitungsaphasie (Nachsprechaphasie) zu stellen (s. S. 101). Eine schwere Beeinträchtigung des Sprachverständnisses entsteht auch bei der reinen Worttaubheit (auch reine subkortikale sensorische Aphasie genannt). Die Patienten verstehen gesprochene Sprache nicht und können dem-gemäß auch nicht nachsprechen und nach Diktat schreiben. Anders als bei Wernicke-Aphasikern ist aber ihre Spontansprache, wie auch Lesen und Spontanschreiben, ungestört. Die Läsionen müssen die akustischen Afferenzen aus den Hörregionen beider Hemisphären zur Wernicke-Area unterbrechen. Ist die Läsion etwas weiter zur linken ersten Tem-poralwindung ausgedehnt, so treten in der Sprachproduktion zunehmend Symptome der Wernicke-Aphasie auf. Patienten, deren Verständnisstörung auf Worttaubheit beruht, unterscheiden sich in ihrem Verhalten charakteristisch von Wernicke-Aphasikern.

Wernicke 20 C:\text\folien\N_Ps_AphasB20.doc Vorlesung Funktionelle Hirntopographie / Neuropsychologie L. Deecke, Univ.-Klinik f. Neurol. Wien APHASIE (nach Poeck) Forts. 20Wernicke Die Patienten unterbre-chen die Kommunikation immer wieder, indem sie auf ihren "Hördefekt" hinweisen. Obwohl sie sich damit wie Taube verhalten, ist das Tonaudiogramm normal. Viele Patienten mit Wernicke-Aphasie werden als verwirrt in die Klinik eingewiesen! Ihre Sprache unterscheidet sich aber von der des Verwirrten durch Häufung von Paraphasien und syntaktische Verstöße, während der Gedankengang als kommunikativ adäquat zu erkennen ist. Beim Jargon sind zwar die inhaltlichen Bezüge kaum zu erkennen, jedoch wird hier die Differentialdiagnose durch die massive Häufung von phonematischen oder semantischen Paraphasien erleichtert. Bei einer rückgebildeten Wernicke-Aphasie ist das Sprachverständnis häufig soweit ge-bessert, daß man daran die Differentialdiagnose zur amnestischen Aphasie nicht mehr tref-fen kann. Auch die Spontansprache kann zunächst vor allem durch Wortfindungsstörungen auffällig sein. Gelegentlich kommen jedoch noch grob abweichende semantische Paraphasien und phonematische Neologismen vor, die bei der amnestischen Aphasie nicht beobachtet werden.

Globale Aphasie 21 APHASIE (nach Poeck) Forts. 21Globale A. Globale Aphasie Synonyme: totale Aphasie (Dejerine 1906), grande aphasie de Broca" (Marie 1906), "expressive-receptive aphasia" (Weisenburg u. McBride 1935). Sprachliche Leitsymptome Schwerste Form der Aphasie (!) Sprachproduktion und Sprachverständnis gleichermaßen stark reduziert, nur stockender Sprachfluß mit erheblicher Sprechanstrengung und meist sehr schlechter Artikulation, Prosodie stark gestört, häufig Sprachautomatismen (rekurrente Äußerungen). Die sprachliche Kommunikation ist nahezu unmöglich (Stachowiak u. Mitarb. 1978). Klinisches Bild Spontansprache: Das auffälligste Merkmal ist die große Einschränkung der Fähigkeit, Sprache zu äußern. Dies gilt nicht nur für die spontane Sprachproduktion, sondern auch dann, wenn der Gesprächspartner versucht, sprachliche Äußerungen des Patienten zu aktivieren. So hilft dem Patienten weder die Vorgabe des Anlauts von Wörtern, noch kann er Sätze, die der Untersucher beginnt, zu Ende führen. Die Sprachanstrengung, d. h. die Mühe, sich überhaupt verbal mitzuteilen, führt dazu, daß viele Patienten mit globaler Aphasie sich allein durch Pantomime zu verständigen suchen. Die wenigen spontanen Äußerungen sind stark mit Stereotypien, d.h. mit Automatismen und Floskeln durchsetzt. Automatismen sind ständig wiederkehrende, formstarre Einschübe. Diese passen weder lexikalisch noch syntaktisch in den sprachlichen Kontext, und der Patient bringt sie gegen die vom Gesprächspartner erwartete Intention hervor. Automatismen bestehen aus aneinandergereihten Einzelsilben wie "dododo", "tatata", "tantantan", aus festen Silbenfolgen wie "titu", "pompe... ela", aus beliebigen Wörtern oder aus Phrasen wie "ja Lili, nein Lili", "jeden Tag, guten Tag".

Globale Aphasie Forts. 22 APHASIE (nach Poeck) Forts. 22Globale A. Auch das Inventar von Floskeln, über das ein Patient verfügt, ist sehr begrenzt und für den einzelnen Patienten charakteristisch (Alajouanine 1956). Beispiele sind: "meine Güte", "Donnerwetter", "ach, ja, ach Gott", "eh bien voilá". Floskeln können verschiedene sprachliche Formen haben, z. B. - Be-grüßungsformeln -Flüche - Tabuwörter - Interjektionen - Affirmations- ("ja"",genau") und - Negationspartikel ("nein, "nie") etc. Im Unterschied zu den Automatismen können Floskeln häufig der Sprechsituation angemessen eingesetzt werden, obgleich sie im Gespräch mehrfach stereotyp wiederkehren. Neben den Stereotypien besteht die Sprachproduktion aus wenigen Einzelwörtern, die in ihrer lautlichen Form oft stark neologistisch entstellt sind. Solche phonematischen Neologismen sind Wörter, die nicht in der Standardsprache vorkommen, aber gewöhnlich aus Phonemen und Phonemkombinationen der Standardsprache bestehen. Nur ganz selten gelingen dem Patienten verständliche und situationsadäquate Wörter und Phrasen. Diese werden meist reaktiv, d. h. nur auf Fragen des Untersuchers, gebraucht, und häufig sind es solche Wörter und Phrasen, die der Untersucher gerade geäußert hat. Soweit syntaktische Strukturen in der Spontansprache erkennbar sind, lassen diese keine systematischen Vereinfachungen der Syntax wie beim Agrammatismus der Broca-Aphasie erkennen. Die typische Form der syntaktischen Verknüpfung ist das Aneinanderreihen von semantisch unpassenden Einzelwörtern. Die Intonation ist bei manchen Patienten bemerkenswert gut erhalten und wird sogar dort übersteigert eingesetzt, wo eine Kommunikation mit passenden Wörtern nicht möglich ist.

APHASIE (nach Poeck) Forts. 23Globale A. Affektive Inhalte, wie Zustimmung, Frage, Zweifel usw., können von einigen dieser Patienten durch Intonation ausgedruckt werden. Alle Patienten mit globaler Aphasie haben eine starke Tendenz zu perseverieren. Dies gilt für alle Bestandteile der Spontansprache, für Automatismen, Floskeln, Wörter und Phrasen und selbst für einzelne Intonationskonturen. Dysarthrie, d. h. Anstrengung beim Sprechen und verwaschene Artikulation, ist bei einigen Patienten vorhanden, bei anderen nicht. Die Dysarthrie ist also kein konstituierendes Merk-mal der globalen Aphasie. Sie kommt im übrigen bei allen Aphasieformen fakultativ vor. Das folgende Beispiel illustriert die Sprachproduktion bei globaler Aphasie: Untersucher: "Wie hat das angefangen mit Ihrer Krankheit?" Patient: "ja ja... ich bin hier." Untersucher: "Wann war das denn, ist das schon lange her?" Patient: "ja... ah... nue. Globale Aphasie 23 Untersucher: "Ja?" Patient: "Nee also ehrlich." Untersucher: "Zwei Monate?" Patient: "Ja... nee nee nee... eh... hier... ich bin." Untersucher: "Und waren Sie damals zu Hause oder waren sie an Ihrem Arbeitsplatz? Patient: "Nee nee... hier... also... ja... hm." Untersucher: "Sie waren zu Hause und was ist da passiert?" Patient: "Ja Mensch... nee." Untersucher: "Haben Sie Hausarbeit gemacht?" Patient: "Nee." Untersucher: "Oder sind Sie im Bett gelegen?" Patient: "Nee." Untersucher: "Oder haben Sie sich gerade ausgeruht? Patient: "Ach Quatsch... hier... und hier und hier." Was wir bisher beschrieben haben, ist die spontane Sprachproduktion der Mehrzahl von Patienten mit globaler Aphasie. Gelegentlich überwiegen jedoch einige dieser Merkmale in der Spontansprache oder charakterisieren sie ausschließlich.

APHASIE (nach Poeck) Forts. 24Globale A. Globale Aphasie 24 Bei solchen Patienten besteht die Sprachproduktion nur aus flüssig hervorgebrachten, beständig wiederkehrenden Auto-matismen (rekurrente Äußerungen). Obwohl die Sprachproduktion lexikalisch maximal reduz-iert ist, können sie häufig kommunikative Inhalte durch Variationen der Intonation und Sprechgeschwindigkeit vermitteln (Hècaen u. Angelergues 1965). Selbst nach Verlust aller lexikalischen und syntaktischen Ausdrucksfähigkeiten können Patienten mit globaler Aphasie die Kommunikation flüssig aufrechterhalten. Nachsprechen: Trotz der Spärlichkeit ihrer Spontanen Sprachproduktion sind Patienten mit globaler Aphasie oft zum Nachsprechen zu bewegen, insbesondere, wenn man die Aufgabe durch Mitsprechen erleichtert. Jedoch bestehen die Reaktionen dann häufig aus phonematischen Neologismen und Perseverationen. Beispiele: Stimulus: Reaktion: Fürst Fürst Spruch Fürste Zwist Fluts Strumpf fürs Selbst Reihensprechen ist bestenfalls über Mitsprechen in Gang zu setzen, versiegt aber nach wenigen Wörtern. Benennen: Von allen Aphasietypen haben Patienten mit globaler Aphasie die schwerste Benennungsstörung. - Charakteristisch ist, daß eine verbale Reaktion auf den visuellen Stimulus ausbleibt oder daß der Benennungsversuch nur zu einem phonematischen Neolo-gismus führt. Daneben kommen auch semantisch und phonematisch grob abweichende Fehlbenennungen und Stereotypien vor. Alle diese Fehlerarten werden häufig über viele Aufgaben hinweg perseveriert.

Globale Aphasie 25 APHASIE (nach Poeck) Forts. 25Globale A. Stimulus: Reaktion: Buch eine Kol rot eine blau auch die Kühlschrank eine Dosenöffner auch Rollschuh eh... gogoka Sprachverständnis. Im akuten Stadium ist nur ein Rest an Verständnis für die einfachsten Aufforderungen und Fragen erhalten. Auch über das akute Stadium hinaus bleibt das Sprachverständnis, wenn es in kontrollierten Tests überprüft wird, weiter schlecht, und zwar noch schlechter als bei Wernicke-Aphasikern in vergleichb. Verlaufsstadium. In der Kommunikationssituation verstehen die Patienten, wie alle Aphasiker, besser. Das liegt teilweise an der Redundanz der Gesprächssituation, teilweise daran, daß sich der Gesprächspartner den eingeschränkten expressiven Möglichkeiten des Patienten anpaßt. Häufig führt dies zu einer Dialogform, in der der Untersucher lediglich Entscheidungsfragen stellt, auf die der Patient bejahend oder verneinend antworten kann. Schreiben: Sofern keine begleitende konstruktive Apraxie vorliegt, können die Patienten Buchstaben und ein-zelne Wörter kopieren. - Sollen sie jedoch Buchstaben und Wörter aus einem Schrifttyp (z. B. kursiv) in einen anderen Schrifttyp (z. B. Blockschrift) übertragen, treten sehr viele Fehler auf, auch wenn die Lösung nicht das Schreiben sondern das Legen von Buchstaben verlangt. - Dabei sind die Fehler häufig nicht als Abfolge von Lauten zu erkennen, wie sie im Deutschen oder in einer anderen Sprache möglich sind, d. h. sie entsprechen in ihrer Struk-tur weder phonematischen Paraphasien noch Neologismen: Stimulus: Reaktion: Saal IEMPR Qualm CHAMSPL Priester QUMIESPE Garage QUARAE

Globale Aphasie 26 APHASIE (nach Poeck) Forts. 26Globale A. Einige dieser Buchstabenfolgen sind nicht aussprechbar. Auffallend ist, daß der Patient die unterschiedliche Länge des zu legenden Wortes einzuhalten versucht. Spontan- und Diktat-schreiben sind den Patienten möglich. Das Lesesinnverständnis ist schwerer gestört als das Verständnis für gesprochene Sprache (Huber 1979). Einfache Sätze können erst in einem fortgeschrittenen Rückbildungsstadium mit Verständnis gelesen werden. Die Prüfung des Lautlesens trägt nichts zur Ermittlung des Lesesinnverständnisses bei, weil sich hier dieselben Fehler wie bei allen anderen expressiven Prüfungen zeigen. Zudem ist das Lautlesen weniger leicht aktivierbar als das Nachsprechen. Verlauf Der Verlauf ist weniger einheitlich als bei den anderen Aphasietypen. Das Sprachverständnis bessert sich, zumindest was das Kommunikationsverständnis angeht, im Vergleich zu den expressiven Leistungen relativ rasch. In Tests zum Sprachverständnis sind globale Aphasiker als Gruppe immer noch durch die relativ höchste Fehlerzahl gekennzeichnet. In den expressiven Sprachleistungen behalten Patienten mit rekurrenten Äußerungen ihre Sprachautomatismen über Jahre hinweg unverändert bei. Auch durch intensive Sprachthera-pie lassen sich die Sprachautomatismen nicht aufheben. Im günstigsten Falle kann man die Patienten dazu bringen, daß sie kommunikativ sinnvolle Sprachäußerungen neben den Automatismen einsetzen und die Sprachautomatismen zu unterdrücken suchen. Auch das Schreiben (Schuell u. Mitarb. 1955) bleibt auf einzelne in der Therapie geübte Wörter beschränkt. Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich Patienten, deren Sprachproduktion sich bemerkenswerterweise über viele Monate so gut bessert, daß sie von Broca-Aphasikern kaum zu unterscheiden sind. Ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der globalen Aphasiker läßt sich aber bei längerer Beobachtung der Spontansprache und in schwierigen Tests, wie z. B. dem Beschreiben komplexen Situationen und Handlungen, meist noch an Neologismen, Sprachautomatismen und häufigen semantischen Paraphasien erkennen. Die globale Aphasie in Rückbildung wird von manchen Autoren als "gemischte Aphasie" klassi-fiziert. Diese Patienten sind meist jünger und haben in der Regel eine frühzeitig einsetzende Therapie erhalten.

APHASIE (nach Poeck) Forts. 27Globale A. Die Mehrzahl der Patienten mit globaler Aphasie bessert sich aber nur wenig und erlangt die Fähigkeit nicht wieder, Sprache kreativ zu gebrauchen, d. h. Gedanken der Situation angemessen neu zu formulieren. Die Patienten lernen, durch Gestik, Mimik, adäquate Intonation und Verwendung von Floskeln in beschränktem Maße ihre Inten-tionen auszudrücken. Zudem lernen sie in der Therapie, Gesprächsstrategien anzuwenden, mit deren Hilfe ein Minimum an sprachlicher Mitteilung möglich wird. Strategie bedeutet in diesem Sinne das Hinlenken des Gesprächs auf eine bestimmte Dialogform, z.b. die oben-erwähnten Entscheidungsfragen von seiten des Untersuchers, das Eingehen auf Themen, die dem Patienten sprachlich vertraut sind, sowie das Vermeiden von Themen, die er sprachlich nicht bewältigen kann. Globale Aphasie 27 Lokalisation Die globale Aphasie beruht überwiegend auf thrombotischen oder embolischen Verschlüssen des Hauptstamms der A. cerebri media. Dementsprechen betrifft die Läsion die gesamte Sprachregion von ihren frontalen bis zu ihren temporoparietalen Anteilen. Somit haben Pa-tienten mit globaler Aphasie die größte Substanzschädigung von allen Aphasietypen. Die Rückbildung und der Schweregrad dieser Funktionsstörung hängt von der Ausdehnung der Läsion sowie davon ab, wie rasch und wie ausgiebig das Versorgungsgebiet der A. cerebri media von den Randgebieten her kollateral wieder mit Blut versorgt wird, sowie davon, in welchem Maße die rechte Hemisphäre zu sprachlichen Leistungen aktiviert wird. Die rechte Hirnhälfte kann aber zu expressiven Sprachäußerungen nur emotionale Floskeln beitragen, und auch im Sprachverständnis sind ihre Leistungen auf die Analyse einzelner Nomina und einfachster syntaktischer Relationen beschränkt (zusammenfassend bei Poeck 1979).

28 APHASIE (nach Poeck) Forts. 28Globale A. Differentialdiagnose Die Abgrenzung zur Broca-Aphasie ist auf S. 91 besprochen. Die Unterscheidung vom Mutismus bei psychiatrischen Krankheiten ist vor allem nach außersprachlichen Kriterien möglich. Während der Patient mit globaler Aphasie sich zuwendet und oft zumindest den Versuch einer Artikulation macht, ist das Verhalten bei Mutismus in der Regel durch gener-elle Ablehnung, auch außersprachlicher Art, gekennzeichnet. Außerdem haben diese Patienten keine rechtsseitige Hemiplegie, die bei globaler Aphasie meistens vorliegt. Die Abgrenzung zwischen Sprachautomatismen (rekurrente Äußerungen) bei globaler Aphasie und Stereotypien und iterativen Sprachäußerungen bei Alzheimerscher Krankheit kann schwierig sein, zumal Patienten mit hirnatrophischen Prozessen auch schwere Störungen im Sprachverständnis haben können. Soweit die Krankheit noch nicht das Endstadium erreicht hat, treten aber immer wieder einige adäquate und wohlartikulierte Wörter und Satzfrag-mente zwischen den Iterationen auf. Die iterativen Äußerungen (Logoklonien) sind im Unter-schied zu Sprachautomatismen bei globaler Aphasie stärker sprachlich variiert. Sie betreffen beim selben Patienten alle ihm zur Verfügung stehenden Äußerungen und hierbei alle mögli-chen sprachlichen Segmente, wie einzelne Wörter, Silben und Phonemgruppen. Die Schwierigkeit der Unterscheidung liegt darin begründet, daß auch bei hirnatrophischen Pro-zessen die Sprachregion ergriffen wird und damit aphasische Symptome in das Syndrorn eingehen. Andererseits bringt es die Generalisierung des hirnatrophischen Prozesses mit sich, daß zusätzliche Störungen im gesamten Verhalten auftreten, wie beispielsweise Störungen der Merkfähigkeit, der räumlichen Orientierung, der Affektivität und des Antriebes oder motorische Stereotypien (im Gegensatz zur Hemiplegie des globalen Aphasikers). Ab-grenzung zur Anarthrie: s. Differentialdiagnose der Broca-Aphasie S. 90f.

APHASIE (nach Poeck) Forts. 29Leitungs A. Sonderformen 29 1. Leitungsaphasie Synonym: Nachsprechaphasie, zentrale Aphasie (Goldstein 1948), afferent-motorische Aphasie (Luria 1970). Die meisten Patienten mit dieser Aphasieform sprechen flüssig, ihre Rede ist aber durch viele phonematische Paraphasien entstellt. Das Kardinalsymptom ist eine im Verhältnis zu anderen sprachlichen Leistungen unverhältnismäßig schwere Störung beim Nachsprechen. Je länger die Wörter und Sätze sind, desto mehr Fehler werden beim Nachsprechen ge-macht. Die nachgesprochenen Äußerungen sind phonematisch entstellt, die Patienten geben meist inhaltlich richtige, aber nicht sprachlich identische Wiedergaben, in schweren Fällen sind sie zum Nachsprechen außerstande. Beim Benennen treten viele phonematische Entstellungen auf. Wenn man berücksichtigt, daß trotz dieser phonematischen Paraphasien das Zielwort oft noch gut erhalten ist, und derartige Antworten nicht als Benennungsfehler rechnet, machen Patienten mit Leitungs-aphasie bei dieser Art der Prüfung wenige Fehler. Im Gegensatz zu Wernicke-Aphasikern sind sich Patienten mit Leitungsaphasie ihrer phonematischen Paraphasien stärker bewußt und versuchen, ihre Fehlreaktionen zu kor-rigieren. Lokalisation Nach Geschwind (1965) soll der Ort der Läsion im Fasciculus arcuatus liegen, der, durch das parietale Operculum verlaufend, die Wernicke mit der Broca-Region verbindet. Diese Lokalisation ist aber umstritten, wie überhaupt der Status der Leitungsaphasie noch nicht eindeutig geklärt ist (Brown 1972). Die Prognose ist hinsichtlich der Nachsprechleistung schlecht.