Dokumente zur künftigen politischen Entwicklung Deutschlands ["Frankfurter Dokumente"], 1. Juli 1948

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Transkript:

Dokumente zur künftigen politischen Entwicklung Deutschlands ["Frankfurter Dokumente"], 1. Juli 1948 Zusammenfassung Am 1. Juli 1948 verständigten sich die westlichen Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkriegs Frankreich, Großbritannien und die USA auf die Gründung eines westdeutschen Teilstaats. Daraufhin übergaben am 1. Juli 1948 in Frankfurt am Main ihre Militärgouverneure die von ihren Regierungen in einer vorausgegangenen Sechsmächte-Konferenz beschlossenen "Londoner Empfehlungen". Deren Adressaten waren die Ministerpräsidenten in den elf Ländern der drei Westzonen. Sie wurden ermächtigt (Dokument I), bis zum 1. September 1948 eine auf Grund von Wahlen der elf Landtage zu bildende Verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die eine demokratische Verfassung ausarbeiten sollte. Weiter sollten sie (Dokument II) Vorschläge für eine etwaige Änderung der Ländergrenzen innerhalb der Westzonen vorlegen. Schließlich wurden ihnen (Dokument III) die Grundzüge eines Besatzungsstatuts übermittelt. Die "Frankfurter Dokumente" bildeten somit die Geburtsurkunden für die Bundesrepublik Deutschland. Einführung In dem von den vier Hauptsiegermächten besetzten "Potsdam-Deutschland" zeichnete sich bereits seit dem Frühjahr 1946 ab, daß die Siegerkoalition auseinanderbrechen würde. Nach dem Scheitern einer Einigung über die Deutschlandpolitik mit der UdSSR auf der Pariser Außenministerkonferenz im Juni/Juli 1946 kündigten die USA und Großbritannien einen wirtschaftlichen Zusammenschluß ihrer Zonen zur "Bizone" zum 1. Januar 1947 an. US-Außenminister James F. Byrnes erläuterte am 6. September 1946 in Stuttgart deutschen Repräsentanten die Kursänderung: Sie sah zwar keine Abtrennung des Rhein-Ruhrgebiets, aber eine Saar-Lösung im französischen Sinne sowie die Revisionsmöglichkeit für die Oder-Neiße-Linie vor. Zum Durchbruch gelangte die neue Deutschlandpolitik der USA im Zeichen der "Containment"-Konzeption im ersten Halbjahr 1947. Sie bedeutete einen Verzicht auf weitere Kompromiß-Bemühungen mit der UdSSR unter Hinnahme der vorläufigen Spaltung Deutschlands, die sich nach der ergebnislos verlaufenen Moskauer Außenministerkonferenz vom März/April 1947 verstärkte. Das von der amerikanischen Regierung am 5. Juni 1947 verkündete Westeuropäische Wiederaufbauprogramm, das auch Deutschland zugute kommen sollte, wurde von der Sowjetunion für den gesamten Ostblock abgelehnt. Den damit erfolgten Bruch bestätigte die Londoner Außenministerkonferenz der vier Hauptsiegermächte vom November/Dezember 1947. Die amerikanischen und britischen Militärgouverneure erweiterten Zug um Zug die Befugnisse der Zweizonen-Wirtschaftsverwaltung in Frankfurt am Main. Sie fungierte schließlich wie die Regierung eines westdeutschen Kernstaats, deren Wirkungskreis allerdings auf die Wirtschaftspolitik beschränkt blieb. Mit dem kommunistischen Umsturz in der Tschechoslowakei am 25. Februar 1948 erreichte der Kalte Krieg seinen vorläufigen Höhepunkt. Im Westen wuchs die

Bereitschaft zur Abwehr. Am 17. März schlossen sich Frankreich, Großbritannien und die Benelux-Staaten in Brüssel zu einer Militärallianz ("Westunion") zusammen, die im April des folgenden Jahres in die Gründung der NATO mündete. Im April 1948 bildeten 16 europäische Staaten die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), um ihre Kredit- und Wirtschaftspolitik im Rahmen des "Marshall-Plans" zu koordinieren. Die drei Westzonen, vertreten durch ihre Militärgouverneure, wurden Mitglied der OEEC. Damit waren die internationalen Rahmenbedingungen geschaffen, um Westdeutschland auch staatlich verselbständigen zu können. Der nächste Schritt in diese Richtung erwies sich jedoch - trotz der fortgeschrittenen globalen Polarisierung - als schwierig. Darum mühten sich ab Ende Februar in London Regierungsvertreter der drei Westmächte und, in der letzen Sitzungsperiode, der Benelux-Staaten. Dabei akzeptierte die britische Regierung eine Mitkontrolle Frankreichs an der Ruhrindustrie im Rahmen einer internationalen Kontrollbehörde. Das neue Staatsgebilde sollte auch weiterhin einer, allerdings gemilderten, Besatzungsherrschaft unterworfen bleiben und seine künftige Verfassung bestimmte Vorgaben der Westmächte enthalten. Während der Londoner Konferenz war eine weitere Entscheidung gefallen, die eine staatliche Organisation der Westzonen dringlich machte, andererseits aber auch erleichterte. Der sowjetische Militärgouverneur, Vasilij Sokolovskij, hatte die Gründung des Brüsseler Paktes und die Weigerung der Westmächte, Moskau über alle Beschlüsse der Sechsmächte-Konferenz zu informieren, zum Anlaß genommen, am 20. März 1948 aus dem Alliierten Kontrollrat in Berlin auszuziehen und damit die Viermächte-Verwaltung des "Potsdam-Deutschlands" symbolisch beendet. Das Ergebnis der Sechsmächte-Konferenz fand seinen Niederschlag in den "Londoner Empfehlungen" vom 7. Juni 1948. Sie enthielten das Angebot zur Errichtung eines westdeutschen Bundesstaats und Grundsätze für dessen Verfassung. Die entsprechenden Dokumente übergaben die drei Militärgouverneure Lucius D. Clay (USA), Pierre Koenig (Frankreich) und Brian H. Robertson (Großbritannien) am 1. Juli 1948 in Frankfurt, im Hauptquartier des amerikanischen Vertreters, den Ministerpräsidenten der elf Länder der drei Westzonen (eingeschlossen der Erste Bürgermeister von Hamburg und der Senatspräsident von Bremen). In den "Frankfurter Dokumenten" wurden die Regierungschefs (Dokument I) ermächtigt, bis zum 1. September eine aufgrund von Wahlen der elf Landtage zustande gekommene Verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Sie sollte eine demokratische Verfassung mit Grundrechten und einer "angemessenen Zentralgewalt" ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine "Regierungsform des föderalistischen Typs" schaffe und am besten geeignet sei, "die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wiederherzustellen". Das Angebot war mit der Aufforderung verbunden (Dokument II), Vorschläge für eine etwaige Änderung der Ländergrenzen innerhalb der Westzonen vorzulegen, und enthielt schließlich (Dokument 3) Grundzüge eines künftigen Besatzungsstatuts. Die "Frankfurter Dokumente" bildeten die Geburtsurkunden der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Übergabe erfolgte wenige Tage, nachdem eine seit langem erwartete Währungsreform am 20./21. Juni 1948 in den drei Westzonen die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Konsolidierung und einen sinnvollen Einsatz der Mittel aus dem Europäischen Wiederaufbauprogramm geschaffen hatte. Zeitgleich mit der Währungsreform schuf der Direktor der Frankfurter Wirtschaftsverwaltung, Ludwig Erhard, in der Bizone durch Aufhebung bzw. Lockerung der Zwangsbewirtschaftung eine weitere Voraussetzung für eine wirtschaftspolitische Gesundung. Die rasch

sichtbaren Erfolge der Sozialen Marktwirtschaft kamen der Koalition von CDU, CSU, FDP und DP zugute, die sie im Frankfurter Parlament (Wirtschaftsrat) und in dessen Exekutivspitze (Verwaltungsrat) vertrat, kontrolliert von einer Ländervertretung (Länderrat). Die Sowjetunion beantwortete die Währungsreform in den Westzonen am 23. Juni 1948 mit einer eigenen Währungsreform in ihrer Zone sowie in Berlin, das sie damit als Teil "ihrer" Zone in Anspruch nahm. Daraufhin bezogen die Westmächte auch die von ihnen kontrollierten Westsektoren Berlins in die Währungsreform ein, so daß in der Stadt bis März 1949 beide Währungen nebeneinander galten. Die zweite Antwort Moskaus bestand in einer Blockade der Zugangswege zu den Westsektoren. Auf diese Provokation reagierten die USA und Großbritannien mit einer riskanten militärischen Aktion. Mit Hilfe einer Luftbrücke gelang ihnen die Versorgung ihrer (und der französischen) dort stationierten Truppen sowie die der 2,2 Millionen West-Berliner, selbst im Winter 1948/49. Durch diesen Erfolg wuchsen Prestige und Selbstvertrauen der USA, aber auch die Zustimmung der Deutschen zu einer Westorientierung. Daß die Blockade Berlins nicht zu einer militärischen Konfrontation führte, verhinderte das amerikanische Kernwaffenmonopol. Damit aber standen die Beratungen der westdeutschen Ministerpräsidenten über das Angebot einer Teilstaatsgründung, die noch am 1. Juli 1948 begannen, im Schatten der sowjetischen Bedrohung Berlins, gleichzeitig aber auch unter dem Druck einer nationalen Propagandaoffensive der SED im Zuge einer "Volkskongreß-Bewegung" für eine (gesamt)deutsche Republik. Die elf Regierungschefs, von denen fünf der SPD, vier der CDU und je einer der CSU und der FDP angehörten, trugen somit auch Mitverantwortung für das Schicksal der ehemaligen Reichshauptstadt. Sie kannten die historisch-politische Tragweite des ihnen abverlangten Votums, das auf die Mitwirkung an einer Vertiefung der deutschen Teilung hinauslief. Infolgedessen gelang ihnen erst nach dreiwöchigen nahezu pausenlosen Verhandlungen untereinander auf dem Rittersturz bei Koblenz, in Niederwald bei Rüdesheim und in Frankfurt und mit den drei Militärgouverneuren am 26. Juli 1948 in Frankfurt eine Verständigung über die "Organisation der drei Zonen auf der Basis des Londoner Übereinkommens" (so das Kommuniqué). Die Ministerpräsidenten erreichten dabei wesentliche Zugeständnisse der Militärgouverneure. So gelang es ihnen, Delegierte für einen "Parlamentarischen Rat" und nicht für die vorgesehene "Verfassunggebende Versammlung" wählen lassen zu können. Dieser Rat sollte dann ein weiteres Symbol, um das Provisorium zu unterstreichen auch keine "Verfassung", sondern ein "Grundgesetz" (umschrieben als "vorläufige Konstitution") eines föderativ gegliederten Staates ausarbeiten. Und schließlich sollte dieses "Grundgesetz" nicht wie die Alliierten zunächst ebenfalls gefordert hatten durch ein Plebiszit, sondern durch eine Mehrheit der elf Landtage bestätigt werden. Eine Volksabstimmung galt angesichts befürchteter kommunistischer "Einheitspropaganda" und eines dadurch emotional aufgeladenen Wahlkampfs als politisch bedenklich. Die Regierungschefs, die sich mit den Führungsspitzen ihrer jeweiligen Parteien abstimmten, waren in ihrer Entscheidung zugunsten einer Kooperation mit den Westmächten am 21. Juli 1948 in Niederwald vom Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter (SPD) nachdrücklich bestärkt worden. Danach hätte eine Ablehnung des Angebots, die sich zunächst abzuzeichnen schien, einen demokratischen "Kernstaat" (mit Provisoriumsvorbehalt) errichten zu können, den Fortbestand der Besatzungsherrschaft ("Kolonialregime") und möglicherweise eine Preisgabe Berlins zur Folge gehabt, und das, ohne dadurch die Aussicht zu verbessern, von den Sowjets die Zustimmung zu einem liberal-demokratischen, also nicht

"volksdemokratisch" bestimmten Deutschland zu erreichen. Nach einer Umfrage der amerikanisch kontrollierten "Neuen Zeitung" (München) vom 21. August 1948 zogen 95 Prozent der "Eingeborenen von Trizonesien" wie sie in einem zeitgenössischen Karnevalsschlager hießen einen westlichen Teilstaat einem kommunistisch beherrschten Gesamtdeutschland vor. Ein mit Westeuropa verbundener, freiheitlich ausgestalteter und wirtschaftlich prosperierender Teilstaat, in dem mehr als drei Viertel aller Deutschen lebten, galt, im Sinne des Provisoriumsvorbehalts, als alternativlose Übergangslösung. Dabei wurde es als selbstverständlich erwartet, daß sich ihm die Bevölkerung der Sowjetzone anschließen werde ("Magnetwirkung"), sobald sie von deren Besatzungsmacht die Möglichkeit erhielt, ihr politisches Selbstbestimmungsrecht auszuüben. Im Auftrag der Ministerpräsidenten erarbeitete vom 10. bis 23 August 1948 ein Ausschuß von Sachverständigen ("Verfassungskonvent") auf Herrenchiemsee einen Verfassungsentwurf, der bereits wesentliche Züge des späteren Grundgesetzes enthielt. Der von den elf Landtagen gewählte Parlamentarische Rat aus 65 Mitgliedern begann seine Arbeit am 1. September 1948 in Bonn, das von einer Mehrheit der Regierungschefs als Tagungsort bestimmt worden war. Die Beratungen vollzogen sich im Schatten der sowjetischen Blockade der Westsektoren Berlins, die erst am 12. Mai 1949 endete. Sie führten am 23. Mai 1949 zur Annahme des Grundgesetzes für die neugeschaffene Bundesrepublik Deutschland. Rudolf Morsey Quellen- und Literaturhinweise Bundesarchiv und Institut für Zeitgeschichte (Hg.), Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, Bd. 4: 1948, bearb. von Christoph Weisz u.a., München 1983. Benz, W., Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Von der Bizone zum souveränen Staat, 5. überarb. u. erweiterte Aufl., München 1999. Blank, B., Die westdeutschen Länder und die Entstehung der Bundesrepublik. Zur Auseinandersetzung um die Entstehung der Frankfurter Dokumente vom Juli 1948, München 1995. Department of State (Hg.), Foreign Relations of the United States. Diplomatic Papers, Vol. 1948/2: Council of Foreign Ministers. Germany and Austria, Washington D.C. 1973. Borck, H.-G. (Hg.), 50 Jahre Rittersturz-Konferenz 1948-1998. Die Stunde der Ministerpräsidenten, Koblenz 1998. Morsey, R., Die Bundesrepublik Deutschland. Entstehung und Entwicklung bis 1969, 4. überarb. u. erweiterte Aufl., München 2000. Mühlhausen, W., Regin, C. (Hg.), Treuhänder des deutschen Volkes. Die Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen nach den ersten freien Landtagswahlen. Politische Porträts, Kassel 1991. Niclauss, K., Der Weg zum Grundgesetz. Demokratiegründung in Westdeutschland 1945-1949, Paderborn 1998. Wagner, J. V. (Bearb.), Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd. 1: Vorgeschichte, Boppard am Rhein 1975. Spevack, E., Allied Control and German Freedom. American Political and Ideological Influences on the Framing of the West German Basic Law (Grundgesetz), Münster 2001. Dokumente zur künftigen politischen Entwicklung Deutschlands ["Frankfurter Dokumente"], Frankfurt, 1. Juli 1948

Dokument NO 1 In Übereinstimmung mit den Beschlüssen ihrer Regierungen autorisieren die Militär-Gouverneure der Amerikanischen, Britischen und Französischen Besatzungszone in Deutschland die Minister-Präsidenten der Länder ihrer Zonen, eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die spätestens am 1. September 1948 zusammentreten sollte. Die Abgeordneten zu dieser Versammlung werden in jedem der bestehenden Länder nach dem Verfahren und Richtlinien ausgewählt, die durch die gesetzgebende Körperschaft in jedem dieser Länder angenommen werden. Die Gesamtzahl der Abgeordneten zur Verfassunggebenden Versammlung wird bestimmt, indem die Gesamtzahl der Bevölkerung nach der letzten Volkszählung durch 750 000 oder eine ähnliche von den Minister-Präsidenten vorgeschlagene und von den Militär-Gouverneuren gebilligte Zahl geteilt wird. Die Anzahl der Abgeordneten von jedem Land wird im selben Verhältnis zur Gesamtzahl der Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung stehen, wie seine Bevölkerung zur Gesamtbevölkerung der beteiligten Länder. Die Verfassunggebende Versammlung wird eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentral-Instanz schafft und Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält. Wenn die Verfassung in der von der Verfassunggebenden Versammlung ausgearbeiteten Form mit diesen allgemeinen Grundsätzen nicht in Widerspruch steht, werden die Militär-Gouverneure ihre Vorlage zur Ratifizierung genehmigen. Die Verfassunggebende Versammlung wird daraufhin aufgelöst. Die Ratifizierung in jedem beteiligten Land erfolgt durch ein Referendum, das eine einfache Mehrheit der Abstimmenden in jedem Land erfordert, nach von jedem Land jeweils anzunehmenden Regeln und Verfahren. Sobald die Verfassung von zwei Dritteln der Länder ratifiziert ist, tritt sie in Kraft und ist für alle Länder bindend. Jede Abänderung der Verfassung muß künftig von einer gleichen Mehrheit der Länder ratifiziert werden. Innerhalb von 30 Tagen nach dem Inkrafttreten der Verfassung sollen die darin vorgesehenen Einrichtungen geschaffen sein. Dokument NO 2 Die Minister-Präsidenten sind ersucht, die Grenzen der einzelnen Länder zu überprüfen, um zu bestimmen, welche Änderungen sie etwa vorzuschlagen wünschen. Solche Änderungen sollten den überlieferten Formen Rechnung tragen und möglichst die Schaffung von Ländern vermeiden, die im Vergleich mit den anderen Ländern zu groß oder zu klein sind. Wenn diese Empfehlungen von den Militär-Gouverneuren nicht mißbilligt werden, sollten sie zur Annahme durch die Bevölkerung der betroffenen Gebiete spätestens zur Zeit der Auswahl der Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung vorgelegt werden. Bevor die Verfassunggebende Versammlung ihre Arbeiten beendet, werden die Minister-Präsidenten die notwendigen Schritte für die Wahl der Landtage derjenigen Länder unternehmen, deren Grenzen geändert worden sind, sodaß diese Landtage sowie die Landtage der Länder, deren Grenzen nicht geändert worden sind, in der Lage sind, die Wahlverfahren und Bestimmungen für die Ratifizierung der Verfassung festzusetzen. Dokument NO 3 Die Schaffung einer verfassungsmäßigen deutschen Regierung macht eine sorgfältige Definition der Beziehungen zwischen dieser Regierung und den Alliierten

Behörden notwendig. Nach Ansicht der Militär-Gouverneure sollten diese Beziehungen auf den folgenden Grundsätzen beruhen: A. Die Militär-Gouverneure werden den deutschen Regierungen Befugnisse der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung gewähren und sich solche Zuständigkeiten vorbehalten, die nötig sind, um die Erfüllung des grundsätzlichen Zwecks der Besatzung sicherzustellen. Solche Zuständigkeiten sind diejenigen, welche nötig sind, um die Militär-Gouverneure in die Lage zu setzen: (a) Deutschlands auswärtige Beziehungen vorläufig wahrzunehmen und zu leiten. (b) Das Mindestmaß der notwendigen Kontrollen über den deutschen Außenhandel und über innenpolitische Richtlinien und Maßnahmen, die den Außenhandel nachteilig beeinflussen könnten, auszuüben, um zu gewährleisten, daß die Verpflichtungen, welche die Besatzungsmächte in Bezug auf Deutschland eingegangen sind, geachtet werden und daß die für Deutschland verfügbar gemachten Mittel zweckgemäß verwendet werden. (c) Vereinbarte oder noch zu vereinbarende Kontrollen, wie zum Beispiel in Bezug auf die Internationale Ruhrbehörde, Reparationen, Stand der Industrie, Dekartellisierung, Abrüstung und Entmilitarisierung und gewisse Formen wissenschaftlicher Forschung auszuüben. (d) Das Ansehen der Besatzungsstreitkräfte zu schützen und sowohl ihre Sicherheit als auch die Befriedigung ihrer Bedürfnisse innerhalb bestimmter zwischen den Militär-Gouverneuren vereinbarten Grenzen zu gewährleisten. (e) Die Beachtung der von ihnen gebilligten Verfassungen zu sichern. B. Die Militär-Gouverneure werden die Ausübung ihrer vollen Machtbefugnisse wieder aufnehmen, falls ein Notstand die Sicherheit bedroht und um nötigenfalls die Beachtung der Verfassungen und des Besatzungsstatutes zu sichern. C. Die Militär-Gouverneure werden die oben erwähnten Kontrollen nach folgendem Verfahren ausüben: (a) Jede Verfassungsänderung ist den Militär-Gouverneuren zur Genehmigung vorzulegen. (b) Auf den in den Absätzen (a) und (e) zu Paragraph A oben erwähnten Gebieten werden die deutschen Behörden den Beschlüssen oder Anweisungen der Militär-Gouverneure Folge leisten. (c) Sofern nicht anders bestimmt, insbesondere bezüglich der Anwendung des vorhergehenden Paragraphen (b), treten alle Gesetze und Bestimmungen der föderativen Regierung ohne weiteres innerhalb von 21 Tagen in Kraft, wenn sie nicht von den Militär-Gouverneuren verworfen werden. Die Beobachtung, Beratung und Unterstützung der föderativen Regierung und der Länderregierungen bezüglich der Demokratisierung des politischen Lebens, der sozialen Beziehungen und der Erziehung werden eine besondere Verantwortlichkeit der Militär-Gouverneure sein. Dies soll jedoch keine Beschränkungen der diesen Regierungen zugestandenen Vollmachten auf den Gebieten der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung bedeuten. Die Militär-Gouverneure ersuchen die Minister-Präsidenten, sich zu den vorstehenden Grundsätzen zu äußern. Die Militär-Gouverneure werden daraufhin diese allgemeinen Grundsätze mit von ihnen etwa genehmigten Abänderungen der Verfassunggebenden Versammlung als Richtlinien für deren Vorbereitung der Verfassung übermitteln und werden die von ihr etwa dazu vorgebrachten Äußerungen entgegennehmen. Wenn die Militär-Gouverneure ihre Zustimmung zur Unterbreitung der Verfassung an die Länder ankündigen, werden sie gleichzeitig ein diese Grundsätze in ihrer endgültig abgeänderten Form enthaltendes

Besatzungsstatut veröffentlichen, damit sich die Bevölkerung der Länder darüber im Klaren ist, daß sie die Verfassung im Rahmen dieses Besatzungsstatutes annimmt. Beilage zu Dokument NO 3 Beauftragte der Militär-Gouverneure werden bereit sein, die Minister-Präsidenten und die Verfassunggebende Versammlung in allen Angelegenheiten, die diese vorzubringen wünschen, zu beraten und zu unterstützen. Hier nach: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Nachlaß Hans Ehard 1152, Bl.3-5. Original. Faksimile Die 10 Faksimile werden nicht mit ausgedruckt. Hier nach: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Nachlaß Hans Ehard 1152, Bl.3-5. Original. Faksimile. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München 2006. Quelle: http://1000dok.digitale-sammlungen.de/dok_0012_fra.pdf Datum: 19. September 2011 um 11:44:13 Uhr CEST. BSB München