Die Lahmheit des Pferdes aufgrund falscher reiterlicher Einwirkung. Seminarveranstaltung für Tierärzte am 13. /

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Transkript:

Die Lahmheit des Pferdes aufgrund falscher reiterlicher Einwirkung Seminarveranstaltung für Tierärzte am 13. / 14.01.07 in Warendorf Dr. Gerd Heuschmann, Fachtierarzt für Pferde und Buchautor zum Thema Reitweise und Lahmheit hat zu dieser Tagung nach Warendorf eingeladen. Ein breit gefächertes Publikum fand sich ein. Zahlreiche renommierte Pferdefachärzte aus ganz Deutschland und viele junge praktizierende TieärztInnen bildeten das Publikum. Die bunte Mischung führte zu sehr angeregten Diskussionen bis in späte Nachtstunden. Dr. Michael Düe, Leiter der Abt. Veterinärmedizin der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), Mitglied des Tierschutzkomitees der FEI, Mitglied der Medication Advisory Group der FEI eröffnete die Tagung mit einem durchaus kritischen Referat über die heutige Situation im Reitsport und der Darstellung der Problematik ( Rollkur ) Kopf-Hals-Haltung K-H-H in der reiterlichen Praxis war das genauere Thema. Grundsätzlich hielt er fest, dass die unterschiedlichen K-H-H von der Normalstellung (also von dem, was unter hippologischen Gesichtspunkten als solche definiert wird) nach der einen wie nach der anderen Seite abweichen. Dies bedeutet: einerseits ist in der reiterlichen Praxis die K-H-H in ihrer funktionalen Bedeutung integraler Bestandteil der jeweiligen Disziplin, andererseits wird die K-H-H über die Kompensationshaltung bis hin zur Fehlhaltung verändert. James Fillis beschrieb 1890 die Normalstellung der K-H-H folgendermassen: Kopf und Hals hoch, im Genick gebogen; Die Längsachse des Kopfes fast senkrecht, eher etwas vorgerichtet; Offenes, tätiges Maul und losgelassenes Gebiss. So eine funktionale K-H-H wird z.b. im Distanzreiten oder im Galoppsport gezeigt, bzw. sollte gezeigt werden! Bei Spezialdisziplinen, aber auch in den klassischen Disziplinen wird eine bestimmte K-H-H verlangt, d.h. das Pferd muss entsprechend trainiert oder ausgebildet werden. Die K-H-H widerspiegelt nur eine Facette des komplexen Vorgangs von Ausbildung und Training! Eine gegenwärtig diskutierte Fragestellung (allerdings keine neue Fragestellung!) ist, ob bestimmte Trainingsmethoden (z.b.rollkur oder neuerdings Hyperflexion) lediglich mögliche Spielarten, ob sie auf Kosten der begrenzt flexiblen Natur des Pferdes praktiziert werden und/ oder ob sie wissenschaftlich zu rechtfertigen sind. Eine nicht bloss auf eine Disziplin beschränkte Frage. Sie ist wie vieles mehr disziplinenübergreifend! Düe zitierte z.b. Pascal Evrard (Osteopathe DO), der eine Formel aufstellte: R=N+1 (R= Widerstand; N= Anzahl der Kurven der Wirbelsäule) und im Übertrag heisst: Je mehr Krümmungen die WS aufweist, umso mehr steigt der Widerstand gegen die von der Hinterhand kommenden Kräfte der Vorwärtsbewegung. Oder Baucher, der 1842 die Wechselbeziehung von Vor-und Hinterhand herausstrich und weiter formulierte, dass wenn der Hals widerstrebe dies auch für die Hanken gelten müsse und umgekehrt. - 20 -

Untenstehende Bilder aus der med.reitlehre von R.Stodulka zeigen deutlich, dass nicht nur die Widerstände gegen die von der Hinterhand kommenden Kräfte steigen! Auch die Vorhand und der Bereich just hinter dem Widerrist werden überbelastet. - 21 -

Mit Hilfe der Veterinärmedizin sei es der FEI gelungen, der Diskussion um die Rollkur zunächst auszuweichen, indem man der Thematik ein anderes Etikett Hyperflexion verpasste. Düe stellte zum Schluss folgenden sehr kritischen Ausblick: Angenommen man wollte sich der Fragestellung der K-H-H in der angemessenen Weise nähern oder gar versuchen sie zu beantworten, dann gälte es, die interne, die interstitutionelle, die interdisziplinäre sowie die internationale Zusammenarbeit zu verbessern. Die nach wie vor, auch innerhalb der Verbände, gepflegte Grüppchenbildung sollte/müsste einem gemeinsamen Einsatz für das gleiche Ziel weichen. Dies gelingt nur wenn heilige Kühe geschlachtet werden, wenn also z.b. allgemeiner Nutzen an die Stelle von Eigennutz tritt. Allen nützt das Fortbestehen und die erfolgreiche Weiterntwicklung des Pferdesports bei breiter gesellschaftlicher Anerkennung. Martin Plewa, Leiter der Westfälischen Reit-und Fahrschule, ehemaliger Bundestrainer Vielseitigkeit und neu zum Rittmeister ernannt, widmete sich seinem Thema: Klassische Reitlehre was ist das? welcher Bezug besteht zu möglichen Bewegungsstörungen aus der Sicht des Ausbilders? Die Grundlage der klassischen Reitlehre ist die Skala der Ausbildung, die kein theoretisches Konstrukt ist, sondern auf hippologischen Erfahrungen aus Jahrhunderten beruht. Abgeleitet sind die Prinzipien der Ausbildungsskala von der Natur des Pferdes und daher sind diese Grundsätze auf jedes Pferd, auf jede reitsportliche Disziplin, auf jeden Teil des Ausbildungsganges eines Pferdes sowie auf jede tägliche Arbeit anzuwenden. Wichtig sind stets alle Punkte der Skala jeden Tag, in jeder Übung und in jedem Ausbildungsstand zu berücksichtigen. Je nach Pferd und Ausbildungsstand werden Schwerpunkte gesetzt, aber stets mit der ganzen Skala als Einheit im Hinterkopf. Hier einige Punkte, die gemäss klassischer Reitlehre hauptsächlich zu Problemen wie Bewegungsstörungen führen können: Bewegungsstörungen zeigen sich in mehr oder weniger nachhaltigen Taktfehlern. Die Ursachen liegen insbesondere in der Vernachlässigung der Losgelassenheit. Eine zu starke Handeinwirkung des Reiters verursacht sehr häufig Taktprobleme. Insbesondere wenn er versucht den Pferdehals mit den Zügeln in eine bestimmte Form zu pressen. Die Form und Schönheit des Halses des Pferdes ist das Zeichen wie der gesamte Körper des Tieres arbeitet. Der Hals dient zur Überprüfung des reiterlichen Einflusses und soll nicht durch die Hand geformt werden. Die Zügelhand geht zum Maul des Pferdes und nie umgekehrt! Die Stärke der einwirkenden Kraft der Reiterhand darf nie stärker und härter werden, als das, was ein rohes Ei ertragen kann, bevor es durch Druck zerplatzt. Auch das rohe Ei muss konsequent gehalten werden, damit es einem nicht aus der Hand fällt, aber mit soviel Fingerspitzengefühl, dass es nicht zerdrückt wird. Genauso wie ein Pferdemaul behandelt werden soll! Zuviel Druck und zuviel Zügeleinwirkung nehmen dem Pferd die natürliche Fähigkeit sich über den Hals auszubalancieren und den Rücken als Zentrum der Bewegungsübertragung ungestört zu nutzen. Ein Pferd, das im Galopp Schaukelpferd ähnliche Bewegungen macht, wird durch die Reiterhand behindert. Es kann im Hals keine freie Bewegung ausführen und so nicht vorwärts springen. Klappt der Übergang Galopp-Trab nicht, so ist kein frei arbeitender Pferderücken vorhanden. - 22 -

Die erste Taktunreinheit ist im Schritt zu sehen. Die freie bzw. die eingeschränkte Rückentätigkeit wirkt sich 1:1 auf die Taktreinheit des Schrittes aus. Die freie Schwebe im Trab und Galopp erlaubt auch dem gespannten Pferd im Takt zu bleiben. Nicht selten ergeben sich Taktfehler aus eklatanter Schiefe, die manche Reiter mit Zügelhilfen, statt mit Gewichts- und Schenkelhilfen zu korrigieren versuchen. Schiefe spürt der Reiter auch durch ungleichmässigen Zügeldruck oder Verwerfen im Genick. Die einseitige zu feste Anlehnung führt zu Balance- und damit zu Taktstörungen (Zügellahmheit). Oft werden auch Taktstörungen durch falsch verstandene versammelnde Arbeit provoziert (z.b. Viertakt im Galopp), bei der Fleiss und Engagement der Hinterbeine vernachlässigt werden und eine Vorderlastigkeit entsteht oder vergrössert wird. Martin Plewa versäumt es nicht immer und immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Zügelhilfe, sprich die Hand, die reiterliche Einwirkung ist, die nur die Auswirkung der Schenkel - und Gewichtshilfen überprüft und nie ursächliche Hilfe ist! Trabverstärkung mit deutlich gebrochener diagonaler Fussfolge, festgehaltenem Rücken, hoher Kruppe und engem Kopf-Halseinstellung Beachten Sie die roten Linien, die bei korrekter Fussfolge die Seiten eines Parallelogramms ergeben sollten! Dr. Gerd Heuschmann, Fachtierarzt für Pferde, Buchautor zum Thema Reitweise und Lahmheit sprach in seinem Referat zum Thema Funktionale Anatomie und Definition des Begriffes Zügellahmheit. Die funktionale Anatomie kam leider in diesem Referat sehr kurz und sehr oberflächlich zur Sprache. Meines Erachtens ein immens wichtiger Teil, aber auch ein sehr schwieriger und vielleicht auch noch sehr wenig entwickelter Teil in der Anatomie des Pferdes. Gerd Heuschmann zeigte die bekannte Brückenkonstruktion auf. Ein interessanter Gedanke: Sind die abdominalen Muskeln für das Tragen des Reitergewichtes wirklich verantwortlich? Dagegen spricht ihr gewölbter Verlauf, der keine statische Muskelkontraktion zulässt und auch, dass durch ihren Ansatz am Brustkorb die Atmung behindert würde bei einer statischen Kontraktion. Die - 23 -

Bauchmuskeln dienen als untere Verspannung und somit als Stabilisatoren des Rumpfes. Sie tragen die Bauchorgane. Ausserdem wölben sie bei aktiver Kontraktion den Rücken auf, ziehen die Hinterhand heran und ziehen das Becken im unteren Bereich Richtung Brustkorb, allerdings nur in der Schwebephase der schwunghaften Gangarten. Das Getragenwerden des Rumpfes ist im Wesentlichen abhängig von der Position der Kopfhalsachse und ihrer Beweglichkeit. Heuschmann wies darauf hin, dass, bedingt durch die Hebelverhältnisse Unterkiefer- Genick, die 10-fache Kraft, die von der Hand des Reiters auf den Laden des Unterkiefers wirkt, sich im Genick manifestiert. Erschütternd, wenn man untenstehendes Bild betrachtet und weiss was für eine delikate Region der obere Halswirbelsäulenbereich darstellt und welchen Einfluss er auf den Bewegungsablauf des Pferdes hat! Kann das Pferd im Kiefergelenk noch etwas Ausgleich schaffen, indem es das Maul zumindest entspannen und etwas öffnen kann, wird ein kleiner Teil der Kraft absorbiert und entlastet das Genick. In etwa zu vergleichen, wie wenn wir mit leicht gebogenen Knien auf den Boden springen oder mit voll extendierten Knien. Leider wird aber dem Pferd diese Kompensation meist auch genommen, indem das Nasenband straff zugezerrt wird. Dadurch werden Strukturen wie N.vagus, N. accessorius, Hyoid, Bänder/Sehnen und Muskeln überbeansprucht und entwickeln nicht selten Symptome in entfernteren Körpergebieten wie cervico-thoracaler Übergang, Gebiet des M. trapezius, innere Organe und vieles mehr. Die Hand des Reiters muss als erste Priorität lernen los zu lassen! Eine sehr schwierige Aufgabe. Neigt der Mensch doch als erstes zum Festhalten und sich krallen und macht es in heiklen Momenten ganz unbewusst und entfaltet unheimliche Kräfte dabei. Ein Grund warum die Zusammenarbeit mit dem Pferd manchmal so schwierig sein kann und für das Pferd sehr unangenehm und schmerzhaft. Und trotzdem versuchen diese sensiblen Tiere immer weiter ihr Bestes zu geben! Heuschmann zeigte an Beispielen aus seiner Praxis wie oft die pure Tiermedizin einschliesslich neuester Technik wie z.b. Szintigraphie und Kernspintomographie die Frage nach der Lahmheit unbeantwortet lässt. Eine Zügellahmheit lässt sich nicht röntgenologisch, ultrasonographisch oder durch Szintigraphie erfassen! Seine Hypothese: viele orthopädische Schäden wie z.b. Fesselträgerzerrungen lassen sich auf eine rücksichtslose, harte mechanische ausschliesslich gewinnorientierte Ausbildung in den ersten Monaten und Jahren der Arbeit unter dem Sattel eines Pferdes zurückführen. Im Sinne des Pferdes muss an den Hochschulen und grossen privaten Pferdekliniken einvernehmlich den Pferdesportverbänden diesem alten Wissen - 24 -

wieder mehr Bedeutung geschenkt werden und die richtigen Erkenntnisse auf wissenschaftliche Füsse gestellt werden. Der Tierarzt (und Therapeut) ist berufen, mutig pferdefeindlichen Ausbildungsmethoden entgegenzutreten, auch wenn es vorübergehend wirtschaftlich zum Nachteil gereichen kann. Pferd mit überspanntem Rücken zeigt extrem tiefe Kopf-Hals-Einstellung mit falschem Knick, stark angehobener Rückenlinie, gerader Kruppe und überstrecktem Lumbosacralgelenk und herausgestelltem Hinterbein. Professor Heinz Meyer, Psychologe, Soziologe und Buchautor äusserte sich zur natürlichen Kopf-Hals-Haltung des Pferdes und ihre Beeinflussung durch den Menschen. Die natürliche Kopf-Hals-Position verändert sich je nach Bedürfnis des Pferdes. Sie ist abhängig von den verschiedenen Funktionen wie Fressen (am Boden), Fellpflege, Sozialkontakt, vom Sichern der Umgebung (mit angehobenem Kopf) und von den diversen Varianten der Fortbewegung. Hier trägt die Kopf-Hals-Position zur Sicherung der Balance des recht labilen Gleichgewichts, bedingt durch die Konstitution des Pferdes, bei. Die Möglichkeiten und die Grenzen der Mobilität respektive der Flexibilität der Kopf- Hals-Position resultieren aus der Anatomie der HWS. Konkret werden sie v.a. bedingt durch: Die relativ dicken Disci Die halbkugelförmigen Gelenkflächen der 7 relativ voluminösen Halswirbel Die nur rudimentäre Ausbildung der Dornfortsätze Das Fehlen der Ligamenta interspinalia, supraspinale und longitudinale ventrale Die Spezialisierung des Atlantoocipitalgelenkes und des Atlantoaxialgelenkes Die Differenzierung der Halsmuskulatur. Des Weiteren ist anatomisch der cervicothoracale Übergang (C5 T1) relevant. Er bildet die Basis für die Bewegung von Hals und Kopf als Balancierstange. Die Abweichungen der natürlichen Position werden einerseits durch die natürliche Flexibilität der Kopf-Hals-Position des Pferdes und andererseits durch die Kraft - 25 -

resp. die Effizienz der Einwirkung der Hand des Menschen bedingt. Der Mensch erwirkt die Abweichungen entweder ohne Wissen der physischen und psychischen Folgen oder trotz des Wissens derer Auswirkungen auf die Bewegungsleistung, die Gesundheit und das Wohlbefinden des Pferdes. Er erwirkt sie unabsichtlich bei der Verfolgung seiner Zwecke zur Nutzung oder absichtlich bei der Verfolgung dieser Zwecke. Die Zwecke bestehen primär in der Führung und Kontrolle des Pferdes, in der Veränderung von Richtung und Tempo der Bewegung. Sekundär in der Veränderung des Bewegungstaktes, der Haltung, der Art der Kraftentfaltung und auch in der Veränderung der Erscheinung des Pferdes. Diese Abweichungen stellen im Hinblick auf die funktionelle Haltung Fehlhaltungen dar, d.h. mindestens eine der Komponenten des Haltungs- und Bewegungsgefüges weicht von seiner evolutionär ausgebildeten Position und Funktion ab. Die Auswirkungen von Fehlhaltungen verbinden sich eng mit Kompensationsmassnahmen oder stellen sie direkt dar. Die Kompensationsmassnahmen dienen der Reduktion der physischen und psychischen Belastung des Individuums. Heinz Meyer macht auch deutlich darauf aufmerksam, dass es viel schwieriger ist experimentell die Belastungen und Auswirkungen der verschiedenen Kopf-Hals- Positionen zu untersuchen und interpretieren als das bis jetzt gemacht wurde. Deshalb ist die unterschiedliche Interpretation der Argumente über einerseits Behinderung der Bewegungsentfaltung des Pferdes durch überstarke Überzäumung bei tiefer Einstellung des Kopf-Halses und andererseits über Förderung der Gymnastizität und Wohlbefinden des Pferdes möglich. Den Abschluss des Tages machte Wilfried Gehrmann, ehemaliger Leiter der Rheinischen Reit-und Fahrschule, Buchautor und Dozent zum Thema Longe, Doppellonge und Handarbeit. Sein Thema: die Arbeit an der Longe oder Doppellonge als Lösungsansatz für das zügellahme Pferd. Herr Gehrmann zeige an Hand von verschiedenen Fallbeispielen die Möglichkeiten, die einem geübten Longenführer zur Verfügung stehen um ein Pferd zu korrigieren und aufzubauen. Die praktische Vorführung am Sonntag zeigte mehr als deutlich wie schmal der Pfad ist zwischen korrektem und inkorrektem, sprich schlechtem Longieren. V.a. mit der Doppellonge will sehr gut umgegangen gelernt sein, bevor sie eingesetzt wird. Bedenken wir, dass beim Longieren generell viel über die Hand, über das Maul, über den Hals des Pferdes gearbeitet wird. Nur ein sehr guter Kenner kann ein Pferd mit Einsatz seines Körpers und seiner Körpersprache von hinten arbeiten. An der Doppellonge ist der Einfluss der Hand noch deutlich stärker, da wir mittels der Umlenkrollen auch eine vergrösserte Hebelwirkung auf das Pferdemaul haben. Eine sehr eindrückliche Vorführung der Grenzen für ein korrektes Arbeiten. Ich denke an der Longe kann mit unkorrektem Handling genau so viel falsch laufen, wenn nicht noch mehr, wie bei der Reiterei. Longenarbeit gehört in die Hände absoluter Fachleute oder zumindest unter die Kontrolle solcher. Longenarbeit ist wie die Reiterei unter Kontrolle von Grund auf zu erlernen! Brigitte Stebler - 26 -