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DIE ENTFÜHRUNGEN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN BÜRGER IN DIE SOWJETUNION IN DEN JAHREN 1945-1955 Vladimír Bystrov: Die Behörde für die Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus, Prag 2003 Zeitgleich mit dem Betreten der sowjetischen Armee am Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1944, traten auf dem Gebiet der Tschechoslowakischen Republik auch die speziellen Organe der sowjetischen Sicherheit auf, zwecks weitreichender Verfolgung einiger Gruppen der örtlichen Bevölkerung. In der Regel wurden die Opfer dieser Verfolgung nach ihrer Gefangennahme in sowjetische Militärlager in Deutschland und Polen oder direkt in die Gefängnisse in der UdSSR übergeben, wo sie zu langjährigen Haftstrafen in Zwangsarbeitslagern verurteilt wurden. Im Jahre 1942 wurden die Truppen SM!R" ( Tod den Spionen ) eingesetzt. Es handelte sich um die Sondertruppen des Volkskommissariats des Innenministeriums (NKVD). Ihre Aufgabe war es, die sowjetischen Bürger zu liquidieren, die während der deutschen Besatzung der westlichen Gebiete der UdSSR mit den Deutschen in Kontakt getreten waren. Aber nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee in fremde Länder hieß die Hauptaufgabe der SM!R"-Angehörigen vor allem, in den besetzten Gebieten alle potenziellen Kommunismusgegner herauszusuchen, sie zu verfolgen und zu verhaften. Diese Verfolgung betraf auf dem Gebiet des späteren Karpato-Russlands im Zeitraum vom Winter 1944 bis zu seiner offiziellen Übergabe an die UdSSR im Juni 1945 eine unbekannte Zahl von Personen. Im Moment des Einmarsches der Roten Armee im Herbst 1944 in Karpato-Russland wurde dieses Gebiet nach dem Grundsatz über die Geltung der tschechoslowakischen Grenze aus der Zeit vor dem 30. September 1938 wieder ein Bestandteil der Tschechoslowakischen Republik. Die tschechoslowakischen Gesetze sollten wieder gelten, und anstatt der bisherigen ungarischen Besatzungsbehörden sollten die tschechoslowakischen Organe die Verwaltung übernehmen. Schon seit Monaten verliefen Verhandlungen über die mögliche Überlassung dieses Gebietes an die Sowjetunion. Obwohl das Ergebnis dieser Verhandlungen noch nicht bekannt war, bemächtigte sich die OEZ BERLIN Internet: http://www.osteuropa-zentrum.de 1/8

Sowjetunion nach dem Einmarsch der Roten Armee der gesamten Verwaltung von Karpato- Russland. Zugleich kam es zu umfangreichen Eingriffen gegen die Bevölkerung. Die wichtigsten Sicherheitsaktionen führte die Verwaltung der Abwehr SM!R" der 4. ukrainischen Front durch. Verhaftet und verschleppt wurden: potentielle UdSSR- und Kommunismusgegner, Repräsentanten der demokratischen und politischen Kreise, Repräsentanten der ungarischen Besatzungsbehörde, russische Emigranten, ukrainische Nationalisten und alle, die irgendwelche potentiellen Komplikationen bei dem Anschluss von Karpato-Rusland an die UdSSR und bei der folgenden Sowjetisierung darstellen könnten. Noch lange nach dem Anschluss von Karpato-Russland an die UdSSR haben die SM!R"- Truppen jeden verfolgt, der Sympathie für die Tschechoslowakei zeigte. Mit dem Vormarsch der sowjetischen Armee auf dem Gebiet der Tschechoslowakei hat sich die Tätigkeit der SM!R"-Angehörigen und der weiteren NKVD-Organe auch an der Slowakei orientiert. Außer der Verfolgung der Aktivisten der slowakischen faschistischen Organisationen, der Teilnehmer an den Kämpfen auf der deutschen oder ungarischen Seite und verschiedener Repräsentanten der Konterrevolution wurden ohne irgendwelche Beschuldigungen ganze Bevölkerungsgruppen, vor allem aus den kleinen Städten und vom Lande, gewalttätig zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt, angeblich zur Hilfe bei der Nachkriegsrekonstruktion der sowjetischen Nationalwirtschaft. Die Proteste der örtlichen Organisationen überraschten die Repräsentanten der Slowakischen Kommunistischen Partei, die versucht haben, die sowjetische Führung darauf aufmerksam zu machen, dass die Verschleppungen und Deportationen der slowakischen Bevölkerung in die UdSSR ernsthaft die sowjetischen Interessen in der Tschechoslowakei bedrohen könnten. Alle Versuche um Wiedergutmachung waren aber vergeblich. Im Jahre 1990 entstand bei der Konföderation der politischen Gefangenen in Pre#ov die Sektion der in die UdSSR Verschleppten, die Angaben über fast 40.000 verschleppte Slowaken und in der Slowakei lebende Ungarn gesammelt hat. Als die SM!R"-Angehörigen nach Mähren kamen, haben sie sich zuerst auf Schlesien konzentriert, wo sie die Ortsbewohner verfolgten, die in die deutsche Armee rekrutiert worden sind, bei ihrem Rückzug ins Deutsche Reich desertierten und in ihre Heimat zurückkehrten, welche sich auf dem von der Roten Armee bereits eroberten Gebiet befand. Die Rückkehrer wurden in der Regel der Zusammenarbeit mit der deutschen Abwehr OEZ BERLIN Internet: http://www.osteuropa-zentrum.de 2/8

beschuldigt. Einige Einzelne nutzten die Anwesenheit der sowjetischen Sicherheitsorgane auch für falsche Anzeigen aus, was entweder durch die Aversion zu Tschechen oder durch persönliches Interesse motiviert wurde. Nach dem Einmarsch in Ostrau begannen die SM!R"-Angehörigen ihre Hauptkampagne in der Tschechoslowakei, d. h. einen systematisch geführten Schlag gegen den politischen, gesellschaftlichen und intellektuellen Feind, den die ehemaligen russischen Emigranten darstellten. Das Ziel der SM!R"-Angehörigen war es nicht, alle ehemaligen russischen Emigranten zu liquidieren, die nach dem Verlassen des bolschewistischen Russlands schon fast seit einem Vierteljahrhundert in der Tschechoslowakei gelebt haben, sondern vor allem ihre gesellschaftlichen Positionen und Sicherheiten zu erschüttern, damit sie die ins Land kommenden sowjetischen Interessen nicht behindern würden. Im Vergleich zu den Massendeportationen der Slowaken handelte es sich wahrscheinlich um durch Zufall verhaftete Einzelpersonen. Die Razzien in Ostrau und in Brünn wiesen jedoch Zeichen einer gezielten Aktion auf. Nach Prag kamen die SM!R"-Angehörigen der 4. ukrainischen Front am Abend des 9. Mai 1945. Ihre Hauptziele in der Tschechoslowakei waren, jeden möglichen weiteren Einfluss auf die tschechoslowakische Gesellschaft von den bedeutenden Personen aus den Reihen der ehemaligen russischen Emigranten zu verhindern. Die Zeugenaussagen beweisen, dass es mehr Verschleppte russischen Emigranten gab als Opfer aus den Reihen der Tschechen. Aus den erhalten gebliebenen Dokumenten geht hervor, dass die SM!R"-Angehörigen während der ersten Razzia in den Tagen vom 11. bis zum 31. Mai 1945 in Prag 100 Personen festgenommen und verschleppt haben. Nur in einem bekannten Fall handelte sich um eine Person tschechischer Nationalität. Für die Familien der ehemaligen russischen Emigranten stellte die Verschleppung ihrer Mitglieder eine Verletzung ihrer Grundsicherheiten dar, die ihnen die Nachkriegstschechoslowakei unter T. G. Masaryk und Bene# gewährt hat, als sie ihnen eine langfristige Zuflucht, Ausbildung und Integration in die tschechoslowakische Gesellschaft ermöglichte. Festgenommen wurden auch Personen, die nicht zu der ersten Emigrantenwelle gehörten, d. h. Kinder der Emigranten, die mit ihren Eltern am Anfang der 1920er Jahre in die Tschechoslowakei gekommen sind und die einen großen Teil ihres Lebens in der Tschechoslowakei verbracht haben. Festgenommen wurden auch die Vertreter der OEZ BERLIN Internet: http://www.osteuropa-zentrum.de 3/8

autonomen Regierung Karpato-Russlands, die nach dem Zusammenbruch der eintägigen Republik Karpato-Russland gleich im März 1939 vor dem ungarischen Einmarsch nach Prag geflohen sind. Die sowjetische Sicherheit unterschätzte die politische Autorität der ehemaligen russischen und ukrainischen Emigranten in der freien Welt nicht und hatte ihre Tätigkeit sehr gut dokumentiert und die Tätigkeit aller ihrer Organisationen systematisch analysiert. Eine wichtige Informationsquelle stellten die Agenten der russischen Abwehr dar, die unter den Emigranten waren. Eine besondere Rolle hatte die Russische Vertrauensstelle im Protektorat Böhmen und Mähren, die Ende 1939 errichtet wurde. Ihre Aufgabe während der deutschen Besatzung war es, alle im Protektorat lebenden Emigranten zu finden und zu verfolgen. Die Tätigkeit dieser Vertrauensstelle und die von ihr angelegten Emigrantenlisten dienten schließlich eher der sowjetischen Abwehr als den deutschen Interessen. Weitere Entführungen Tschechoslowakische prosowjetische Staatspolitik und ihre Propaganda setzte am Ende des Krieges ein positives Bild des Betretens der sowjetischen Armee in die Tschechoslowakei durch. Der wirkliche Anklang auf das Eroberungs-Verhalten der Befreier wurde nicht veröffentlicht. Nach der Machtübernahme durch die Kommunisten im Jahre 1948 wurde dieses zweckentstellte Bild noch mehr gefestigt. Die tschechoslowakische Gesellschaft wurde von den Eingriffen der sowjetischen Sicherheitsorgane überrascht und war nicht im Stande, sich andere Gründe dafür vorzustellen als die, die Sieger gewöhnlich hatten, d. h. die Helfer und Mitarbeiter des Feindes zu verfolgen. Die ehemaligen russischen und ukrainischen Emigranten hingegen wussten genau, worum es sich handelt. Sie waren sich bewusst, dass das bolschewistische Interesse darin besteht, jeden potentiellen Mittelpunkt des Widerstandes gegen die vorbereitete Sowjetisierung zu liquidieren. Es konnten natürlich nicht alle verschleppt werden, deshalb wurde Hauptziel der SM!R", vor allem die allgemein bekannten Persönlichkeiten zu verfolgen. Die Aufmerksamkeit wurde auf die Personen konzentriert, die sich erfolgreich in die tschechoslowakische Gesellschaft integriert haben und die fachliche und intellektuelle OEZ BERLIN Internet: http://www.osteuropa-zentrum.de 4/8

Autoritäten darstellten. Es ist kein Zufall, dass die meisten von den Verschleppten schon tschechoslowakische Bürger waren und alle eine Hochschulausbildung hatten. Überraschung (1945) Die Reaktionen der tschechoslowakischen Gesellschaft auf die Entführungen der Bürger durch die sowjetischen Sicherheitsorgane waren verschieden. Entweder hat die eigenwillige Handlung der sowjetischen Organe alle überrascht und niemand hat geahnt, welche Folge der Einmarsch der Roten Armee in die Tschechoslowakei haben wird und dass es die UdSSR gleich für ihre weiteren politischen Interessen ausnutzt. Oder das Verhalten der Tschechoslowakei war nur machtloses Zusehen, und die Tschechoslowakei hat die Entführungen der Bürger als Problem gesehen, das sie durch Widersetzung nicht lösen konnte, da dadurch weitere gute Beziehungen mit dem starken Verbündeten gefördert werden könnten. Schließlich gab es auch Gruppen, denen die Aktionen der sowjetischen Sicherheitsorgane passten, da sie zu der Liquidierung der Volksgegner beitrugen, so dass einige politische Kräfte sogar bei den Entführungen der Bürger geholfen haben. Es kam dann zu folgendem Ergebnis: Es wurde keine Entscheidung angenommen, die das eigenwillige Vorgehen der sowjetischen Sicherheitsorgane verhindern sollte. Es wurde keine entscheidende Ablehnung dieser Verletzung des internationalen Rechts und der Souveränität der Tschechoslowakischen Republik ausgesprochen. Anstatt des Protestes gegen die Sowjetunion wurde nur auf die Untaktik der Aktionen für die Durchsetzung ihre langfristigen Ziele in der Tschechoslowakei hingewiesen. Die Versuche, Informationen über die Verschleppten von den sowjetischen Organen zu bekommen, waren in der Regel erfolglos. Die tschechoslowakischen Repräsentanten haben geahnt, dass die Sowjetunion nicht bereit ist, die entstandene Situation zu lösen oder sie sogar wieder gutzumachen. Die Entführungen, die offensichtlich durch politisches Interesse der Sowjetunion motiviert waren, ließen die tschechoslowakischen Repräsentanten anfangs ohne Kommentar zu. Offensichtlich waren einige politische Kräfte nicht dafür, zum Nutzen der Verschleppten zu intervenieren. Die Sowjetunion hatte sowieso nicht vor, sich mit Interventionen zu beschäftigen. Am 12. Oktober 1945 begann die Regierung, sich mit der Tragödie der Verschleppten zu beschäftigen; Staatssekretär Clementis informierte den sowjetischen Botschafter Zorin über OEZ BERLIN Internet: http://www.osteuropa-zentrum.de 5/8

ihren Beschluss, dass die Regierung formal beschlossen hat, wieder und dringend die Freilassung der verhafteten Tschechen und Slowaken anzumahnen. Unmittelbar darauf entstand im Außenministerium der Vorschlag, von der Sowjetunion eine beschleunigte, grundsätzliche Lösung zu fordern. Am 12. November 1945 übergab der tschechoslowakische Botschafter dem Kommissarvertreter für Auswärtiges Vy#ninskij die Liste der tschechoslowakischen Bürger, die von den sowjetischen Organen auf dem Gebiet der $SR interniert worden sind. Vy#ninskij hat die Liste angenommen und wieder ist nichts passiert. Ratlosigkeit und Vortäuschung (1946-1948) Die Familien der Betroffenen erinnerten immer wieder an die Schicksale ihrer Familienmitglieder und baten die Staatsinstitutionen und ihre Vertreter, sie zu finden und zurückzubringen. Durch Drängen der tschechoslowakischen Diplomaten zwangen sie die Sowjetunion dazu, eine eigene Inventurliste der tschechoslowakischen Bürger in den sowjetischen Lagern auszuarbeiten. Die in den einzelnen Meldungen angegebene Anzahl der Gefangenen war jedoch ungenau und beinhaltete keine Anzahl von Gefangenen in den GULAGs. Die Sowjetunion zeigte keine Bereitschaft, dem tschechoslowakischen Verlangen entgegenzukommen. Die tschechoslowakische Regierung setzte sich wiederholt mittels des tschechoslowakischen Botschafters in Moskau und der sowjetischen Botschaft in Prag für die Freilassung der tschechoslowakischen Angehörigen ein. Das Außenministerium wollte nicht aufgeben und forderte weiter Äußerungen vom Innenministerium zur Möglichkeit der Intervention zu Gunsten der einzelnen verschleppten russischen Emigranten. Und falls diese Äußerung zustimmend war, wurde der gegebene Name dem Botschafter in Moskau mitgeteilt, damit er es ohne Verzögerungen dem sowjetischen Außenministerium übergegeben konnte. Auf diese Weise wurde binnen der Jahre 1946 und 1947 verfahren. Die Sowjetunion hat diese tschechoslowakische diplomatische Initiative jedoch ignoriert und das Streben der Botschaft blieb ohne Ergebnis. Die Zusammenarbeit OEZ BERLIN Internet: http://www.osteuropa-zentrum.de 6/8

Zu einer offenen Zusammenarbeit der tschechoslowakischen Staatsadministrative mit den sowjetischen Sicherheitsorganen kam es in der Tschechoslowakei nach der Machtübernahme durch das kommunistische Regime im Februar 1948. An die Sowjetunion wurden ganze Gruppen der sie störenden Bürger ausgeliefert. Eine von diesen Gruppen waren Weißrussen, die in den 1920ern Jahren zusammen mit anderen Emigranten aus Russland kamen. Weitere Gruppen von Bürgern, die das kommunistische Regime der Sowjetunion auslieferte, waren die im ehemaligen Karpato-Russland öffentlich tätigen Personen, die nach der Übergabe Karpato-Russlands an die UdSSR in die Tschechoslowakei übergesiedelt sind. Das kommunistische Regime weigerte sich nicht, die ehemaligen sowjetischen Bürgerinnen an die UdSSR auszuliefern, die aus den während des Zweiten Weltkrieg von Deutschland besetzten Gebieten stammten, aus der UdSSR zur Arbeit in Deutschland verschleppt worden sind, nach Ende des Krieges in der Tschechoslowakei geblieben sind und durch Eheschließung mit einem Tschechen die tschechoslowakische Bürgerschaft bekommen haben. Nie gelang es festzustellen, wie viele tschechoslowakische Bürger wirklich verschleppt wurden. Es ist aber offensichtlich, dass nur ein kleiner Teil der Verschleppten das Grauen der sowjetischen Lager überlebte. Zu Freilassungen kam es wahrscheinlich schon im Jahre 1950. Unvollständige Informationen zeigen, dass vor allen die Personen freigelassen wurden, die in den Internierungslagern und nicht in den hermetisch abgeschlossenen GULAGs in der Tiefe der UdSSR festgehalten wurden. Zugleich wurden diejenigen freigelassen, die höchstens zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Zu der ersten größeren Repatriierung der Gefangenen aus den GULAG-Lagern in die Tschechoslowakei kam es erst im Jahre 1953 im Rahmen der Amnestien vom 27.3.1953 nach Stalins Tod. Die Repatriierenden wurden in unterschiedlich großen Gruppen zurückgegeben und ihre Zusammensetzung hat sich bis zum letzten Moment vor der Abfahrt aus Moskau geändert. Die meisten der Amnestierten wurden von sowjetischen Gerichten wegen Straftaten verurteilt, die im Zusammenhang mit den Kriegsgeschehen entstanden. Alle ehemaligen Gefangenen mussten sich schriftlich verpflichten, dass sie sich nicht mit einer antisowjetischen Tätigkeit beschäftigen werden und dass sie die geheim gehaltenen Tatsachen, mit denen sie sich während ihres Aufenthaltes in einem sowjetischen Lager vertraut gemacht haben, nicht mitteilen werden. OEZ BERLIN Internet: http://www.osteuropa-zentrum.de 7/8

Alle Zurückkehrenden wurden als tschechoslowakische Staatsbürger an die Tschechoslowakei übergegeben, niemand kam als Sowjet-Bürger in die Tschechoslowakei zurück. Die meisten Entführungsopfer wurden ohne Personaldokumente verschleppt und es kam nur auf ihre ständige Erklärung der tschechoslowakischen Angehörigkeit an. Die ehemaligen Gefangenen in den GULAG-Lagern wurden wahrscheinlich auf Wunsch der Sowjetunion während der ganzen Zeit des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei durch die Staatssicherheit verfolgt und überprüft. Die erhalten gebliebenen Dokumente der damaligen sowjetischen Sicherheitsorgane nach dem Einmarsch der Roten Arme auf das Gebiet der Tschechoslowakei am Ende des Zweiten Weltkriegs sind in den Archiven des Innenministeriums und des Außenministeriums der Tschechischen Republik sowie im Staatszentralarchiv in Prag aufbewahrt. Die Aussagekraft der russischen Archive ist begrenzt, was auch die Antworten von einigen Organen der Russischen Föderation beweisen, die sie in Umfragebögen eingetragen haben. Diese Umfragebögen sendete die Zentralstelle zur Dokumentation der Rechtswidrigkeit des kommunistischen Regimes und der Ausschuss Oni byli první im Jahre 1994 an das Militärkollegium des Obergerichts der Russischen Föderation. Zurückgegeben wurden sie allmählich in den Jahren 1995-1996 durch die Botschaft der Russischen Föderation in Prag. OEZ BERLIN Internet: http://www.osteuropa-zentrum.de 8/8