Wo verklagt man Billigflieger wegen Annullierung, Überbuchung oder Verspätung von Flügen? *

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Transkript:

Lehmann: Wo verklagt man Billigflieger wegen Annullierung, Überbuchung oder Verspätung von Flügen? NJW 2007, 1500 Wo verklagt man Billigflieger wegen Annullierung, Überbuchung oder Verspätung von Flügen? * Akademischer Rat Dr. Matthias Lehmann, D.E.A. (Paris II), LL.M. (Columbia Univ.), Bayreuth Der Beitrag behandelt die gerichtliche Zuständigkeit für Klagen von Passagieren gegen ausländische Fluggesellschaften. Insbesondere geht es um die Frage, ob ein Gerichtsstand im Inland besteht. I. Einleitung Nicht selten kommt es vor, dass Flüge gestrichen oder mit späteren zusammengelegt werden. Die Gründe dafür sind nicht nur schlechtes Wetter, Streiks des Bodenpersonals oder drohende terroristische Attentate, sondern immer häufiger auch ökonomische Erwägungen. Zur Praxis so genannter Billigflieger gehört es nämlich, Flüge zu annullieren, wenn sie wegen der geringen Zahl der Passagiere nicht rentabel erscheinen. Nicht nur bei Billigfliegern kommt es außerdem vor, dass Flüge überbucht werden und man daher die Beförderung verweigert, oder dass sich der Abflug schlicht verzögert. In diesen Fällen wird der Kunde häufig auf einen anderen Flug derselben Gesellschaft verwiesen. Ist dies nicht der Fall oder kann der Gast nicht warten, so bleibt ihm in der Regel nichts anderes übrig, als kurzfristig auf eine andere Fluggesellschaft umzusteigen. Da dies naturgemäß mit weit höheren Kosten verbunden ist, stellt sich die Frage, wie er deren Erstattung gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Beförderer durchsetzen kann. 1501 Lehmann: Wo verklagt man Billigflieger wegen Annullierung, Überbuchung oder Verspätung von Flügen?(NJW 2007, 1500) In materieller Hinsicht ist diese Frage in der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 1 geregelt 2. Mit dieser Verordnung wurde sich bereits intensiv beschäftigt 3. Weniger Aufmerksamkeit wurde dagegen bisher der Frage gewidmet, wie der Fluggast die ihm darin gewährten materiellen Ansprüche prozessual durchsetzen kann. Weil die Verordnung keine Bestimmung über den Gerichtsstand enthält, ist insbesondere zweifelhaft, wo ausländische Fluggesellschaften verklagt werden können. II. Anwendung der EuGVVO 1. Anwendungsbereich Zur Beantwortung dieser Frage muss man auf die allgemeinen Regeln der internationalen Zuständigkeit zurückgreifen. Anwendbar ist insoweit die Europäische Gerichtsstands- und

Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) 4. Zwar enthält auch das Montrealer Übereinkommen 5 in Art. 33 I eine Regelung über den Gerichtsstand, die gem. Art. 71 I EuGVVO vorrangig anzuwenden ist 6. Doch greift sie nur bei Ansprüchen auf Grund des Übereinkommens, zum Beispiel bezüglich des dort in Art. 19 vorgesehenen Anspruchs bei Verspätung des Flugs 7. Ansprüche aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 unterliegen dagegen der EuGVVO, soweit deren Anwendungsbereich eröffnet ist. Räumlich gesehen erfasst die EuGVVO gem. Art. 3, 4 alle Fälle, in denen der Beklagte seinen Wohnsitz innerhalb eines Mitgliedstaats mit Ausnahme Dänemarks 8 hat. Unter dem Wohnsitz ist dabei nach Art. 60 I EuGVVO bei Gesellschaften und juristischen Personen dreierlei zu verstehen: der satzungsmäßige Sitz, der Ort der Hauptverwaltung sowie der Ort der Hauptniederlassung. Die EuGVVO findet gegenüber allen Luftfahrtunternehmen Anwendung, bei denen einer dieser drei Orte innerhalb der Gemeinschaft - mit Ausnahme Dänemarks - liegt. Nur diese Unternehmen sollen hier zunächst betrachtet werden 9. 2. Allgemeine Zuständigkeitsregel Nach der allgemeinen Regel des Art. 2 I EuGVVO ist die Klage in dem Staat zu erheben, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat. Für Gesellschaften und juristische Personen wird der Wohnsitz durch die in Art. 60 I EuGVVO genannten Orte ersetzt. Weichen diese voneinander ab 10, so kann der Kläger zwischen diesen Staaten wählen 11. Die Option nützt ihm jedoch nicht viel, wenn er eine Gesellschaft vor deutschen Gerichten verklagen will, bei der keiner der drei in Art. 60 I EuGVVO genannten Orte in Deutschland liegt. 3. Verbrauchergerichtsstand Auch die in Art. 16 I EuGVVO vorgesehene Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Verbrauchers hilft nicht weiter, denn sie gilt gem. Art. 15 III EuGVVO nicht für Beförderungsverträge. Eine Ausnahme ist lediglich für Pauschalreisen vorgesehen. Zumindest bei diesen besteht daher die Möglichkeit, das ausländische Reiseunternehmen - nicht die Fluggesellschaft - im Wohnsitzstaat des Verbrauchers zu verklagen. Bei Linienflügen kann sich der Verbraucher dagegen nicht auf Art. 16 I EuGVVO berufen. 4. Gerichtsstandsvereinbarung Die allgemeinen Geschäftsbedingungen der meisten Fluggesellschaften enthalten Gerichtsstandsvereinbarungen. Solche Vereinbarungen sind nach Art. 23 EuGVVO grundsätzlich zulässig, bedürfen aber der Schriftform. Der bloße Abdruck der allgemeinen Geschäftsbedingungen auf der Rückseite der Rechnung genügt dafür nicht 12. Auch die Wiedergabe der AGB auf der Rückseite des Flugtickets ist daher nicht ausreichend. Ebenso wenig genügt, dass die Gerichtsstandsklausel als Teil der AGB auf der Internet-Seite der Fluggesellschaft abgerufen werden kann. Zwar stellt Art. 23 II EuGVVO die elektronische Übermittlung der Schriftform gleich. Doch muss die Klausel an den Fluggast gesandt werden. Außerdem muss eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung möglich sein. Wird der Vertrag durch Eingaben auf der Internet-Seite des Anbieters geschlossen, ist es daher erforderlich, dass die Vereinbarung mitsamt der Klausel vollständig ausgedruckt werden kann 13. 5. Gerichtsstand der Zweigniederlassung

Soweit das Flugunternehmen eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung im Inland hat, könnte man an den besonderen Gerichtsstand aus Art. 5 Nr. 5 EuGVVO denken 14. Dieser gilt nur, soweit es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb der Niederlassung handelt. Hat der Passagier sein Flugticket über eine Niederlassung erworben, so ist der besondere Gerichtsstand eröffnet. Meist dient die Niederlassung allerdings lediglich der Organisation des Flugverkehrs und tritt mit dem Kunden nicht in unmittelbaren Kontakt, der seinen Flug vielmehr bei der Hauptniederlassung bucht, zum Beispiel auf deren Internetseite 15. In diesem Fall ergibt sich die Streitigkeit nicht aus dem Betrieb der Zweigniederlassung oder Agentur. Trotz inländischer Niederlassung ist daher kein Gerichtsstand im Inland begründet. 6. Gerichtsstand des Erfüllungsorts Für die Zuständigkeit inländischer Gerichte verbleibt nur noch der Gerichtsstand des Erfüllungsorts. Art. 5 Nr. 1 lit. b, zweiter Spiegelstrich EuGVVO enthält eine besondere Zuständigkeit für Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen. Unter sie fallen nach autonomer Auslegung des 1502 Lehmann: Wo verklagt man Billigflieger wegen Annullierung, Überbuchung oder Verspätung von Flügen?(NJW 2007, 1500) Begriffs der Dienstleistung auch Beförderungsverträge 16. Zuständig für Ansprüche wegen Nichterfüllung eines Luftbeförderungsvertrags sind daher die Gerichte des Ortes, an dem die Flugleistung hätte erbracht werden müssen; insoweit ist in Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO mit der internationalen zugleich auch die örtliche Zuständigkeit geregelt. Zweifelhaft ist jedoch, wo jener Ort liegt. Auf die nationalen Regelungen wie zum Beispiel 269 BGB kann nicht zurückgegriffen werden, da Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO den Erfüllungsort autonom, das heißt unabhängig vom nationalen Vertragsrecht, bestimmt 17. Da es keine besonderen europarechtlichen Vorschriften über die Erfüllung von Beförderungsverträgen gibt, muss man auf den Wortlaut und den Zweck der Vorschrift abstellen. Erfüllt wird ein Vertrag danach jedenfalls an dem Ort, an dem die vertragliche Leistung vollständig erbracht ist. Denn erst hier wird die Leistung perfekt. Zudem ist dieser Ort für die Parteien leicht voraussehbar. Ein Beförderungsvertrag zur Luft ist erst mit der Ankunft vollständig erfüllt. Die Gerichte am Ankunftsort sind danach gem. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO für Streitigkeiten über Ansprüche aus dem Beförderungsvertrag zuständig 18. Durch dieses Ergebnis wird im Übrigen auch die Parallele zum Montrealer Übereinkommen gewahrt, das ebenfalls einen Gerichtsstand an diesem Ort vorsieht 19. Werden Hin- und Rückreise einheitlich gebucht, so handelt es nach der in der Rechtsprechung verbreiteten Rundflug -Betrachtung um eine einzige Leistung; Abflug- und Ankunftsort sind also identisch 20. Daher ist die Frage, ob neben den Gerichten am Ankunftsort auch die am Abflugort zuständig sind, praktisch nur dann relevant, wenn kein Rückflug gebucht wurde. Insoweit scheint es mit dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht unvereinbar, zu sagen, der Vertrag werde auch bereits am Abflugort erfüllt. Voraussetzung dafür ist, dass man den Erfüllungsvorgang als längeren Prozess versteht. Schon beim Abflug müssen Erfüllungshandlungen vorgenommen werden, wie zum Beispiel das Einchecken. Für eine Zuständigkeit der Gerichte am Abflugort kann man sich auch auf deren besondere Sachnähe berufen 21, denn das Leistungshindernis wird meist an dieser Stelle liegen. Entscheidend für den Gerichtsstand des Abflugs sprechen aber die berechtigten Interessen des Klägers: Gerade

wenn die Beförderung völlig ausgeblieben ist, sollte er die Möglichkeit haben, dort zu klagen, wo die versprochene Leistungshandlung hätte vorgenommen werden müssen, nämlich am Abflugort. Die durch die weite Auslegung eintretende Multiplikation der Gerichtsstände hält sich in Grenzen. Nicht alle überflogenen Städte und Dörfer müssen als Erfüllungsort angesehen werden, denn schließlich wird die Leistung nicht an diesen Orten erbracht. Auch an einem eventuellen Zwischenstopp wird kein weiterer Erfüllungsort begründet, wenn dieser nicht auf besonderen Wunsch des Fluggasts vorgesehen wurde. Regelmäßig sind daher nur der Abflug- und der Ankunftsort Erfüllungsort i.s. des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO. Zwischen beiden fora hat der Kläger wie bei einer Teilleistung in verschiedenen Vertragsstaaten die Wahl 22. Daneben kann er seine Klage natürlich auch im Sitzstaat der Fluggesellschaft erheben 23. III. Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO Hinsichtlich der nicht in der Gemeinschaft ansässigen Fluggesellschaften bestimmt sich der Gerichtsstand nach den nationalen Bestimmungen über die internationale Zuständigkeit. In Deutschland sind insoweit die 12ff. ZPO entsprechend anzuwenden 24. Gemäß 12, 13, 17 I ZPO analog sind für Klagen gegen juristische Personen die Gerichte im Staat der Hauptverwaltung zuständig. Daneben ist aber in analoger Anwendung von 29 ZPO auch die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Staates begründet, in dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Anders als bei Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO ist der Erfüllungsstaat in diesem Zusammenhang nach der lex causae zu bestimmen 25, das heißt nach dem auf den Beförderungsvertrag anwendbaren Recht. Soweit es sich dabei um das deutsche Recht handelt, ist 269 BGB anwendbar. Aus den Umständen ergibt sich, dass zumindest der Ankunftsort Erfüllungsort i.s. des 269 I BGB ist, da der Fluggast zu diesem Ort gebracht werden muss 26. Daneben sind aber auch am Abflugort Leistungshandlungen zu erbringen, so dass auch hier wie bei Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO ein zusätzlicher Erfüllungsort anzunehmen ist 27. Ebenso wird man bei deutschem Vertragsstatut auch für Verträge mit dänischen Fluggesellschaften zu enscheiden haben, da nach Art. 5 Nr. 1 des im Verhältnis zu Dänemark weiterhin anwendbaren EuGVÜ 28 der Erfüllungsort ebenfalls nach der lex causae zu bestimmen ist 29. Dasselbe gilt darüber hinaus auch nach Art. 5 Nr. 1 des Luganer Übereinkommens im Verhältnis zur Schweiz, Norwegen und Island 30. Die Frage, wie der Erfüllungsort bei ausländischem Vertragsstatut zu bestimmen ist, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen und muss daher an dieser Stelle offenbleiben 31. IV. Schlussfolgerung Fluggäste sind gegenüber Unternehmen, die Flüge streichen oder überbuchen, nicht wehrlos. Das europäische Recht sieht nicht nur materiell-rechtliche Ansprüche vor, sondern erlaubt auch, in der Gemeinschaft ansässige Fluggesellschaften am Ort des Abflug- und des endgültigen Ankunftflughafens zu verklagen. Dasselbe gilt für nicht in der Gemeinschaft oder in Dänemark ansässige Fluggesellschaften, soweit auf den Beförderungsvertrag deutsches Recht anwendbar ist. * Der Autor ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für Zivilrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung von Professor Dr. Stefan Leible in Bayreuth.

1 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, ABlEU Nr. L 46 v. 17. 2. 2004, S. 1. 2 Zur Vereinbarkeit der Verordnung mit dem Montrealer Übereinkommen (u. Fußn. 5) EuGH, NJW 2006, 351 - The Queen/Department for Transport. 3 S. den Beitrag von Schmid, NJW 2007, 261; s. auch ders., NJW 2006, 1841 (1845); ferner Rösler, ZHR 170 (2006), 336 (348-350); Beate Wagner, VuR 2006, 337 (339). 4 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, ABlEG Nr. L 12 v. 16. 1. 2001, S. 1. 5 Übereinkommen v. 28. 5. 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, BGBl II 2004, 459. 6 Vgl. z.b. Mankowski, in: Rauscher, Europ. ZivilprozeßR, 2. Aufl. (2006), Art. 71 Brüssel I-VO Rdnr. 7. 7 Vgl. Reuschle, Montrealer Übereinkommen, 2005, Art. 33 Rdnr. 11. 8 Dänemark hat sich an der Annahme der EuGVVO nicht beteiligt und gilt daher für die Zwecke der Verordnung nicht als Mitgliedstaat, vgl. Ewgr. 21 sowie Art. 1 III EuGVVO. 9 Zu allen anderen u. III. 10

Ein Beispiel dafür ist die Air Berlin Ltd., die ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat, aber in England inkorporiert ist. Bei ihr ist zusätzlich Art. 60 II EuGVVO zu beachten, wonach hinsichtlich englischer Gesellschaften an die Stelle des satzungsmäßigen Sitzes das registered office tritt. 11 Zum Wahlrecht des Klägers vgl. z.b. Staudinger, in: Rauscher (o. Fußn. 6), Art. 60 Brüssel I-VO Rdnr. 1; Schlosser, EU-ZivilprozeßR, 2. Aufl. (2003), Art. 60 EuGVVO Rdnr. 2. 12 EuGH, Slg. 1976, 1831 Rdnr. 9 = BeckRS 2004, 72548 - Estasis Salotti di Colzani Almo. 13 Mankowski, in: Rauscher (o. Fußn. 6), Art. 23 Brüssel I-VO Rdnr. 38; Kropholler, Europ. ZivilprozeßR, 8. Aufl. (2005), Art. 23 Rdnr. 41; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl. (2004), Art. 23 EuGVVO Rdnr. 8. 14 Anwendungsfall: AG Berlin-Mitte, NJW-RR 2006, 920 (921). 15 Die Internetseite selbst begründet keine virtuelle Niederlassung, vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo (o. Fußn. 13), Art. 5 EuGVVO Rdnr. 22. 16 Vgl. Leible, in: Rauscher (o. Fußn. 6), Art. 60 Brüssel I-VO Rdnr. 50. A.A. Schlosser (o. Fußn. 11), Art. 5 EuGVVO Rdnr. 10b unter Hinw. auf Art. 51 I EG, der sich jedoch allein aus der besonderen Struktur des EG-Vertrags erklärt. 17 Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. ZivilverfahrensR, 2. Aufl. (2004), Art. 5 Rdnr. 83; Kropholler (o. Fußn. 13), Art. 5 Rdnr. 45; Leible, in: Rauscher (o. Fußn. 6), Art. 60 Brüssel I-VO Rdnr. 45; Berg, NJW 2006, 3035 (3037). 18 Ebenso OLG Koblenz, NJW-RR 2006, 1356 (1357). 19 S. Art. 33 I a.e. des Montrealer Übereinkommens.

20 Vgl. Schmid, NJW 2007, 261 m. Nachw. aus der Rspr. 21 Vorausgesetzt, man hält die Sachnähe für einen der tragenden Gründe der Zuständigkeit der Gerichte am Erfüllungsort, so der EuGH, Slg. 1976, 1472 Rdnr. 13 = NJW 1977, 491 - Tessili; Slg. 1980, 89 Rdnr. 3 = NJW 1980, 1218 L = GRUR-Int 1980, 228 - Zelger; Slg.1987, 239 Rdnr. 6 = NJW 1987, 1131 - Shenava (alle zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ). A.A. jedoch Geimer, in: Geimer/Schütze (o. Fußn. 17), Art. 5 Rdnrn. 6-8; Leible, in: Rauscher (o. Fußn. 6), Art. 60 Brüssel I-VO Rdnr. 8. 22 Vgl. zum Wahlrecht des Klägers bei Teilleistungen in verschiedenen Staaten Geimer, in: Geimer/Schütze (o. Fußn. 17), Art. 5 Rdnr. 87. 23 Vgl. o. unter II 2. 24 BGHZ 44, 46 (47) = NJW 1965, 1665; BGHZ 94, 156 (157) = NJW 1985, 2090; BGH, NJW 1989, 1356. 25 Patzina, in: MünchKomm-ZPO, 1992, 29 Rdnr. 67; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. (1984), 29 Rdnr. 43. 26 Dazu, dass bei Transport- und Frachtverträgen der Bestimmungsort als Erfüllungsort anzusehen ist, s. Kayser, in: Hk-ZPO, 2006, 29 Rdnr. 7; Patzina, in: MünchKomm- ZPO (o. Fußn. 25), 29 Rdnr. 38; Stein/Jonas/Schumann (o. Fußn. 25), 29 Rdnr. 31. 27 So AG Lichtenberg, Beschl. v. 7. 9. 2006-5 C 184/06 (unveröff.). 28 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27. 9. 1968, ABlEG Nr. L 299 v. 31. 12. 1972, S. 32; BGBl II 1972, 773. Zur Fortgeltung des EuGVÜ im Verhältnis zu Dänemark vgl. Ewgr. 22 EuGVVO. 29

EuGH, Slg. 1976, 1473 Rdnr. 13 = NJW 1977, 491 - Tessili. 30 Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 16. 9. 1988, BGBl II 1994, 2660. Zur Bedeutung der zum EuGVÜ ergangenen Rechtsprechung für dieses Übereinkommen s. Protokoll Nr. 2 über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens, BGBl II 1994, 2697, Art. 1. 31 S. dazu den Überblick bei Geimer, in: Geimer/Schütze (o. Fußn. 17), Art. 5 Rdnrn. 135-140.