Wir wünschen uns eine rege Nutzung dieser Handreichung und würden uns über Rückmeldungen zu diesem Thema sehr freuen.

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Transkript:

Referat Sonderpädagogische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit dem Förderschwerpunkt Sprache Seit dem Schuljahr 2003/ 2004 sind alle Grundschulen des Landes verpflichtet, im Zusammenhang mit der Anmeldung der Schulneulinge eine so genannte Sprachstandsfeststellung durchzuführen. Die Erfahrungen des letzten Jahres haben gezeigt, dass es für viele Grundschulkolleginnen und -kollegen schwierig ist, im Rahmen der Sprachstandsfeststellung zwischen den Kindern mit etwaigem sonderpädagogischen Förderbedarf im Förderschwerpunkt Sprache und solchen, die für die vorschulische Sprachförderung empfohlen werden zu unterscheiden. Das besonders häufig benutzte Verfahren Fit in Deutsch bietet nur wenig Hinweise auf mögliche Sprachbehinderungen. Aus Sicht des Referats Sprache ist aber notwendig, Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Sprache bereits während des Anmeldeverfahrens zu erkennen, um eine zielgerichtete vorschulische Förderung durch ausgebildete Fachkräfte (Logopäden, Sprachtherapeuten) empfehlen zu können. Eine Teilnahme dieser Kinder an einem vorschulischen Sprachförderkurs ist in aller Regel nicht ausreichend. Die Mitglieder des Referats haben deshalb eine Handreichung für die Grundschulen erstellt, die diagnostische Hilfen zur Einschätzung der sprachlichen Kompetenzen von Kindern und der daraus abzuleitenden Maßnahmen sowohl bei der Anmeldung als auch bei der Durchführung der Sprachstandsfeststellung gibt. Die Idee zu dieser Handreichung lieferte uns eine entsprechende Vorlage der Schule für Sprachbehinderte des Kreises Heinsberg. Den Kolleginnen und Kollegen sei hierfür herzlich gedankt. Die redaktionelle Überarbeitung der Handreichung übernahmen Gudrun Beckmann und Katharina Probst-Bauer. Auch ihnen ein herzliches Danke. Wir wünschen uns eine rege Nutzung dieser Handreichung und würden uns über Rückmeldungen zu diesem Thema sehr freuen. Angelika Frücht Landesreferentin (Folgende Mitglieder der Arbeitsgruppe haben die Handreichung erstellt: G. Beckmann, L. Blömer, H. Friederichs, A. Frücht, G. Jerzimbeck, B. van Lith, J. Pilz, K. Probst-Bauer für die dgs Rheinland, M. Schaar, I. Schmidt-Trost, B. Wöpking-Lörper, U. Wulff)

Früherkennung von Kindern mit sprachlichem Förderbedarf im Rahmen der vorschulischen Feststellung des Sprachstandes Versuch einer Abgrenzung zwischen der Notwendigkeit eines vorschulischen Sprachförderkurses und einer sprachtherapeutischen Behandlung 1

Vorwort Die Erfahrungen des letzten Jahres haben gezeigt, dass es für viele Grundschulen schwierig ist, im Rahmen der Feststellung des Sprachstandes bei Kindern mit Migrationshintergrund zu unterscheiden zwischen denen, die für die vorschulische Sprachförderung empfohlen werden sollten und Kindern, bei denen die Zeit vor der Einschulung für eine sprachtherapeutische Intervention genutzt werden sollte. Aus diesem Grunde wurde aus Sicht der Fachverbände (vds/dgs) diese Handreichung erarbeitet. Sie hat zum Ziel, die Entscheidungskriterien für die Einschätzung des sprachlichen Förderbedarfs und die daraus abzuleitenden Fördermaßnahmen deutlicher herauszuarbeiten. Sprachstandfeststellung (10 Monate vor der Einschulung) Einschätzung des sprachlichen Förderbedarfs und Veranlassung weiterer Maßnahmen Keine weitere Sprachförderung Sprachförderung ist notwendig Vorschulische Sprachförderung Sprachtherapeutische Behandlung in sprachtherapeutischen Praxen ggf. Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs veranlassen (VO-SF) 2

"Fit in Deutsch" ist ein mögliches Instrumentarium, den sprachlichen Entwicklungsstand eines Kindes mit und ohne Migrationshintergrund zu erfassen. Aus sprachheilpädagogischer Sicht birgt es jedoch einige methodische und auch fachwissenschaftliche Ungenauigkeiten. Die vorliegende Handreichung möchte durch eine differenzierte Darstellung der sprachlichen Besonderheiten auf den einzelnen sprachlichen Ebenen eine Informations- und Entscheidungsgrundlage schaffen, um sinnvolle Maßnahmen in die Wege leiten zu können. Infolgedessen schafft diese Handreichung auch eine gute Entscheidungsgrundlage, wenn ein anderen Verfahren zur Feststellung des Sprachstandes gewählt wird. Darüber hinaus kann sie auch hilfreich sein, um Fördermaßnahmen für einsprachig aufgewachsene, sprachentwicklungsverzögerte Kinder in die Wege zu leiten. Weiterführende Hilfen und Informationen erhalten Sie: Zur Mehrsprachigkeit RAA (Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien) http://www.raa.de Dr. Lilli Jedik, Anamnesebogen für zweisprachige Kinder http://www.mehrsprachigkeit.net/literatur/neuerscheinungen/neuerscheinungen.html Bestellung direkt bei Frau Dr. L. Jedik unter Tel.: 089/54727099 oder lillijedik@hotmail.com Zu sprachtherapeutischen Maßnahmen Logopädische und sprachtherapeutische Praxen Schulen für Sprachbehinderte Gesundheitsamt Frühförderstellen Sozialpädiatrische Zentren 3

Störungen der Lautebene Sprachrezeption Sprachproduktion Sprachrezeption Auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung: Auditives Gedächtnis (Merkfähigkeit) Auditive Differenzierung: Kind kann gehörte Laute nicht unterscheiden, obwohl Begriffe bekannt sind bzw. vorher geübt wurden (Zeigen auf Bilder). Beispiel: Kanne Tanne, Dose Rose Eingeschränkte phonologische Bewusstheit Reimen Silben segmentieren Anlaute identifizieren Sprachproduktion Auslassungen von Lauten oder Silben abel statt Gabel Bu statt Bus mate statt Tomate Ersetzung eines Lautes durch einen anderen Taffee statt Kaffee Fisch statt Tisch Dabel statt Gabel Tutte da, tiele Mettedinne statt Guck da, viele Schmetterlinge Fehlbildung eines Lautes Fehlerhafte Artikulation vor allem bei /s/,/sch/, /z/, /ch/ Lauten: z.b. Lispeln oder schlürfende Geräusche bei der Bildung von Zischlauten. Verwaschene oder kaum verständlich artikulierte Sprachäußerungen. Achtung bei mehrsprachigen Kindern: Lautsprachliche Besonderheiten der Erstsprache beachten (z.b. im Türkischen gibt es keine Konsonantenhäufungen) 4

Was ist zu tun? Die oben genannten Abweichungen von der Lautnorm können den Schriftspracherwerb erschweren und eine mögliche Ursache für die Entstehung für Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten sein. In diesen Fällen reicht daher eine vorschulische Sprachförderung nicht aus. Eine sprachtherapeutische Behandlung wird dringend empfohlen. Störungen der Wort- und Bedeutungsebene Passiver und aktiver Wortschatz Bedeutungsentwicklung und Begriffsbildung Sprachverständnis Zur Beurteilung der semantisch-lexikalischen Fähigkeiten von Schulanfängern sollten sowohl die aktiven Fähigkeiten der Sprachproduktion als auch die (passiven) Fähigkeiten des Sprachverständnisses berücksichtigt werden. Wichtig für eine erfolgreiche schulische Mitarbeit ist nicht nur das Wortverständnis für isolierte Einzelwörter (Nomen, Verben, Adjektive, Pronomen) / Zeige mir das Regal/ sondern v.a. das Verständnis komplexer Sätze (z. B. Arbeitsanweisungen) /Lege das Buch auf das Regal / Hole mir das Buch aus dem Regal/. Hier wird der enge Zusammenhang zum Entwicklungsbereich Grammatik deutlich. Bei der Beurteilung des Wortschatzes von Kindern mit Migrationshintergrund ist unbedingt zu beachten, dass themenbezogen bestimmte Wortschatzbereiche (z.b. Haushalt, Möbel, Essen) eher in der Familiensprache beherrscht werden, andere Bereiche ( z.b. Aktivitäten des Kindergartens, Spielgeräte) eher/vorwiegend/ausschließlich in der Zweitsprache. Wichtig ist es daher immer nachzufragen, ob das Kind bestimmte Begriffe oder Redewendungen in seiner Familiensprache kennt. Darüber hinaus ist es für die schulische Arbeit außerordentlich bedeutsam, wie aktiv ein Kind mit Missverständnissen, mangelndem Wortwissen oder Verständnisschwierigkeiten umgeht dh. welche (Sprachlern-) Strategien es benutzt, um Sprache zu verstehen und erfolgreich zu kommunizieren. Entgegen den Vorgaben der Sprachstandsmessung Fit in Deutsch (S.4.) empfiehlt es sich daher, erweiternde bzw. vorsichtig korrektive Äußerungen vorzunehmen. So können erste Erkenntnisse zur Merkfähigkeit bezogen auf sprachliche Begriffe gewonnen werden. 5

Leitfragen zur Beobachtung dieser Sprachlernstrategien sind: Fragt das Kind bei unbekannten Wörtern nach? Bittet es um Erläuterungen? Versucht es das Gemeinte zu umschreiben, wenn ihm das passende Wort fehlt? Bildet es selbständig zusammengesetzte Wörter oder bildet es Neuschöpfungen oder verstummt es eher, wenn es etwas nicht benennen oder ausdrücken kann? Bittet es um Formulierungshilfe oder Korrektur? Kann es sprachliche Hilfen annehmen und sich Begriffe merken? Je aktiver ein Kind selbst an seinem Sprachlernprozess mitwirkt, desto günstiger sind seine Chancen, erfolgreich in der Schule mitzuarbeiten. Zeigt ein Kind sehr wenig Aktivität in diesen Beobachtungsbereichen, sollte zusätzlich geklärt werden, ob allgemeine Schüchternheit oder massive sprachliche Schwierigkeiten mit Rückzugverhalten (Störungsbewusstsein) ursächlich in Betracht kommen. Weitere Indikatoren für einen Förderbedarf sind: Aufforderungen müssen mehrfach wiederholt werden Zusätzliche Erläuterungen müssen gegeben werden. Kein erwartungsgemäßes Reagieren (Missverständnisse) Konkrete Anmerkungen zum Verfahren Fit in Deutsch : Die sprachlichen Leistungen auf der Wort- und Bedeutungsebene werden mit dem Verfahren recht ausführlich erfasst. Sie beziehen sich auf den aktiven und passiven Wortschatz und das Sprachverständnis. Die quantitative Auswertung des Datenmaterials ist sicherlich unter zeitökonomischen Gesichtspunkten sehr bequem, aufgrund fehlender Vergleichsdaten und nicht transparenter Maßstäbe aber insgesamt als sehr kritisch einzuordnen. Die Auswertung des Gesprächs mit dem Kind (Teil B, S. 8-9) ist unter dem Gesichtspunkt seinen Wortschatz erfassen zu wollen, zu kritisieren, weil durch die Art der Fragestellung kurze Ein-Wort-Äußerungen provoziert werden. Zudem kann bei 5 der 14 Fragen mit Ja oder Nein korrekt geantwortet werden. Eher wird innerhalb dieses Gespräches die Kommunikationsbereitschaft und das Sprachverständnis des Kindes überprüft. 6

Kinder mit u.a. auffällig eingeschränktem lexikalischem Wissen (Wortbedeutung) zeigen ein spezielles Problemlöseverhalten : Äußerungen von Kommunikationspartnern werden nur aufgrund von Schlüsselwörtern interpretiert Beispiel : Eltern / Lehrer : Will die Katze dieses Tier fressen? (zeigt auf Maus) Kind : Ist keine Katze! oder Macht miau! (Kind hat nur den Begriff Katze wahrgenommen, nicht die Frage) Kinder antworten häufig nur mit Ja oder Nein und vermitteln damit ihren Gesprächspartnern, sie hätten die Äußerung als Ganzes verstanden. Häufige Anwendung von Allgemeinfloskeln ( Weiß nicht ) oder Passepartout- Wörtern = Worthülsen ( Das da ) Umschreibungen : Beispiel : Du musst das zumachen (Sack) Der war so groß und da sitzt niemand da Tür is offen und da sitzt keiner drin. (Auto) Kann man mit malen, is aus Holz. (Buntstifte) Ersetzen von Wörtern Beispiel : Wieviel hat das gekauft? Wie viel das gekostet hat, meinst du? Ja. Vermeidungsstrategien wie : ausweichendes Antworten Beispiel : Ich weiß was. Was denn? Ach nix ausweichendes Verhalten Beispiel : lenkt ab, spielt mit Gegenständen, erwähnt etwas anderes. Schweigen Was ist zu tun? Zeigen sich ausgeprägte Lücken im deutschen Wortschatz sollten die Kinder an einer vorschulischen Sprachförderung teilnehmen. Sind trotz mehrjährigen Kindergartenbesuchs in beiden Sprachen deutliche Einschränkungen im Wortschatz und im Sprachverständnis festzustellen, ist dies ein Indikator für die Notwendigkeit einer sprachtherapeutischen Behandlung. 7

Störungen der grammatischen Ebene Satzbildung Formveränderung Bei Kindern mit Migrationshintergrund ist in jedem Fall zu bedenken, dass jede Herkunftssprache eigene Normen in Wort- und Satzbildung hat, die bei der Übertragung in die deutsche Sprache zu Fehlern führen können. Diese Übertragungsfehler können nicht von vornherein als Störung gewertet werden. Daher ist bei vereinzelt auftretenden grammatischen Auffälligkeiten keine sprachfördernde Maßnahme notwendig, z.b. Verwechseln des Artikels Vereinzelte Konjugations- und Deklinationsfehler: "Ich habe gelest." Abweichungen in der Pluralbildung: die Kindern, Gabels Konkrete Anmerkungen zum Verfahren Fit in Deutsch : Entgegen der Einschätzung in dem Verfahren Fit in Deutsch (S. 3) ist aus sprachheilpädaggogischer Sicht der sprachliche Entwicklungsstand auf der grammatischen Ebene ein wichtiger Indikator für das erfolgreiche Mitarbeiten im schulischen Alltag. Aus diesem Grund sollten Sprachentwicklungsverzögerungen auf dieser Ebene sorgfältig ermittelt und in der Gesamteinschätzung des sprachlichen Förderbedarfs gebührend berücksichtigt werden. 8

Wann sind welche Fördermaßnahmen erforderlich? Einwort- oder Zweiwortäußerungen Nur kurze oder unvollständige Aussage- und Fragesätze Indikatoren für eine sprachtherapeutische Be handlung Das Verb wird ausschließlich im Infinitiv benutzt oder einer anderen feststehenden Form "malen", "male" oder "mal". Keine Nebensätze Im Hauptsatz steht das Verb nicht an der richtigen Stelle (Zweitstellung) "Ich Ball spiele." Bei Fragen wird das Verb nicht umgestellt. "Du gehen nach Hause?" "Wohin die Kinder gehen?" Verneinungen werden nicht prä- oder postverbal mit "nicht" gebildet, sondern mit "nein". "Ich gehe Schule nein!" Zusammengesetzte Verben werden nicht getrennt: "Kevin weglauft." Artikel werden durchgängig ausgelassen. Indikatoren für eine vorschulische Sprachförderung Das Perfekt wird nicht gebraucht. "Kevin mich haue." Der Plural wird durchgängig nicht gekennzeichnet. Präpositionen werden nicht gebildet bzw. eine Präposition wird als "Einheitspräposition" verwendet. z.b. "Ich geh bei Bütchen." Dativ und Akkusativ werden nicht markiert. "Ich fange der Ball." Sollte sich bei einsprachig aufgewachsenen Kindern ähnliche Probleme zeigen, so ist in jedem Fall eine sprachheilpädagogische Behandlung angezeigt! Praxen für Sprachtherapie Schulen für Sprachbehinderte 9

Ebene der Kommunikation und Interaktion Sprachhandeln Sprache in ihrer sozialen Funktion wahrnehmen verbale und gestische Elemente einsetzen emotionale und situative Komponenten berücksichtigen können Das Sprachhandeln beinhaltet folgende Basiskompetenzen: wahrnehmen und aufnehmen verstehen und reagieren behalten und verinnerlichen anwenden und überprüfen verändern (Korrektur oder Beibehaltung) / Übernahme in das eigene Sprachinventar Störungen der Kommunikation und Interaktion Das Kind schweigt bei grundsätzlich vorhandener Sprachfähigkeit (Mutismus in unterschiedlichen Ausprägungsstufen) - in bestimmten Situationen (Anforderungssituationen...) - gegenüber bestimmten Personen - regelmäßig und wiederkehrend - zeigt einen unbewegten Gesichts-/ Körperausdruck (verkrampft, ängstlich, regungslos...) Auffälligkeiten beim Redefluss (psychoreaktiv oder zentral bedingt) Stottern: Symptomatik 1. Wiederholung von Lauten, Silben oder Wörtern Beispiel : K...K...K...Kaffee, Ta...Ta...Tasse, dann...dann...dann 2. Dehnungen Beispiel : M üssen wir a m Sonntag zu O ma? 3. Pausen mitten im Wort, zu Anfang eines Satzes oder Wortes Reaktionsform 1. Soziales und sprachliches Vermeidungsverhalten 2. Sprechangst, Ärger oder Wutreaktionen 3. Verspannungen, krampfhafte Mitbewegungen der Extremitäten 4. Leidensdruck / Störungsbewusstsein : ja oder nein? Poltern: Symptomatik überhastetes Sprechtempo, finale Auslassungen von Lauten, Silben und Wörtern Reaktionsform 1. hyperaktives Verhalten / unruhig 2. Störverhalten im Unterricht / in der Gruppe 3. wenig gesteuertes Verhalten 10

Was ist zu tun? Kinder mit Störungen auf der Ebene der Kommunikation und Interaktion bedürfen in jedem Fall einer sprachtherapeutischen Behandlung! Eine Bemerkung zum Schluss: Bei Verdacht auf eine Verzögerung / Störung der Sprachentwicklung in Zusammenhang mit einer möglichen Einleitung eines Verfahrens im Sinne der VO-SF empfiehlt sich folgende Ergänzung der Anamnese: Besuch / Hinweise / Berichte außerschulischer Einrichtungen : Kindergarten Frühförderung Krankengymnastik Ergotherapie phoniatrisch audiologische Untersuchung Kinderarzt / Kinderneurologie ambulante Sprachtherapie stationäre Sprachtherapie Diese Handreichung wurde Ihnen überreicht durch: 11