Predigt zu Exodus 3, Februar 2012 in Benningen a. N.

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Transkript:

Predigt zu Exodus 3, 1 12 13. Februar 2012 in Benningen a. N. Liebe Gemeinde. Schuhe und Flamme werden uns heute begegnen, Schuhe und Flamme: Weit mehr als nur Gegenstände unseres Alltags, vielmehr Symbole unseres Lebens. Manchmal begegne ich einem solchen Paar Schuhe auf dem Speicher; und nicht selten bin ich überrascht, was sie in mir wachrufen Bilder, Erinnerungen: Ich weiß plötzlich wieder, wer von meinen Kindern sie einmal getragen hat, erinnere mich unerwartet an Geschichten und Ereignisse, die in diesen Schuhen sich zugetragen haben. Und diese Schuhe in Händen beginne ich zu ahnen: Die Schuhe auch meines eigenen Lebens sind nicht einfach vergangen, vergessen, belanglos; vielmehr trage ich sie noch immer, trage sie geheimnisvoll in mir, eben weil ich alles bei mir habe, was ich in den Schuhen meines Lebens erlebt und erfahren habe oft beglückend, manchmal schmerzhaft. Sie haben mich geformt, die Schuhe meines Lebens. Dass Schuhe von hoher Symbolkraft sind, weiß man vor allem in der Tradition des Orients. Wir haben die Bilder der vergangenen Woche vor Augen: Hunderttausende mitten in Kairo, die zunächst in atemloser Spannung den ersten Worten ihres verhassten Präsidenten lauschen und auf das erlösende Wort Rücktritt hoffen und hinfiebern; und als es ausbleibt, als es, je länger je mehr, zuerst zur bangen Ahnung und dann zur schockierenden Gewissheit wird, dass es nicht ausgesprochen werden wird, (da) beginnt plötzlich eine Bewegung durch diese Masse zu gehen: Sie ziehen ihre Schuhe von den Füßen, recken sie in die Höhe und strecken sie dem Verhassten entgegen sagen damit: Du bist für mich nur noch wie der Staub, den ich unter meine Sohlen treten möchte. Der entgegengestreckte Schuh: Symbol höchster Verachtung. Und es

scheint, als ob diese starken Bilder den Ausschlag für den Rücktritt des Diktators gegeben haben. Der Schuh, er vermochte offenbar auch in sein bis dahin so verhärtetes Herz vordringen. Und dabei hatte alles doch nur mit einer Flamme begonnen, mit einer schmerzhaften Flamme irgendwo in einem unbedeutenden Dorf am Rande der tunesischen Wüste. Die alltäglichen Demütigungen des diktatorischen Regimes nicht mehr ertragen wollend, nimmt sich ein junger Gemüsehändler das Leben, entflammt sich, nachdem zuvor sein Herz ob der vielen erlittenen Demütigungen unlöschbar entflammt ist er zündet sich an und setzt damit ein Zeichen und ahnt nicht, dass seine kleine Flamme in Windeseile einen Großbrand der Herzen entfachen und rasend schnell sogar über arabische Landesgrenzen hinweg zu den hochgereckten Schuhen führen wird. Schuhe und Flamme beide von hoher Symbolkraft. Es ist schon ein merkwürdiger Zufall, dass eben diese beiden, Flamme und Schuhe, heute im Zentrum unseres Predigttextes stehen. Ich lese aus dem 3. Kapitel des 2. Mosebuchs: Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian. Einmal trieb er die Schafe über die Steppe hinaus (in die Wüste) und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und Mose sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, dass Mose hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Tritt nicht näher! Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden! Und er fuhr fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.

Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Schreien über ihre Bedränger gehört; ja, ich kenne das Leiden meines Volkes. Darum bin ich herabgestiegen, um es aus der Gewalt der Ägypter zu befreien und es aus diesem Land herauszuführen in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, (in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.) Jetzt aber, siehe, das Schreien der Israeliten ist zu mir gedrungen, und ich habe auch die Bedrängnis gesehen, mit der die Ägypter sie quälen. So gehe nun! Ich will dich zum Pharao senden. Du sollst mein Volk aus Ägypten herausführen! Da sprach Mose zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und die Israeliten aus Ägypten herausführe? Gott sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge. Liebe Gemeinde. Die Schuhe des Mose eines Tages gehen sie einen neuen Weg, einen unbekannten, einen riskanten einen Weg, der alle Sicherheiten hinter sich lässt, den Weg in die Wüste. Warum Mose zumal mit der ihm anvertrauten Herde - diesen Weg geht? Kein Kommentar. Die Bibel weiß, worüber man schweigen muss, weil alles vorschnell und vorlaut Gesagte das Geheimnis des Geschehens zwischen Gott und einem Menschen nur kaputt machen könnte. Mose, offenbar hört er schon einen Ruf, ohne davon noch eine Ahnung zu haben. Seine Seele ahnt, wo sie hin muss. Und es sind die Schuhe und Wege seines Lebens bis hierher, die seine Seele geformt haben. Sie scheint zu wissen: Ich muss zum Berg, zum Berg in der Wüste, zum Berg mit der mir anvertrauten Herde, damit er mir und meiner Herde zum Berg

Gottes werden kann. Meine Schuhe müssen mich dorthin tragen, und es werden wiederum meine Schuhe sein, die mir ein Geheimnis zeigen und damit mein Herz aufschließen werden. Liebe Gemeinde. Viele Ausleger haben sich lange darum bemüht, Erklärungen zu finden, was es mit diesem brennenden und doch nicht verbrennenden Dornbusch auf sich haben könnte. Womöglich Halluzination, kann man da etwa lesen, oder Fata Morgana oder Mose einfach zu lange unter der Wüstensonne ich muss schmunzeln über so viel ehrliches und doch fruchtloses Bemühen. Denn diese Ausleger scheinen mir Gourmets-Testern zu ähneln, die sich stets nur darum bemühen, eine köstliche Speise von außen zu beschreiben, ohne jemals wirklich zu kosten. Den brennenden Dornbusch und das Geschehen davor man muss es kosten, das heißt: anschauen nicht mit den Augen der Schafe, die mit großer Sicherheit nichts Ungewöhnliches gesehen haben, anschauen vielmehr mit den Augen meiner Seele und meines Herzens damit es sich ereignen kann, vielleicht auch jetzt. Mose, den Hirtenstab fest in Händen und feste Schuhe, geeignet für das schwierige Gelände der Felsenwüste, an seinen Füßen, so sehe ich ihn gehen und dahin ziehen: Weit weg von zuhause ist er, weit weg vom Zelt seiner midianitischen Familie und noch viel weiter weg von seinen Ursprüngen im fernen Ägypten. Ob er hierher gekommen ist, weil er davon läuft davon läuft vor seiner Vergangenheit, davon läuft vor sich selber. Alte und doch so lebendige Bilder tauchen vor ihm auf: Wie lange liegt es zurück, als er entflammt wurde, entflammt in unbändiger Wut über das Quälen und Schlagen von Brüdern und Schwestern seines Volkes. Der Kleidung nach ein ägyptischer Prinz, dem Herzen nach ein Israelit geblieben, ein entflammtes Herz, das ihn zum Totschläger und dann zum Flüchtling gemacht hatte. Plötzlich sieht er diesen Dornbusch,

brennend und doch nicht verbrennend: Mein Volk noch immer in den sengenden Flammen der Sklaverei, eine Qual, die kein Ende nehmen möchte, ein Dornenstrauch, der nicht verbrennt, der brennt und doch steht, scheinbar unbrennbar, weil ein anderer ihn aufrecht erhält durch seine Verheißung. Mose, er mag geahnt und gewusst haben: Mein Platz wäre dort, wo mein Volk zu leiden und doch zu bestehen hat ich aber bin hier, geflohen und ahnend, dass ich noch immer auf der Flucht bin. Auf der Flucht sein, dass können Menschen ein Leben lang, womöglich auch wir. Ahnend und vielleicht sogar wissend, wo mein Platz wäre und was zu tun wäre, und doch davor zurück scheuend, diesen Platz auszufüllen und diese Aufgabe anzunehmen, weil es kein Zuckerschlecken ist aber der Platz bleibt leer, weil ihn niemand sonst ausfüllen kann. Ich weiß es, aber ich fürchte mich, fühle mich schwach, einsam, überfordert. Liebe Gemeinde. Was nun geschieht, ist anrührend, ja geradezu therapeutisch zärtlich. Gott beginnt zu reden: Mose, Mose! Er ruft ihn bei seinem Namen. Und Mose antwortet: Hier bin ich! Hier bin ich! wir hören es: Der Mensch muss Gott antworten, ich muss Gott antworten, wenn ich ihn höre. Das erste, was Gott nun sagt: Tritt nicht näher! Eine Abweisung? Eine Drohung? Nein, eine Freiheit vielmehr. Gott sagt: Du Mensch, in deinen Schuhen lebend wirst du vieles nicht verstehen können und musst es auch nicht. Versuche nicht, näher zu treten. Es gibt ein Gottesgeheimnis, das du allein Gott überlassen darfst und sollst. Es gibt ein Sorgen, das du allein Gott anheimstellen darfst und sollst. Tritt nicht näher! Stattdessen: Deine Schuhe, ziehe sie von deinen Füßen, denn du stehst vor Gott! Die Schuhe ausziehen und barfuß vor Gott stehen müssen ein Zeichen der Erniedrigung etwa, eine Szene der Demut, die Gott vom Menschen fordert? Noch einmal: Nein! Im

Gegenteil: Deine Schuhe lege in Freiheit ab im heiligen Augenblick vor Gott, deine Schuhe und mit ihnen die Wege deines Lebens, die du in deiner Seele bei dir hast barfuß stehe vor Gott, barfüßig wagend loszulassen ich lege ab und lege vor Gott, was mir zur Last geworden ist, misslungene Wege, missglückte Begegnungen, zerbrochene Beziehungen, verpasste Chancen, Fluchten meines Lebens, angstgetrieben, verhasste Selbstverpflichtungen, was ich doch tun und nicht tun sollte, Gefängnisse vermeintlicher Pflichten und angeblich alternativloser Wege in drückenden Schuhen, die mich einmal wütend entflammen und ein andermal frustriert dahin sinken lassen. Barfuß lädt mich Gott ein! Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen schau doch, mein geliebtes Menschenkind, du stehst vor der Flamme des lebendigen Gottes am Berg deines Lebens, in den Wüsten deines Lebens. Hier möchte ich zu dir reden, sagt Gott; hier sollst du begreifen lernen, dass Gott mit dir und deinem Leben etwas anfangen kann, so wie es ist. Lerne, dich nicht mehr verkleiden zu müssen, nicht vor Gott, nicht vor Menschen und vor allem auch nicht vor dir selber. Lerne auch, dass deine Schuhe und mit ihnen die Wege deines Lebens Gott nicht hindern, mit dir einen neuen und ein ganz besonderen Weg zu beginnen. Einen Weg vielleicht, auf dem dir, wie Mose, eine Herde anvertraut wird du Hirte oder Hirtin, die anderen einen Weg durch so manche Wüste zeigen können, einen guten Weg. Einen Weg unter der Fürsorge und Liebe Gottes. Einen Weg in die Freiheit. Das ist das Zeichen dieses einen und einzigen Gottes: Er führt in die Freiheit. Und er sagt mir: Ziehe deine Schuhe zuerst von deinen Füßen, damit dieser Weg beginnen kann. Amen. Martin Kaschler