100 Jahre Tiefbauamt des Kantons Bern 1912 2012. Eine Chronik zur Entwicklung des Strassenund Wasserbaus im Kanton Bern



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100 Jahre Tiefbauamt des Kantons Bern 1912 2012 Eine Chronik zur Entwicklung des Strassenund Wasserbaus im Kanton Bern

100 Jahre Tiefbauamt des Kantons Bern 1912 2012 Eine Chronik zur Entwicklung des Strassenund Wasserbaus im Kanton Bern

Bilder Umschlagseiten Titelseite Sicherheitsausrüstung sowie moderne Geräte und Maschinen gehören zur heutigen Ausrüstung des Strassenmeisters (Foto: Hansueli Trachsel, Bremgarten / Archiv TBA). Rückseite Ernst Jordi, Wegmeister im Oberaargau von 1934 1968, Aufnahme um 1955. Vom Staat ausgerüstet mit Handkarren, Besen und zwei Bürsten; zwei eiserne Schaufeln hatte der Wegmeister selbst anzuschaffen (Foto: Archiv TBA Kreis IV, SI Aarwangen). Impressum Herausgeber Tiefbauamt des Kantons Bern Autor Dr. Kurt Uttendoppler Redaktion Egger Kommunikation, Bern Konzept und Gestaltung Scarton Stingelin AG, Liebefeld Bern Bilder S. 7 Martin Frick, Bremgarten; S. 8 Scarton Stingelin AG, Liebefeld Bern; S. 64 Archiv TBA Kreis I Thun; S. 76 Hansueli Trachsel, Bremgarten Übersetzung französisch Übersetzungsdienst Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern Druck W. Gassmann AG, Biel Auflage 1300 Ex. deutsch, 200 Ex. französisch Tiefbauamt des Kantons Bern www.be.ch / tba Mai 2012 ISBN 978-3-9523914-1-9

Inhaltsverzeichnis 9 Vorwort 10 Das Tiefbauwesen im 19. Jahrhundert 10 Politisches und rechtliches Umfeld: Die Ablösung des Ancien Régime 11 Die Bildung einer öffentlichen Bauverwaltung in Bern 12 Tätigkeitsfeld und Organisation 13 Zuständigkeiten 17 Strassen(bau)philosophie 18 Strassenbau im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts 18 Die automobilgerechte Strasse 19 Förderung des Veloverkehrs 20 Neue Ansätze: Berner Modell und Gesamtmobilitätsstrategie 22 Die Autobahn-Ära 22 Planung des Schweizer Nationalstrassennetzes 22 Von den Büros für Strassenplanung und Autobahnplanung zum Autobahnamt 26 Aus dem Erdbaulabor wird das Strassenbaulabor 27 Autobahnunterhalt 28 Der Unterhalt der Kantonsstrassen und Wasserbauten 28 Organisation des Unterhaltspersonals 30 Oberwegmeister als herausragende Persönlichkeiten 32 Weg- und Schwellenmeister-«Dynastien» 34 Ausbildung einst und jetzt 34 Polytechnische Lehranstalten im 19. Jahrhundert 35 Das Technische Büro der Baudirektion 36 Heutige Situation 36 Ausbildung im Unterhalt 5

38 Heimlicher Riese Wasserbau 38 Gesetzliche Grundlagen vom 19. Jahrhundert bis heute 40 Grosse wissenschaftliche Leistungen bernischer Beamter 41 Bedeutende Wasserbauwerke des 19. Jahrhunderts: Die Aare und ihre Zuflüsse 45 Die Emme und ihre Zuflüsse 48 Wasserbau im 20. und 21. Jahrhundert 49 Organisation 50 Das Jahrhundertwerk im unteren Langetental 51 Vom technischen zum nachhaltigen Hochwasserschutz 52 Klimawandel und wachsende Naturgefahren 53 Entlastungsstollen gegen Hochwasser 57 Zahlen, bitte! 58 Organisation des modernen Tiefbauamts 58 Geburtsstunde des Tiefbauamts 59 Sonderfall Berner Jura 60 Zusammenlegung von Tiefbauamt und Autobahnamt 61 Eine Reform folgt der andern oder: Das einzig Beständige ist der Wandel 65 Auswirkungen des Neuen Finanzausgleichs NFA 67 Das Personal im Wandel der Zeit 67 Arbeitsbedingungen und Besoldung im 19. Jahrhundert 68 Entwicklung des Personalbestands 71 Frauen im Tiefbauamt 72 Öffentlichkeitsarbeit 73 Ausblick 75 Anhang 77 Organigramm Tiefbauamt 78 Kantonsoberingenieure seit 1833 80 Kreisoberingenieure im Kanton Bern 81 Leitende Wasserbauer und Wasserspezialisten im Kanton Bern 82 Standorte des Tiefbauamts 83 Abkürzungsverzeichnis 84 Quellen und Literatur 86 Nachwort des Autors 6

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Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser Am 1. Mai 2012 kann das Tiefbauamt des Kantons Bern auf sein 100-jähriges Bestehen unter diesem Namen zurückblicken. Die Geschichte seiner Tätigkeiten freilich beginnt lange vorher. Die vorliegende Chronik dokumentiert die Entwicklung des bernischen Tiefbauwesens seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Technische Fortschritte, das wachsende Strassennetz, aber auch steigende Anforderungen an die Verkehrswege erforderten laufende Anpassungen in der Gesetzgebung und der Verwaltungsorganisation. Eines hingegen ist bis heute gleich geblieben: Ein gut ausgebautes Strassennetz ist noch immer eine Grundvoraussetzung für das wirtschaftliche Gedeihen und eine hohe Lebensqualität. Mit der rasant wachsenden Mobilität stellen sich uns derzeit auf diesem Gebiet erneut grosse Herausforderungen. Das Tiefbauamt befasst sich indessen nicht nur mit Strassen, sondern insbesondere auch mit dem Hochwasserschutz und dem Gewässerunterhalt. Eine Aufgabe, die aufgrund der Hochwasserereignisse der letzten Jahre zu einem wichtigen Pfeiler meiner Direktion geworden ist. Die Chronik trägt dazu bei, den öffentlichen Strassen- und Wasserbau vermehrt ins Bewusstsein eines breiteren Publikums zu rücken. Sie legt den Schwer - punkt dabei bewusst auf Aspekte der Organisation und Verwaltung und ergänzt die vor kurzem erschienene Publikation von ViaStoria, Zentrum für Verkehrs - geschichte, zur «Strassengeschichte des Kantons Bern vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart». Einen Beitrag zur Geschichte des Strassenbaus leistet ferner die Reihe des Vereins Berner Zeiten im Schlussband «Berns moderne Zeit». «Meinem» erfolgreichen Tiefbauamt gratuliere ich zum Jubiläum herzlich und danke allen Mitarbeitenden für ihren grossen, meist langjährigen Einsatz. In diesen Dank möchte ich auch alle ehemaligen und verstorbenen Mitarbeitenden einschliessen, die den Grundstein zum Gedeihen des Tiefbauamts gelegt haben. Ich wünsche Ihnen ein spannendes Eintauchen in die Geschichte der bernischen Strassen und Gewässer und eine anregende, unterhaltsame Lektüre. Barbara Egger-Jenzer Regierungsrätin Bau-, Verkehrs- und Energiedirektorin des Kantons Bern Frühjahr 2012 9

Das Tiefbauwesen im 19. Jahrhundert Das Tiefbauwesen im 19. Jahrhundert Politisches und rechtliches Umfeld: Die Ablösung des Ancien Régime Die politischen und sozialen Umwälzungen, die von der Französischen Revolution ausgingen, prägten ab Ende des 18. Jahrhunderts auch die schweize - rische und die bernische Geschichte. Der Staat Bern, bis dahin von wenigen Familien des Patriziats regiert, erfuhr durch den Einmarsch der französischen Truppen Anfang März 1798 einen jähen Umsturz. Napoleon Bonaparte errichtete auf dem Territorium der Alten Eidgenossenschaft eine zentralistisch ausgestaltete helvetische Tochterrepublik, die im April 1798 offiziell ausgerufen wurde. Nach dem Abzug der französischen Truppen 1802 ging die Helvetische Republik im Bürgerkrieg zwischen den Verfechtern des Einheitsstaates und den Föderalisten unter. Dank der Vermittlung Bonapartes und auf der verfassungsrechtlichen Grundlage der Mediationsakte einigten sich die Kantone 1803 auf die Wiederbegründung des Staatenbundes. Dieses Bündnis löste sich nach dem Sturz Napoleons 1813 zwar wieder auf. Mit dem Bundesvertrag vom 7. August 1815 schlossen sich die alten und neuen Kantone jedoch zu einem neuen Staatenbund zusammen, dessen Struktur und territoriale Integrität im Wiener Kongress (1814 1815) festgelegt wurden. Während der Restauration (1814 1830) wurde in der Eidgenossenschaft die alte aristokratische Ordnung in vielen Dingen wiederhergestellt, auch im Kanton Bern. Gleichzeitig begann sich innerhalb der gebildeten und wirtschaftlich erfolgreichen Mittelschicht Sympathie für den Liberalismus zu regen, dessen Staatsverständnis auf der Souveränität des Volkes beruhte. Gefordert wurden für die gesamte Bürgerschaft Grundrechte wie Presse- und Petitionsfreiheit und insbesondere die Abschaffung der Privilegien, wie sie das Patriziat nach wie vor genoss. 10

Noch aus dem 18. Jahrhundert stammt dieses Beispiel für Chausséebau nach französischem Muster: der «Bierhübelistutz» auf der Neubrückstrasse in Bern (nach einem anonymen Stich anfangs des 19. Jahrhunderts; Archiv TBA). Am 13. Januar 1831 trat in Bern der bisherige Grosse Rat zu einer ausserordentlichen Sitzung zusammen, in deren Verlauf der Rücktritt des Patriziats von der Regierung beschlossen und die Revision der Staatsordnung einem durch das Volk gewählten Verfassungsrat übertragen wurde. Am 31. Juli 1831 stimmte das Volk der neuen Staatsverfassung zu. Damit wurde die auch gesamtschweizerisch bedeutsame Phase der Regeneration eingeläutet, welche bis zur Ablösung des eidgenössischen Staatenbundes durch den Bundesstaat mit der 1848 in Kraft gesetzten Bundesverfassung andauerte. Die Bildung einer öffentlichen Bauverwaltung in Bern Der Grosse Rat und der Regierungsrat konnten nun gesetzliche Grundlagen und Ausführungsbestimmungen erlassen, welche die Organisation und Tätigkeit der Verwaltung regelten. Mit dem Gesetz über die Organisation der Departemente des Regierungsrates vom 8. November 1831 wurde der Tiefbau im Baudepartement (ab 1846 Direktion der öffentlichen Bauten, kurz: Baudirektion) angesiedelt. Die für das Tiefbauwesen (von einem Tiefbauamt war zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede) wichtigsten Erlasse datieren vom 21. März 1834. Dabei handelt es sich um das Gesetz über den Strassen- und Brückenbau mit zugehörigem Gesetz über die Strassenpolizei sowie um das Gesetz über die Wasserbaupolizei. Sämtliche «Tiefbaugesetze» des 19. Jahrhunderts zeichneten sich durch extreme Langlebigkeit aus, was für die Qualität dieser Erlasse spricht. 11

Das Tiefbauwesen im 19. Jahrhundert Tätigkeitsfeld und Organisation Dem 1831 geschaffenen Baudepartement unterstanden einerseits der staatliche Hochbau, andererseits der Strassenund Brückenbau mit dem gesamten Wasserwesen. Intern waren die einzelnen Abteilungen, die sogenannten Zweige, nicht streng voneinander getrennt. Wie aus den Verwaltungsberichten hervorgeht, waren die Inspektoren und (Ober-) Wegmeister in den Baubezirken noch längere Zeit auch für kleinere Hochbauten zuständig. Mit dem Anbruch des Eisenbahnzeitalters und mit der Realisierung der Juragewässerkorrektion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die staatliche Bauverwaltung mehrmals grundlegend reorganisiert und es wurden zum Teil neue Direktionen gebildet. Die Verfassungsrevision von 1893 brachte weitere Veränderungen mit sich. In der Folge gehörten die Bereiche der Eisenbahn und Entsumpfung nicht mehr ins Pflichtenheft des späteren Tiefbauamts, weshalb im Rahmen dieser Amtsgeschichte ausschliesslich der Strassenbau und -unterhalt sowie die Massnahmen an den Fliessgewässern behandelt werden. Sowohl für den Bereich der Eisenbahnen als auch für die Juragewässerkorrektion steht eine reiche Literatur zur Verfügung. 12

Zuständigkeiten Dem Verwaltungsbericht von 1838 ist über die personelle Bestückung des Bauwesens Folgendes zu entnehmen: Das Baudepartement hatte einen Rechnungsführer mit zeitweisem Gehülfen, einen Sekretär mit sieben Bureauangestellten, einen Bauinspector, dessen Amtsdauer am 10. Mai ablief, und seinen Adjunkten mit einem Schreibgehülfen. In Ermangelung der organisationsmässigen zwei Oberingenieurs, vier Bezirksingenieurs, acht Bezirksinspectoren, bei zweihundert und zwanzig Wegmeister, einen Director für die Schwellenarbeiten und dreizehn Schwellenmeister; ferner auf dem technischen Bureau ausserordentlich angestellt vier bis fünf Ingenieurs für Ausarbeitung von Brückenund Wasserbauprojekten, drei bis vier Geometer zur Ausfertigung von Plänen und zwei Zöglinge. Dass im Berichtsjahr im Baudepartement 103 Sitzungen stattgefunden hatten, lässt im Übrigen auf eine rege Tätigkeit schliessen. Personelle Turbulenzen prägten ganz allgemein das Bild jener Zeit: Im Zusammenhang mit der Annahme der neuen Verfassung am 31. Juli 1846 und dem neu gewählten Grossen Rat kam es zu Entlassungen, Nichtbestätigungen sowie zu Rücktritten von Bezirksingenieuren. Eine neue Ordnung brachte schliesslich das Gesetz über die Organisation vom 1. Juni 1847. Zuständig für den Strassenund Wasserbau und die Leitung von sechs Bezirksingenieuren im Bereich Tiefbau war von nun an nur noch ein einziger Oberingenieur. Bau einer Stützmauer zur Strassenwiederherstellung am Hohstalden an der Frutigen-Adelboden-Strasse 1952 (Foto: Archiv TBA Kreis I Thun). 13

Das Tiefbauwesen im 19. Jahrhundert Die Bezirke waren wie folgt eingeteilt: I. Bezirk Amtsbezirke Interlaken, Frutigen und Oberhasli II. Bezirk Amtsbezirke Thun, Konolfingen (ohne die Ufer der Aare), Nieder- und Obersimmental sowie Saanen III. Bezirk Amtsbezirke Burgdorf, Signau, Trachselwald, Aarwangen und Wangen sowie vom Amtsbezirk Fraubrunnen die Kirchgemeinde Utzenstorf und der Lauf der Emme IV. Bezirk Amtsbezirke Bern, Seftigen (mit Einschluss der beiden Aareufer), Schwarzenburg, Laupen, Aarberg (der auf der Mittagseite der Aare und der Aarberg-Solothurnstrasse gelegene Teil ohne diese Strasse, ohne die Ufer der Aare und die Stadt Aarberg) und Fraubrunnen (ohne Utzenstorf und Lauf der Emme, welche zum III. Bezirk gehörten) V. Bezirk Amtsbezirke Biel, Nidau, Büren, Aarberg (soweit nicht zum IV. Bezirk gehörig), Erlach, Neuenstadt und Courtelary (mit Ausnahme der Kirchgemeinde Tramelan und der Strecke der Strasse Saignelégier La Chaux-de-Fonds, welche in der Gemeinde La Ferrière liegt) VI. Bezirk Amtsbezirke Porrentruy, Freiberge sowie jene Teile von Courtelary, welche nicht zum V. Bezirk gehörten; Moutier, Delémont und Laufen Übersichtskarte von 1843 über den «Strassenkanton Bern» von Victor Weiss (Staatsarchiv Bern; Foto: Andreas Frutig, Niederwangen). 14

Das Tiefbauwesen im 19. Jahrhundert 16

An der Murgenthalstrasse im Jahr 1935: Anbringen eines 5 cm starken Teerasphalt-Belags (Foto: Max F. Roth, Strassenbau-Unternehmung, Bern / Archiv TBA Kreis II Bern). «Shelmac»-Oberflächenbehandlung im Sommer 1956 an der Staatsstrasse nach Schwarzenburg (Foto: Archiv TBA Kreis II Bern). Strassen(bau)philosophie Bis zum Ende der napoleonischen Ära war der schweizerische und damit auch der bernische Strassenbau vorwiegend ein Chausséebau nach französischem Muster. Nun dienten indessen die Verkehrswege nicht mehr hauptsächlich als Heer-, sondern immer mehr als Handelsstrassen, was unter demokratischer Staats- und liberaler Regierungsform zu einer relativ raschen Anpassung an jeweils aktuelle Standards führte. 1849 befasste sich der Grosse Rat erstmals mit der Planung und Ausführung eines bernischen Strassennetzes, welche allerdings aus finanziellen Gründen erst 1863 zum Durchbruch gelangten. Inzwischen wurden die unter alter Ordnung begonnenen Werke fortgesetzt. So etwa der Ausbau des Susten - passes, die Strecke Thun Zweisimmen sowie von Bern aus die Engestrasse und die Büren Münchenbuchsee-Strasse. Die «Strassen-Philosophie» musste sich im Folgenden den Fahrzeugen sowie den Bedürfnissen der Benützenden anpassen. Eine grosse Rolle spielten nach wie vor Militärstrassen, im Gefolge des Eisenbahnbaus aber auch die dadurch notwendig gewordenen regionalen und lokalen Verbindungen. Ferner war dem aufstrebenden Tourismus Rechnung zu tragen. 1899 brach mit der Verordnung über den Verkehr von Motorwagen (Automobilen) vollends ein Zeitalter an, welches neue Anforderungen an das bernische Strassenwesen stellte. Mit der eidgenössischen Vereinbarung zur Verordnung betreffend den Motorwagen- und Fahrradverkehr begann dann 1904 auch die Ära der «Velocypedisten». 17

Strassenbau im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts Strassenbau im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts Die automobilgerechte Strasse Schon seit Anbruch des 20. Jahrhunderts traten Strassenbau und -unterhalt hauptsächlich in den Dienst des motorisierten Verkehrs. Alsbald begann die Ära der Asphalt- und Betonstrassen sowie der Autobahnen. Bereits in der Zwischenkriegszeit zeichnete sich eine Hinwendung zur automobilgerechten Strasse ab. Der uneingeschränkte motorisierte Strassenverkehr entwickelte sich zum dominierenden Leitbild, obwohl laut damaligen Verkehrsstatistiken noch die Mehrheit der Verkehrsteilnehmenden zu Fuss, mit dem Velo oder per Pferdefuhrwerk unterwegs war. Ausserdem wurde die Entflechtung von Strasse und Schiene in der Folge immer aktueller. Erst mit Aufhebung der Benzinrationierung nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der Motorfahrzeugverkehr wieder freie Bahn, wobei auch der Tourismus welcher schon in der Zwischenkriegszeit diesbezüglich eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hatte für motorisierten Mehrverkehr sorgte. Die stadtnahen Dörfer entwickelten sich immer mehr zu Agglomerationsgemeinden, was eine zunehmende Mobilität mit entsprechenden Immissionen zur Folge hatte. Dies wiederum führte zum Bedürfnis nach Ortsumfahrungen und weiteren zum Teil baulichen Schutzmassnahmen. All dies war nur mittels konsequent eingehaltener Strassenbauprogramme zu erreichen, welche überdies auf einer seriösen Raumplanung gründen mussten. Der dazu nötige Finanzaufwand liess sich indessen nicht in jeder wirtschaftlichen Konjunkturlage in voller Höhe decken. Auch wenn im Tiefbaubereich in der Regel langlebige Gesetze geschaffen wurden, so mussten sie doch von Zeit zu Zeit neuen Gegebenheiten angepasst werden. Das Gesetz über den Strassen- und Brückenbau von 1834 wurde nach ziemlich genau 100 Jahren am 14. Oktober 1934 durch das Gesetz über den Bau und Unterhalt der Strassen abgelöst. Am 2. Februar 1964 war die nächste Revision fällig, und per 1. Januar 1985 fand noch eine Teilrevision statt. Das neueste Strassengesetz datiert vom 4. Juni 2008. 18

Auf der damals noch als Staatsstrasse bezeichneten Kantonsstrasse unterwegs: die Pferdepost im Schwarzenburgerland um 1940 (Foto: Archiv TBA). Oskar Balsiger, 1987 2004 Leiter der Velofachstelle im Tiefbauamt (Foto: Archiv TBA). Förderung des Veloverkehrs Durch die rasante Entwicklung des motorisierten Verkehrs wurde der Langsamverkehr vorübergehend ins Abseits gedrängt. Seit den 1980er Jahren wurden deshalb zunächst im ehemaligen (Raum-)Planungsamt und später im Tiefbauamt Massnahmen zur Förderung des nicht motorisierten Zweiradverkehrs getroffen, welche in der Gründung einer Fachstelle gipfelten. 1999 verabschiedete der Regierungsrat ein Kantonales Leitbild zur För - derung des Veloverkehrs. Ende 2004 folgte der Kantonale Richtplan Veloverkehr als Sachplan zum übergeordneten kantonalen Richtplan. Den wohl bedeutendsten Anteil an dieser Entwicklung hatte der langjährige Fachstellenleiter Oskar Balsiger, TBA-intern auch «Veloski» genannt. 19

Strassenbau im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts Fritz Kobi, Kreisoberingenieur II Bern-Mittelland von 1987 2008 (Foto: Archiv TBA). Neue Ansätze: Berner Modell und Gesamtmobilitätsstrategie Allgemein fand bezüglich des Verkehrs um die letzte Jahrhundertwende ein Umdenken statt: Nach dem Prinzip «Koexistenz statt Dominanz» wurde im Tiefbauamt in Zusammenarbeit mit externen Fachleuten das sogenannte Berner Modell entwickelt. Damit werden menschen- und umweltgerechte Verkehrslösungen im Sinne aller Verkehrsteilnehmenden sowie der Anwohnenden angestrebt. Das Modell setzt einen partizipativen Planungsprozess sowie ein neues Rollenverständnis der Planenden voraus. Erfolgreich angewandt wird es vor allem bei der Sanierung und Umgestaltung von Ortsdurchfahrten. Wegweisende Verkehrslösungen entstanden unter anderem in Zollikofen, Wabern und Köniz. Zur Umsetzung gehört auch eine Erfolgskontrolle, welche nicht zuletzt der ständigen Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Grundphilosophie dient. Als «Vater» des Berner Modells, das bis ins Ausland Interesse und Nachahmer findet, gilt Fritz Kobi, der frühere langjährige Kreisober ingenieur II in Bern. Die neue Ausrichtung kommt in der im August 2008 vom Regierungsrat verabschiedeten Gesamtmobilitätsstrategie des Kantons Bern zum Ausdruck. Sie verlangt, dass vor dem Ausbau des Strassennetzes alle Massnahmen zur Verkehrsvermeidung (Nachfragebeeinflussung) und zur besseren betrieblichen Abwicklung (Verkehrsmanagement) geprüft werden. Zudem sind Verkehr und Siedlungsentwicklung besser aufeinander abzustimmen. Nur so können zweckmässige und vor allem auch finanzierbare Lösungen erarbeitet werden, die zugleich die Umwelt schonen. 20

Gleichberechtigtes Nebeneinander von Fuss-, Velo-, Auto- und Busverkehr auf der umgestalteten Ortsdurchfahrt in Köniz (Foto: Archiv TBA).

Die Autobahn-Ära Die Autobahn-Ära Planung des Schweizer Nationalstrassennetzes In der Absicht, ein modernes Netz von Fernverkehrsstrassen zu erstellen, welches die Verbindung zwischen den Kantonen und mit dem benachbarten Ausland herstellt, setzte das damals zuständige Eidgenössische Departement des Inneren 1954 die Kommission für die Planung des Hauptstrassennetzes ein. Diese erstattete 1959 ihren Schlussbericht, welcher in die Nationalstrassengesetzgebung und den einschlägigen Netzbeschluss Eingang fand. Nach der Festlegung der entsprechenden Normalien und Richtlinien konnte der Startschuss für die Planung und Realisierung dann auch in den Kantonen fallen. Von den Büros für Strassenplanung und Autobahnplanung zum Autobahnamt Ab Mitte der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts befasste sich das Büro für Strassenplanung unter der Leitung des späteren Kantonsoberingenieurs Gottfried Bachmann mit dem autogerechten, modernen Ausbau der Nord-Südsowie der West-Ost-Achse. Mit der Festlegung des Nationalstrassennetzes durch die Bundesversammlung kam 1960 das Büro für Autobahnbau hinzu, welches sich speziell mit den bernischen Nationalstrassen auseinandersetzte. Die Aufgaben und Zuständigkeiten in diesem Bereich waren in der Verordnung über den Vollzug des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen im Kanton Bern vom 3. März 1961 geregelt. Offenbar war es dem Kantonsoberingenieur immer weniger möglich, nebst allen übrigen, laufend wachsenden Aufgaben sich noch gebührend mit den Fragen des Autobahnbaus zu befassen. Am 1. Dezember 1965 wurde demzufolge Ulrich Kunz, vorher bereits Leiter des Büros für Autobahnbau, zum Oberingenieur des neu gegründeten Autobahnamts ernannt und dasselbe dem Baudirektor unterstellt. 22

Offizielle Eröffnung der ersten bernischen Autobahnstrecke A1 im Grauholz am 10. Mai 1962 (Foto: Zdenek Vapenik, Bern). Heutzutage verlaufen Neubaustrecken zunehmend unter dem Boden: Durchstich des Längholztunnels auf der A5-Baustelle der Umfahrung Biel am 4. Oktober 2010 in Brügg (Foto: Archiv TBA). 23

Die Autobahn-Ära Ulrich Kunz, Oberingenieur des Autobahnamts von 1965 1983 (Foto: Zdenek Vapenik, Bern). Ulrich Kunz (nach seiner oberländischen Herkunft «Kunz van Diemtigen» genannt) war ein Original reinsten Wassers. Vor seiner Vereidigung als Amtsvorsteher fragte er beim Direktionssekretariat an, ob er die persönliche Seitenwaffe mitführen müsse, denn als Kantonsingenieur von Appenzell Ausserrhoden war er seinerzeit aufgefordert worden, zur Vereidigung mit Degen oder Säbel zu erscheinen. Da er jedoch schon damals keinen (mehr) besass, klemmte er sich während der Eidesleistung einfach seinen Offiziersdolch unter den linken Arm. Wie erleichtert war er, als man ihm versicherte, Anzug und Krawatte sei für Bern völlig ausreichend! Zu seiner Enttäuschung lief der Akt hier dann aber ohne Umtrunk mit Staatswein ab. Während der Hochkonjunktur der 1960er Jahre waren Ingenieure rar. Kunz aber wusste sich zu helfen und ergänzte das Schweizer Team mit ausländischen Fachleuten. Er inserierte in holländischen Zeitungen und fuhr selber nach Rotterdam, um kompetente Fachkräfte anzuheuern. Auf die niederländischen Ingenieure folgten die deutschen, und zuletzt brachte der Einmarsch der Russen in Ungarn und in die Tschechoslowakei viele Berufsleute in die Schweiz, von welchen einige über lange Zeit auch im bernischen Tiefbauamt arbeiteten. Unter der Federführung des Autobahnamts schritt der Bau des Nationalstrassennetzes im Kanton Bern rasch voran; davon zeugten Grossbaustellen im Berner Oberland, rund um Bern und am Bielersee. Mehr als heute üblich nahm dabei das Autobahnamt selbst Aufgaben in der Projektierung und Bauleitung wahr. So wurde beispielsweise die Projektierung des A1-Abschnittes Bern Murten im Amt gemacht. Der damalige Oberingenieur setzte sich für einen haushälterischen Umgang mit den finanziellen Mitteln ein und schaffte so ein gutes Vertrauensverhältnis zu den Vertretern des Bundes. Dementsprechend hatten die kantonalen Ingenieure einen relativ grossen Handlungsspielraum mit hoher Eigen - verantwortung. Gemeinsame Planungen mit Eisenbahnen, Kantons strassen und Städten wie auch die Überwindung von Widerständen gegen einzelne Projekte oder Linienführungen bearbeiteten sie weitgehend selbstständig. 24

Der Brünnentunnel der A1 schloss die letzte Lücke der Autobahn von «Hamburg nach Murten». Das A1-Team des Autobahnamts hat am 20.11.1980 den «Durchstich» des Tagbautunnels vollbracht (Foto: Martin Frick, Bremgarten). Der Bau der A1 im Westen von Bern erforderte schmerzliche Eingriffe in den Bremgartenwald. Als Ersatzmassnahmen für die Rodungen sah die Bauherrschaft deshalb den Rückbau mehrerer Waldstrassen und die Aufhebung von Kiesgruben vor. Seine Abneigung gegen die Autobahnbauer demonstrierte bei einer Besprechung im Wald der Hund des Oberförsters. Er hob sein Bein neben der offenen Mappe des Projektingenieurs und bespritzte zum grossen Entsetzen der Anwesenden dessen tau frische Pläne für den neuen Anschluss Forsthaus. Im Übrigen war sein Herrchen ein angenehmer Verhandlungspartner! Mit dem aufkommenden Umweltbewusstsein wurde die menschen- und umweltgerechtere Ausrichtung der Autobahn immer wichtiger. Beispiel eines zeitgemässen städte- und umweltverträglichen Autobahnbaus ist die A16 im Berner Jura, welche gut in die Landschaft integriert wird. Durch ökologische Ersatzmassnahmen erfährt die Natur vielerorts sogar eine Aufwertung. Auch der seit Ende 2007 im Bau befindliche Ostast der A5 Biel (mit Längholz- und Büttenbergtunnel) gliedert sich optimal in den dicht besiedelten Raum ein und lässt wertvolle Landschaftsobjekte intakt. Die Organisation des Nationalstrassenbereichs erlebte in der Folge nochmals zwei tiefgreifende Veränderungen: 1987 wurde das Autobahnamt mit dem Tiefbauamt vereint, und seit 2008 ist der Bund verantwortlich für Bau, Betrieb und Unterhalt der Nationalstrassen (vgl. S. 60 und S. 65). 25

Die Autobahn-Ära Aus dem Erdbaulabor wird das Strassenbaulabor Um das bei den grossen Damm- und Tunnelbauten anfallende Aushubmaterial beim Bauen optimal wiederverwenden zu können, waren laufende Untersuchungen des Materials erforderlich. Für diese Analysearbeiten brauchte das Autobahnamt ein leistungsfähiges Labor, das ab 1959 aufgebaut wurde. Es hatte auch den Qualitätsprüfpflichten gemäss SIA-Normen (Beton) und VSS-Normen (Strassenbau, -belag) nachzukommen. In der Blütezeit des Autobahnbaus waren im Erdbaulabor bis zu neun Mitarbeiter beschäftigt; heute sind es deren sechs, wovon einer der örtlichen Bauleitung A16 Transjurane in Moutier zugeteilt ist. Im Erdbaulabor ging es anfänglich vor allem um die Untersuchung von Erdmaterial aus Sondierbohrungen, Rammsondierungen sowie um die Qualitäts- und Eignungsprüfung von Kiesmaterialien. Später kamen die Baustoffe Beton und Asphalt hinzu, weshalb das Erdbaulabor zum «Strassenbaulabor des Kantons Bern» umbenannt wurde. In der Belagstechnologie wurde intensiv nach kostengünstigen Strassenaufbauten geforscht. Das Labor überwachte die Resultate bei Versuchsstrecken und überprüfte die Belagsqualität bei anspruchsvollen Belagseinbauten. Seit 2005 ist das Labor heute der Abteilung Nationalstrassenbau zugeordnet in Übereinstimmung mit den geltenden EU-Normen als Prüfstelle für Baustoffe akkreditiert. Immer wichtiger wird die Reinigung des schadstoffbelasteten Strassenabwassers. Das TBA hat mit dem Betrieb von Testanlagen Pionierarbeit geleistet und unterhält im Auftrag des ASTRA z. B. die 2010 eröffnete Strassenabwasserbehand - lungsanlage (SABA) in Niederwangen (Foto: Hansueli Trachsel, Bremgarten / Archiv TBA). Untersuchung einer Belagsprobe durch einen Mitarbeiter des Strassenbaulabors (Foto: Archiv TBA). 26

Autobahnunterhalt Das Autobahnamt kümmerte sich nicht nur um die Planung und den Bau der Nationalstrassen, sondern auch um deren Betrieb und Unterhalt. Zum Amt gehörten daher auch die Autobahnwerkhöfe Bern (1967 bezogen und zuständig für die A1, die A6 bis Rubigen sowie die A12) und Spiez (1971 offiziell eröffnet, zuständig für die A6 ab Rubigen und die A8 am Brienzersee sowie die Brünigstrasse). Der Unterhaltsstützpunkt Interlaken, welcher dem Werkhof Spiez zugeteilt ist, wurde erst Anfang 1988 in Betrieb genommen, als das Autobahnamt bereits im Tiefbauamt eingegliedert war. Es handelt sich dabei um einen gemischten Werkhof, in welchem auch das für die Kantonsstrassen zuständige Strasseninspektorat Oberland Ost untergebracht ist. Noch vor 25 Jahren stand der Neubau der Nationalstrassen absolut im Vordergrund. Stets wurde angestrebt, bei der Projektierung die Erfahrungen aus dem betrieblichen Unterhalt einzubeziehen und damit die Arbeit des Werkhof - personals zu vereinfachen. Mit zunehmendem Alter der bestehenden Anlagen gewann die Instandhaltung immer mehr an Bedeutung, was 2001 im Tiefbauamt zur Bildung der neuen Abteilung «Betrieb und Unterhalt» führte. In ihren Aufgaben - bereich fielen überdies die Begleitung von Planungen für spätere Ausbauten, die Baupolizei und die Überwachung der Arbeits- und Betriebssicherheit. Die Instandsetzung der bestehenden Infrastrukturen umfasst auch die An - passung an den Stand der Technik und an neue Normen bezüglich Sicherheit und Umwelt, insbesondere beim Lärmschutz. Die für die Unterhaltsarbeiten wichtigen Pannenstreifen wurden verbreitert und verstärkt. An einigen Stellen wie im Grauholz waren zusätzliche Spuren zu ergänzen. Zudem führten die Brände im Mont-Blanc-Strassentunnel 1999 und später im Gotthard-Strassentunnel euro pa - weit zur Verschärfung der sicherheitstechnischen Normen, was auch im Kanton Bern eine Nachrüstung vieler Autobahntunnels erforderte. Immer mehr Arbeiten mussten unter immer mehr Verkehr ausgeführt werden, was das Bundesamt für Strassen ASTRA veranlasste, ab 2002 eine neue Unterhaltsplanung der Nationalstrassen (UPlaNS) aufzubauen. Sie bezweckte, eine technisch ausreichende, möglichst kostengünstige Substanzerhaltung zu gewährleisten und gleichzeitig die Verkehrsbehinderungen durch Baustellen spürbar zu reduzieren. Die Arbeiten werden auf weniger, dafür längere Erhaltungsabschnitte konzentriert, sodass die Autofahrenden deutlich weniger Autobahnbaustellen passieren müssen. Dies bedingt eine umso intensivere Arbeits - planung und Zusammenarbeit zwischen Planer, Unternehmer, Autobahnwerkhof und Polizei. Nebst der Forderung nach kurzen Bauzeiten und möglichst geringer Behinderung des Verkehrs muss die Sicherheit der Arbeiter stets im Vordergrund stehen. 27