Schwangerschaft: Pränatale Entwicklung und Vorsorge

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Schwangerschaft: Pränatale Entwicklung und Vorsorge Staatsexamensarbeit von Jessica Knapheide Eingereicht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Dezember 2004

Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 3 2. Geschichte der Embryologie 6 3. Frühentwicklung 11 3.1 Die erste Woche 11 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 Befruchtung Furchung Compaction Implantation 11 14 14 15 3.2 3.3 Die zweite Woche Die dritte Woche 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 Gastrulation Neurulation Entwicklung des intraembryonalen Mesoderms Entwicklung des intraembryonalen Zöloms Frühentwicklung der Kreislauforgane Entwicklung der Chorionzotten 17 21 21 24 25 4. Entwicklungen in der Embryonalperiode 30 4.1 Keimblätterderivate 30 4.2 Abfaltung des Embryonalkörpers 32 4.3 Die vierte Woche 34 4.4 Die fünfte Woche 35 4.5 Die sechste Woche 36 4.6 Die siebte Woche 36 4.7 Die achte Woche 37 5. Entwicklungen in der Fetalperiode 38 5.1 Die 9. 12. Woche 38 5.2 Die 13. 16. Woche 39 5.3 Die 17. 20. Woche 40 5.4 Die 21. 25. Woche 40 5.5 Die 26. 29. Woche 41 5.6 Die 30. 40. Woche 41 6. Grundlagen der Schwangerschaftsvorsorge 42 6.1 6.2 6.3 Sinn und Bedeutung einer Schwangerschaftsvorsorge Gesetzliche Grundlagen und Mutterschaftsrichtlinien Der Mutterpass 42 42 44 6.3.1 6.3.2 Allgemeines Umschlaginnenseite und betreuender Arzt 27 28 29 44 45

6.3.3 6.3.4 6.3.5 6.3.6 6.3.7 6.3.8 6.3.9 Serologische Untersuchungen Frühere Schwangerschaften Anamnese Gravidogramm Weitergehende Untersuchungen Ultraschalluntersuchungen Epikrise 45 46 46 47 48 48 49 6.4 Untersuchungszeitplan 49 7. Die erste Untersuchung 51 7.1 7.2 7.3 7.4 Schwangerschaftszeichen und feststellung Gestationsalter- und Geburtsterminbestimmung Anamnese Grunduntersuchungen 51 53 56 57 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 Blutuntersuchung Urinuntersuchung Größe, Gewicht und Gewichtsverhalten Vaginale Untersuchung 57 58 59 61 7.5 Beratung der Schwangeren 61 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5 7.5.6 Schwangerschaftsbeschwerden Ernährung Berufstätigkeit Sport Reisen Medikamente, Drogen, Alkohol 8. Weitere Untersuchungen 75 8.1 8.2 Fundusstand und Lagebestimmung Ultraschall 75 78 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 Erstes Trimenon Zweites Trimenon Drittes Trimenon Weitere Ultraschalluntersuchungen 79 81 82 83 8.3 Blutscreening 84 9. Diskussion/Ausblick 87 62 64 69 70 71 72 10. Zusammenfassung Glossar Literaturverzeichnis Internetquellen Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Anhang 92 2

1. Einleitung Mein Interesse am Themenbereich der Schwangerschaft war schon immer sehr groß, wahrscheinlich hervorgerufen durch meine fünf jüngeren Geschwister und vor allem meine jüngste 2-jährige Schwester, bei der ich die Zeit der Schwangerschaft unserer Mutter und die anschließende Geburt hautnah miterleben konnte. Als ich dann selber schwanger wurde, wuchs mein Interesse natürlich noch mehr, so dass ich mich über viele Aspekte eingehend informiert habe. Im Rahmen meiner Examensarbeit kann ich mich nun mit dem Thema noch intensiver und detaillierter beschäftigen. Der Beginn einer Schwangerschaft, die Vereinigung von männlicher Samenzelle und weiblicher Eizelle, vollzieht sich zunächst einmal ganz unbemerkt. Damit diese Vereinigung überhaupt geschehen kann, hat die Natur reichlich vorgesorgt. Bereits bei der Geburt sind in jedem Eierstock einer Frau 250.000 potentielle Eizellen angelegt, viel mehr, als je gebraucht werden. Auch beim Mann herrscht große Verschwendung : Bei jedem sexuellem Höhepunkt werden etwa 100 bis 500 Millionen Spermien freigegeben. Angesichts dieser großen Zahlen müsste die Chance, dass Spermie und Eizelle aufeinander treffen relativ groß sein. Dennoch ist diese Chance in der Realität nicht sehr groß, da viele Zufälle aufeinander treffen müssen, damit eine Schwangerschaft beginnen kann. In der Mehrzahl der Zyklen wird nur eine Eizelle so weit entwickelt, dass sie befruchtungsfähig ist. Hat sich eine Eizelle so weit entwickelt, ist sie aber nur sechs bis acht Stunden nach dem Eisprung bereit, sich mit dem Spermium zu vereinigen. Trifft die Eizelle in diesem Zeitraum nicht auf ein Spermium, kommt es in diesem Zyklus nicht zu einer Schwangerschaft. Zudem ist der Weg der Spermien von der Vagina durch die Gebärmutter zu den Eileitern, wo sich die Eizelle befindet, lang und beschwerlich, nur wenige kommen überhaupt an das Ziel. 3

Sind die ersten Hindernisse überwunden, ist dies noch keine Garantie für einen guten Start ins Leben. Bis zur Implantation muss der Keim durch den Eileiter sicher weiterbefördert werden, um sich in die üppig aufgebaute Gebärmutterschleimhaut einzubetten. Hier erst startet die Entwicklung des eigentlichen Lebens. Die Schwangerschaft ist für eine Frau wohl eine der spannendsten Erfahrungen des Lebens überhaupt. Aus zwei einzelnen Zellen entsteht ein Meisterwerk der Natur, das sich rasant entwickelt und innerhalb kurzer Zeit zu einem funktionstüchtigen perfekten Körper heranreift. Diese Arbeit soll zunächst einmal über die Entwicklung im Mutterleib informieren und in einem zweiten Teil die Schwangerenvorsorge in Deutschland darstellen. Mein Thema beschäftigt die Wissenschaft schon lange. Daher beginne ich in Kapitel 2 mit einem Exkurs in die Geschichte der Embryologie. Danach steigt das Kapitel 3 mit der Frühentwicklung direkt in die Thematik ein, die Befruchtung legt den Startpunkt für die pränatale Entwicklung. Im ersten Schwerpunkt dieser arbeit erfolgt eine Wocheneinteilung, deren Grundlage die Befruchtung darstellt. Das bedeutet, dass sich alle zeitlichen Angaben auf den Tag der Befruchtung beziehen. Zunächst wird es um Zellwanderungen und Zellformationen gehen, die sozusagen den Grundstein legen für die weitere Entwicklung. Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Embryonalperiode und Kapitel 5 mit der Fetalperiode. Ich habe mich für eine chronologische Darstellung entschieden und meinen Schwerpunkt auf die Frühentwicklung, bis etwa zur zwölften Woche gelegt, da diese Zeit die sensibelste Zeit der menschlichen Entwicklung ist und die wichtige Organogenese stattfindet. Das bedeutet auch gleichzeitig, dass diese Zeit besonders sensibel für Schädigungen und Fehlbildungen ist. Weil in dieser Phase viel geschieht und die Entwicklungsprozesse umfassend sind, werden sie in einwöchigen Abständen beobachtet. Kapitel 5 behandelt die Prozesse, die sich in der Fetalperiode ereignen. Da die grundlegenden Entwicklungen 4

bereits stattgefunden haben und abgeschlossen sind, genügt hier eine Betrachtung in vierwöchigen Abständen. Ab Kapitel 6 wird es um den zweiten Schwerpunkt dieser Arbeit gehen, die Schwangerenvorsorge. Hier wird Basiswissen der Schwangerenvorsorge in Deutschland und die Mutterschaftsrichtlinien vermittelt. Ab Kapitel 7 geht es dann um die ärztliche Betreuung einer Schwangeren, wie sie die Mutterschaftsrichtlinien in Deutschland verlangt. Zunächst einmal wird die erste Konsultation einer schwangeren Frau beim Frauenarzt thematisiert. Dabei wird es um Schwangerschaftszeichen und die Schwangerschaftsfeststellung, um die Geburtsterminbestimmung, die Durchführung einer genauen Anamnese gehen sowie um die Beratung der Schwangeren. Weiterhin wird die Grunduntersuchung dargestellt, die sozusagen den Grundstein jeder der 10 routinemäßigen Vorsorgeuntersuchungen darstellt. Abschließend befasst sich das Kapitel 8 mit weiteren Untersuchungen, die im Laufe der Schwangerschaft zu bestimmten Zeitpunkten durchgeführt werden und Aufschluss über den Schwangerschaftsverlauf, mögliche Risiken und bestehende Krankheiten geben. Um das Thema abzurunden, wird in Kapitel 9 ein Exkurs in die Pränatale Diagnostik unternommen und kritisch beleuchtet. Abschließend fasst Kapitel 10 die wichtigsten Kernaussagen der Arbeit zusammen. Alle Zeitangaben in diesem zweiten Teil beziehen sich auf den ersten Tag der letzten Regelblutung. Das bedeutet also, dass die Schwangerschaftswochen von diesem Tag ausgehen, ganz im Gegensatz zur Embryonalentwicklung, bei der der Tag der Befruchtung als Ausgangspunkt der Zeitangaben dient. 5

2. Geschichte der Embryologie In diesem kurzen geschichtlichen Überblick soll gezeigt werden, dass die Embryologie sich nicht von heute auf morgen entwickelt hat und wir unser heutiges Wissen erst durch dauerhafte Forschung erhalten haben. Schon im 5. Jahrhundert v. Chr. gibt es bei Hippokrates, einem berühmten griechischen Arzt, erste Beiträge zur Embryologie, auch wenn diese eher Spekulationen darstellten und sich heute als nicht richtig erweisen. Als Wegbereiter gilt jedoch Aristoteles, der sich mit der Entwicklung von Hühnern und anderen Embryonen befasste (MOORE et al. 1996). Er war der Ansicht, dass sich ein Embryo aus der Verschmelzung von Samen und Menstruationsblut, also aus formloser Masse, entwickelt. Richtige Ansätze fanden sich dann in einem Buch von Galen im 2. Jahrhundert n. Chr. Über die Bildung des Fetus, in dem er als erster die Eihüllen und die fetale Entwicklung ordnungsgemäß darstellte. Lange Zeit tat sich nicht viel in der Naturwissenschaft, auch das Mittelalter brachte keine neueren Erkenntnisse. So ist es nicht verwunderlich ist, dass erst im 15. Jahrhundert Leonardo da Vinci detaillierte Zeichnungen eines Embryos im Uterus, einschließlich der Eihäute anfertigte: Abb. 1: Zeichnung Leonardo da Vincis: Fetus in einem geöffneten Uterus (aus: MOORE et al. 1996, S. S. 6) 6

Mit Entwicklung des Mikroskops im 17. Jahrhundert wurden dann genauere Beobachtungen möglich, die nicht nur am Menschen, sondern auch an Tieren gemacht wurden. Es entsteht die so genannte Präformationstheorie, die besagt, dass alle Lebewesen in ihren Keimen bereits vorgebildet sind und sich nur noch entfalten müssen. Beispielsweise meinte Malpighi 1675, dass sich in seinen untersuchten Hühnereiern bereits kleine Miniaturküken befänden. Hamm und Leeuwenhoek erkannten unter dem Mikroskop zum ersten Mal Spermien und glaubten, darin befände sich bereits ein menschliches Wesen: Abb. 2: Zeichnung eines Spermiums aus dem 17. Jh. (von Hartsoeker). Man stellte sich vor, dass sich dieses kleine menschliche Wesen nach der Verschmelzung der Samenzelle mit der Eizelle nur vergrößern müsse (aus: MOORE et al. 1996, S. 7). Ebenso waren zeitgenössische Wissenschaftler der Ansicht, dass sich in diesem so genannten Homunkulus noch weitere kleinere Homunkuli befänden, die deren Nachkommen seien, so zu sagen wie die kleinen russischen ineinander geschachtelten Puppen (MOORE et al. 1996). Dieser Theorie widersprach Wolff 1759 mit seiner Epigenese. Er untersuchte die Entwicklung von Küken im Ei und fand dabei heraus, dass sich durch eine langsame Spezialisierung aus undifferenzierter Substanz ganz unterschiedliche Organe herausbilden (Internetquelle 1 1 ). Auch der englische Arzt und Anatom William Harvey unterstütze diese Meinung: 1 Wird im Folgenden mit Int. Q. abgekürzt 7

Jede Entwicklung beruhe auf Wachstum und Differenzierung unspezialisierter Zellen (MOORE et al. 1996). Der russische Naturwissenschaftler Karl Ernst von Baer gilt heute als der Vater der modernen Embryologie, er schrieb umfangreiche Arbeiten von weitreichender Bedeutung. Er fand heraus, dass sich die Organe aus dem Material der Keimblätter entwickeln, entdeckte ein Säugetierei im Graafschen Follikel und erkannte die Entwicklungsphasen von Küken im Ei und schaffte damit die Grundlagen für die vergleichende Embryologie. Er war es, der die Epigenese wieder aufleben ließ (die seiner Zeit keine große Beachtung geschenkt wurde) und sie verfestigte, in dem er erklärte, dass sich in jedem Ei verschiedene Zellschichten befinden, die zunächst sehr undifferenziert und unspezialisiert seien, sich aber nach und nach spezialisieren und unterschiedliche Organe bilden. Diese Schichten nannte er Keimblätter und der deutsche Arzt Robert Remak gab ihnen schließlich die noch bis heute verwendeten Namen Ektoderm, Entoderm und Mesoderm (Int. Q.1). Erst als die Biologie in der Zellenlehre dann Fortschritte macht, kommt es 1839 auch zu neueren und richtigen Erkenntnissen. Der deutsche Botaniker Mathias Jakob Schleiden stellte die Theorie auf, dass alle Individuen aus Zellen und deren Produkten bestehen. Diese Theorie wurde dann wenig später durch den deutschen Anatom und Physiologen Theodor Schwann bestätigt. Somit stand auch fest, dass sich ebenso jeder Embryo aus Zellen entwickeln muss (MOORE et al. 1996). 1859 publiziert Charles Darwin sein Buch On the Origin of Species (Über den Ursprung der Arten) und stellt darin die Vererbbarkeit von Veränderungen bei Vertretern einer Art als einen wesentlichen Faktor für Evolution heraus (MOORE et al. 1996). Auch wenn der Mönch Gregor Mendel im Jahre 1865 die Grundgesetze der Vererbung entschlüsselt hat, erkennen Mediziner die Bedeutung derer doch erst sehr spät. In den folgenden Jahren werden beispielsweise die Chromosomen von Flemming 8

1878 entdeckt und weitere speziellere Beobachtungen gemacht, auf die hier jedoch verzichtet werden soll. Wichtig ist jedoch noch der Beitrag von Wilhelm His der Ältere, der als erster eine komplette und ausführliche Beschreibung des menschlichen Embryos in seinem dreibändigen Werk Anatomie menschlicher Embryonen vorlegte (1880 bis 1885). Es wurden so genannte Normentafeln erstellt, die die Entwicklung des menschlichen (oder auch tierischen) Embryos standardisiert vorstellten. Weiter folgen Stadieneinteilungen, nach denen die Entwicklung des Embryos in bestimmte Phasen (Stadien) eingeteilt wird. Die wohl bekannteste Stadieneinteilung dürfte die von Franklin P. Mall sein, der die Carnegie-Collection in Baltimore gründete. Noch heute wird in der Literatur eine Einteilung der Entwicklung des Embryos in Carnegie-Stadien vorgenommen (O RAHILLY et al. 1999). Im Rahmen dieser Arbeit soll dieser kurze Exkurs in die Geschichte genügen. Wie sich die Embryologie seit der Entdeckung der Chromosomen durch Flemming 1878 weiterentwickelt hat, soll Tabelle 1 auf der folgenden Seite verdeutlichen. 9