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Transkript:

Pfarrer Jörg Zimmermann Predigt zu Lukas 2, 41-52, gehalten am 04.01.2009 in der Thomaskirche Bonn-Röttgen Jesu Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. Und als die tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wussten s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten: Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. Und als sie seine Eltern ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen. Liebe Gemeinde, Jesus und seine Familie das ist gar nicht so ein leichtes Kapitel. Gleich in der ersten Geschichte, die uns in der Bibel im Anschluss an die Weihnachtsereignisse erzählt wird, kommt es zu einem handfesten Konflikt zwischen dem inzwischen Zwölfjährigen und seinen Eltern Maria und Josef. Nun mag man sagen: das ist ja auch nichts weniger als normal. So allmählich pubertär, gehört das einfach dazu, dass der Jugendliche und seine Altvorderen mal gehörig aneinandergeraten. Das ist eben das Alter, wo man nicht mehr einfach alles tut, was einem von oben gesagt wird, sondern wo man seine eigenen Ideen entwickelt und in die Tat umsetzt. Und so wird unsere Geschichte häufig als ganz natürlicher Konflikt zwischen elterlicher Autorität und dem sich davon freistrampelnden Jugendlichen Sohn interpretiert: Jesus in den Flegeljahren. Der Knabe aus Nazareth in der puberalen Ablösungsphase mit diesen Worten beginnt denn auch eine Predigtmeditation, die ich im Zuge der Arbeit an dieser meiner Predigt gelesen habe. Also alles ein ganz natürlicher Vorgang oder? So leid s mir tut: mir stellt sich diese Geschichte die einzige übrigens, die uns vom jugendlichen Jesus berichtet wird ganz anders dar. Wenn er hier die Autorität von Maria und Josef ignoriert, dann nicht, weil er dabei wäre, seine eigene Autorität über sein Leben zu entdecken. Er sagt ja gerade nicht: Ich hab nun lange genug auf euch gehört; jetzt wird s Zeit, dass ich mir selber sage, wo s für mich lang geht. Nein, alles andere als das: Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? Sein Vater ist für ihn die alles entscheidende Instanz. Wobei natürlich soviel klar ist: um Josef geht es hier nicht! So wie Lukas und Matthäus bekanntlich größten Wert darauf legen, dass der nicht Jesu wahrer Vater war! Hier klingt der Gedanke der wundersamen Empfängnis Jesu an, der Gedanke der Jungfrauengeburt. Was auch immer wir hier und heute davon halten mögen, der Gedanke ist der: Jesus ist jemand anderem verpflichtet als seiner Mutter und dem, der nun mal als deren Ehemann so in Erscheinung tritt, als sei er

Jesu Vater. Der arme Josef kann einem richtig leid tun: nicht nur dass er im Zusammenhang der Geburt Jesu etwas zurückgesetzt dastand; jetzt kommt dieser ich nenn s mal so: Mangel an Vaterschaft, der ihn Jesus gegenüber kennzeichnet, auch noch dadurch zum Ausdruck, dass der Junge meint, er sei jemand anderem verpflichtet und nicht ihm, dem Josef. Wobei es Maria immerhin an dieser Stelle um keinen Deut besser geht. Reichlich dumm stehen die beiden nun da, zumal es jetzt im Text heißt: Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. An dieser Stelle verstehe ich freilich den Text nicht: warum sollten Maria und Josef eigentlich nicht begreifen, was Jesus da sagt? Hatte Maria doch durch den Engel lang und breit erklärt bekommen, wer in Wahrheit der Vater dieses Kindes sein würde! Und, mal unter uns: sie selber, Maria und Josef, sollten schließlich am besten wissen, ob nun Josef überhaupt für die Vaterschaft in Frage kam, nicht wahr? Wenn die Dinge also genauso waren, wie Lukas sie im Vorfeld des Weihnachtsgeschehens schildert, dann sollten Maria und Josef durch Jesu Aussage doch gerade nicht irritiert sein! Wer sollte besser wissen als sie, dass Jesus einem anderen, einem himmlischen Vater verpflichtet ist? So ganz nachvollziehbar ist ihr Unverständnis hier nicht! Etwas spitzfindig könnte man noch weiter fragen: wenn schon Maria und Josef es nicht verstehen, was Jesus ihnen hier sagt: wie kommt es dann eigentlich, dass ausgerechnet er so gut Bescheid weiß über seinen wahren, seinen himmlischen Vater? Menschlich gesprochen müsste man ja meinen: irgendwer muss ihm doch von all diesen wundersamen Dingen erzählt haben! Und wer sollte dies wiederum gewesen sein, wenn nicht Maria und Josef? Unsere Geschichte ist an einem logisch einwandfreien Ablauf dieser ganzen Dinge offensichtlich nicht interessiert. Sie lässt diese Brüche einfach stehen. Und zwar, so vermute ich, weil es ihr auf etwas Anderes ankommt: Jesus ist ganz unmittelbar mit seinem himmlischen Vater verbunden. Die Frage, wie er von ihm erfahren hat, ist geradezu unstatthaft, weil sie das Phänomen Gottessohnschaft nach menschlicher Logik verrechnen will. Als ob Gott sich nicht seinem Sohn direkt und ohne menschliche Umwege als sein Vater erschließen könnte! Wie das erfolgt ist, wird uns nicht gesagt, aber dass es so war, damit werden wir und werden in der Geschichte schon Maria und Josef unmissverständlich konfrontiert. Sie beide erscheinen hier nicht mehr als Träger der göttlichen Geheimnisse, sondern gehören wieder ganz auf die Seite der Menschen, denen der Gottessohn gegenübertritt und bei denen er bekanntlich mehr als einmal Unverständnis, ja Irritation auslöst. Freilich: von Maria heißt es: sie behielt alle diese Worte in ihrem Herzen, ganz ähnlich wie sie es schon mit den Worten der Hirten zwölf Jahre zuvor in der Heiligen Nacht getan hatte. Immerhin zeigt unsere heutige Geschichte, dass sie trotzdem nicht zu jedem Zeitpunkt auf der Höhe des Geschehens war, sondern ungeachtet des Behaltens aller dieser Worte immer wieder das Unverständnis teilt, das Jesu Mitmenschen ihm gegenüber empfinden, übrigens auch später im weiteren Verlauf der Geschichte Jesu. (Und bei allem Respekt gegenüber katholischer Marienfrömmigkeit: auch dieses Unverständnis gehört konstitutiv zu Maria hinzu. Dabei gebe ich gern zu: sie wird mir dadurch eher sympathischer; sie kommt mir so wesentlich näher, als wenn sie mir etwa als Himmelskönigin gegenübergestellt wird!) Halten wir also zunächst fest: Jesus stellt unmissverständlich in den Raum, wer sein eigentlicher Vater ist, wem er verpflichtet ist und von wem her die Weisung empfängt, die sein Denken, Reden und Handeln prägen soll. So weit, liebe Gemeinde, steht Jesus hier gewissermaßen ganz auf der Seite Gottes, bis dahin eben, dass selbst seine engsten Angehörigen auf der anderen Seite stehen. Und doch ist das nicht die ganze Botschaft unseres heutigen Predigttextes. Es gilt wie immer in der Bibel, die leisen Töne wahrzunehmen, die Zwischentöne, die wir so leicht überhören. Und es kann auch helfen, die biblischen Texte einmal zu vergleichen mit anderen Texten der urchristlichen Literatur, die auch von Jesus als Jugendlichem sprechen, die aber bezeichnenderweise keinen Eingang ins Neue Testament gefunden haben.

Eine Kostprobe davon möchte ich Ihnen geben: im sogenannten Kindheitsevangelium des Thomas, Kapitel 2 ist davon die Rede, wie der junge Jesus am Sabbat aus Lehm zwölf Spatzen formt. Ein empörter Jude erblickt darin eine Verletzung der Sabbatruhe und beschwert sich bei Josef über den Jungen. Der macht Jesus daraufhin auch tatsächlich Vorhaltungen. Woraufhin Jesus in die Hände klatscht und den Spatzen zuruft: Fort mit euch! Schon beginnen sie, die doch gerade noch Lehmfiguren gewesen sind, mit ihren Flügeln zu schlagen, und fliegen mit Geschrei davon. Solche wundersamen Kindheitsgeschichten über jemanden, der später ein berühmter Mensch geworden ist, kommen in der antiken Literatur häufig vor. Und nun kann man ja auch bei unserer Geschichte aus Lukas 2 sagen: was dort geschildert wird, sprengt ebenfalls den Rahmen dessen, was man normal nennen kann. Wie gesagt: es ist eben keine Geschichte über einen einfachen Pubertätskonflikt. Aber nun bedenken wir doch bitte die Unterschiede zwischen diesen beiden Kindheitsgeschichten: während uns das Kindheitsevangelium des Thomas das bietet, was man ein Schauwunder nennen kann, präsentiert uns Lukas Jesus als einen frühreifen, ja hochbegabten Toraschüler. Der macht keine Zauberkunststücke, sondern dem geht es um die Grundlagen des Glaubens seines Volkes. Vielleicht weniger kindgemäß, so möchte man meinen, als wenn er nun zu zaubern anfinge; auf alle Fälle weniger spektakulär, aber dafür mit Sicherheit näher an dem dran, was die Kirche meinte, als sie den Satz prägte: in Jesus wurde Gott Mensch! Einer wie wir! Kein Magier, kein Superstar, jedenfalls nicht im geläufigen Sinne. Wohl aber einer, der uns vorangeht und zugleich uns den Spiegel vorhält: darin, dass er Gottes Wort ernst nimmt und eine ganz außergewöhnliche Weisheit an den Tag legt, wenn es um das Verständnis dieses Wortes Gottes geht. Und so dürfte es kein Zufall sein, dass nicht eine solche Geschichte wie die aus dem Kindheitsevangelium des Thomas, Kapitel 2, Eingang ins Neue Testament gefunden hat, sondern eben die Geschichte des zwölfjährigen Jesus im Tempel. Der stellt sich in die religiöse Tradition seines Volkes hinein und betreibt keine selbstgefällige Nabelschau! Und noch etwas ist bemerkenswert: hatte Jesus soeben noch seine Vaterschaftsverhältnisse gerade gerückt und sich in dieser Hinsicht von Maria und Josef als Autoritäten über sein Leben nachdrücklich distanziert, so heißt es dann, fast als sei es das Selbstverständlichste von der Welt: Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Hatte Jesus also gerade die Begründung dafür geliefert, warum er nicht das getan hatte, was seine Eltern, seine Mutter und sein vermeintlicher Vater, von ihm erwartet hatten, so fügt er sich dann doch wieder voll und ganz in die familiären Strukturen und Ordnungen ein. Wobei eines entscheidend ist: er tut es eben, nachdem er von seinem himmlischen Vater geredet hat. Und das heißt: er fügt sich nicht im Geringsten deshalb, weil ihn das elterliche Donnerwetter irgendwie beeindruckt hätte, nein: er fügt sich aus freien Stücken, ganz souverän, und ohne auch nur ein Wort von dem zurückzunehmen, was er im Tempel gesagt hat. Mit Verlaub: hier wirkt Jesus gerade ganz und gar nicht pubertär, sondern durch und durch reif: obwohl er sich mit einer theologischen Begründung, der niemand etwas entgegenzusetzen hätte, von seinem Zuhause ein für alle Mal distanzieren könnte, ordnet er sich aus freien Stücken wieder in sein Zuhause ein. Darf ich es so sagen: mit seinem wahren, himmlischen Vater im Rücken kann Jesus sich umso leichter auf seine faktische, irdische Familie einlassen! Weil er weiß, von wo her er in Ewigkeit lebt, kann er seinen Ort im alltäglichen irdischen Leben akzeptieren! So verstanden, liegt in dieser kleinen episodenhaften Geschichte bereits alles beschlossen, was man von Jesus insgesamt und grundsätzlich sagen kann! Nun ist dies, liebe Gemeinde, wie gesagt eine Geschichte von Jesus und nicht einfach eine Geschichte von uns. Gleichwohl meine ich, wir bekommen hier Grundlegendes auch für unser Le-

ben gezeigt: der Stellenwert gerade der eigenen Familie für unser Leben ist ja immer wieder ein großes Thema in Politik und Gesellschaft bei uns. Gerade von der Kirche erwartet man, dass sie sich für den Faktor Familie stark macht. In einer Zeit, die vom Zerbrechen so mancher menschlichen Struktur gekennzeichnet ist, dürfte diese Erwartung auch gut nachvollziehbar sein. Gleichwohl bekommen wir es von der Bibel immer wieder und auch in diesem Predigttext etwas nuancierter nahegebracht: unsere allerwichtigste familiäre Bindung ist bei allem Respekt nicht die zu unserer leiblichen Familie. Auch wenn bei uns das Phänomen Jungfrauengeburt nun mit Sicherheit kein Thema ist: sofern wir als Christen beten: Vater unser im Himmel, wird eine himmlische Instanz ins Spiel gebracht, die alle irdischen Instanzen auf Rang 2 verweist. So wie Jesus in einer späteren Geschichte des Neuen Testaments seiner Mutter und seinen Geschwistern einmal äußerst schroff begegnet, als sie ihn aus dem Kreise derer, denen er gerade predigt, herausholen wollen. Da sagt er klipp und klar: Wer sind meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. (Markus 3,33-35) Ob es uns passt oder nicht: Jesus kann enorm familienkritisch reden, wenn nämlich leibliche Familie in Konkurrenz zum himmlischen Vater gerät. Und dann ist das Entscheidende übrigens auch nicht mehr dies, dass Josef nicht als Jesu wahrer Vater anerkannt wird. Nein, die Kritik trifft seine Mutter Maria in gleicher Weise! Aber dann folgt aus unserem heutigen Predigttext eben auch ein Zweites: wenn der Vorrang des himmlischen Vaters in unserem Leben gesichert ist, dann folgt daraus gerade keine pubertäre Abkehr von unserer leiblichen Familie, sondern die Bereitschaft zur Integration in sie hinein! Und so sehr Jesus gerade seiner Mutter Maria mit seinem Lebensweg immer wieder Anlass zum Zweifel, ja geradezu zur Verzweiflung an ihrem Sohn gegeben hat, so stand er ihr doch bis zum Schluss besonders nahe, bis dahin, dass das Johannesevangelium uns berichtet, dass er seine Mutter noch in seiner Todesstunde seinem Lieblingsjünger anvertraut hat. Und ich denke mir: vielleicht ist es ja so: wenn wir den höchsten Stellenwert unseres himmlischen Vaters, seinen Vorrang über alles andere anerkennen, gerade dann werden wir für den berechtigten hohen Stellenwert unserer leiblichen Familie frei. Dann vergötzen wir sie nicht; dann haben wir auch unseren engsten Angehörigen gegenüber die bisweilen nötige kritische Distanz, aber dann wissen wir uns auch an sie gebunden, so wie Jesus sich an seine Familie gebunden wusste. Ich meine, bei uns gibt es so oft die beiden Extreme: einerseits die Vergötzung irdischer Autoritäten, einschließlich familiärer Bindungen. Da wird dann an diesen Gegenständen der Vergötzung nichts Kritikwürdiges mehr anerkannt. Ein Beispiel: ich erörtere mit Konfirmanden immer die Frage, die Martin Luther zufolge die Frage nach Gott ist: Woran hängst du dein Herz? Und da sagen dann immer etliche der Konfis: meine Familie. Dann pflege ich zu fragen: Was würdest du tun, wenn jemand aus deiner Familie jemand anderen erheblich geschädigt hat? Du weißt das, und plötzlich steht die Polizei vor der Tür. Na, gibst du deinem Familienmitglied das Alibi, das es von dir wünscht? Häufig lautet dann die Antwort ohne Zögern: Ja, das tue ich. Wenn ich dann zurückfrage: Wie würdest du das denn finden, wenn du der Geschädigte wärst, und jemand aus der Familie des Täters würde seinem Verwandten das Alibi geben? Dann kommt meistens nur noch ein Schulterzucken. Nebenbei bemerkt: ich glaube, bei Erwachsenen wäre das Ergebnis dieser Umfrage ganz ähnlich! Vergötzung, liebe Gemeinde, kann es nicht sein. Aber das andere Extrem ist auch zu beobachten: die Verdammung, die komplette Abkehr gerade von den Menschen, die einem eigentlich die Nächsten sein sollten. Kaum ein Krieg ist schlimmer als der unter Verwandten. Gerade wo die größte Nähe herrscht, stellt sich ja leider auch oft der größte Hass ein. Wo die Distanz am geringsten ist, sind die Emotionen die heftigsten, im Positiven wie im Negativen. Ob es nicht tatsächlich so sein kann: wer Gott den höchsten Stellenwert in seinem Leben einräumt, wer: biblisch gesprochen, in ihm seinen himmlischen Vater anerkennt, ob der nicht vielleicht wirklich eher als andere davor geschützt ist, im Hinblick auf seine Mitmenschen vom einen

Extrem Vergötzung ins andere Extrem Verdammung zu fallen? Ich halte diese Überlegung für sehr nachdenkenswert! Jesus begegnet uns in unserem Predigttext heute jedenfalls als derjenige, der die Prioritäten eindeutig festlegt, der damit ein Vorzeichen vor seinen ganzen weiteren Weg setzt und der auch uns damit eine wichtige Grundlage für unser Leben mitgeben will. Wir tun gut daran, sie uns geben zu lassen! Amen.