SWR2 Aula Industrie 4.0



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Transkript:

SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Aula Industrie 4.0 Die Arbeitswelt der Zukunft Von Klaus Mainzer Sendung: Freitag, 1. Mai 2015, 8.30 Uhr Redaktion: Ralf Caspary Produktion: SWR 2015 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Aula können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/aula.xml Die Manuskripte von SWR2 Aula gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iphone oder das ipad gibt es z.b. die kostenlose App "ibooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.b. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Aula sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 1

2 Ansage: Mit dem Thema "Industrie 4.0 Die Arbeitswelt der Zukunft". Container wissen genau, wo und wann sie auf Reisen gehen werden, Schuhe, wann sie bestellt wurden und die Firma verlassen müssen. Kunden bestellen online nicht mehr standardisierte Produkte, sondern solche, die auf ihre individuellen Wünsche zugeschnitten sind. Und Firmen wissen jederzeit über die Wünsche der Konsumenten Bescheid. Das alles macht die digitale Technik, die Vernetzung möglich, die unsere Arbeitswelt zunehmend bestimmt. Der Wissenschaftsphilosoph Professor Klaus Mainzer beschreibt Vorteile und Gefahren dieser Entwicklung. Klaus Mainzer: Der 1. Mai-Feiertag ist mit dem internationalen Kampf der Menschen um menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Absicherung ihrer Lebensbedingungen verbunden. Seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert gab es keine dramatischere Herausforderung, als sie nun mit der Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt ansteht. Ich werde im Folgenden die These vertreten, dass diese Digitalisierung nicht allein durch Technik und Ökonomie bewältigt werden kann, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, in der es um die Zukunft unserer aller Arbeitsund Lebensbedingungen geht. Die 1. digitale Revolution war noch ein Internet der Personen, bei dem ein weltweites Computernetz zur Kommunikation zwischen Personen benutzt wurde. Die derzeit stattfindende 2. digitale Revolution ist ein Internet der Dinge. Nun werden Gegenstände und Objekte mit Kommunikationsschnittstellen (RFID-Chips, Sensoren etc.) versehen, um miteinander zu kommunizieren: Automobile mit ihrer Umgebung, Alltagsgegenstände, Kleidungsstücke, Uhren und Schmuck, Werkstücke in der Industrie, Roboter etc. Damit ist eine ungeheure Datenflut verbunden. Das nennen wir Big Data. Ich spreche zunächst über die Antriebsfaktoren dieser Big Data Welt und komme im zweiten Teil auf die Folgen einer digitalen Wirtschafts-, Rechts- und Gesellschaftsordnung zurück. Was treibt die Entwicklung der Big Data Welt an? Seit den 1960er-Jahren gibt das Mooresche Gesetz die exponentielle Entwicklung der Rechenkapazität vor: Alle 18 Monate verdoppelt sich im Schnitt die Rechenkapazität. Wir sind auf dieser exponentiellen Kurve im Zeitalter der Petaflops (10 15 Rechenschritte pro Sekunde) für Superrechner angelangt. So hat z.b. Superrechner in München 3 Petaflops (die weltweit schnellsten liegen derzeit bei über 10 Petaflops in USA, China und Japan). Nach dem Mooreschen Gesetz wird diese Rechenleistung in den 2020er Jahren von kleinen Rechengeräten wie Laptops realisiert. Diese Miniaturisierung der Informationsträgerwird etwa in dieser Zeit an die Grenzen des atomaren Bereichs stoßen. Hier gelten dann die Empfindlichkeiten und Störungen der Quantenphysik. Dann wird man weiter sehen müssen, vielleicht mit Quantenrechnern. Jedenfalls ist die bisherige Rechenleistung schon gewaltig.

3 Hinzu kommt eine exponentiell sich entwickelnde Sensortechnologie, die immer billigere und kleinere Sensoren entwickelt wie in lebenden Organismen, von Sensoren in organischer Größe (z.b. Kameras) über zelluläre Größen (wie z.b. Bakterien in der Natur) bis zu molekularer Größe im Nanobereich. In der Nanoelektronik sind wir bereits im Grenzbereich der Halbleitertechnik auf Siliziumgrundlage angelangt. Derzeit wird nach organischen Alternativen in Nanogröße (z.b. Kohlenstoff) geforscht, um die Rechenkapazität vor der atomaren Grenze auszunutzen. Zur Rechenkapazität und Sensortechnologie tritt als dritter Faktor die exponentiell wachsende Masse der Daten. Das nennen wir Big Data. Auch hier sind wir im Peta- Zeitalter angelangt. Datenkonzerne wie Google setzen heutzutage täglich 24 Petabytes um, d.h. 6.000 Mal der Dateninhalt der US Library of Congress. Die Datenmassen sind amorph, nicht nur strukturierte Nachrichten wie E-Mails und digitalisierte Bücher, sondern Sensordaten von GPS und MobilPhones. Diese Datenmassen können von herkömmlichen (relationalen) Datenbanken nicht bewältigt werden. Dazu bedarf es neuartiger Algorithmen wie die Google- Suchmaschine mit einem Algorithmus nach dem Standard MapReduce (oder Hadoop in Java). Vereinfacht gesagt teilt dieser Algorithmus eine Datenmasse in Teilaufgaben auf ( Map ), um sie parallel zu bearbeiten. Im nächsten Schritt werden die Teilergebnisse zum Gesamtresultat zusammengeführt ( Reduce ). Das Ziel sind Prognosen. Neu bei Big Data ist: Prognosen werden nicht statistisch aufgrund von repräsentativen Stichproben hochgerechnet, sondern alle Daten und Signale werden durchforstet, um Korrelationen und Muster zu erkennen. Anschaulich kann man sagen: Um die Nadel zu binden, brauche ich einen möglichst großen Heuhaufen, der total durchforstet wird. Neu ist auch, dass ich die Inhalte der Nachrichten nicht kennen muss. Ihre Bedeutung wird vielmehr massenhaft aufgrund von Metadaten gewonnen: Bei einer E-Mail sind das z.b. Absender und Empfänger, bei einem MobilePhone oder Automobil die Funksignale. So gelang es Google 2009, nur aus den Mustern des Kundenverhaltens den Ausbruch einer Epidemie Wochen vor den Gesundheitsämtern vorauszusagen, die wie üblich Nachrichten und Meldungen von Krankheitsfällen abgewartet und statistisch hochgerechnet hatten. Die Medizin ist ein anschauliches Beispiel, das zeigt, wie Big Data die Wissenschaft und unsere Lebenswelt verändert: Da sind zunächst die medizinischen Datenbestände: In 2015 rechnet man damit, dass einzelne Patientenakten auf 20 Terabytes (Tera=10 12, byte=8bit) anwachsen. Das medizinische Wissen wird unübersehbar: So gibt es heute bereits z.b. ca. 400.000 Fachartikel über Diabetes, die ein Arzt in einem Menschenleben nicht lesen kann. Dazu bedarf es intelligenter Suchmaschinen, um für den jeweiligen Patienten die passenden Schlüsselinformationen zu finden. Das führt in Richtung einer personalisierten Medizin, da Krankheiten im komplexen Organismus der Menschen sehr unterschiedlich ablaufen können. Beispiel: Krebs.

4 Wegen der dauernden Mutationen der Tumore, müssen laufend Daten erhoben werden, um eine passende Therapie individuell immer anpassen zu können. Dazu bedarf es neuartiger Datenbanken [wie z.b. SAP HANA ( High Performance Analytic Application )], die auf schnelle Arbeitsspeicher zurückgreifen können ( In- Memory-Technology ): Eine molekulare Krebsanalyse (Proteomik) von (15) Minuten reduziert sich damit auf (40) Sekunden, eine DNA-Sequenzierung von 85 Std. (= 3 ½ Tagen) mit Millionenkosten 2001 auf nur wenige (5) Std. und Kosten im Tausender Bereich heute. Das nächste zentrale Beispiel ist die Wirtschaft: In der Wirtschaft können durch Big Data Mining blitzschnell Kunden- und Produktprofile vorausgesagt werden. So werden mit Big Data neue Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten möglich: Die Besitzer von Daten verdienen durch Lizenzen des Datenverleihs. Dann gibt es den Verdienst durch Know How und Skills im Umgang mit Datenmassen und schließlich Mind Set, d.h. Verdienst durch neue Geschäftsideen mit Datenmengen. Datenmassen sind wahrlich das Rohöl der Zukunft! Daten werden aber durch Gebrauch nicht aufgezehrt, sondern immer wieder in neuen Kontexten neu verwendbar: Beispiel sind Firmen, die Datenmassen zur Verkehrsteuerung verwenden, dann an andere verkaufen, die sie für Informationen über den Arbeitsmarkt (Arbeitslosigkeit) aufgrund von zeitlich unterschiedlichen Verkehrsbelastungen auswerten und schließlich wieder andere, die diese Daten mit ABS-Daten korrelieren, um aus dem Bremsverhalten die sichersten und kürzesten Straßenverbindungen zu ermitteln. Aber stellen Sie sich nun vor, dass wir die Big Data Technologie auf die Medien-, Kunst- und Kulturwelt anwenden: Blitzschnell wird der Kundengeschmack vorausberechnet, um eine passende TV-Sendung mit entsprechender Quote zu produzieren. Filme, Bücher und Kunst nach Big Data ermittelt, damit der Erfolg gesichert ist? Wie viele Hindernisse mussten geniale Einfälle in Kunst- und Literaturgeschichte überwinden, die quer zu den Trends lagen? Steuern wir mit Big Data effektivitätsversessen in eine Medienwelt gähnender Langeweile? Mit diesen letzten Fragezeichen komme ich zum zweiten Teil: Was sind die Perspektiven einer neuen digitalen Wirtschafts-, Rechts- und Gesellschaftsordnung? Mit dem Internet der Dinge zeichnet sich die zweite digitale Revolution ab, die Deutschland und Europa nicht nutzlos verstreichen lassen sollten. Mittlerweile wachsen nämlich die IT-Netzwerke mit den physischen Infrastrukturen unserer Gesellschaft zusammen. Grundlage ist neben der Rechner- vor allem die Sensortechnologie. Milliarden von Sensoren machen die Kommunikation und Selbststeuerung der Dinge erst möglich. Wir sprechen dann von Cyberphysical Systems oder soziotechnischen Systemen. Erstes Beispiel sind Automobile, die immer stärker mit Software-Modulen ausgestattet und immer autonomer werden zunächst der Airbag mit seinen Sensoren. Heute sind Automobile Computer auf Rädern schließlich autonome

5 Roboter, technisch bereits möglich, nur noch eine Frage rechtlich-gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Weiteres Beispiel sind die Energiesysteme nach der Energiewende, die zu Smart Grids werden: Wir können uns heute bereits im Internet informieren, wann wir unsere stromfressenden Geräte zu welcher Zeit und zu welchem Tarif am besten einschalten sollten. Aber das ist vielen viel zu umständlich und zeitaufwändig. Daher wird in Zukunft intelligente Software diese Aufgabe übernehmen. Zudem werden sich die Netze dezentral organisieren können. Aufgrund der verbesserten Isolation der Gebäude und eigner Stromerzeugung mit z.b. Fotovoltaik oder Biogas wird nicht nur Energie für den eigenen Stromverbrauch erzeugt, sondern Energie ans Netz gegeben. Die Daten dieser Gesamtenergie werden dann im Netz verwaltet. Wir sprechen bereits von der Cloud (Wolke), also Daten nicht mehr im häuslichen Rechner wie die Bücher in der Hausbibliothek, sondern öffentlich, aber verschlüsselt draußen im Netz! Der nächste Schritt sind Smart Cities, in denen Energiesysteme nur noch eine Teildomäne neben z.b. Verkehrssystemen, Krankenversorgung, Verwaltung, Logistik sind. Diese verschiedenen Domänen müssen in intelligenter Software integriert werden. Eine gewaltige Herausforderung an das Software-Engineering! Die zunehmende Komplexität der Infrastrukturen ist heute so gewaltig, dass wir ohne Cyberphysical Systems nicht mehr auskommen. Wir brauchen also ihre Selbstorganisation und Automatisierung, um die Aufgaben der Logistik, Versorgungssysteme, Gesundheitssysteme, Verkehrssysteme überhaupt im Griff behalten zu können. Andererseits wachsen auch die Risiken empfindlicher Störungen solcher hochkomplexer Systeme lokale Störungen, die sich kaskadenhaft aufschaukeln können. Daher sind Überwachungs- und Frühwarnsysteme notwendig. Auf dem Hintergrund der Cyberphysical Systems und soziotechnischen Systeme verändert sich die Wirtschafts- und Industriewelt grundlegend. Die Rede ist von Industrie 4.0: Industrie 1.0 war Anfang des 19. Jahrhunderts die Dampfmaschine und automatisierte Webstühle, Industrie 2.0 Anfang des 20. Jahrhunderts Henry Fords Fließband und Massenproduktion, Industrie 3.0 Ende des 20. Jahrhunderts fixierte Industrieroboter am Fließband (z.b. in der Automobilindustrie). Schließlich Industrie 4.0 das Internet der Dinge in der Industriewelt. Internet der Dinge meint, dass Gebrauchsgegenstände mit Sensoren, RFID-Chips und Softwarefunktionen ausgestattet sind und sich selber wahrnehmen und miteinander kommunizieren können. In der Arbeitswelt kommuniziert also das Werkstück mit Design, Werkbank, Transport, Logistik, Vertrieb und Versand, um die eigene Produktion zu organisieren. Damit wird eine neue Kundenorientierte Produktion möglich: On Demand Production oder Tailored ( maßgeschneiderte ) Production. Früher konnten sich nur wenige Reiche maßgeschneiderte Anzüge, individuell für den eigenen Bedarf, leisten. In Industrie 4.0 wird on-demand produziert, nach dem individuellen Kundendesign. Der individuelle Produktionsprozess kann sich selber organisieren.

6 Wir reden derzeit von einem Markt von 10 Milliarden weltweit vernetzter Geräte, davon alleine ein Drittel in den USA. 2020 werden 28 Milliarden vernetzter Geräte erwartet. Grund ist die sich exponentiell entwickelnde Sensortechnologie! Im industriellen Internet ( Industrie 4.0 ) läge nun ein zentraler Standortvorteil Deutschlands und Europas. Deutschland ist ein klassisches Industrieland seit dem 19. Jahrhundert. Seine Motor-, Auto- und damit verbundene Zulieferungsindustrie ist weltweit führend. Seine mittelständische Betriebsform hat maßgeblich dazu beigetragen, so gut durch die jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrisen zu gelangen. Wir produzieren die Technologien, um Fabriken, Energie-, Verkehrs- und Datennetze miteinander zu verbinden. Wie beim Silicon Valley bedarf es aber einer starken deutschen und europäischen IT- Initiative. Dazu ist nicht nur mehr Wagniskapital nötig, um Start-ups und junge Firmen in der kritischen Wachstumsphase zu unterstützen. Auch mental muss sich in diesem Land einiges ändern: Es bedarf des unternehmerischen Muts, die eigenen Ideen und Innovationen umzusetzen. Lernen aus Fehlversuchen ist natürlich und gehört dazu. Die Konkurrenz schläft nicht: Die USA haben ebenfalls ein Industrial Internet Consortium gegründet. Aber die amerikanischen Strategien reichen längst weiter, wie das Silicon Valley verkündet: Die IT-Welt, so das Argument, wird von exponentiellen Wachstumsgesetzen ihrer Technologien angetrieben: Firmen müssen sich mit ihren Unternehmensstrukturen anpassen. IT-Technologie reduziert die traditionelle materielle Produktion zunehmend auf Apps und Softwaremodule: Kameras werden zu Apps in Smartphones! Google, Paradebeispiel einer exponentiell wachsenden Firma, baut bereits autonome Elektroautos! Kodak, der traditionelle Massenproduzent von Fotoausrüstung, ist bereits vom Markt verschwunden. Wird es die deutsche Automobilindustrie in Zukunft noch in ihrer bekannten Formation geben, wenn 3D-Drucker billig und automatisch die Bauteile von Automobilien produzieren können? Dann wird es nur noch darauf angekommen, wer welche Daten besitzt, die in die 3D-Drucker gesteckt werden müssen. Werden Firmen wie Google & Co. die Nachfolge antreten? Nun bin ich alt genug geworden, um Sirenenklängen zu misstrauen: Ich weiß, wie gut Deutschland durch die Wirtschaftskrise 2008 kam. Grund war die deutsche Industriekultur, insbesondere der deutsche Mittelstand. Und es ist der deutsche Mittelstand, der sich bislang reserviert gegenüber der Einführung von Industrie 4.0 verhält. Warum sollte man bewährte Technologie verändern? Hinzu kommt die Cloud-Technologie: Wenn ein Mittelständler gutes Geld mit seinem Geschäftsmodell verdient, dann wird er sich hüten, die entsprechenden Daten in die Cloud zu stellen vor allem nach der Debatte und der Industriespionage. Totale Sicherheit gibt es aber in der Technik nicht! Daher muss eine Güterabwägung vorgenommen werden. Wo macht sich die Cloud für Kunden und Mitarbeiter bezahlt? Welche wichtigen Firmendaten gehören nicht hinein? Wir müssen also pragmatisch für jede Firma eine gute individuelle Lösung finden. Manchmal reicht dann auch 3.4 oder 3.6 statt 4.0.

7 Aus Arbeitnehmersicht stellt sich ebenfalls die Frage der Datensicherheit: die Automatisierung ist nur möglich, weil viele Sensoren, Kameras, Lichtschranken etc. dauernd massenhaft Daten aufnehmen. Wer hat Zugriff auf diese Daten, wo werden sie wie lange für wen gespeichert? Schließlich geht es um den Arbeitsmarkt selber (und damit komme ich zurück zum 1. Mai). Wird die Automatisierung der Industrie nicht zu Arbeitslosigkeit führen? Wird es zu Aufständen gegen die Maschinen kommen, wie seinerzeit bei den Weberaufständen gegen die ersten automatisierten Webstühle Anfang des 19. Jahrhunderts? Die Automatisierung wird tatsächlich die Effektivität der Industrie stärken. Deutschland ist nämlich ein Hochlohnland. Wir sind auf die Effektivität und Leistungsstärke der Wirtschaft angewiesen, um unsere hochentwickelten Sozialsysteme zu finanzieren. Das eine geht nicht ohne das andere! Deutschland hat derzeit eine vergleichsweise geringe Arbeitslosenzahl. In Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit in Europa, beispielsweise Spanien oder Frankreich, stehen grundlegende Reformen der Finanzsysteme und des Arbeitsmarktes an, die in Deutschland schon vor einigen Jahren durchgeführt wurden. Die Arbeitslosigkeit dort hat also andere Gründe als die Automatisierung. Wenn die Effizienzsteigerung der deutschen Wirtschaft durch weitere Automatisierung gelingt, besteht zudem eine große Chance, Produktion aus Billiglohnländern wieder nach Deutschland zurückzuholen. Ich teile auch nicht die Horrorvorstellung, dass wir am Ende nur noch hochqualifizierte Ingenieure mit Universitätsdiplomen brauchen und den Rest machen Maschinen. Wir werden das Know-how der Menschen weiterhin auf allen Gebieten brauchen. Arbeit mit viel Routine wird allerdings durch Automatisierung ersetzt nicht nur manuell, sondern auch intellektuell (z.b. Buchhaltertätigkeit). Klassische Metallberufe wie z.b. Dreher und Schlosser haben Zukunft, wenn sie lernen mit Daten und Programmen umzugehen. Neue Berufe entstehen vor allem im Kundenservice, Datenmanagement und in der Robotik bzw. Mechatronik. Allerdings werden sich die Anforderungen ändern. Die Innovationszyklen sind schon jetzt in vielen Bereichen schneller als unsere Ausbildungszyklen. Wir müssen uns also künftig überlegen, wozu wir die Menschen eigentlich ausbilden. Wenn wir jemandem heute in der Lehre ein bestimmtes Computerprogramm beibringen, ist das schon überholt, wenn er in den Betrieb kommt. Deswegen müssen wir die Fähigkeit des Menschen ausbilden, sich in neue Arbeitsprozesse einzuarbeiten und sich auf neue Situationen einzustellen. Ich denke, es wird in Zukunft absolut zur Normalität gehören, dass ein Teil der Mitarbeiter immer in Lehrgängen und Fortbildungen sein wird, um sich auf neue Abläufe vorzubereiten. Das lebenslange Lernen muss nun endlich realisiert werden! Auch hier hat Deutschland mit seinem soliden Ausbildungssystem eine gute Ausgangslage. Dieses Land ist übrigens weltweit nicht mit seinen Universitäten auf den ersten Plätzen. Aber es ist auf den ersten Plätzen mit seiner Lehrlings- und Meisterausbildung und mit seinem dualen Ausbildungssystem. Dieser Standortvorteil darf nicht verspielt werden. Industrie 4.0 ist also nicht nur eine technisch-wirtschaftliche Aufgabe. Um soziale

8 Verwerfungen in der Gesellschaft zu vermeiden, ist eine Angleichung des Bildungsund Ausbildungssystems unabdingbar. Andererseits muss die Sicherung unserer Sozialsysteme mit der Effizienzsteigerung durch Automatisierung verbunden werden. Industrie 4.0 ist also eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, in der Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Bildung und Politik gleichermaßen gefordert sind! Europa ist nicht nur die Geburtsstätte von Technik, Wissenschaft und Industrie, sondern auch der Demokratie und des Rechtsstaats! Die ethische und rechtliche Herausforderung heißt: Schutz der Demokratie im Zeitalter von Big Data und Digitalisierung! Wie können wir Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrechte im Netz wahren und stärken, ohne durch Überregulierung die Freiheit auszutreiben? Im Zeitalter von Big Data werden totalitäre Tendenzen schleichend und unmerklich die Fundamente der Demokratie verändern. Wie sollen wir das verhindern? In den transatlantischen Verhandlungen müssen wir unsere Rechtsstandards ebenso hoch halten wir unsere Lebensmittelstandards. Am Ende zielte mein Vortrag darauf ab, die Chancen zu nutzen und Technik so zu gestalten, dass sie uns dienst und dass eine immer komplexer werdende und von Automatisierung beherrschte Welt uns nicht aus dem Ruder läuft. ***** Prof. Dr. Klaus Mainzer war nach einem Studium der Mathematik, Physik und Philosophie, Promotion und Habilitation in Münster Heisenbergstipendiat, 1980-1988 Professor für Philosophie und Grundlagen der exakten Wissenschaften, Dekan und Prorektor der Universität Konstanz und übernahm 1988-2008 den Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Augsburg. Dort war er Direktor des Instituts für Philosophie und des Instituts für Interdisziplinäre Informatik. Seit 2008 hat er den Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Technischen Universität München (TUM) und ist Direktor der Carl von Linde- Akademie 2008-2015. 2012-2014 Gründungsdirektor des Munich Center for Technology in Society (MCTS). Er ist Autor zahlreicher Bücher mit internationalen Übersetzungen. Forschungsschwerpunkte: Mathematische Grundlagenforschung, Komplexitäts- und Chaostheorie, Grundlagen der Künstlichen Intelligenz, Robotik und des Internets, System- und Erkenntnistheorie. Bücher (Auswahl): Die Berechnung der Welt Von der Weltformel zu Big Data, Verlag C.H. Beck. 2014 Leben als Maschine? Von der Systembiologie zu Robotik und künstlicher Intelligenz, Mentis-Verlag. 2010