SWR2 Wissen Das Wattenmeer im Klimawandel

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Transkript:

SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Das Wattenmeer im Klimawandel Von Martina Keller Sendung: Dienstag, 25. Oktober 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Udo Zindel Regie: Felicitas Ott Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iphone oder das ipad gibt es z.b. die kostenlose App "ibooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.b. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: SWR2Mitschnitt@swr.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

MANUSKRIPT So, der Wattwurm sitzt ein bisschen tiefer, da haben wir schon einen ganz unten gesehen, ich hoffe, der ist da noch zu erwischen Im Wattenmeer vor dem nordfriesischen Hafenstädtchen Dagebüll sticht Walther Petersen-Andresen seinen Spaten in den Schlick. Da isser Wie gesagt, normale Würmer werden ungefähr 20 Zentimeter, sehr große Würmer können auch 40 Zentimeter werden. Also wer möchte, hier ist ein weiterer Wattwurm, wer möchte kann ihn auch essen iiiiiiiiiiiii. Eine Gruppe Urlauber hat sich dem Wattführer für eine mehrstündige Wanderung anvertraut. Ziel ist die Hallig Oland. Also die Würmer müssen gut schmecken. Denn Millionen von Vögeln können sich nicht irren, insofern kann man davon ausgehen, dass sie gut schmecken. Der Weg zur Hallig führt kilometerweit über Meeresgrund, der bei Ebbe trocken fällt. Zwischen Den Helder in den Niederlanden und Esbjerg in Dänemark breitet sich das größte zusammenhängende Wattgebiet der Erde aus. Doch die Zukunft dieser Naturlandschaft ist ungewiss. Ansage: Das Wattenmeer im Klimawandel. Eine Sendung von Martina Keller. Der durch den Klimawandel beschleunigte Meeresspiegelanstieg bedroht eigentlich das ganze Wattenmeer in seiner Substanz. Hans-Ulrich Rösner ist Projektleiter der Umweltorganisation World Wide Fund for Nature, kurz WWF, in Husum. Wenn der Meeresspiegel steigt im Wattenmeer, dann brechen die Salzwiesen ab, dann geraten letztlich auch Inseln und Halligen, Dünenlandschaften in Gefahr zu verschwinden und immer mehr unter Druck. Das bedeutet, dass das Wattenmeer, das ja aus bei jeder Ebbe trocken fallenden Wattflächen besteht, dass das dauerhaft überflutet werden könnte. Das diese Wattflächen nicht mehr trocken fallen. Dann ist es kein Wattenmeer mehr. 2

Atmo Wattenmeer Weite Blicke, viel Himmel, kaum Konturen das ist die nordfriesische Küste in Schleswig-Holstein. Hinter den Deichen, im fruchtbaren Schwemmland der Marschen, dehnen sich Weizen- und Rapsfelder. Vor den Deichen blühen auf Salzwiesen, die nur gelegentlich von der Flut überspült werden, Strandastern oder violette Strandflieder. Die Wattflächen selbst sind wegen des ständigen Wechsels von Ebbe und Flut ein extremer Lebensraum auf den der Wattwurm zum Beispiel bestens eingestellt ist. Er lebt von dem, was an organischen Materialien im Wattboden drin ist, das sind in erster Linie einzellige Kieselalgen und alles, was an abgestorbenen Pflanzen- und Tierresten im Boden vorhanden ist. Er reinigt den Wattboden, und alle Dreiviertelstunde ist er vollgefressen, was macht er dann? Wattführer Petersen-Andresen ist Biologe und arbeitet hauptberuflich in der Naturschutzverwaltung. Als Lehrer würde er aber auch eine gute Figur machen. Dann geht er erst Mal vor die Haustür, das ist ein sauberes Tier, geht rückwärts hoch und setzt seinen Haufen ab - das sind diese Sandwürstchen auf der Wattoberfläche, diese Sand-Spaghettis. Das sind die Kothaufen des Wattwurms. Und wenn er rückwärts hochkommt, wird es gefährlich für ihn, da warten die Vögel drauf. Der Wattwurm ist tatsächlich alle Neugier wert. Pickt ein Vogel nach ihm, stemmt er erst seine Borsten in den Boden und stößt dann ein Stück von seinem Hinterteil ab. Der Vogel kriegt ein bisschen was zu fressen, ist zufrieden, der Wurm kriecht in den Boden zurück, er hat als Jungtier 100 Segmente, und immer die letzten drei, die werden abgestoßen, so dass er also ungefähr 30 mal vom Vogel hinten angefressen werden kann, und das sind praktisch im Endeffekt nachwachsendes Futter für die Vögel im Wattenmeer. Es ist ein riesiger gesellschaftlicher Wertewandel, der von einer Sichtweise des Wattenmeeres als einem Haufen Schlick, der für nichts gut ist, wo Sturmfluten herkommen, wo Bedrohung herkommt, dazu führte, dass man das erst als Nationalpark geschützt hat, dass man gesehen hat, welche Unmengen von Vögeln dort leben, bis dahin, dass es von der Unesco als Weltnaturerbe anerkannt wurde - das ist ein großer Wertewandel. Atmo 3

Der begeisterte Ornithologe Hans-Ulrich Rösner engagiert sich seit Jahrzehnten für den Schutz des Wattenmeers. Er kennt noch die Zeiten, als Fachautoren das Watt eine graue, unwirtliche Einöde nannten. Wattflächen zu opfern galt damals als akzeptabel, um die Küste vor Sturmfluten zu schützen. Tatsächlich ist die Geschichte des Wattenmeerschutzes eine durchaus des Streits, des Konflikts mit den Küstenschützern, denn vor 35, 40 Jahren ist der Wattenmeerschutz dadurch gewachsen, dass damals die Küstenschützer riesige Gebiete des Wattenmeeres eingedeicht haben, Land gewinnen wollten, Deiche nach vorne verlegen wollten, aber dabei auch das Wattenmeer zerstört haben. Und aus dieser Situation heraus ist damals eigentlich erst das gesellschaftliche Bewusstsein über den Wert des Wattenmeers gewachsen. Heute sind die Gegner von einst Verbündete. 2012 berief die Landesregierung Schleswig-Holstein eine Projektgruppe ein, mit Vertretern aus Küsten- und Naturschutz-Behörden, Umweltverbänden sowie Bewohnern der Inseln und Halligen. Drei Jahre später präsentierte die Gruppe die Wattenmeer-Strategie 2100, die das schleswig-holsteinische Kabinett im September 2015 beschloss. Die wichtigste Maßnahme klingt abenteuerlich: Spätestens ab Mitte dieses Jahrhunderts sollen jedes Jahr riesige Mengen Sand aus der vorgelagerten Nordsee ins Wattenmeer gespült werden, damit es gewissermaßen mit dem Meeresspiegel mitsteigen kann. So will man Natur und Küste zugleich schützen: Ein intaktes Wattenmeer nimmt den Wogen von Sturmfluten viel von ihrer Energie, bevor sie auf die Deiche prallen. Atmo Watt Ich hab hier eben eine Strandkrabbe aufgesammelt, die Strandkrabben sind ja die häufigsten Krebse Den Urlaubern auf dem Weg nach Oland ist inzwischen klar: Das Wattenmeer ist keine Einöde sondern eine Wundertüte der Artenvielfalt. Eben hält Petersen- Andresen ein Exemplar von Carcinus maenas hoch grünlicher Panzer, mehrgliedriger Schwanz, zehn lange, dünne Beine. Das Weibchen betreibt Brutpflege, mit dem Schwanz geschützt werden die Eier so lange rumgetragen, bis die Jungen geschlüpft sind. Das heißt, sie haben im Winterhalbjahr von November bis März je nach Wetter ein Eipaket von bis zu 200.000 Eiern unterm Schwanz, und sie haben darunter vier Paar Beine, um die Eier festhalten zu können. 4

Die Fortpflanzungsstrategie von Carcinus maenas setzt auf große Zahlen von Nachkommen, denn Strandkrabben sind ein Leckerbissen für Fische und Vögel mitunter sogar für Artgenossen mit kannibalischen Anwandlungen. Die Strandkrabben ernähren sich von allem, was sie an tierischer Nahrung erbeuten können, ganz häufig tote oder kranke Tiere, sie sind also Gesundheitspolizisten, beseitigen alles an Aas, was hier auf der Wattoberfläche liegt. Wenn sie die Scheren angucken, meist ist eine dicker, die andere dünner, sie haben nämlich immer eine dickere Knackschere, damit wird die Nahrung zerkleinert, und eine dünnere Halteschere, damit wird die Nahrung festgehalten und zum Mund transportiert. Die essen also wie wir ganz zivilisiert mit Messer und Gabel. In den Mägen der Strandkrabben landen jährlich rund zehn Prozent der Biomasse im Watt. Der enorme Appetit der Tiere fordert gewisse Anpassungsleistungen. Walther Petersen-Andresen sammelt etwas Weißliches vom Wattboden auf, früher steckte mal eine Strandkrabbe darin. Wenn die Strandkrabbe viel zu fressen hat, wächst sie natürlich. Der Panzer kann nicht wachsen, also bildet sie unter dem alten Panzer eine neue Haut und neue Kiemen wenn er also eine neue Haut drunter hat, geht hinten die Klappe auf und er steigt rückwärts aus dem alten Panzer raus, und wenn er raus ist aus dem alten Panzer, pumpt er sich zuerst voll Wasser, die neue Haut dehnt sich, und er wächst in fünf Minuten um 20 Prozent, das schafft kein Mensch. Dann braucht er aber vier, fünf Tage, bis er wieder einen harten Panzer hat, in der Zeit muss er sich gut verstecken, weil er dann von allen Tieren gefressen wird. Eine faszinierende Welt, dieses Wattenmeer. Doch was passiert mit Strandkrabbe und Co, wenn mit dem Klimawandel der Meeresspiegel steigt, das Wasser sich erwärmt und der Tidenhub zunimmt der Unterschied zwischen Ebbe und Flut? O-Ton Johannes Oelerich: Wenn eines sicher ist, dann dass sich das Wattenmeer im Zuge des Klimawandels verändern wird. Atmo Johannes Oelerich ist Chef des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz in Schleswig-Holstein. Er leitete auch die Projektgruppe für die Wattenmeer-Strategie 2100. 5

O-Ton Johannes Oelerich: Ich möchte mal ein plakatives Beispiel beschreiben: Würde der Meeresspiegel um etwa einen Meter ansteigen, dann würde das Wattenmeer ertrinken. Oelerich ist Ingenieur, ein Mann der Fakten, neigt nicht zur Übertreibung. Doch selbst ein vorsichtiger Mensch wie er hält es für möglich, dass das Schlimmere von zwei Szenarien Wirklichkeit wird. Seine Projektgruppe hatte diese Szenarien nach Daten des Weltklimarates ermittelt. O-Ton Johannes Oelerich: Es könnte passieren, dass wir bei diesem gesteigerten Szenario es dann mit einem Rückgang der Fläche des Wattenmeers von etwa 75 Prozent zu tun haben, das heißt, es blieben dann nur noch in 100 Jahren 25 Prozent des Wattenmeeres tatsächlich übrig. Für Millionen von Zugvögeln wäre das fatal. Kiebitzregenpfeifer oder Knutt fänden nicht mehr genügend Nahrung für ihre Flüge von der Arktis an die afrikanischen Küsten. Noch gleicht der natürliche Sedimenteintrag ins Wattenmeer den Anstieg des Meeresspiegels halbwegs aus. Auf Dauer wird das aber nicht reichen, selbst wenn sich das Klima weniger stark ändert als befürchtet. O-Ton Johannes Oelerich: Wenn wir uns das Jahr 2050 vor Augen führen, das gemäßigtes Szenario zugrunde legen, dann müssen wir damit rechnen, dass wir möglicherweise mit einem Sedimentdefizit von über 100 Millionen Kubikmetern zu tun haben. Wollte man solche Mengen an Sediment in das Wattenmeer eintragen, müssten 5000 Kubikmeter täglich bewegt werden. Atmo Strand O-Ton Funkverkehr Sandvorspülung: Pipeline, Pipeline... Yes, here is the pipe, good morning Morning pipeline, in five minutes we are ready, one six one five, one six one five cubic One six one five cubic, it's okay, you can start if you are ready. Die Insel Sylt hat bereits mehr als 40 Jahre Erfahrung mit künstlicher Sedimentaufspülung. Gerade ist ein sogenannter Hopperbagger in Position gefahren, ein Arbeitsschiff, dessen Bauch mit Sand aus den Tiefen der Nordsee gefüllt ist, entnommen acht Kilometer westlich von Sylts Hauptort Westerland. In Sichtweite der Küste steuert die Besatzung eine Boje an, die das bewegliche Ende einer Spülleitung markiert. Es wird vom Meeresgrund hochgezogen und vorne am Schiffsrumpf mit einem Stutzen verbunden. 6

O-Ton Wolfgang Siegfriedt: Wir spülen von Mitte April bis Mitte Oktober, und in dem Zeitraum wird fast nur gespült, je nachdem wie viel Mengen wir haben, wie das Wetter ist Wolfgang Siegfriedt vom Landesamt für Küstenschutz. O-Ton Wolfgang Siegfriedt: Wenn wir spülen, spülen wir Tag und Nacht, sieben Tage die Woche, und wir kommen auf ungefähr vier bis sechs Ladungen pro 24 Stunden, je nachdem wie groß das Schiff ist, wir haben verschieden große Schiffe, aber vier bis sechs Ladungen bringen sie am Tag. Atmo Spülen, Klötern Die an das Schiff angekoppelte Spülleitung mündet am Strand in mächtige Stahlrohre, die parallel zur Wasserkante bis zum jeweiligen Spülfeld führen. Es wird von einem Wall aus Sand abgeschirmt. Lebensgefahr - betreten verboten warnen Schilder nebenan badende Urlauber. Auf ein Zeichen der Kollegen an Land setzt die Schiffsbesatzung eine Pumpe in Gang. Wenig später schießt ein hellbraunes Wasser-Sand-Gemisch aus dem Rohr und prasselt auf ein relativ kleines Strandareal nieder die Küstenschützer haben aus früheren Fehlern gelernt. O-Ton Wolfgang Siegfriedt: Damals haben wir es so gemacht, da haben wir eine riesige Menge auf einen Haufen gespült, dann war der auch nach kurzer Zeit weg. Jetzt wird eher weniger und flach ins Wasser gespült, und das hat sich sehr bewährt, muss ich sagen, bin auch schon zehn Jahre dabei, da hat man gemerkt, dass das ganz gut ist. Atmo Raupe Noch während der Schwall aus dem Rohr sich auf den Strand ergießt, beginnt eine Planierraupe damit, den Sand in der gewünschten Höhe zu verteilen. So geschieht das in Rantum und an acht weiteren Orten auf Sylt. Kaum irgendwo schlagen die Nordseewellen mit solcher Gewalt an die Küste wie hier. Eine Million Kubikmeter Sand gehen der Insel jedes Jahr verloren. Und eine Million Kubikmeter werden jedes Jahr neu auf die Strände gespült. Kosten: rund 7,2 Millionen Euro im Jahr 2016. Aber Sylt nimmt ein Vielfaches davon an Steuern ein. Dass seit vielen Jahren dieser Sand aufgespült wird, liegt nicht in erster Linie daran, dass man das Wattenmeer retten will, sondern dass man Hotels und Häuser retten will und Restaurants all das was Sylt berühmt und reich macht. Atmo Raum 7

WWF-Mann Rösner. Aber die Nebenwirkung von all dem ist, dass dieser Sand auch dem Wattenmeer zu Gute kommt. Der Sand, der dort jedes Jahr abbricht, der geht im Grunde nach Norden und Süden in die großen Tideströme, und wir wissen es noch nicht sicher, aber wir müssen davon ausgehen, dass dieser Sand hilft, dass die Tidebecken mit in die Höhe wachsen können. Auch wenn es nicht beabsichtigt war: Das Beispiel Sylt zeigt, dass Sedimentaufspülung dem Wattenmeer tatsächlich nützen kann. Nur zu welchem Preis? Das fragt sich zum Beispiel der Biologe und Wattführer Walther Petersen- Andresen. Ob man so großen technischen Aufwand treiben soll ja, das Wattenmeer ist weltweit einmalig, das ist selbstverständlich, aber das passt eigentlich nicht zu dem Ziel Natur Natur sein lassen hier im Wattenmeer, und deshalb bin ich nicht begeistert, ich hab da einfach Vorbehalte. Natur Natur sein lassen bleibt der oberste Grundsatz des Wattenmeerschutzes, die Wattenmeer-Staaten haben sich gemeinsam ein Leitprinzip gegeben schon 1991, dass sie sagen: Ungestörte Entwicklung hat Vorrang, wir wollen so wenig wie möglich Managementsystem-Eingriffe in das europaweit mit intakteste Natursystem hinein haben. Wenn wir als WWF mit über Maßnahmen nachdenken, die auf den ersten Blick alles andere als Natur Natur sein lassen sind, dann ist der einzige Grund dafür der, dass der durch den Klimawandel beschleunigte Meeresspiegelanstieg ein künstlicher Eingriff des Menschen ist, den wir letztlich nur reparieren können. Eins steht für Rösner und seine neuen Bündnispartner vom Küstenschutz fest: Das Wattenmeer darf nicht zum Eldorado für große Baggerfirmen werden. Wenn der Mensch eingreift, dann so schonend wie möglich. Das heißt zum Beispiel Sand nur an ausgewählten Stellen in der Nordsee zu entnehmen, um den Meeresboden so wenig wie möglich zu verletzen. Vielleicht kann man auch künftig das Sediment mit geringerem Aufwand als derzeit auf Sylt dorthin bringen, wo es nützlich ist. Wenn es gelingen wird, die natürliche Sedimentzufuhr in das Wattenmeer besser zu verstehen und mit kleinen Eingriffen zu fördern, dann ist das natürlich viel besser, als wenn man anfangen muss, mit Baggerschiffen riesige Mengen Sediment ins Wattenmeer zu packen. Es gibt ja natürliche Verlagerung von Sand, natürliche Strömungen, die unglaublich viel Sand auch bewegen, und es müssen Untersuchungen dem vorweg gehen, die klarstellen, wie wir diese Prozesse so gut wie möglich nutzen können, um das Wattenmeer zu retten, und das spart letztlich auch Geld. 8

Atmo Wanderer im Priel Die Wattwanderer bekommen unterdessen Naturgewalt zu spüren. Ablaufendes Wasser in einem Priel zerrt an ihren Beinen. Der Priel ist einer der vielen kleinen und großen Ströme, die das Wattenmeer durchziehen. Er markiert die halbe Wegstrecke nach Oland. Im grauen weiten Watt heben sich jetzt mehrere Hügel deutlich ab. Also Oland und Langeness, so n bisschen hier geradeaus und rechts; links von Oland sehen wir zwei Warften Atmo Gehen Watt Warften, das sind künstlich aufgeworfene Hügel, auf denen die Halligbewohner ihre Häuser bauen. Denn Halligen werden regelmäßig überflutet. Sie sind Reste von untergegangenem Marschland, mit vielen Schichten Sediment darauf. Oland und Langeness haben im Durchschnitt 20 Land unter pro Jahr, Land unter heißt, die gesamte Landfläche steht unter Wasser, nur die Warften gucken raus. Bei jedem Landunter werden Sedimente auf der Halligoberfläche abgelagert, und Schicht um Schicht, mit jedem Land unter, wächst die Hallig nach oben. Bislang waren die Halligen in der Lage, den Anstieg des Meeresspiegels auszugleichen. Künftig werden sie noch öfter überflutet, und noch mehr Sediment wird sich ablagern. Trotzdem wird das auf Dauer nicht reichen, um den Fluten standzuhalten das prognostizieren beide Szenarien der Wattenmeerstrategie 2100. Der Küstenschutz will deshalb nach und nach die Warften auf den Halligen erhöhen. Auch das Festland rüstet nach die Küstenschützer verlassen sich nicht allein auf ihre Zukunftspläne für ein mitwachsendes Wattenmeer. O-Ton Johannes Oelerich: Wir bauen Deiche schon jetzt so, dass wir die seeseitige Neigung mit 1:10 sehr gleichmäßig und flach nach außen ziehen, dass wir das seeseitige Deckwerk um einen Meter höher legen, die Deichkrone von zweieinhalb auf fünf Meter verbreitern Behördenleiter Johannes Oelerich. O-Ton Johannes Oelerich: Und dies ist die Basis, das ist der Deich, der dann eine Kappe aufnehmen kann, um einem möglichen stärkeren Meeresspiegelanstieg, als wir ihn heute schon einpreisen, nämlich 50 Zentimeter pro Jahrhundert, dann noch gerecht werden zu können. 9

O-Ton Karsten Reise: Deiche sind eigentlich immer nur eine Zwischenlösung, vor allem an einer Küste, wo das Land sinkt und das Meer steigt, das kann ich ja nicht auf unbegrenzte Zeit mit einer Trennmauer, also solchen Deichen, aufhalten. Atmo Raum Der Biologe und Küstenökologe Karsten Reise, Jahrgang 1946. Der emeritierte Professor ist ein Vordenker, sein Zeithorizont reicht über das Jahr 2100 hinaus. O-Ton Karsten Reise: Wenn wir wissen, dass der Meeresspiegel angestoßen durch die globale Erwärmung über die nächsten Jahrhunderte weiterhin ansteigen wird, dann rechne ich eben nicht mit einem fixen Limit bei einem Meter Anstieg hört es auf. Nein, nein, es geht eben danach weiter, und wenn man dies ins Auge fasst, dann denkt man eben die Küsten gleich ganz von den Marschen über die Deiche weg zu den Salzwiesen und den Watten bis in den Offshore-Bereich der Nordsee... Die Strategie Wattenmeer 2100 ist völlig in die richtige Richtung, aber es ist im Grunde nicht in das Ganze eingebettet, dieser Schritt muss danach noch kommen. Die Wattenmeerstrategie 2100 endet an der Deichlinie, das Binnenland war für die Experten kein Thema. Letztlich ist das eine politisch-pragmatische Lösung. Die Politik in Schleswig-Holstein das gilt glaube ich für alle anderen Wattenmeerländer auch hat sich nicht zugetraut, schon heute eine gesellschaftliche Diskussion zu führen, wie man vielleicht mit Marschgebieten anders umgehen muss unter den Vorzeichen des Klimawandels als man es heute tut. Klar, wir werden auch höhere Deiche brauchen, aber wir werden auch mehr mit Wasser umgehen müssen in der Landschaft. Atmo Die Sturmflut von 1962 mit 340 Toten war eine Zäsur an der deutschen Nordseeküste. Um solche Verheerungen künftig zu verhindern, begannen die Küstenschutz-Behörden massive Deiche regelrechte Bollwerke gegen die Fluten zu errichten. Die Gebiete hinter den Deichen sind seither besser geschützt. Doch die wertvolle Sedimentfracht, die Sturmfluten bisher ins Land getragen und es so allmählich erhöht hatten, bleibt außen vor. Entwässerungsgräben in der regenreichen Marsch tun ein übriges der Boden wird trockener und verdichtet sich, der Meeresspiegel steigt, das Land sinkt. 10

O-Ton Karsten Reise: Den Rekord hat bei uns die Wilster Marsch mit dreieinhalb Metern unter einem mittleren Meeresniveau, das ist schon ganz schön deftig, wenn man bedenkt, dass der Tidenhub da drei Meter in dem Bereich ist, das wären fünf Meter unter einem normalen Hochwasser und neun Meter unter Sturmfluthochwasser in der Wilster Marsch. Naja, da fühlt man sich dann vielleicht schon etwas unwohl bei solcher Perspektive. Von Katastrophenszenarien hält Reise dennoch nichts. Anders als ein Vulkanausbruch oder ein Meteoriteneinschlag sei der Meeresspiegelanstieg berechenbar. Es bleibe Zeit zur Anpassung. O-Ton Karsten Reise: Langfristig hat man wohl keine andere Wahl, als sich neu mit dem Meer auseinanderzusetzen, anders als wir das in der Vergangenheit taten. Da war es ein Abschotten in der Marsch lebt man mit dem Rücken zum Meer, es soll mich in Ruhe lassen, damit ich meine konventionelle Landwirtschaft betreiben kann, aber das geht ja nicht, wenn das Meer immer höher steigt, dann muss das Land Anschluss bekommen, damit Land und Meer wieder auf Augenhöhe sind. Dann müssen wir uns Wirtschaftsformen überlegen, die mit mehr Wasser umgehen können. Karsten Reise hat sich von Exkursionen an Küsten in aller Welt inspirieren lassen. O-Ton Karsten Reise: Man kann binnendeichs dann auch Aquakulturen anlegen, das können Fischzuchten sein, Austernzuchten sein, Garnelen können dort gehalten werden, es müssen ja nicht nur Schafe, es müssen ja nicht nur Rinder sein - die wird es auch noch geben, wir haben ja binnendeichs Ebbe und Flut, da wird es Salzwiesen geben, wo man weiterhin Viehzeugs haben kann, aber die übliche Landwirtschaft mit dem Trockenlegen der Marschen, um dann Getreide anbauen zu können, das wird schwierig. Reise schwärmt von schwimmenden Gärten und Gewächshäusern, erwägt den Anbau asiatischer Lotusblumen, sieht künftige Aquatouristen bereits im Boot zum Supermarkt paddeln. Nur den nordfriesischen Bauern, den muss er noch überzeugen. O-Ton Karsten Reise: Ich bin hier an der Küste zur Schule gegangen, und mir hat man noch beigebracht, dass es die niederträchtige Nordsee ist, die unser Land geraubt hat, und wir haben eigentlich den Auftrag, das früheren Generationen geraubte Land wieder zurück zu erobern von der Nordsee, um auch kommenden Generationen möglichst viel Land zu hinterlassen. Da ist so eine richtige Kampfrhetorik drin gewesen, wie man sich als Friese gegen die feindliche Nordsee behaupten muss. 11

Sein Professorengehalt solle man besser in Küstenschutz investieren, kriegt Karsten Reise bei Diskussionen schon mal zu hören. Das findet er in Ordnung. O-Ton Karsten Reise: Ich provoziere ja auch, wenn ich sage, dass große Teile der Marsch unter Wasser gesetzt werden müssen, damit sie wieder mitwachsen können. Aus der Wissenschaft können Vorschläge kommen, aber was nachher daraus gemacht wird, ist selbstverständlich Sache der Bewohner der Küste. Atmo Gaststätte O-Ton Gastwirt: Hast du das mitgekriegt Nicole? Vier mal Bockwurst mit Kartoffelsalat, einmal nur Kartoffelsalat. (Geschirr scheppert) Die Wattwanderer haben Hallig Oland erreicht einen Kilometer lang, einen halben breit, 15 Häuser, 14 Menschen. Eine Schule, aber im Moment keine Kinder. Der Weg führt sie gleich in die Gastwirtschaft Kiek in Schau mal rein!. O-Ton Gastwirt: Sie sollen Pharisäer und tote Tante haben Quatsch, Pharisäer und Kakao, ohne Dings Sie bringen mich total aus dem Kurs, 7,10 Euro. Manchmal steigt die Flut auf der Hallig so hoch, dass Wasser in den Wohnzimmern der Bewohner steht. Die Gastwirtschaft wurde deshalb nach der großen Flut 1962 neu gebaut und höher gelegt. Überhaupt sind die Häuser auf der Warft auf den Ernstfall bestens eingerichtet. Hier über uns ist der Schutzraum, und der Schutzraum ist ein Raum im ersten Stockwerk, der auf vier Stahlbetonpfeiler ruht, die tief im Warftboden verankert sind, und wenn alle Häuser bei einer extremen Sturmflut zerstört werden, ist dieser Schutzraum die letzte Sicherheit für die Halligbewohner, also im Prinzip die Lebensversicherung für die Einwohner hier. Halligbewohner fürchten sich nicht vor dem Meer, sie leben mit ihm. Auch die Urlauber empfinden ein durchaus angenehmes Prickeln, wenn sie sich vorstellen, hier mal ein paar Tage zu verbringen, und dann wäre Land unter. Ringsherum nichts als Nordsee, mittendrin eine Handvoll Häuser auf ihrer Warft. Da klingt Karsten Reises Utopie für die Marsch gar nicht mehr so utopisch. 12

O-Ton Karsten Reise: Wenn wir heute überlegen, was ist denn eigentlich so besonderes an dieser Küste: Jetzt sind es die Küsten mit ihren Sandstränden, aber wenn wir eine Marsch hätten, die zeitweise unter Wasser ist - was für ein Erlebnis für all die Gäste, die an diese Küste kommen! Alles ist möglich, wir müssen drüber reden, nur einfach den Kopf in den Sand stecken oder ins Wasser stecken, das geht eben nicht. ***** 13