Allgemeine Rehabilitation. Grundlagen und Prinzipien



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Fortbildung Allgemeine Rehabilitation. Grundlagen und Prinzipien Thomas Bochdansky 1, Christine Prager 2, Kurt Ammer 3 1 Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation LKH Feldkirch / Rankweil, A 6830 Rankweil 2 Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation im Donauspital,1220 Wien 3 Institut für Physikalische Medizin im Hanuschkrankenhaus, 1140 Wien Tabelle 1 Rehabilitation umfasst den koordinierten Einsatz medizinischer, sozialer, beruflicher, pädagogischer und technischer Maßnahmen sowie Einflussnahmen auf das physische und soziale Umfeld zur Funktionsverbesserung zum Erreichen einer größtmöglichen Eigenaktivität zur weitestgehend unabhängigen Partizipation in allen Lebensbereichen, damit der Betroffene in seiner Lebensgestaltung so frei wie möglich wird. (WHO Definition der Rehabilitation definiert im technical report 668/1981). Tabelle 2 Beschluss der 54. Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation zur internationalen Anwendung der ICF (WHA54.21 Mai 2001, ) Die 54. Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation beschließt die zweite Auflage der Internationalen Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen (ICIDH) unter dem Titel Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, im folgenden kurz ICF genannt, fordert die Mitgliedsstaaten auf, die ICF in geeigneter Form bei Forschung, Überwachung und Berichterstattung zu verwenden, bittet die Generaldirektorin, Mitgliedsstaaten auf deren Ersuchen bei der Anwendung der ICF zu unterstützen. Einleitung Spätestens nach diesen beiden WHO Resolutionen (Tabelle 1, Tabelle 2) ist evident, dass sich die Rehabilitative Medizin grundsätzlich von der Kurativen Medizin unterscheidet. Das kommt auch durch die grundsätzlich unterschiedliche Systematik der jeweiligen Klassifikation zum Ausdruck. Die krankheitsdiagnostische Information ist seit 1903 (1) im Rahmen der International Classification of Diseases (ICD) dargestellt. Die Information über die Funktionsfähigkeit ist seit 2001(2) im Modell der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) verfügbar. Rehabilitation ist daher neben Prävention, Kuration und palliativer Medizin ein eigenes Gebiet mit einer eigenen Systematik und spezifischen Grundlagen. Das Ziel der Kuration ist die Restitutio ad Integrum, Ziel der Rehabilitation ist die Restitutio ad Optimum (3) ICD und ICF stehen komplementär zueinander, zeigen aber gleichzeitig den grundsätzlich unterschiedlichen Zugang zum Patienten. Die ICD, ursprünglich eine Auflistung von Todesursachen, ist krankheitszentriert, die organspezifische Diagnose steht im Vordergrund, daher hat die ICD auch ihren Schwerpunkt im Bereich der Kuration. ICF dagegen ist funktionszentriert und berücksichtigt darüber hinaus die individuelle und gesellschaftliche Situation des Patienten, die für die Gestaltung eines Rehabilitationskonzeptes bestimmend ist. ICD und ICF versuchen somit das selbe Bild über einen Patienten von verschiedenen Blickwinkel wiederzugeben, beide gemeinsam liefern umfassende Informationen über die Gesundheit und Fähigkeiten eines Menschen bzw. seine Einschränkungen. Da dieses Bild viele Facetten hat, ist es notwendig, die einzelnen Dimensionen gezielt zu erfassen, um einen Rehabilitationsprozess gestalten zu können. Jede Funktionsstörung ist mehrdimensional, daher muss auch ein rehabilitatives Assessment und eine rehabilitative Intervention mehrdimensional ansetzen. Relevante Definitionen in der Rehabilitation In der ICF werden die Informationen in 2 Teile gegliedert (2). Teil 1 befasst sich mit der Funktionsfähigkeit, Teil 2 mit den Kontextfaktoren. 47

ÖZPMR, Österr. Z. Phys. Med.Rehabil 12/ 2 (2002) Teil 1 gliedert sich in die Dimensionen a) Körper (Organ)-Funktion und Struktur b) Aktivität und Partizipation Teil 2 umfasst die Komponenten von a) Umweltfaktoren b) personenbezogenen Faktoren Körperfunktionen sind physiologischen Funktionen von Körpersystemen (einschließlich psychologischer Funktionen) Körperstrukturen sind anatomische Teile des Körpers, wie Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile Aktivität bezeichnet die Durchführung einer Aufgabe oder Handlung durch ein Individuum Partizipation beschreibt das Einbezogensein in eine Lebenssituation Kontextfaktoren beschreiben den gesamten Lebenshintergrund eines Individuums Umweltfaktoren beschreiben die materielle, soziale und einstellungsbezogene Situation, in der Menschen leben nach dem Aspekt des Individuums und der Gesellschaft Personenbezogene Kontextfaktoren beschreiben den besonderen Hintergrund des Lebens und der Lebensführung eines Individuums, die nicht Krankheits- / störungsbezogen sind (nicht im ICF klassifiziert). Abbildung 1 zeigt den Zusammenhang der einzelnen Dimensionen. (2) Die WHO geht dabei grundsätzlich von einer positiven Terminologie aus und drängt die negativen Begriffe in den Hintergrund. Um einen Rehabilitationsprozess (3) beschreiben zu können, sind weitere Begriffe zu definieren: Das Rehabilitationspotential stellt ein theoretisch erreichbares interindividuelles Ergebnisniveau dar. Es ist bedingt durch Körper- Funktion/ -Struktur, Aktivität und Partizipation. Terminologie Gesundheitsproblem Krankheit / Störung -funktion -struktur AKTIVITÄT (Einschränkung) PARTIZIPATION (Begrenzung) ICF Die Rehabilitationsfähigkeit beschreibt ein theoretisch erreichbares individuelles Ergebnisniveau. Aufbauend auf dem Rehabilitationspotential ist sie zusätzlich durch die umwelt- und personenbezogenen Kontextfaktoren bedingt. Erst die vorhandene Rehabilitations-Fähigkeit ermöglicht den Rehabilitationsprozess. KÖRPER- KONTEXT- FAKTOREN intern (persönl( persönl.) extern (umweltbed( umweltbed.) 48

ÖZPMR, Österr. Z. Phys. Med.Rehabil 12/ 2 (2002) Abbildung 2 Rehabilitationsprozess Gesundheitsstörung: Unfall Krankheit Angeborener Schaden KURATION ICD - Diagnostik Keine weitere Intervention (nein) (nein) ICF - Assessment Körper- Funktion/Struktur Aktivität Partizipation Rehabilitation Potential ja ICF - Assessment Kontextfaktoren Rehabilitation Fähigkeit ja Zielvereinbarung Reha - Intervention/ Behandlung R E H A B I L I T A T I O N Home-care Langzeitpflege Palliativmed. Selbsthilfe... Evaluation (Reassessment) Ergebnis 50

Fortbildung -Die Rehabilitationsintensität wird durch umweltund personenbezogenen Kontextfaktoren bestimmt, die einen optimierten Einsatz der Ressourcen definieren. -Die Rehabilitationsprognose wird bestimmt durch die Rehabilitationsfähigkeit und Rehabilitationsintensität und beschreibt, wieweit erwartet werden kann, dass ein Individuum ein Rehabilitationspotential ausschöpfen kann. Liegt also eine Gesundheitsstörung vor, so kann aufgrund der medizinischen Erfahrung ein Rehabilitationspotential beschrieben werden und unter Einbeziehung der individuellen Kontextfaktoren eine Aussage zur Rehabilitationsfähigkeit des Patienten erfolgen. Die Prognose über ein potentiell mögliches Rehabilitationsergebnis kann sodann nur unter Berücksichtigung der möglichen Rehabilitationsintensität erstellt werden. Rehabilitationsprozess Rehabilitation ist eine interdisziplinäre Aufgabe und muss multiprofessionell in einem Rehabilitationsteam bearbeitet werden, der Patient ist Mitglied dieses Teams, zu dem bei Bedarf auch die Angehörigen des Patienten einbezogen sind (5). Aufgrund der sich permanent ändernden Situation kann Rehabilitation nur als Prozess gesehen werden. Abbildung 2 listet den implizierten Algorithmus auf. (3,4,5) Im Falle des Eintrittes einer Gesundheitsstörung beginnt der medizinische Behandlungsprozess mit einer Diagnostik, die nach dem Modell der ICD strukturiert ist. Die Behandlung (Therapie) erfolgt im Bereich der Kuration (niedergelassener Arzt, Fachabteilung). Möglichst frühzeitig soll komplementär eine Beurteilung nach dem Modell des ICF erfolgen, bei der in einem ersten Assessment das Rehabilitationspotential bestimmt wird. Ist kein Rehabilitationspotential ersichtlich, so wird der Reha-Prozess nicht fortgesetzt. Der Patient wird entweder entlassen oder im Falle der Pflegebedürftigkeit an eine entsprechende Institution überwiesen. Besteht zwar ein grundsätzliches Reha-Potential, das jedoch aufgrund der individuellen und/oder umweltbedingter Kontextfaktoren nicht ausschöpfbar ist, so besteht keine Reha-Fähigkeit. Der Patient wird aus dem Reha-Prozess ausgeleitet. Besteht diese Reha-Fähigkeit, so erfolgt im Reha-Team (gemeinsam mit dem Patienten) eine erste Zielvereinbarung und in der Folge wird die Rehabilitations-Intervention/-Behandlung durchgeführt. Nach einer definierten Behandlungsdauer wird ein Re-Assessment durchgeführt und das Ergebnis mit dem vereinbartem Ziel verglichen. Je nach Ergebnis wird der Prozess nochmals durchlaufen. Bei Nichterreichen des Zieles muss auch das Ziel evaluiert werden. Schnittstellen zur Rehabilitation Der Rehabilitationsprozess stellt jedoch nur einen passageren Prozess dar, d.h. er ist zeitlich limitiert und keine endlose Schleife. Er führt bildlich gesprochen aus der Kuration entweder in die (sekundär/tertiär)prävention oder in die Palliative Medizin. Daraus ergeben sich eine Reihe von Anforderungen an ein funktionierendes Schnittstellenmanagement zwischen Kuration und Rehabilitation einerseits, und zwischen Rehabilitation und Prävention / Palliativmedizin andererseits. Rehabilitationsabteilungen können daher keinesfalls die Aufgaben einer Langzeitpflegestation oder eines geriatrisch orientierten Heimes übernehmen. Rehabilitation ist nicht gleichzusetzen mit Nachbehandlung. Diese ist klar der Kuration zuzuordnen und hat andere (organspezifische) Aufgaben. Die Zielrichtung rehabilitativer Interventionen ist entsprechend dem ICF-Modell breiter, d.h. mehrdimensional angelegt. Fachspezifische Rehabilitation? Es ist daher zu fragen, ob es eine sogenannte fachspezifische Rehabilitation (6), z.b. eine Neurorehabilitation (7), pädiatrische Rehabilitation oder orthopädische Rehabilitation definitionsgemäß überhaupt geben kann? Ist es nicht eine Kontradiktion in sich, organ- bzw. krankheitszentrierte Ansätze in einem funktionszentrierten Gebiet zu verwenden? Die WHO hat darauf eine klare Antwort. Ausgehend vom ICF-Modell ist zwar die Eingangsdiagnose (= ICD Diagnose) für den Bereich der Kuration wesentlich und für einen ersten Schritt auch für die Gestaltung des Rehabilitationsprozesses. Jedoch in der weiteren Folge des Prozesses ist es unwesentlich, ob der Patient zum Beispiel Probleme beim Gehen hat, weil er an einer Halbseitenlähmung nach Schlaganfall leidet oder ob er eine Totalendoprothese des Hüftgelenkes erhalten hat. Im Vordergrund steht die Gangstörung, die es zu verbessern gilt. Eingeschränkte Belastbarkeiten aufgrund metabolischer oder mechanischer Ursachen stellen zwar wichtige Rahmenbedingungen für die Dosierung der Intervention dar, sind jedoch für das Assessment des Gehens unerheblich. Es sei noch erwähnt, dass Gehen im Gang eine 51

ÖZPMR, Österr. Z. Phys. Med.Rehabil 12/ 2 (2002) funktionelle Komponente besitzt. Das Gehen muss aber auch als Aktivität des Teilbereichs Mobilität und als Partizipation verstanden und beurteilt werden, und gegebenenfalls ist eine entsprechende Intervention erforderlich. Im Rahmen der oben erwähnten deutschsprachigen Konsensuskonferenzen haben wir uns entschlossen, die Begriffe Diagnostik und Therapie für den Bereich der Kuration zu reservieren und im Bereich der Rehabilitation die Begriffe Assessment und Intervention zu verwenden. Am Beispiel der Gangstörung sei dies erklärt: Im Rahmen der Kuration ist eine genaue Diagnostik, zum Beispiel die Lokalisation der Läsion (z.b. Hüftgelenk oder Gehirn), wichtig zur Planung und Gestaltung der Therapie mit dem Therapieziel Heilung (restitutio ad integrum). Im Rahmen der Rehabilitation dagegen ist die Bestimmung der Gehgeschwindigkeit ein wesentlicher Parameter zur Planung und Evaluation einer Intervention. Die Verbesserung der Gehgeschwindigkeit, zum Beispiel durch das Anlegen einer Orthese, kann die Aktivität und in der Folge die Partizipation eines Patienten entscheidend verändern. Bei einem rollstuhlpflichigen Patienten kann die Errichtung einer Auffahrtsrampe die soziale Reintegration erst ermöglichen. Diese Tätigkeit (z.b. Schlosserarbeit) stellt jedoch keineswegs eine therapeutische Tätigkeit dar, jedoch eine wesentliche rehabilitative Intervention. Rehabilitatives Assessment soll auch die verschiedenen Dimensionen des ICF-Modelles abbilden. Derzeit werden verschiedenste Scores zur Beurteilung herangezogen, welche die eine oder andere Dimension nur unzureichend oder nicht ausreichend gewichtet darstellen (8). Es ist Aufgabe der Rehabilitationsmedizin, Scores zu entwickeln, die dieser Aufgabe gerecht werden. Dazu gibt es derzeit weltweit große Anstrengungen. Es ist in der Folge wichtig, aus diesen Scorewerten Prognoseindikatoren zu entwickeln und auch dazu gibt es zahlreiche Ansätze. Ressourcennutzung in der Rehabilitation Es ist Aufgabe einer zeitgemäßen Medizin, die vorhandenen Resourcen optimiert einzusetzen. Dies gilt natürlich auch für die Rehabilitative Medizin. Abgestufte Nachsorge-abgestufte Rehabilitation Es ist daher auch eine Aufgabe der Rehabilitation, die Patienten möglichst rasch aus einer hochintensiven ( kostenintensiven) Abteilung in den häuslichen privaten Bereich überzuführen, gleichzeitig aber auch dafür zu sorgen, dass möglichst lange keine neuerliche Wiederaufnahme erforderlich ist. Das bedeutet, dass frühzeitig, noch im Rahmen des Rehabilitationsprozesses, sekundär- bzw. tertiärpräventive Maßnahmen zu ergreifen sind. Dieses Überleiten soll aber abgestuft erfolgen, d.h. die Intensität der Betreuung (à Kostenintensität) muss sich am Bedarf des Patienten orientieren, sollte jedoch mit dem Ziel der größtmöglichen Selbständigkeit des Patienten möglichst gering gehalten werden. Um dieses Konzept der abgestuften Nachsorge abgestuften Rehabilitation zu ermöglichen, ist ein frühzeitiger Beginn der rehabilitativen Maßnahmen, schon im Rahmen des akutmedizinischen stationären Aufenthaltes erforderlich (9,10). Zur gleichen Zeit können daher kurative Therapien durchgeführt werden und rehabilitative Interventionen erfolgen. Dies ist nicht nur ein semantischer Unterschied, sondern liegt in einer grundsätzlich unterschiedlichen Zielsetzung. Dieser Unterscheidung sollte aber nicht dazu führen, dass sich daraus unterschiedliche Finanzierungskonzepte ergeben bzw. unterschiedliche Kostenträger herangezogen werden müssen, da ansonst eine notwendige Kontinuität der einzelnen komplementären (!) Maßnahmen nicht gewährleistet ist Wohnortnahe Rehabilitation Die abgestufte Rehabilitation erfordert auch ein möglichst frühzeitiges Abklären des Umfeldes, in das der Patient möglichst rasch wieder zurückkehren soll. Die sich daraus ableitende Forderung nach einer wohnortnahen Rehabilitation ist nicht nur ein Gebot der Ökonomie, sondern hilft in erster Linie dem Patienten, Kontakte aufrecht zu erhalten, Verbindungen zu knüpfen, und somit ein möglichst geringes Defizit der Dimension Partizipation entstehen zu lassen. Wohnortnahe Rehabilitation ermöglicht auch, verschiedene Interventionen rasch und mit einem minimalen administrativem Aufwand durchführen zu können. Ambulant oder stationär Im Sinne einer ökonomischen Resourcennutzung sollen die Maßnahmen, die ambulant durchgeführt werden können, im Rahmen einer ambulanten Rehabilitation erfolgen (11). Eine ambulante Rehabilitation basiert ebenfalls auf dem Modell des ICF, d.h. es müssen unterschiedliche Dimensionen im Behandlungskonzept eingebaut sein. Die Verbesserung der Beweglichkeit eines Kniegelenkes oder die Kräftigung der Rumpfstabilisation alleine ist keine Rehabilitation, sondern eine Therapie (Nachbehandlung) oder Prävention. Komplexere Aufgaben, wie zum Beispiel die Rehabilitation von querschnittsgelähmten Patienten, erfordern ein stationäres Umfeld. Trainings- und Therapie- 52

einheiten, die einen mehrstündigen Zeitaufwand notwendig machen oder multiprofessionelle Aufgaben wie zum Beispiel das Neuerlernen von Alltagsfunktionen, können nur in einem stationärem Umfeld ökonomisch angeboten werden. Auch Transfers der verschiedenen Art können den Patienten nicht nur physisch belasten, sodass auch im Sinne des therapeutischen Trainings auf die notwendigen Erholungsphasen geachtet werden muss. Eine abgestufte und wohnortnahe Rehabilitation nimmt Bedacht auf den jeweiligen Bedarf des Patienten und nützt somit auch ökonomisch die vorhandenen Resourcen. Schlussfolgerung Rehabilitation ist multiprofessionell, interdisziplinär und integrativ, hat jedoch einen differenten Ansatz zur kurativen, präventiven oder palliativen Medizin. Der Mensch als biopsychosoziales Wesen bedarf im Rahmen einer modernen Medizin nicht nur der Kuration, nicht nur der Rehabilitation, nicht nur der Prävention und auch nicht nur der Palliativmedizin. Er bedarf einer Synopsis aller Aspekte moderner Medizin. Rehabilitation versteht sich daher in diesem Sinn als Teil einer modernen Medizin. Literatur 1.Bertillon J. Nomenclatures des maladies. Montevrain. Imprimerie typographique de l ecole d alembert, 1903 2.ICF: International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF), WHO, Geneva, 2001, Original ICF : www.who.int/icf 3.Ammer K, Berliner M, Bochdansky T, Diserens K, Heinz Chr, Knüsel O, Müller K, Prager Chr, Rentsch H.-P, Schneider W, Schwarz H, Smolenski U,. Villiger B: Konsensuskonferenz Physikalische Medizin und Rehabilitation am 07.-09.08.1998, Fortbildung Thurgauer Klinik St. Katharinental, CH-8253 Diessenhofen Österr Z Phys Med Rehabil 1998; 8: 175-179 4.Ammer K, Berliner M, Bochdansky T, Hartl F, Heinz Chr, Knüsel O, Müller K, Prager Chr, Rentsch H.-P, Schneider W, Schwarz H, Smolenski U,. Wicker A: Konsensuskonferenz Physikalische Medizin und Rehabilitation: Österreich, Deutschland, Schweiz am 22.bis 24.1.199, in Wien. Österr Z Phys Med Rehabil 1999; 9(1): 14-17 5.Müller K., Ammer K., Berliner M., Bochdansky T., Knüsel O., Prager Ch., Schmidt-Dumbacher M., Smolenski U., Schneider W., Schwarz H.: Rehabilitationsprozess und Rehabilitationsteam. Österr.Z.Phys.Med.Rehabil. 2001, 11:11-16 6.Beyer H-M, Beyer L, Ewert Th, Gadomski M, Gutenbrunner Chr, Kröling P, Pages IH, Seidel EJ, Smolenski UC, Stucki G. Weißbuch Physikalische Medizin und Rehabilitation. Phys Med Rehab Kur 2002, 12(4): S1-S30 7.Wade DT. Epidemiology of disabling neurological disease: how and why does disability occur?j Neurol Neurosurg Psychiatry 1997;63(Suppl 1):11-18 8.Ammer K, Bochdansky T, Prager C. Deutsch evaluierte Ergebnis-Messwerkzeuge bei Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates und die Kategorien des ICIDH-2. Österr. Z. Phys.Med.Rehabil. 2000, 10: 18-23 9.Gadomski M: Bedarf an Frührehabilitation im Akutkrankenhaus- Möglichkeiten und Strukturen. Phys Rehab Ku Med 6:139-140, 1996 10.Stucki G., Stier-Jarmer M, Gadomski M, Berleth B, Smolenski UC. Konzept zur indikationsübergreifenden Frührehabilitation im Akutkrankenhaus. Phys Med Rehab Kuror 2002; 12: 134-145 11.Arbes-Sertl B, Prager C, Ammer K. Wiener Qualitätsmanagementprojekt Ambulante Rehabilitation. Österr Z Phys Med Rehabil 2001; 11:21-28 Korrespondenzadresse Prim. Univ.Doz. Dr. Thomas Bochdansky LKH Feldkirch / Rankweil Valdunastrasse 16 A 6830 Rankweil thomas.bochdansky@lkhr.at 53