Talentmanagement Welche Faktoren entscheiden, ob Talente bleiben?

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Transkript:

Schweizer Human-Relations-Barometer Herbstnewsletter 2015 Talentmanagement Welche Faktoren entscheiden, ob Talente bleiben? Eine Analyse auf der Basis des Schweizer Human-Relations-Barometers Das Gewinnen, Fördern und Binden von Talenten hat heute eine hohe personalpolitische Priorität, denn qualifizierte Fach- und Führungskräfte sind knapp. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Die Demografie des Arbeitsmarktes verändert sich es gibt immer mehr ältere und immer weniger jüngere Menschen, neue Technologien erfordern neue Kompetenzen, und die Mobilität auf den internationalen Arbeitsmärkten steigt. Wie denken, funktionieren und handeln talentierte Arbeitskräfte und womit kann man sie gewinnen und binden? Dazu gibt es Antworten aus dem Schweizer HR-Barometer 2010 und aus dem Schweizer HR-Barometer 2014. Übersicht Editorial...1 Wie können Beschäftigte mit einer eigenverantwortlichen Karriereorientierung längerfristig an Unternehmen gebunden werden?...2 Wann profitieren Unternehmen von firmeneigener Kinderbetreuung?...4 Literatur...7 Der Schweizer HR-Barometer wird finanziert über den Schweizerischen Nationalfonds: Editorial Der Schweizer HR-Barometer unterscheidet vier verschiedene Karriereorientierungen. Für das Talentmanagement sind dabei diejenigen Arbeitnehmenden von besonderer Brisanz, die ihre Karriere in die eigene Hand nehmen. Dies sind die sogenannten eigenverantwortlich orientierten Beschäftigten. Sie sind jünger und besser ausgebildet als andere Beschäftigte, haben aber auch höhere Kündigungsabsichten. Der erste der beiden nachfolgenden Beiträge geht deshalb der Frage nach, wie Beschäftigte mit einer eigenverantwortlichen Karriereorientierung längerfristig an das Unternehmen gebunden werden können. Jüngere Talente haben oft auch eine junge Familie. Damit stellt sich die Frage, wie man Kinder und Karriere optimal vereinbaren kann. Unternehmen und staatliche Behörden bieten deshalb Institutionen zur Kinderbetreuung. Was passiert aber, wenn Firmen und Staat gleichzeitig Kinderkrippen anbieten? Darum geht es im zweiten Beitrag. Schweizer HR-Barometer Newsletter Herbst 2015 Seite 1

Der Schweizer HR-Barometer ist ein Kooperationsprojekt der Universität Zürich und der ETH Zürich. Er wird vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert und erfasst seit dem Jahr 2006, wie Beschäftigte in der Schweiz ihre Arbeitssituation erleben. Mittels einer repräsentativen, regelmässig durchgeführten und differenzierten Befragung von Beschäftigten in der Schweiz werden organisationspsychologische Grundlagen zur Personalpolitik ermittelt. Wir freuen uns, wenn wir mit diesem Newsletter einen Beitrag zum Gewinnen und Halten von Talenten erbringen können. Gudela Grote & Bruno Staffelbach, Herausgeber Wie können Beschäftigte mit einer eigenverantwortlichen Karriereorientierung längerfristig an Unternehmen gebunden werden? von Julia Humm Heute sind Karriereverläufe längst nicht mehr so geradlinig wie einst. Frühere Generationen waren oft über die gesamte Berufslaufbahn im gleichen Unternehmen angestellt und stiegen nach und nach in der Hierarchie auf. Moderne Karrieren hingegen sind gekennzeichnet durch häufigere Wechsel des Arbeitgebers, der Branche oder sogar des Berufs. Dieser Wandel spiegelt sich auch in den Karriereorientierungen der Beschäftigten wider, wie der Schweizer HR-Barometer 2014 zeigte. Insgesamt werden in der Schweiz vier Karriereorientierungen unterschieden (Gerber, Wittekind, Grote, & Staffelbach, 2009), wobei die traditionell-sicherheitsorientierten und die eigenverantwortlichen Beschäftigten Gegenpole sind. Die Zahl der traditionell-sicherheitsorientierten Arbeitnehmenden, die eine hohe Verpflichtung gegenüber ihren Unternehmen empfinden und grossen Wert auf Arbeitsplatzsicherheit legen, hat in den letzten Jahren abgenommen. Hingegen hat die Zahl der eigenverantwortlich orientierten Beschäftigten, die sich wenig an ihr Unternehmen gebunden fühlen und ihre Karriere selbstständig managen, stetig zugenommen (Grote & Staffelbach, 2014). Um die Bedeutung dieser Zunahme an eigenverantwortlich orientierten Beschäftigten zu illustrieren, werden diese im Folgenden den traditionellsicherheitsorientierten gegenübergestellt. Wer sind diese eigenverantwortlich orientierten Arbeitnehmenden? Welche Erwartungen haben sie an ihre Arbeit(gebenden) und welche Aspekte der Arbeitsgestaltung gewinnen im Hinblick auf ihre zunehmende Präsenz in Unternehmen an Bedeutung? Die eigenverantwortlich orientierten Beschäftigten Die Auswertungen des HR-Barometers 2014 (Grote & Staffelbach) zeigen, dass eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte durchschnittlich jünger sind als andere Beschäftigte, eher vollzeitig beschäftigt sind und ein auffallend hohes Bildungsniveau haben (Abbildung 1). Hingegen ist ihre durchschnittliche Verweildauer im Unternehmen deutlich geringer als bei Beschäftigten mit traditionellen Karriereorientierungen. Eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte unterscheiden sich auch im Erleben und Verhalten am Arbeitsplatz von ihren eher traditionellen Kollegen (Abbildung 2). Sie gestalten ihre Arbeitsinhalte und -bedingungen Abbildung 1 Eigenverantwortlich und traditionell-sicherheitsorientierte Beschäftigte im Vergleich Karriereorientierung traditionell-sicherheitsorientiert eigenverantwortlich orientiert durchschnittliches Alter 45 Jahre 35 Jahre durchschnittliche Beschäftigungsdauer 13 Jahre 6 Jahre Anteil hohe Ausbildung (Fachhochschule und Universitätsabschluss) 17 % 37 % Anteil Beschäftigungsgrad von mehr als 90% 52 % 74 % Schweizer HR-Barometer Newsletter Herbst 2015 Seite 2

Abbildung 2 Job Crafting, Kündigungsabsicht und Arbeitsmarktfähigkeit im Vergleich Herausforderungen suchen Karriereorientierung: eigenverantwortlich orientiert traditionell-sicherheitsorientiert Ressourcen suchen Kündigungsabsicht Arbeitsmarktfähigkeit 1 2 3 4 5 Implikationen Voraussichtlich werden in Zukunft immer mehr eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte Teil der Arbeitswelt sein. In Zeiten des Fachkräftemangels müssen Unternehmen daher besonders bemüht sein, diese hoch qualifizierten Arbeitnehmenden trotz ihrer niedrigen Kündigungshemmschwelle möglichst lange im Betrieb zu behalten. Diese anspruchsvollen aber auch engagierten Arbeitnehmenden können für Unternehmen sodeutlich selbstständiger und proaktiver mit, indem sie sogenanntes Job Crafting (Wrzesniewski & Dutton, 2001) betreiben. Sie suchen aktiv neue Herausforderungen indem sie zum Beispiel nach mehr Verantwortlichkeiten fragen und erschliessen sich selbstständig Arbeitsressourcen zum Beispiel durch das Einholen von Ratschlägen bei Vorgesetzten und Kollegen. Die Zunahme dieser Beschäftigten ist aber für die Unternehmen auch mit gewissen Risiken verbunden. Denn obwohl Beschäftigte mit einer eigenverantwortlichen Karriereorientierung mit ihrer Arbeit insgesamt gleich zufrieden sind wie Beschäftigte mit einer traditionellsicherheitsorientierten Karriereorientierung, hegen sie eine höhere Kündigungsabsicht. Zudem schätzen sie ihre Arbeitsmarktfähigkeit höher ein, das heisst, sie gehen eher davon aus, ohne grössere Mühe eine vergleichbare Stelle finden zu können. Was können Unternehmen nun tun, um diese engagierten und hoch qualifizierten Arbeitnehmenden längerfristig zu binden? Die Erwartungen von eigenverantwortlich orientierten Beschäftigten Um eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte längerfristig an ein Unternehmen zu binden, ist es wichtig, ihre Erwartungen genau zu kennen. Gemäss den Daten des HR-Barometers 2014 haben sie insgesamt höhere Erwartungen an ihre Arbeit bzw. an ihren Arbeitgeber als Beschäftigte mit anderen Karriereorientierungen, wobei sich einmal mehr die deutlichsten Unterschiede im Vergleich zu den traditionell-sicherheitsorientierten Beschäftigten zeigen (Abbildung 3). Eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte erwarten mehr interessante Arbeitsinhalte, vermehrt Möglichkeiten, Eigenverantwortung zu übernehmen und häufiger Optionen, ihre Fähigkeiten vielseitig einsetzen zu können. Zudem erwarten sie deutlich mehr Entwicklungsmöglichkeiten als ihre traditionell-sicherheitsorientierten Kollegen. Es scheint, dass diese höheren Erwartungen jedoch nicht immer auch mit einem vielseitigeren Angebot und grösserem Entgegenkommen der Arbeitgeber einhergehen. Die Diskrepanz zwischen Erwartungen und wahrgenommenen Angeboten ist für eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte folglich am grössten. Dies ist problematisch, da die Kündigungsabsicht von eigenverantwortlich orientierten Beschäftigten unter anderem von der Erfüllung ihrer Erwartungen beeinflusst wird. Dementsprechend kann also die Kündigungsabsicht eigenverantwortlich orientierter Beschäftigter dadurch gesenkt werden, indem deren Erwartung, ihre Fähigkeiten vielseitig einsetzen zu können, entsprochen wird. Je mehr Arbeitnehmende das Gefühl haben, ihre Talente bei ihrer Arbeit vollumfänglich einbringen zu können, desto weniger denken sie daran, ihre Stelle zu kündigen. Schweizer HR-Barometer Newsletter Herbst 2015 Seite 3

Abbildung 3 Erwartungen und Angebote von Beschäftigten mit eigenverantwortlicher Karriereorientierung im Vergleich zu Erwartungen und Angebote von Beschäftigten mit traditionell-sicherheitsorienter Karrierorientierung angemessene Entlohnung Entwicklungsmöglichkeiten Loyalität Erwartungen eigenverantwortlich orientierter Beschäftigter wahrgenommene Angebote eigenverantwortlich orientierter Beschäftigter Erwartungen traditionellsicherheitsorientierter Beschäftigter wahrgenommene Angebote traditionellsicherheitsorientierter Beschäftigter Möglichkeiten, Fähigkeiten vielfältig einzusetzen Arbeitsplatzsicherheit interessante Arbeitsinhalte Möglichkeiten, Eigenverantwortung zu übernehmen 1 2 3 4 5 fern diese den Bedürfnissen der Beschäftigten gerecht werden sehr gewinnbringend sein. Um eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte längerfristig zu binden, sollten Unternehmen ihnen die Möglichkeit geben, eigenständig an ihrem Fähigkeiten-Portfolio zu arbeiten und dieses laufend auszubauen. Sie sollten die Verantwortung für verschiedenartige Projekte mit einer hohen Aufgabenvielfalt übernehmen können und zudem die Chance haben, Projekte eigenständig zu initiieren und auszuführen. Des Weiteren könnte es speziell für eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte interessant sein, innerhalb des Unternehmens in verschiedenen Rollen eingesetzt zu werden. Auf diese Weise können Unternehmen den Bedürfnissen eigenverantwortlicher Beschäftigter auch längerfristig gerecht werden, sodass diese nicht den Drang verspüren, ausserhalb des Unternehmens neue Herausforderungen zu suchen. Ergänzend ist für eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte die Möglichkeit zur Weiterbildung (insbesondere von Fachkompetenzen) wichtig. Auch diese bietet ihnen die Gelegenheit, persönliche Kompetenzen auszubauen und dadurch die eigene Arbeitsmarktfähigkeit zu erhöhen. Das Mittel, eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte längerfristig an ihr Unternehmen zu binden, scheint darin zu liegen, dass man es ihnen ermöglicht und sie dabei unterstützt, sich so zu entwickeln, dass sie auch ausserhalb des Unternehmens erfolgreich sein können. Gleichzeitig sollte man als Arbeitgeber aber auch genügend Freiräume schaffen, sodass eigenverantwortlich orientierte Beschäftigte ihre Karrierewünsche innerhalb des Unternehmens verwirklichen können. Wann profitieren Unternehmen von firmeneigener Kinderbetreuung? von Anja Feierabend & Bruno Staffelbach Neben der freiwilligen betrieblichen Kinderbetreuung durch Unternehmen investieren mehr und mehr Wohlfahrtsstaaten in die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie (Glass & Estes, 1997). Aufgrund der Intensivierung staatlicher Unterstützung in vielen westlichen Industrieländern stellt sich die Frage, ob der zunehmende staatliche Familiensupport unvorhergesehene Konsequenzen hervorruft. Auf den ersten Blick scheint der gesamtgesellschaftliche Nutzen am grössten, wenn sowohl der Staat als auch private Firmen Familien so viel Unterstützung wie möglich bieten. Für Beschäftigte mit Kinderbetreuungspflichten mag dies stimmen, da eine Vielzahl an Angeboten es zulässt, die bestmögliche Alternative auszuwählen. Aber wie beeinflusst eine hohe Anzahl staatlich subventionierter Kinderkrippen jene Unternehmen, welche freiwillig in denselben familienfreundlichen Service investieren? Gemäss dem Schweizer HR-Barometer 2010 bieten immerhin 17 % der Arbeitgeber in der Schweiz ihren Beschäftigten eigene Kinderkrippen an. Normalerweise investieren Firmen in Dienstleistungen wie Krippen, weil sie positive Reaktionen von den arbeitstätigen Eltern erwarten basierend auf der Norm des gegenseitigen Gebens und Nehmens (Beauregard & Henry, 2009). Bieten sowohl Schweizer HR-Barometer Newsletter Herbst 2015 Seite 4

der Staat als auch private Firmen dieselben Betreuungsangebote an, geraten beide Parteien in einen (unbeabsichtigten) Konkurrenzkampf. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob staatliche Kinderbetreuung die positive Reziprozität zwischen arbeitstätigen Eltern und Firmen mit eigenem Kinderbetreuungsangebot verdrängt. Methode und Vorgehen Zur Beantwortung dieser Frage wurden die Daten aus dem Schweizer HR-Barometer 2010 genutzt, welcher die Familienfreundlichkeit von Unternehmen aus Sicht der Beschäftigten in der Schweiz untersuchte. Als Datenbasis dienen die Antworten von 414 arbeitstätigen Eltern aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz. Die Befragten wurden in die Stichprobe aufgenommen, wenn sie zwischen 16 und 65 Jahre alt waren und in einer bezahlten Anstellung mit einem Arbeitspensum von mindestens 40 % tätig waren. Für die Analysen des Zusammenspiels von betrieblichem und staatlichem Kinderbetreuungsangebot wurden die Daten des Schweizer HR-Barometers zusätzlich ergänzt mit Daten des Schweizer Bundesamtes für Statistik. Die grossen Unterschiede der staatlichen Kinderbetreuung zwischen den Schweizer Kantonen ermöglichen es, Beschäftigte in Kantonen mit hoher und tiefer Anzahl an staatlich subventionierten Krippen miteinander zu vergleichen. Abbildung 4 zeigt die relativierte Anzahl an staatlich unterstützten Krippen pro 1000 Kinder für jeden Kanton. Resultate Die Ergebnisse zeigen, dass staatliche Kinderbetreuung einen Verdrängungseffekt auf die positive Reziprozität zwischen arbeitstätigen Eltern und Firmen mit eigenem Betreuungsangebot hat. Betriebliche Kinderbetreuung hat zwar einen positiven Effekt auf arbeitstätige Eltern: Arbeitstätige Eltern fühlen sich stärker mit ihrer Firma verbunden, wenn diese eine firmeneigene Krippe anbietet. Dieser positive Reziprozitätseffekt besteht jedoch nur, wenn das staatliche Kinderbetreuungsangebot in der Wohnregion gering ist. In Regionen mit einer hohen Anzahl an staatlichen Krippen zeigen arbeitstätige Eltern keine höhere Verbundenheit mit Firmen, welche selbst eine Krippe anbieten (Abbildung 5). Firmenbetriebene Krippen scheinen somit für arbeitstätige Eltern an Wert zu gewinnen, wenn der Staat nicht genügend Substitute liefert. Wenn die Eltern jedoch die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Betreuungseinrichtungen für ihre Kinder zu wählen, sind Eltern in Kantonen mit viel staatlicher Kinderbetreuung weniger abhängig vom betrieblichen Kinderbetreuungsangebot. Als eine Konsequenz wird dadurch die Verbundenheit zu den Firmen mit eigenen Krippen geschmälert. Abbildung 4 Relativierte Anzahl an staatlich subventionierten Krippen pro Kanton 8 7 6 5 4 Abbildung 5. Organisationale Verbundenheit in Abhängigkeit von staatlicher und betrieblicher Kinderbetreuung 3 2 1 0 Schweizer HR-Barometer Newsletter Herbst 2015 Seite 5

Abbildung 5 Organisationale Verbundenheit in Abhängigkeit von staatlicher und betrieblicher Kinderbetreuung Organisationales Commitment 4 3 Staatliche Kinderbetreuung tiefe Anzahl staatlich subventionierter Kinderkrippen hohe Anzahl staatlich subventionierter Kinderkrippen 2 mit firmeneigener Kinderkrippe ohne firmeneigener Kinderkrippe Betriebliche Kinderbetreuung Diskussion Zusammenfassend zeigt die Studie auf, dass die Implementierung einer weitverbreiteten staatlichen Familienunterstützung versteckte Schwierigkeiten mit sich bringt. Eine hohe Anzahl an staatlich subventionierten Krippen hat einen negativen Effekt auf familienfreundliche Firmen, welche freiwillig eigene Kinderkrippen anbieten. Die Verbundenheit von arbeitstätigen Eltern mit Firmen, welche eine eigene Krippe anbieten, ist tiefer, wenn sie in einer Region leben, in der viele öffentliche Krippen existieren. Dieser Befund hat praktische Implikationen für Arbeitgeber. Aus Sicht der Arbeitgeber indiziert dieser, dass bei der Investition in eine Krippe die öffentlichen Betreuungsangebote in der Umgebung mitberücksichtigt werden sollten. In Regionen mit einem hohen Anteil an staatlicher Kinderbetreuung können Firmen nicht mit einer positiven Reziprozität rechnen, wenn sie eine eigene Kinderkrippe anbieten. Das Investment ruft möglicherweise mehr Kosten hervor, als dass es Nutzen generiert. Um die Konkurrenz mit dem Staat in Regionen mit einer hohen Konzentration an staatlichen Kinderkrippen zu umgehen, profitieren Firmen mehr, wenn sie in nicht konkurrenzierbare Arbeitgeberangebote investieren und auf alternative Formen der Familienförderung ausweichen (z. B. den Arbeitstätigen zu ermöglichen, von zu Hause aus zu arbeiten, ihnen flexible Arbeitszeiten bieten oder ihnen einen ausgedehnteren Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub zuzugestehen). Solche Angebote stehen nicht in Konkurrenz mit Angeboten des Staates. Das Resultat hat jedoch auch praktische Implikationen für die Politik. Die Kinderbetreuung vollständig in die Hände des Staates zu geben, führt dazu, dass Firmen das Interesse verlieren können, freiwillig in familienfreundliche Leistungen zu investieren. Verdrängt der Staat die freiwilligen Investitionen der Firmen in die Kinderbetreuung gänzlich, trägt dieser am Ende den Grossteil der Kinderbetreuungskosten allein. Alles in allem lässt sich aus der Untersuchung schliessen, dass gut gemeinte Interventionen, wie die Unterstützungsleistungen für die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, nicht einfach zu entwickeln sind. Die privatwirtschaftlich-staatliche Dynamik erweist sich als sehr komplex. Der Ruf nach weiterer Forschung und weiterführenden Analysen ist berechtigt. Weitere Informationen und Details in: Feierabend, A. & Staffelbach, B. (in press). Crowding Out Reciprocity between Working Parents and Companies with Corporate Childcare. Human Resource Management. 10.1002/hrm.21689. (http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/hrm.21689/full) Schweizer HR-Barometer Newsletter Herbst 2015 Seite 6

Literatur Beauregard, T. A. & Henry, L. C. (2009). Making the link between work-life balance practices and organizational performance. Human Resource Management Review, 19(1), S. 9 22. Feierabend, A. & Staffelbach, B. (in press). Crowding Out Reciprocity between Working Parents and Companies with Corporate Childcare. Human Resource Management. 10.1002/hrm.21689. Gerber, M., Wittekind, A., Grote, G. & Staffelbach, B. (2009). Exploring types of career orientation: A latent class analysis approach. Journal of Vocational Behavior, 75(3), S. 303-318. Glass, J. L. & Estes, S. B. (1997). The Family Responsive Workplace. Annual Review of Sociology, 23, S. 289 313. Grote, G. & Staffelbach, B. (Hrsg.) (2010). Schweizer HR- Barometer 2010. Arbeitsflexibilität und Familie. Zürich: NZZ Libro. Grote, G. & Staffelbach, B. (Hrsg.) (2014). Schweizer HR- Barometer 2014. Arbeitserleben und Job Crafting. Zürich: Universität Zürich und ETH Zürich. Wrzesniewski, A. & Dutton, J. E. (2001). Crafting a job: Revisioning employees as active crafters of their work. Academy of Management Review, 26(2), S. 179-201. Aktuell Nächstes Jahr erscheint der Schweizer HR-Barometer 2016 zum Thema Loyalität und Zynismus. Der Bericht wird nächstes Jahr auf www.hr-barometer. uzh.ch / www.hr-barometer.ethz.ch zum Download gratis bereitstehen. Tipp WEKA Business Media hat einen neuen Print-Newsletter zum Thema Arbeitsrecht lanciert, in dem monatlich aktuelle Gerichtsentscheide und interessante Praxisfälle kommentiert werden. Bei Interesse finden Sie unter www.weka.ch weitere Informationen. Der 18-monatige Executive MBA der Universität Zürich bietet höheren Führungskräften eine interdisziplinäre General Management Weiterbildung mit Modulen sowohl in Zürich als auch im Ausland, beispielsweise an der Yale Universität (USA). Für den Lehrgang mit Beginn im August 2016 nehmen wir gerne Bewerbungen entgegen (www.emba.uzh.ch, info@emba.uzh.ch). Impressum Der Newsletter des Schweizer Human-Relations-Barometers erscheint seit 2013 halbjährlich. Er bietet, basierend auf den HR-Barometer-Daten, Informationen zu aktuellen Forschungsprojekten. Sie können den Newsletter gratis abonnieren oder von der Website www.hr-barometer.uzh.ch / www.hr-barometer. ethz.ch herunterladen. Autoren: Julia Humm, Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie, ETH Zürich; Anja Feierabend, Lehrstuhl Human Resource Management, Universität Zürich; Manuela Morf, Lehrstuhl Human Resource Management, Universität Zürich; Bruno Staffelbach, Lehrstuhl Human Resource Management, Universität Zürich; Redaktion: Anja Feierabend, Lehrstuhl Human Resource Management, Universität Zürich Grafik und Layout: Sara Ribeiro Originaltext: Deutsch Lektorat: Corinne Hügli Der Schweizer Nationalfonds verlängert die Infrastruktur-Finanzierung des Schweizer HR-Barometers bis ins Jahr 2016. Schweizer HR-Barometer Newsletter Herbst 2015 Seite 7