Gewalterfahrungen und Trauma bei Flüchtlingen

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Transkript:

Gewalterfahrungen und Trauma bei Flüchtlingen Dr. med. Barbara Wolff Gewalterfahrung und Trauma Durch die Erlebnisse im Heimatland und auf der Flucht leidet eine hohe Zahl von Flüchtlingen unter Traumafolgestörungen. Die genau Zahl ist nicht bekannt. In einer vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Auftrag gegebenen Untersuchung 2006 wurde eine Quote von 40% gefunden. Eine neuere Studie (2012) sieht einen Anteil von 33,2 % PTBS bei neu aufgenommenen Flüchtlingen. Erfahrungsgemäß kann der Anteil höher liegen, je nach Herkunftsland und Fluchtweg. Laut Leitlinie der Fachgesellschaft für Pychotraumatologie liegt der Anteil bei Kriegs-, Vertreibungs- und Folteropfern bei 50%. Nicht erfasst sind dabei die weiteren Traumafolgestörungen, die auftreten können wie Depression, Angsterkrankungen, Sucht etc. 2

TRAUMA Typ I plötzlich, unvorhersehbar, unbeabsichtigt (z. B. schwerer Unfall / Naturkatastrophen) 3 Typ II TRAUMA man-made-desaster Gewalterfahrung durch andere Menschen (z. B. Geiselhaft, Folter ) Kumulative / sequentielle Traumatisierungen 4

Einfluss auf die Ausprägung der psychischen Traumatisierung welcher Art das Trauma ist in welchem Kontext die traumatische Situation erlebt wurde ob eine kumulative Traumatisierung vorliegt die verschiedenen Sequenzen der Traumatisierung 5 Symptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung Hauptsymptome Beharrliches Wiedererleben des Ereignisses in Form von wiederkehrenden und eindringlichen belastenden Erinnerungen (Bildern, Gedanken, Wahrnehmungen) wiederkehrenden belastenden Träumen Handeln oder Fühlen, als ob das Ereignis gegenwärtig stattfinde ( Flashbacks )

Symptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung Anhaltendes Vermeidungsverhalten bzgl. traumaassoziierter Reize oder Abflachung der allgemeinen Reagibilität Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen in Bezug auf das Trauma Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen wachrufen Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern Deutlich vermindertes Interesse oder Teilnahme an wichtigen Aktivitäten Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen Eingeschränkte Bandbreite der Gefühle Gefühl einer eingeschränkten Perspektive ( leere Zukunft ) Symptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung Anhaltende Symptome erhöhter Erregung Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen Reizbarkeit oder Wutausbrüche Konzentrationsschwierigkeiten Hypervigilanz (extreme Wachsamkeit) Übertriebene Schreckreaktionen

Krisen bei Personen mit PTBS Spätere Stresssituationen können bei Personen mit PTBS häufig verschiedene Symptome und Reaktionen auslösen: Intrusionen Aggressive Durchbrüche Dissoziative Reaktionen (der traumatisierte Mensch verliert den Realitätsbezug und wähnt sich in der traumatisierenden Situation) Bestimmte Auslöser (Trigger) können unkontrollierbare Erinnerungsbilder, verbunden mit Angst und Erregung bis hin zu Dissoziationen hervorrufen. Das Vorhandensein solcher Auslöser kann eine Stressreaktion hervorrufen. Complex Posttraumatic Stress Disorder nach Judith L. Herman (1992) Die Symptomatik ist komplexer und hartnäckiger als bei einer einfachen posttraumatischen Belastungsstörung (nach singulärem Ereignis). Störungen der Affektregulation mit überdauernden depressiven Symptomen, Unfähigkeit, Wut und Ärger zu modulieren, so dass es entweder zu Blockierungen oder explosiven Ausbrüchen kommt Störungen in der Modulation sexuellen Verhaltens oder Verlust von Sexualität. 10

Complex Posttraumatic Stress Disorder nach Judith L. Herman (1992) Dissoziative Störungen in Form von Erinnerungsverlusten sowie auch Abspaltung von Gefühlen, Erleben, Selbstentfremdung (Depersonalisation). Die Betroffenen entwickeln typische Persönlichkeitsveränderungen, die sich in anhaltenden Kontaktstörungen zu Mitmenschen und Störungen der Selbstidentität mit chronischen Schuldgefühlen oder Selbstvorwürfen oder Gefühlen, fortgesetzt geschädigt zu werden, äußern. Die Fähigkeit, Mitmenschen zu vertrauen und Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten, ist tiefgreifend gestört. Die Betroffenen entwickeln eine Tendenz dazu, sich selbst oder andere zu Opfern zu machen (Viktimisierung/Selbstviktimisierung) 11 Weitere psychische Folgen schwerer Traumatisierung Wiederkehrende suizidale Krisen»Dauertrauer«(Volkan) Schuldgefühle, Überlebensschuld (Niederland) Labiles Selbstwertgefühl / hohe Kränkbarkeit Vegetative Symptome, somatoforme Störungen Somatische Beschwerden und Erkrankungen Unfähigkeit, sich zu freuen Sozialer Rückzug Parentifizierung der Kinder / Auswirkung der Traumatisierung der Eltern auf die Kinder Suchtverhalten 12

Theoretische und praktische Ansätze zur Bewältigung von krisenhaften Situationen Situation durchschaubar gestalten klare Information und Aufklärung eigene Schritte erklären Bedürfnis nach Sicherheit akzeptieren wenn es geht: Realitätsbezug herstellen Wichtig: Rückzug und Kommunikationsverweigerung akzeptieren! Wünsche respektieren! Kulturelle Barrieren Wissen und gute Kenntnis über die Herkunftsländer erhöhen das Verständnis, erleichtern die Beziehungsaufnahme, überwinden Trennendes Können auch die Illusion schaffen, das solches Wissen entscheidend wäre für eine gelungene Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturkreisen Konstruktiv für ein interkulturelles Verstehen kann dagegen das Zulassen von Unsicherheit und Irritation sein respektvolles Interesse 14

Welche Hilfen und Unterstützung braucht ein Mensch, der Opfer von Folter und schweren Menschenrechtsverletzungen und Gewalt geworden ist? Sicherheit und Schutz vor erneuter Traumatisierung Angemessene Lebensbedingungen Nähe vertrauter Personen, Familienzusammenführung Zukunftsperspektiven Teilhabe an der Aufnahmegesellschaft Psychosoziale Unterstützung und Therapie Solidarität Benennung des Unrechts 15 Auswirkungen auf die Helferinnen und Helfer Was bedeutet der Kontakt mit Menschen, die solche schweren Gewalterfahrungen gemacht haben und vielleicht daran erkrankt sind, für mich? Wie geht es mir dabei, wenn sie von ihrem Schicksal erzählen? Schuldgefühle, Wut, Hilflosigkeit Ich muss was tun 16

Auswirkungen auf die Helferinnen und Helfer Menschen, die sich intensiv mit traumatisierten Flüchtlingen beschäftigen, können selbst Störungsbilder entwickeln, die denen der Flüchtlinge ähneln, allerdings in abgeschwächter Form Es ist wichtig auf sich selbst zu achten und die Zeichen zu erkennen Wenn unsere eigene Stabilität ins Wanken gerät Wir bis zum drohenden Burn-Out erschöpft sind 17 Auswirkungen auf die Helferinnen und Helfer Gefährdet sind hochmotivierte Menschen, die etwas verändern wollen und dabei unrealistisch hohe Anforderungen an sich und/oder die Umwelt stellen, Oftmals resultierend aus der Situation, die man verändern will ( da muss man doch was tun ) 18

Anzeichen, dass ein Kontakt entgleist Überidentifikation Retterrolle Überaktivismus, weil das Leid nicht auszuhalten ist Abhängigkeitsverhältnisse Vermeidung ich kann nicht mehr mitfühlen ich werde misstrauisch, wie ich es sonst nicht war halte alles für erfunden 19 Warnhinweise Ich träume öfter davon Ich entwickele ein katastrophisches Lebensgefühl Ich habe Schuldgefühle Ich ziehe mich zurück, tausche mich nicht mehr mit anderen aus Ich vernachlässige Aktivitäten, die mir Kraft geben Ich werde unduldsam gegenüber Personen, die mir nahestehen 20

Wie kann ich vorbeugen? Kontakt und Austausch mit anderen, die in dem gleichen Gebiet arbeiten Ggf. Supervision (für Professionelle unbedingt) Meine eigene Motivation klären Meine Grenzen erkennen und einhalten Ausreichend Platz und Raum lassen für alles, was mir sonst wichtig ist Kontakte mit Familie und Freunden, Freizeitaktivitäten, Sport usw. Rückmeldungen von denen, die mir nahestehen, ernstnehmen 21 22