Die Kunst des Fragens

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Die Kunst des Fragens Anne Brunner ISBN 3-446-40554-2 Leseprobe Weitere Informationen oder Bestellungen unter http://www.hanser.de/3-446-40554-2 sowie im Buchhandel

9 1 Einleitung So kam es, dass Momo sehr viel Besuch hatte. Man sah fast immer jemand bei ihr sitzen, der angelegentlich mit ihr redete. Und wer sie brauchte und nicht kommen konnte, schickte nach ihr, um sie zu holen. Und wer noch nicht gemerkt hatte, dass er sie brauchte, zu dem sagten die andern: Geh doch zu Momo! Dieser Satz wurde nach und nach zu einer feststehenden Redensart bei den Leuten der näheren Umgebung. So, wie man sagt: Alles Gute! oder Gesegnete Mahlzeit! oder Weiß der liebe Himmel!, genauso sagte man also bei allen möglichen Gelegenheiten: Geh doch zu Momo! Aber warum?... Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so, wie Momo sich auf Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal

10 1 Einleitung Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose und unentschlossene Leute auf einmal genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der eben schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genau so, wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören! Michael Ende Achten Sie einmal auf ein typisches Gespräch zwischen zwei Menschen: Wie oft redet jeder bloß von sich selbst? Wie oft wird dem anderen wirklich zugehört? Und wie häufig wird mit echtem Interesse nachgefragt? Zuhören ist eine hohe Kunst. Dazu gehört auch die Kunst des Fragens. Wer fragt, führt das ist ein geflügeltes Wort. Doch wo lernt man, Fragen bewusst und achtsam einzusetzen und nicht als Machtinstrument zu missbrauchen? Es gibt verschiedene Arten, zu fragen. Man kann dabei viele Fehler machen. Zu den schlimmsten Fehlern gehört es, wenn sich jemand ausgefragt fühlt. Der Befragte fühlt sich unter Druck, an der Wand oder bloßgestellt. Wie ein Gefangener sucht er nach

1 Einleitung 11 Auswegen, um den Handschellen der Fragen zu entkommen. Falls er dies nicht schafft, ist die Verärgerung danach umso größer. Auch wenn es dem Fragesteller nicht bewusst ist: Das Ausfragen ist tatsächlich ein Machtinstrument. Es baut Gitterstäbe auf und macht den Befragten unfrei, er fühlt sich wie ein Vogel im Käfig. Auf diese Weise wird die Chance des Fragens vertan, ja missbraucht. Es ist die Schattenseite, die Obszönität des Fragens (Bodenheimer). Auf der anderen Seite gibt es die einfühlsame Frage, die sich in den anderen hineindenkt und Anteil nimmt. Diese Form des Fragens spielt eine zentrale Rolle in der Psychotherapie, in der Lehre, in einem gut geführten Interview, im Gespräch mit dem Mitarbeiter, Nachbarn oder Partner. Diese Fragen halten das Gespräch in Gang der Fragende nimmt die Rolle des Zuhörenden ein und versetzt sich in die Perspektive des Sprechenden. Er bleibt in der Rolle des Zuhörers, statt immer wieder in die Rolle des Sprechers zu wechseln. Es gibt verschiedene Situationen, in denen gefragt wird, z. B. das Gespräch mit einem Bekannten auf der Straße, mit einem Unbekannten im Zug. Es gibt aber auch Berufe, in denen Fragen zum professionellen Handwerkszeug gehören, z. B. der Arzt bei der Anamnese, der Richter bei einem Verhör, der Vorgesetzte bei einem Einstellungsgespräch oder der Reporter beim Interview. Relevant sind Fragen auch im Zusammenhang mit Gruppen, z. B. Unterricht, Fortbildungen, Vorträge oder Moderation. Es gibt extreme Situationen, in denen auf professionelle Weise offensiv gefragt werden muss, z. B. bei einem Strafprozess, Unfallprotokoll oder bei einer mündlichen Prüfung. Was in üblichen Gesprächs-

12 1 Einleitung situationen als ungünstig oder zu vermeiden eingeordnet wird, kann in besonderen Fällen legitim und notwendig sein. Dieser Pocket Power-Band stellt die verschiedenen Formen der Fragen vor (wobei diese Auflistung nicht vollständig sein kann), und ordnet sie nach bestimmten Kriterien. Ein Teil handelt von Fragen, die man in üblichen Gesprächssituationen eher vermeiden sollte und warum. Es werden Fragen vorgestellt, die Sie in verschiedenen Situationen anwenden können: wenn Sie kreativ sein bzw. Kreativität fördern wollen, Meetings leiten, Teams begleiten oder Prob leme lösen möchten. Ein weiterer Teil behandelt Fragen, die sich eignen, wenn Sie eine lernende Gruppe vor sich haben. Nicht zu vergessen sind Fragen, die Sie an sich selbst richten können; hierzu gibt es eine Auswahl aus einigen beliebten Fragebögen. Wenn Sie danach bewusster fragen, auch einmal anders fragen oder sogar auf das Fragen verzichten, und insgesamt besser zuhören lernen, hat der Band sein Ziel erfüllt.

13 2 Fragesystematik ein Überblick Hin und wieder ist es sinnvoll, ein Fragezeichen hinter Dinge zu setzen, die wir schon lange für selbstverständlich nehmen. Bertrand Russell 2.1 Fragen als Werkzeuge WORUM GEHT ES UND WAS BRINGT ES? Fragen sind wertvolle Werkzeuge für ein Gespräch. Es gibt verschiedene Fragetypen, so, wie es unterschiedliche Werkzeuge gibt. Je mehr Werkzeuge in Ihrem Werkzeugkasten liegen, desto besser können Sie damit arbeiten. Wer nur einen Hammer hat, dem scheint alles, was er sieht, ein Nagel zu sein und entsprechend wird er handeln: einfach draufhauen. Für eine Schraube ist ein Hammer nicht sehr hilfreich. Für ein Blatt Papier auch nicht. Es lohnt sich also, seinen Werkzeugkasten mit verschiedenen Werkzeugen auszustatten, z. B. mit einem Schraubenzieher, einer Zange, einem Stift oder einer Schere. Damit werden Sie der Wirklichkeit besser gerecht. Sie können sich differenzierter verhalten und angemessener reagieren. Es gibt viele verschiedene Fragearten, da kann man schnell den Überblick verlieren. Als Orientierungshilfe gibt es einige Grundprinzipien, mit denen man Fragen charakterisieren kann.

14 2 Fragesystematik ein Überblick 2.2 Grundformen WORUM GEHT ES? Ein wichtiges Kriterium, um eine Frage einzuordnen, ist der Freiheitsgrad im Hinblick auf die Antwort. Es geht darum, wie sehr die Möglichkeit, zu antworten, offen gelassen bzw. eingeengt wird. Die Grundformen der Fragen unterscheiden sich im Hinblick auf zwei Dimensionen: Freiheitsgrad des Antwortenden, Informationsgehalt bzw. Neuigkeitswert der Antwort (Bild 1). offen Informationsgehalt der Antwort geschlossen Spielraum, Freiheitsgrad des Antwortenden Bild 1: Fragen lassen sich nach dem Informationsgehalt der Antwort und dem Freiheitsgrad des Antwortenden unterteilen

2.2 Grundformen 15 Die Grenzen des Spektrums sind oft fließend, dennoch kann man grundsätzlich zwei Grenzsteine am äußeren Ende aufstellen. Dort sind folgende Fragetypen positioniert: offene Frage, geschlossene Frage. Diese Grundformen schauen wir uns etwas genauer an. Offene Frage WAS BRINGT ES? Diese Fragen lassen dem Befragten einen großen Spielraum für die Antwort. Der Befragte kann mehr oder weniger weit ausholen und umfassend antworten. Offene Fragen sind daran zu erkennen, dass das Fragewort mit einem W beginnt; sie werden daher auch W-Fragen genannt. Vorteile Die offene Frage eignet sich für die Eröffnung einer Gesprächseinheit. Sie ist wie eine einladende, offene Geste: Der Gesprächspartner wird ermutigt, sich auf die Frage einzulassen und sich als Person zu öffnen. Er kann sich frei und offen äußern, seinen Gedanken freien Lauf lassen. Die Antworten sind nicht vorgegeben, auf diese Weise kann ein Dialog in Gang kommen. Mit einer offenen Frage können Sie einen Eindruck von einer Person erhalten, sich ein Bild von einer Situation machen oder ein Problem abklären. Sie können die Sichtweise, Meinungen und Perspektiven

16 2 Fragesystematik ein Überblick Ihres Gegenübers erfahren. Oberflächliche Floskeln und Platituden werden eher vermieden, stattdessen wird eine inhaltliche Vertiefung gefördert. Sie erfahren Details, Hintergründe und Informationen, die Ihnen möglicherweise vorher unbekannt waren und für das Gespräch wichtig sind. Nicht zu vergessen: Sie vermitteln Ihrem Gesprächspartner den Eindruck, dass Sie ihn wertschätzen und gleichberechtigt behandeln. Offene Fragen Wie lief der Workshop? Wie ist Ihre Präsentation gelaufen? Wozu soll das Projekt dienen? Typische Fragewörter Wer, wie, wo, was, wann, weshalb, wozu. Nachteile Viele Menschen, insbesondere Führungskräfte, scheuen offene Fragen. Als Fragender geben Sie die Fäden mehr oder weniger aus der Hand. Dies kann den Eindruck von Inkompetenz oder Hilflosigkeit erwecken. Der Befragte kommt möglicherweise auf den Geschmack und beginnt, zu erzählen. Das nimmt Zeit in Anspruch. Vielleicht verläuft er sich dabei in Details und verliert den roten Faden. Möglicherweise verlieren Sie dabei mehr Kontrolle als erwartet, das Gegenüber übernimmt die Zügel. Im Extremfall nimmt das Gespräch einen völlig anderen, ungeplanten Verlauf.

2.2 Grundformen 17 Stellen Sie bewusst öfters offene Fragen. Wagen Sie, dass das Gespräch einen ungeplanten Verlauf nimmt. Vielleicht waren Sie vorher auf dem Holzweg: Ihr Informationsstand oder Ihre Hypothesen waren unzureichend. Die Kurskorrektur wird also der Realität gerechter. Wagen Sie es, ein Stück Kontrolle abzugeben. Sie fördern damit die Kompetenz Ihres Gegenübers, z. B.: auf eine Lösung selbst zu kommen, eine Entscheidung selbst zu treffen. Wagen Sie es, Ihrem Gegenüber mehr Raum und Zeit zu geben. Sie arbeiten damit an der Wertschätzung und an der Beziehung. Auch offene Fragen haben ihre Tücken. Gesprächspartner sind mehr oder weniger redselig. Offene Fragen sind ein Angebot Angebote können angenommen oder auch abgelehnt werden; dies liegt im Ermessen des Gesprächspartners. Hürde 1: Auch eine offene Frage kann einsilbig beantwortet werden Wird eine offene Frage einsilbig beantwortet, haben Sie es mit einem Gesprächspartner zu tun, der Ihr offenes Angebot nicht annimmt. Das kann verschiedene Gründe haben. Entweder er will nicht oder er kann nicht anders. Sie können dies akzeptieren oder Sie starten einen erneuten Versuch, indem Sie nachlegen und noch einmal offen nachfragen.

18 2 Fragesystematik ein Überblick Einsilbige Antworten auf offene Fragen Wie hat Ihnen die Präsentation gefallen? Antwort: Gut. * Wie war dein Urlaub? Antwort: Schön. Mehr Informationen durch Nachhaken Was hat Ihnen besonders gefallen? Welcher Teil war für Sie besonders interessant? * Wo warst du im Urlaub? Was hat dich gerade dorthin geführt? Hürde 2: Nicht jede Frage, die mit W beginnt, ist offen Aber Vorsicht: Nicht jede Frage, die mit einem W beginnt, ist automatisch eine offene Frage. Hier einige Beispiele: Wären Sie so nett...? Würdest du bitte...? Wirst du...? Wollen Sie...? Hürde 3: Seien Sie vorsichtig mit dem Fragewort warum Das Fragewort warum hat seine Tücken. Eine Frage nach dem Warum kann leicht wie ein Vorwurf klingen, im schlimmsten Fall sogar wie ein Verhör. Der Befragte fühlt sich unter Druck und beginnt, sich zu verteidigen oder zu rechtfertigen. Sie erinnern sich

2.2 Grundformen 19 an eigene Beispiele, als Sie selbst mit dem Warum konfrontiert wurden? Warum bist du gestern so spät gekommen? Warum bist du nicht früher fertig geworden? Warum hast du das gemacht? Und, wie fühlt sich das an? Wer so befragt wird, fühlt sich schnell ausgefragt und in die Defensive gedrängt. Ich habe keinen Parkplatz gefunden..., Ich wurde ständig unterbrochen..., Ich hatte so viel im Kopf... Meist ist das Gespräch danach abrupt beendet, oder es eskaliert zu einem Streit. Al so: Vermeiden Sie Warum -Fragen, so gut Sie können. Vermeiden Sie Fragen nach dem Warum. Ihr Gesprächspartner fühlt sich leicht unter Druck gesetzt, ausgefragt oder zur Verteidigung gezwungen. Besser sind daher umschreibende Fragen: Wie kam es dazu?, Was führte dazu? oder Aus welchem Grund? Unproblematisch ist das Fragewort warum, wenn Sie etwas rein sachlich wissen möchten. Dies betrifft z. B. Themen aus Naturwissenschaft und Technik, wie naturwissenschaftliche Gesetze, Formeln oder objektive Fakten. Unproblematische Warum-Fragen Warum dauert die Reise mit dem Auto länger als mit dem Zug? Warum dreht sich der Mond um die Erde? Warum dehnt sich das Weltall aus?

20 2 Fragesystematik ein Überblick Geschlossene Frage WAS BRINGT ES? Geschlossene Fragen lassen nur kurze, einsilbige Antworten zu: Ja oder Nein. Dem Befragten bleibt nur die Wahl zwischen einer Zustimmung oder einer Verneinung. Hat es sich gelohnt, zum Vortrag zu gehen? Kommst du morgen zur Sitzung? Warst du schon in der Kantine? Eine weitere Spielart dieser Frage ist die Umwandlung eines Aussagesatzes in einen Fragesatz. Dafür wandert das Verb an den Anfang des Satzes; und am Ende steht nicht ein Punkt, sondern ein Frage zeichen. Aussagesatz: Es ist schon zehn Uhr. Fragesatz: Ist es schon zehn Uhr? Vorteile In manchen Situationen ist es sinnvoll, eine geschlossene Frage zu stellen. Sie können auf diese Weise eine Situation einkreisen, ein Problem fokussieren oder eine Information auf den Punkt bringen (siehe Kapitel 2.3 Der Fragetrichter). Sie erhalten kurze, prägnante Antworten, helfen, ein Problem zu analysieren und eine Entscheidung vorzubereiten. Von dort können Sie weitergehen und nach weiteren Einzelheiten fragen. Diese Frageform gilt daher als besonders effektiv. Der Fragende hat die Fäden in der Hand, er kommt schnell zu dem Ziel, das er sich gesetzt hat. In bestimmten professionellen Situationen werden sie routinemäßig eingesetzt, um schnell, präzise und standardisierte Informationen einzuholen.

2.2 Grundformen 21 Arzt (bei der körperlichen Untersuchung): Haben Sie hier Schmerzen? Patient: Nein. Arzt (bei einem Test): Und jetzt? Patient: Ja, das tut weh. Arzt (beim nächsten Test): Wird es jetzt besser? Patient: Ja, das tut weniger weh. Arzt: Seit wann haben Sie die Schmerzen? Patient: Seit einer Woche. Arzt: Sind sie morgens schlimmer als abends? Patient: Ja, morgens sind sie schlimmer. Nachteile Dieser Fragetyp gibt dem Befragten wenig Spielraum. Der Befragte fühlt sich schnell ausgefragt. Als Fragender müssen Sie ständig aktiv bleiben, um das Gespräch in Gang zu halten. Dabei erhalten Sie wenig neue Informationen oder erhellende Hintergründe. Sie kommen vielleicht schneller an das Ziel, doch es ist ein Ziel, das Sie sich als Fragender gesetzt haben. Vielleicht sind Sie damit ja auf dem Holzweg! Mit der geschlossenen Frage versucht man oft, eigene Annahmen, Vermutungen, Hypothesen zu bestätigen. Doch Vorsicht: Vielleicht stimmen die Annahmen ja gar nicht! Vielleicht hat man ein bestimmtes Bild vor Augen, und kann sich davon nicht lösen. Vielleicht nimmt man sich nicht die Zeit, das Problem von einer anderen Perspektive aus zu betrachten. Man ist blind bzw. taub für neue Aspekte. Führungskraft zu Mitarbeiterin: Sie waren gestern bei der Sitzung? Mitarbeiterin: Ja, ich... Führungskraft: Und, wurde der Antrag beschlossen?

22 2 Fragesystematik ein Überblick Mitarbeiterin: Ja, er... Führungskraft: Dann schicken Sie mir bitte die Kopie des Protokolls zu. Auf diese Weise entgehen Ihnen wichtige Informationen: Vielleicht war die Sitzung kontrovers, der Antrag wurde lebhaft diskutiert, wesentliche Punkte wurden revidiert, die Abstimmung ist äußerst knapp ausgefallen etc. Viele Führungskräfte benutzen überwiegend geschlossene Fragen. Sie vermitteln damit den Eindruck, als hätten sie alles im Griff, als wüssten sie bereits genau Bescheid und alles besser, als wäre das Thema zu unwichtig, um sich Zeit zu nehmen, als wäre das Gespräch mit dem Mitarbeiter zu unwichtig, um seine Meinung anzuhören, als hätten sie in Wirklichkeit kein Interesse für ihre Mitarbeiter als Person. So entsteht leicht ein negativer Kreislauf: Der Mitarbeiter glaubt immer weniger an seine eigenen Kompetenzen und überlässt die Probleme immer mehr seinem Chef. Der Chef fühlt sich umgekehrt immer mehr für alles allein verantwortlich und von seinen Mitarbeitern im Stich gelassen. Bei geschlossenen Fragen haben Sie bereits eine vorgefasste Meinung, Annahme, Hypothese im Kopf und suchen nur noch nach Bestätigung. Natürlich können Sie dafür gute Gründe haben: Sie sind sich ganz sicher, Sie haben gar keine Zweifel. Doch die Gefahr ist groß, dass Sie betriebsblind

2.2 Grundformen 23 sind oder einem Vorurteil aufsitzen. In dem Fall stehen Sie in einer Sackgasse, ohne es zu wissen, und vor allem: Sie kommen nicht mehr heraus. Sie könnten damit auf dem Holzweg sein und wichtige neue Informationen verpassen! Offene Frage: Die Antwort ist völlig offen, der Befragte kann frei formulieren und weit ausholen. Geschlossene Frage: Es bleibt nur die Antwort Ja oder Nein übrig. Öffnende und schließende Frage WORUM GEHT ES? Eine etwas differenziertere Kategorisierung unterscheidet zwei weitere Fragetypen: die öffnende und die schließende Frage (Bild 2). Öffnende Frage WAS BRINGT ES? Die öffnende Frage lässt etwas weniger Spielraum als die offene Frage, indem sie bereits eine Richtung vorgibt. Was hat Ihnen an dem Vortrag besonders gefallen? Was wissen Sie über das Thema XY? Was ist Ihnen bei dem Artikel aufgefallen?

24 2 Fragesystematik ein Überblick offen / ganz öffnend Informationsgehalt der Antwort öffnend / relativ öffnend relativ schließend geschlossen / ganz schließend Spielraum, Freiheitsgrad des Antwortenden Bild 2: Fragen lassen sich je nach Art der Fragestellung unterscheiden Schließende Frage WAS BRINGT ES? Die schließende Frage lässt etwas mehr Spielraum als die geschlossene Frage, indem sie über die Entscheidung zwischen Ja oder Nein hinausgeht. Wie sehr hat es sich gelohnt, zum Vortrag zu gehen? Wann haben Sie den Brief eingeworfen? Wie zufrieden sind Sie mit der Lieferung? In der Literatur wird zum Teil der Begriff offene Frage mit dem Begriff ganz öffnende Frage ersetzt bzw. geschlossene Frage mit ganz schließende Frage. Dies soll verdeutlichen, dass das Kontinuum fließend und nicht statisch ist (Bild 3).

2.2 Grundformen 25 geschlossen / ganz schließend (relativ) schließend (relativ) öffnend offen / ganz öffnend Frage Sind Sie gestern? Wann sind Sie gestern? Was halten Sie von XY? Wie haben Sie Ihre Kindheit erlebt? Antwort Ja / Nein Gestern. Ich finde, es hat den großen Vorteil Nun, soweit ich mich zurückerinnere, Spielraum, Freiheitsgrad des Antwortenden Bild 3: Je geschlossener eine Frage desto geringer ist der Spielraum des Antwortenden und umgekehrt Wandeln Sie folgende geschlossene Fragen in eine offene Frage um: 1. Bist du gestern Abend zu Hause geblieben? Offene Frage: 2. Brauchen Sie einen Beamer? Offene Frage: 3. Kommen Sie morgen Mittag in die Sitzung? Offene Frage: 4. Sind Sie damit einverstanden? Offene Frage: 5. Haben Sie noch Fragen? Offene Frage:

26 2 Fragesystematik ein Überblick Mögliche Lösungen (zu Seite 25): 1. Was hast du gestern Abend gemacht? 2. Welche Medien benötigen Sie für Ihre Präsentation? 3. Was haben Sie morgen Mittag vor? 4. Was halten Sie davon? 5. Welche Fragen haben Sie dazu? 2.3 Zielführend: Der Fragetrichter Screening und Focussing WORUM GEHT ES UND WAS BRINGT ES? Verfolgen Sie mit einem Gespräch ein bestimmtes Ziel, empfiehlt sich ein Vorgehen nach dem Modell des Fragetrichters. Zu Beginn wird das Gespräch offen gehalten, viele Punkte werden angesprochen, der Trichter ist weit. Im Verlauf des Gesprächs erfolgt eine Konzentration auf das Wesentliche. Dementsprechend unterteilt dieses Modell ein Gespräch in zwei große Kategorien (Bild 4): Screening Focussing Bild 4: Das Modell des Fragetrichters