Klinische Ergebnisse nach arthroskopischer Stabilisierung anteriorer Schulterinstabilitäten. -Eine modifizierte intraartikuläre Ankertechnik-

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Transkript:

Aus dem Department Chirurgie Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.br. Klinische Ergebnisse nach arthroskopischer Stabilisierung anteriorer Schulterinstabilitäten -Eine modifizierte intraartikuläre Ankertechnik- INAUGURAL-DISSERTATION zur Erlangung des Medizinischen Doktorgrades der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. vorgelegt 2014 von Jennifer Pregler geboren in Emmendingen

Dekanin: Prof. Dr. Kerstin Krieglstein 1. Gutachter: Prof. Dr. Norbert Südkamp 2. Gutachter: PD Dr. Nestor Torio-Padron Jahr der Promotion: 2014

Meiner Familie

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Abkürzungen III! 1! Einleitung 1! 1.1! Einführung 1! 1.2! Die Schulter 2! 1.2.1! Statische Stabilisatoren 3! 1.2.2! Dynamische Stabilisatoren 7! 1.3! Die Schulterluxation 9! 1.3.1! Klassifikationen der Schulterinstabilität 9! 1.3.2! Pathogenese der Schulterluxation 11! 1.4! Die Therapie 13! 1.4.1! Überblick über gängige Operationsverfahren 15! 1.5! Fragestellung 17! 2! Material und Methoden 18! 2.1! Arthroskopische Schulterstabilisierung 18! 2.2! Patientenkollektiv 21! 2.2.1! Beruf und Sportniveau 22! 2.2.2! Verletzungsmuster 23! 2.2.3! Operationsdaten 23! 2.3! Nachuntersuchung 24! 2.3.1! Klinische Scores 24! 2.4! Statistische Datenauswertung 27! 3! Ergebnisse 28! 3.1! Der Score nach Constant und Murley 28! 3.1.1! Schmerz 29! 3.1.2! Alltagsaktivitäten 29! 3.1.3! Bewegungsumfang 29! 3.1.4! Kraft 30! 3.2! Score nach Rowe und Zarins 30! 3.2.1! Funktion 31! 3.2.2! Stabilität 31! 3.2.3! Motilität 31! 3.3! Vergleichende Ergebnisse 32! 3.3.1! Vergleich Männer zu Frauen 32! 3.3.2! Vergleich der Altersgruppen 33! 3.3.3! Vergleich der Berufsgruppen 35! Seite I

Inhaltsverzeichnis 3.3.4! Vergleich der Sportgruppen 37! 3.3.5! Vergleich Berufs- und/oder Sportgruppe 3 zu Patienten mit ausschließlich Belastungen der Gruppen 1 und 2 38! 3.3.6! Vergleich Einsatz PDS- Nähte 40! 3.3.7! Vergleich Einsatz intraoperativer Kapselraffung 42! 3.3.8! Vergleich der präoperativen Luxationshäufigkeit 43! 3.3.9! Vergleich traumatischer zu habitueller Erstluxation 45! 3.3.10!Vergleich von Primär- zu Revisionseingriffen 46! 3.3.11!Faktoren ohne deutliche Tendenz oder signifikante Unterschiede 47! 3.4! Postoperative Reluxationen 48! 4! Diskussion 50! 4.1! Postoperative Rezidivluxationen 50! 4.2! Klinische Scores 53! 4.3! Patientenalter 54! 4.4! Arbeits- und Sportfähigkeit 55! 4.5! Kapselraffung 57! 4.6! Ursache der Primärluxation 58! 4.7! Revisionseingriffe 59! 4.8! Präoperative Luxationshäufigkeit 60! 5! Zusammenfassung 62! Abbildungsverzeichnis I! 5.1! Abbildungen I! 5.2! Diagramme I! Tabellenverzeichnis Literaturverzeichnis Anhang Danksagung Lebenslauf Eidesstattliche Erklärung III! IV! XII! XXIV! XXV! XXVI! Seite II

Abkürzungen Bedeutung BWK Brustwirbelkörper bzw. beziehungsweise d.h. das heißt sog. sogenannt PAFS periartikuläres Fasersystem MGHL mediales glenohumerales Ligament IGHL inferiores glenohumerales Ligament SGHL superiores glenohumerales Ligament ca. circa Mio. Millionen z.b. zum Beispiel v.a. vor allem ALPSA Anterior labroligamentous periosteal sleev avulsion PLLA Poly L-lactide acide PLDLA Poly L/D-lactide M. Musculus CMS Constant-Murley Score Seite III

Seite IV

1 Einleitung 1 Einleitung 1.1 Einführung Als Schulterinstabilität bezeichnet man die Unfähigkeit, den Humeruskopf zentriert in der Fossa glenoidalis zu halten. Die Schulterluxation ist eine Variante und zugleich schwerste Ausprägungsform der Instabilität. Die Gelenkverletzung mit vollständiger und permanenter Diskontinuität der gelenkbildenden Knochenenden, also von Humerus und Glenoid, definiert die Luxation. Weitere Formen der Instabilität stellen die Hyperlaxität und die Subluxation des Gelenkes dar. Schon vor mehr als 2400 Jahren wurden diese Verletzungen von Hippokrates beschrieben. Er schrieb über die Anatomie der Schulter, über verschiedene Luxationstypen und erwähnte zum ersten mal in der Literatur eine Operationsmethode, nach der ein in die Achselhöhle gehaltenes, glühendes Brenneisen die Weichteile kauterisiert. So sollte ein Rezidivieren der Luxatio axillaris durch sich bildendes Narbengewebe verhindert werden. Das Repositionsmanöver nach Hippokrates findet bis heute Verwendung [50]. Bis heute sind weit über 150 Möglichkeiten bekannt die Schulterinstabilität operativ zu versorgen. Den Beginn der Neuzeit markierte Perthes 1906, in dem er die zugrunde liegende Ursache der Instabilität, nämlich die Läsion des Kapsel-Labrum-Komplexes, erkannte und eine Technik etablierte diese mit Bohrlöchern und Nähten zu fixieren [100]. Nur wenige Jahre nach Perthes forcierte Bankart die Rekonstruktion des Kapsel- Bandapparates und wurde damit zu einen der wichtigsten Größen in der Geschichte der Schulterchirurgie [6,7]. Die nach ihm benannte Bankart-Operation gilt bis heute weltweit als Goldstandart für die Therapie rezidivierender vorderer Schulterluxationen. Einen weiteren Fortschritt im Verständnis um die Pathologie der Schulterinstabilität gab es Mitte der 60er Jahre, als Rowe erstmals die atraumatische von der traumatischen Schulterluxation unterschied [109]. Bis dahin wurden alle Instabilitäten als gleich betrachtet und bis auf wenige Ausnahmen gleichermaßen behandelt. Auch Neer und Forster trugen mit differenzierten Betrachtungen zur weiteren Klassifizierung der Schulterinstabilität bei [96]. Die einzelnen Therapiestrategien unterlagen im Laufe der Zeit einiger Wandlung. So rät Neer 1990 noch als einer der Pioniere moderner Schulterchirurgie zu einer strikten konservativen Therapie traumatischer Erstluxationen. Er beschrieb eine Rezidivrate von 20% bei konsequenter Immobilisation [97]. Auch Hovelius sah aufgrund einer prospektiven 10-Jahres Seite 1

1 Einleitung Studie keine Notwendigkeit zur sofortigen operativen Behandlung [53]. Erst Matsen erkannte, dass die abwartende konservative Therapiestrategie für bestimmte Patientengruppen ein hohes Risiko der Reluxation birgt. Folglich empfiehlt er die primäre chirurgische Intervention bei Hochrisikopatienten. Er wies aber auch auf die sorgfältige Selektion und Aufklärung der Patienten hin, um den Therapieerfolg nicht zu gefährden [90]. Einen weiteren Meilenstein in der Schulterchirurgie bildete der Einsatz der Arthroskopie. Erstmals konnten wissenschaftlich gesicherte Daten darüber gewonnen werden, welche intraartikulären Läsionen zur Instabilität und letztlich zu Rezidivluxationen führen. Johnson führte 1982 die erste arthroskopische Stabilisierung durch. Er verwendete dazu Metallklammern, die den Kapsel-Band-Apparat an das Glenoid fixieren sollten [63]. Seit dem sind eine Vielzahl von arthroskopischen Stabilisierungstechniken veröffentlich worden. Die ersten waren transossäre Auszugsnähte, bei denen das ventrale Kapsellabrumgewebe mit Fäden gefasst wurde, die durch Bohrlöcher im Glenoid nach dorsal gezogen und dort verknotet wurden [94]. Es folgten Methoden wie intraartikuläre Dübel aus bioresorbierbaren Materialien und thermische Kapselschrumpfungsverfahren, das sogenannte Shrinking. Alle Techniken wurden aufgrund von zu hohen postoperativen Reluxationsraten oder schwerwiegenden Komplikationen weitgehend verlassen. Gute und reproduzierbare Ergebnisse waren erst mit dem Einsatz von Fadenankern möglich. Inzwischen können die Operateure aus einer Fülle an Verankerungsmöglichkeiten und Fäden aus unterschiedlichsten Materialien wählen. Aus diesem Grund und der sorgfältigen Vorselektion des Patientengutes konnten in jüngster Zeit die Rate an Rezidivluxationen nach arthroskopischer Stabilisierung wesentlich gesenkt werden. Sie liegt derzeit zwischen 5-10% und kann durchaus mit den bewährten offenen Stabilisierungsverfahren verglichen werden [61]. 1.2 Die Schulter Das Schultergelenk ist eines der komplexesten Gelenke des menschlichen Bewegungsapparates. Die obere Extremität ist durch einen großen Bewegungsumfang gekennzeichnet, der durch das exakte Zusammenspiel mehrerer anatomischer Strukturen ermöglicht wird. Im Gegensatz zu anderen Gelenken des menschlichen Körpers tragen die knöchernen Strukturen nur wenig zur Stabilisierung des Gelenks bei. Vielmehr ist es ein Komplex aus Labrum glenoidale, Gelenkkapsel, diversen Bändern und Muskeln, die für die nötige Stabilität sorgen. Seite 2

1 Einleitung Für das Verständnis der Pathogenese, Diagnostik und Therapie der Schulterluxation ist es unerlässlich sich eine Überblick über das Glenohumeralgelenk und bei der Luxation beteiligten Strukturen zu verschaffen. Im wesentlichen wird die funktionelle Anatomie des Glenohumeralgelenkes durch statische und dynamische Strukturen bestimmt, die im folgend erläutert werden sollen. 1.2.1 Statische Stabilisatoren Im Schultergelenk artikulieren das Caput humeri und die Cavitas glenoidalis in Form eines Kugelgelenkes mit drei Freiheitsgraden. Im transversalen Schnitt kommt eindrücklich zur Darstellung, dass die artikulierenden Flächen von Caput humeri und Cavitas glenoidale in einem Missverhältnis stehen. So beträgt die Größe der Gelenkpfanne lediglich 6-7 cm 2, wohingegen die Größe des Gelenkkopfes 20-24 cm 2 misst [47]. Die drei- bis viermal kleinere Gelenkfläche der Skapula wird durch eine am Pfannenrand ansetzende faserknorplige und ca. 5 mm breite Gelenklippe, dem Labrum glenoidale, vergrößert. Das Labrum bildet mit der Gelenkkapsel und den glenohumeralen Bändern den Kapsel-Labrum-Komplex, welcher zu den wichtigsten statischen Stabilisatoren zählt und die Funktion eines Korbes hat, der den Humeruskopf in sich aufnimmt [44].! Abbildung 1: Schnittanatomie eines rechten Schultergelenkes. a Vertikalschnitt in der Skapulaebene, b Transversalschnitt in Höhe der Spina scapulae. 1 Akromion, 2 Caput humeri, 3 Cavitas glenoidalis, 4 Labrum glenoidale, 5 M. supraspinatus, 6 M. infraspinatus, 7 M. subscapularis, 8 Tuberculum majus, 9 Tuberculum supraglenoidale, 10 Tuberculum infraglenoidale, 11 Caput longum M. biceps brachii, 12 Recessus axillaris [123]! Seite 3

1 Einleitung Das Labrum glenoidale stellt eine wichtige anatomische Struktur des Glenohumeralgelenkes dar. Das Labrum umfasst mit seinen ringförmig und teilweise auch radiär angeordneten Fasern die Cavitas glenoidale vollständig und bildet mit den oben genannten Strukturen das sog. periartikuläre Fasersystem (PAFS). Im radiären Schnitt wird es in drei Zonen unterteilt. Zone 1 Zone 2 Zone 3 Übergangszone zwischen Gelenkfläche und Labrum Zone mit zirkulär verlaufenden Fasern variable Zone mit meniskoider Falte Die feste Verankerung des Labrums in der glenoidalen Gelenkfläche wird durch scherengitterartig verlaufende Fasern gesichert. Diese inserieren sowohl in die Tangentialschicht des hyalinen Knorpels des Glenoids als auch in die peripher angrenzende Schicht der zirkulär verlaufenden Fasern [8]. Abbildung 2: Histologischer Aufbau des Labrum glenoidale im radiären Schnitt 1 Knochen, 2 Verkalkungszone, 3 Hyaliner Knorpel, 4 Übergangszone, 5 meniskoide Falte, 6 zirkuläre Kollagenfasern, 7 Sharpey-Fasern, 8 Kapsel/Ligament [8] Im Wesentlichen erfüllt das Labrum glenoidale hinsichtlich der Stabilität folgende funktionelle Aufgaben. Zum einen wird die knöcherne Gelenkfläche um 1/3 vergrößert und so die Kongruenz der beiden gelenkbildenden Partner verbessert [131]. Zum anderen dient es als Verankerungszone der Schultergelenkkapsel und deren glenohumeralen Bändern. Ebenso soll das Labrum für die Entstehung eines negativen intraartikulären Druckes beim Auftreten von Zugkräften verantwortlich sein und damit zur Stabilität beitragen. Habermeyer und Schuller beschrieben 1990 das Schultergelenk anhand eines physikalischen Kolbens, wobei dem Labrum die Funktion eines ventilartigen Verschlusses zukommt. In Narkose konnte nachgewiesen werden, dass stabile Schultern, d.h. Schultern mit intaktem Kapsel-Labrum- Seite 4

1 Einleitung Komplex, auf Zug mit Unterdruck reagierten. Instabile Gelenke zeigten dieses Phänomen nicht. Weiterhin wird diskutiert, ob Druckschwankungen innerhalb des Gelenkes über die Erregung intrakapsulärer Barorezeptoren im Sinne eines neuromuskulären Schutzreflexes der Stabilität des Gelenkes dienen [45]. Die Durchblutung des Labrum glenoidale wird durch Äste der Aa. suprascapularis, circumflexa scapulae und circumflexa humeri posterior gesichert. Dabei sei bemerkt, dass die superioren und anterosuperioren Anteile am wenigstens mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden [21]. In Diagnostik und Therapie von Schulterverletzungen ist es erforderlich sich mit der großen Bandbreite an anatomischen Normvarianten des Labrum glenoidale auseinander zu setzten, um eben diese von traumatisch bedingten Läsionen unterscheiden zu können. Schon makroskopisch ist leicht zu erkennen, dass sich das Labrum glenoidale nicht gleichförmig um die Cavitas glenoidale schließt. In posterioren und inferioren Anteilen erscheint es als fest mit der Gelenkfläche verbundene Struktur, ist jedoch anterior und superior wesentlich mobiler und enger mit dem Kapsel-Band-Apparat verbunden bzw. nicht eindeutig davon abgrenzbar. Das anteriore und superiore Labrum weist am häufigsten anatomische Normvarianten auf, welche bei bis zu 13,5% der Bevölkerung beobachtet werden können. Barthel et al. beschrieb 2003 drei Normvarianten des anterosuperioren Labrums, die sich hinsichtlich ihres histologischen Aufbaus unterscheiden. Typ 1 zeigte sich in 44,4% der Fälle. Es wurde ein normaler histologischer Aufbau mit kräftiger Übergangszone und stark ausgebildetem zirkulärem Faserzug beschrieben. Das mediale glenohumerale Ligament (MGHL) inseriert breitbasig am Skapulahals. Typ 2 Ein sublabrales Foramen bzw. ein sublabralen Recessus fand man in 47,2% der Fälle und definiert Typ 2. Die Übergangszone ist nicht vorhanden und die zirkulären Fasern sind nicht sicher abzugrenzen. Stattdessen findet sich ein Mischgewebe aus Chondrozyten, Fibrozyten, locker strukturierten Kollagenfasern und zahlreichen Blutgefäßen. Das MGHL inseriert strangförmig ( cord like ). Typ 3 ist mit 8% der seltenste der drei Typen und durch eine schmale bogenförmige Übergangszone, deren Fasern sich nicht kreuzen, und einen kräftigen zirkulären Faserzug charakterisiert [8]. Seite 5

1 Einleitung Abbildung 3: Histologische Typisierung des anterosuperioren Labrum: a Typ 1, b Typ 2, c Typ 3 (G Glenoid, H hyaliner Knorpel, Ü Pbergangszone, LIGHL Labrum/IGHL-Komplex, Z zirkuläre Faserbündel, K Kapsel/Ligament, R Recessus) [8] Die Gelenkkapsel des Glenohumeralgelenkes gehört ebenfalls zu den statischen Stabilisatoren und bildet zusammen mit den anderen Strukturen des PAFS eine funktionelle Einheit. Sie ist eine relativ schlaffe und geräumige bindegewebige Struktur, die am Labrum glenoidale bzw. dem äußersten Rand der Cavitas glenoidale entspringt und über den Collum anatonicum zum Collum chirurgicum greift [66]. Die Glenkkapsel besteht aus einer Synovial- und einer Faserschicht, die wiederum aus übereinanderliegenden sich kreuzenden und teilweise scherengitterartig angeordneten Faserbündeln gebildet wird [101]. Außerdem hat sie zwei Aussackungen. Den Recessus axillaris und die Sehnenscheide der Bizepssehne. Die Gelenkkapsel wird ventral durch glenohumerale Bänder verstärkt. Im wesentlichen sind die Ligamenta glenuhumeralia superius, medium und inferius zu nennen. Aber auch das Ligamentum coracohumerale zählt zu diesen Verstärkungszügen. Das MGHL zieht vom Tuberculum supraglenoidale zum Tuberculum minus und ist einer der wichtigsten Stabilisatoren bei Abduktion und Außenrotation [15]. Das inferiore glenohumerale Ligament (IGHL) besitzt zwei besonders stark ausgebildete Bänder. Ein anteriores (AB-IGHL) und ein posteriores (PB-IGHL). Diese stabilisieren den Humeruskopf ähnlich einer Hängematte. Zwischen 15 und 90 Abduktion ist es der superiore Anteil, ab 90 der inferiore Anteil, der einer Dislokation des Humeruskopfes entgegenwirkt. Seite 6

1 Einleitung Das superiore glenohumerale Ligament (SGHL) stabilisiert zusammen mit dem korakohumeralen Band die Schulter in Adduktion gegen eine inferiore Translation und bei Anteversion bzw. Abduktion gegen eine posteriore Instabilität [43]. Abbildung 4: Glenohumerale Bänder des Schultergelenkes [118] Alle obengenannten Faktoren tragen also in ihrem Zusammenspiel zur Stabilität eines Schultergelenkes bei. Jedoch hängt das Ausmaß des stabilisierenden Einflusses der einzelnen Strukturen von der Gelenkposition ab und ist keineswegs gleich groß. So ist der Beitrag des Labrum glenoidale zur Stabilität des Gelenkes vergleichsweise gering. Die Gelenkkapsel beispielesweise setzt einer Dezentrierung des Gelenkes einen 10-fach höheren Widerstand entgegen als das Labrum für sich alleine betrachtet. Andererseits wird die Kapsel innerhalb eines alltäglichen Bewegungsumfanges kaum unter Spannung gesetzt. So muss man davon ausgehen, dass die kapsuloligamentäre Sicherung erst in Anspruch genommen wird, wenn alle anderen Mechanismen versagt haben [85]. 1.2.2 Dynamische Stabilisatoren Um Bewegungen wie eine Zirkumduktion zu ermöglichen, müssen dynamische, d.h. regulierbare Gelenkstabilisatoren die statischen Mechanismen überwiegen. Zu diesen dynamischen Stabilisatoren gehören im wesentlich die Muskeln der Rotatorenmanschette. Sie stabilisieren das Schultergelenk im Sinne einer muskulären Kompressionskraft. Die Rotatorenmanschette setzt sich aus folgenden Muskeln zusammen. Seite 7

1 Einleitung M. teres minor Er fungiert als Außenrotator und greift bei der Retroflexion ein. M. infraspinatus Der sich mit dem M. supraspinatus kreuzende Muskel ist im Wesentlichen an der Außenrotation und Abduktion beteiligt. M. supraspinatus Er übernimmt die Starterfunktion in der Abduktion aus 0. M. subscapularis Er stellt den wichtigsten Innenrotator dar. Aber auch die Mm. deltoideus und biceps brachii wirken als Synergisten und Stabilisatoren an Schulterbewegungen mit [105]. In Verbindung mit der Formschlüssigkeit des Glenoids bzw. des Labrums erzeugen die Muskeln der Rotatorenmanschette direkte Kompressionskräfte im Glenohumeralgelenk. Nach Morrey entspricht die Kompressionskraft, die bei einer Abduktion von 90 ausgeübt wird, bereits der Hälfte des Körpergewichtes [59]. Um dezentrierende Scherkräfte, die z.b. durch eine Aktion des Deltamuskels auf den Humeruskopf wirken, zu neutralisieren, wirkt die Rotatorenmanschette auch als Depressor. Jede Verschiebung des Humeruskopfes in der Glenoidebene erhöht die Eigenspannung der Muskeln. So werden Translationskräfte erzeugt, die den Humeruskopf wieder zentrieren. Ebenso erhöhen die Muskeln der Rotatorenmanschette die Vorspannung der Gelenkkapsel. Dies ist nur durch die starke Verflechtung der muskulären Anteile mit dem Kapsel-Ligament- Komplex möglich [36]. Durch selektive Nervenblockade einzelner Muskelgruppen bei Patienten mit rezidivierenden vorderen Schulterluxationen konnte gezeigt werden, dass das gleichzeitige Ausschalten des M. infraspinatus und des M. subscapularis signifikant destabilisierend wirkt. Die alleinige Blockade des N. suprascapularis und damit des M. supra- und infraspinatus bedingte nur bei wenigen Probanden eine wesentliche Instabilität [55]. Die Auswirkungen einer Störung der muskulären Balance zeigen sich bei Lähmungen und neurogenen Erkrankungen. Nach einer Hemiparese bei Schlaganfall können bei 2/3 der Betroffenen Schulterbeschwerden infolge dauernder oder zeitweiliger Subluxationen erhoben werden [16]. Die oben beschriebenen statischen und dynamischen Faktoren bilden ein empfindliches System, in dem Stabilität und Mobilität im Gleichgewicht stehen. Nur durch diesen Sachverhalt erlangt unsere Hand den große Bewegungsumfang den wir zum Begreifen unserer Welt benötigen. Seite 8

1 Einleitung 1.3 Die Schulterluxation Laut einer schwedischen Studie liegt die Gesamtinzidenz der Schulterluxationen bei Personen zwischen 18-70 Jahren bei 1,7%. Das männliche Geschlecht ist dabei 3-mal so häufig betroffen wie das weibliche [54]. Jedoch sinkt die Inzidenz mit dem Alter. Rowe legt die Inzidenzrate für traumatische Schulterluxationen in der fünften Lebensdekade bei 24%, in der sechsten bei 14% und in der siebten bei 16% fest [108]. Auch Robinson erkannte, dass das Risiko eine Luxation bzw. Rezidivluxation des Glenohumerlgelenkes zu erleiden alters- und geschlechtsabhängig ist. Er untersuchte ein Patientenkollektiv von 252 Patienten im Alter von 15 bis 35 Jahren, die nach traumatischer vorderer Schulterluxation konservativ mittels Immobilisation und anschließenden physikalischen Übungen therapiert wurden. Innerhalb der ersten beiden Jahre erlitten 55,7% eine Rezidivluxation, nach drei weiteren Jahren lag die Rate bei 66,8%. In der Gruppe der männlichen Patienten lag die Rezidivrate sogar bei 86,7% nach zwei Jahren [106]. Nimmt man eine dänische Studie als Grundlage zur Berechnung für Deutschland, so muss man davon ausgehen, dass sich bei ca. 80 Mio. Einwohnern jährlich 13.600 Schulterluxationen ereignen [77]. Kroner et al. beschrieben in dieser Studie ebenfalls einen Zusammenhang des Alters bzw. des Geschlechts und der Inzidenz der traumatischen Schulterluxation. Sie erkannten zwei Häufigkeitsgipfel in der Verteilung. Zum einen unter jungen Männern zwischen 21 und 30 Jahren, zum anderen unter älteren Frauen zwischen 61 und 80 Jahren. Frauen scheinen dabei häufiger als das männliche Geschlecht im häuslichen Umfeld eine Schulterluxation zu erleiden [77]. Mit 50% aller Gelenkluxationen ist die Schulter das am häufigsten betroffene Gelenk des menschlichen Körpers. Ein drittel aller Schulterverletzungen stellt die Schulterluxation dar. In 95% der Fälle sind es traumatisch bedingte, unidirektionale nach anteroinferior gerichtete Luxationen [3]. 1.3.1 Klassifikationen der Schulterinstabilität Unter dem Begriff Schulterinstabilität werden wie Eingangs erwähnt mehrere Schweregrade zusammengefasst. Schulterinstabilität Schulterluxation ist definiert als Unfähigkeit den Humeruskopf im Glenoid zu zentrieren. Bei der Schulterluxation kommt es zum kompletten und permanenten Verlust des Kontaktes zwischen den gelenkbildenden Knochenenden. Dieser ist permanent, sodass es einer Reposition bedarf. Seite 9

1 Einleitung Subluxation Laxität Hyperlaxität beschreibt eine vermehrte Translation des Humeruskopfes in der Glenoidebene, jedoch ohne kompletten Kontaktverlust. Die Subluxation reponiert sich spontan. benötigt jedes Gelenk, um den physiologischen Bewegungsumfang ausführen zu können. Geht die Laxität über das physiologische Maß hinaus und können klinische Symptome hervorgerufen werden, spricht man von einer Hyperlaxität. Dies stellt einen pathologischen Zustand des Gelenkes dar. Bezüglich der Genese kann man die primär traumatischen Luxationen, d.h. ausgelöst durch ein adäquates Trauma, von der habituell-atraumatischen unterscheiden. Diese Luxation ereignet sich ohne auslösendes Ereignis [46]. Weiterhin kann man die Instabilitäten hinsichtlich ihrer Luxationsrichtung einteilen. Es gibt die unidirektionale und die bi-/multidirektionale Instabilität. Ist ein Gelenk in mehr als zwei Richtungen instabil, spricht man von einer multidirektionalen Instabilität, wie es häufig bei habituellen Luxationen der Fall ist [46]. Die genaue Klassifizierung der Schulterluxation bzw. Schulterinstabilität spielt nicht nur hinsichtlich der Diagnostik, des Therapieregimes und der Nachbehandlung eine wichtige Rolle, sondern gibt uns auch Aufschluss über die begleitende Pathoanatomie und Pathobiomechanik. Im Laufe der Zeit wurden von einigen Autoren verschiedenste Klassifikationen publiziert, die alle auf Ursache, Richtung und Art der Luxation basieren. Matsen teilt alle Patienten in zwei Gruppen. Grundsätzlich wird zwischen traumatischer und atraumatischer Schulterinstabilität unterschieden [90]. Die erste Gruppe kann unter dem Akronym TUBS zusammengefasst werden. Die Instabilität beruht auf einem adäquaten traumatischen Ereignis, welches zu einer unidirektionalen Instabilität, meist in anteriorer Richtung, führt. Diese Instabilität ist mit einer Bankart-Läsion vergesellschaftet und wird sofern es zum Rezidivieren der Luxation kommt, also im chronischen Fall, chirurgisch ( surgical ) behandelt. AMBRII umschreibt die zweite Gruppe. Patienten dieser Gruppe leiden an einer atraumatischen Schulterinstabilität, die meist einen multidirektionalen Charakter hat und bilateral ist. Die Behandlung erfolgt hauptsächlich durch Rehabilitation. Ist doch eine chirurgische Intervention notwenig, basiert diese auf dem Verschluss des RotatorenIntervalles und einem inferioren Kapselshift. Nachteil der Einteilung nach Matsen ist die Tatsache, dass Mischformen aus echtem Trauma und habitueller Instabilität nicht Seite 10

1 Einleitung berücksichtigt werden können [44]. Jedoch ist diese Einteilung für diese Arbeit und den klinisch Alltag die gebräuchlichste. Es existieren weitere Klassifikationen der Schulterinstabilitäten. Gerber z.b. unterscheidet zwischen Instabilität und Hyperlaxität sowie zwischen unidirektionaler und multidirektionaler Instabilität. So teilt er alle Patienten in sechs Gruppen ein und gibt ähnlich der Klassifikation von Matsen Therapieempfehlungen für einzelnen Gruppen [35]. Typ I II III IV V VI Ausprägung chronisch verhakte Luxation unidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxität unidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität multidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxität multidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität willkürliche Instabilität Tabelle 1: Einteilung der Schulterinstabilität nach Gerber [35] 1.3.2 Pathogenese der Schulterluxation Beim typischen Verletzungsmechanismus einer vorderen Schulterluxation kommt es durch gewaltsame Einwirkung auf den abduzierten und außenrotierten Arm zur Anspannung bzw. zum Riss des vorderen Kapsel-Labrum-Komplexes, insbesondere des IGHL [42]. Bei der klassischen Bankart bzw. Perthes-Läsion reißen Kapsel und Labrum gemeinsam vom anteroinferioren Glenoid ab. Die Kavität wird durch den Verlust des Labrums wesentlich verringert. Ferner verlieren das untere und mittlere glenohumerale Band ihren Uhrsprung und eine vordere Instabilität des Schultergelenkes resultiert [61]. In der Literatur schwanken die Angaben der Häufigkeit dieser Verletzung zwischen 60% und 100%. Seite 11

1 Einleitung Abbildung 5: a intakter Kapsel-Labrum-Komplex, b Bankart-Läsion [119] Abbildung 6: arthroskopische Darstellung einer Bankart-Läsion [130] Bei der Perthes-Läsion kommt es zusätzlich zum subperiostalen Ausriss des anterioren inferioren glenohumeralen Ligaments vom Skapulahals. Bei Spontanheilung besteht das Risiko einer falschen Einheilung des Labrums. Häufig wird eine Medialisierung des gerissenen Kapsel-Labrum-Komplexes beobachtet. In diesem Fall spricht man von einer sogenannten ALPSA-Läsion (anterior labroligamentous periosteal sleev avulsion) [129]. Bevor es aber zum Abriss des Labrums kommt, werden Kapsel und glenohumerale Bänder gedehnt und damit deren plastische Deformation bedingt. Das Ausmaß des zusätzlichen Schadens wird durch die Weite und Qualität der Kapsel quantifiziert. Nach Habermeyer et al. nimmt der Labrum- und Kapselschaden mit jeder weiteren Rezidivluxation zu, wobei eine Anzahl von 3 Rezidivluxationen eine Art von point of no return zwischen reversiblen und irreversiblen Schäden v.a. des IGHL zu sein scheint [41]. Eine weiterführende Einteilung der Verletzungsfolgen insbesondere des anterioren und des anterosuperioren Kapsel-Labrum-Komplexes kann der Aufstellung von Habermeyer et al. im Jahre 2004 entnommen werden [44]. Nicht selten kommt es bei traumatischen Schulterluxationen zu knöchernen Verletzungen, die ebenfalls die Stabilität des Gelenks beeinträchtigen. Sie können bis zu 41% bei primären und sogar bis 90% bei rezidivierenden Schulterluxationen betragen [40]. Zum einen kann es zu einer knöchernen Bankart-Läsion kommen, bei der das Labrum mit einem Knochenfragment absprengt wird. Diese Pathologie darf nicht mit der Bankart-Fraktur verwechselt werden, bei der bis zu einem drittel des Glenoids abgelöst sein kann. Zum anderen gibt es die knöchernen Verletzungen des Humeruskopfes. Hier ist die Hill-Sachs-Läsion zu nennen, die einer Impressionsfraktur des Humeruskopfes entspricht und bei 70% bis 100% der Fälle im Rahmen Seite 12

1 Einleitung von traumatischen Schulterluxationen zu beobachten ist. Sie entsteht bei einer vorderen Schulterluxation, indem das vordere Glenoid mit dem posterosuperioren Humeruskopf kollidiert. Von Malgaigne 1856 beschrieben und von Calandra in drei Grade eingeteilt [17], hängt die Größe des Defektes von dem Grad der Hyperlaxität der Gelenkkapsel ab. So besteht die Gefahr, dass bei großem Hill-Sachs-Defekt und erheblicher Kapselinsuffizienz der Humeruskopf am vorderen Glenoidrand einhakt und eine Schulterluxation hervorruft [61]. Kraniale Anteile der Rotatorenmanschette können bei traumatischen vorderen Erstluxationen einreißen und verlieren damit ihre dynamisch stabilisierende Funktion. Verletzungen der Rotatorenmanschette werden häufiger bei älteren Patienten beobachtet. McLaughlin und MacLellan sahen dabei eine Altersgrenze von 40 Jahren. Erleidet ein Patient im Alter von über 40 Jahren eine traumatische Schulterluxation, tritt eine Verletzung der Rotatorenmanschette in bis zu 100% der Fälle auf [86]. Wie bei allen traumatischen Verletzungen des menschlichen Körpers können auch bei Schulterluxationen Nerven und Gefäße in Mitleidenschaft gezogen werden. Schädigung des N. axillaris sind mit einer Rate von 5-14% [127] relativ häufig, haben aber eine gute Prognose, wenn eine sofortige Reposition des Gelenks vorgenommen wird. Gefäßschäden werden eher selten beobachtet, stellen aber ebenfalls eine sofortige Therapieindikation dar [61]. 1.4 Die Therapie Zu Beginn jeder Therapie steht die Entscheidung, ob eine konservative oder operative Therapie gewählt werden soll. Die Indikationsstellung zur konservativen Therapie, d.h. die 3- wöchige Ruhigstellung im Gilchrist bzw. Abduktionskissen, sollte wohl überlegt sein und hängt neben der Diagnose stark vom Alter, dem Funktionsanspruch und der Compliance des Patienten ab. Habermeyer et al. gaben 2004 einen Überblick, in welchen Fällen eine konservative Therapie, ihrer Meinung nach, nach traumatischer Erstluxation indiziert sei [44]. - Kinder (meist atraumatisch) - Jugendliche mit offenen Epiphysenfugen - Patienten im Alter von 18-30 Jahren, wenn eine oder mehrere der folgenden Faktoren vorliegt: o ohne Hill-Sach-Defekt o ohne knöcherne Bankart-Läsion Seite 13

1 Einleitung o ohne adäquates Trauma o ohne sportlichen Anspruch o mit begleitender Kapsellaxität o mit begleitender Axillarisschädigung - im Alter über 30 Jahren ohne knöcherne Bankartfraktur - im Alter über 40 Jahren ohne Rotatorenmanschettenruptur Die Literatur beschreibt Reluxationsraten bis über 80% nach konservativer Therapie [106]. Robinson et al. fanden in ihrer 252 Patienten einschließenden Studie eine Rezidivrate von 55,7% in den ersten beiden Jahren und 66,8% nach drei weiteren [106]. Auch die 2013 veröffentlichten Daten von Gigis et al. ergaben ein ähnliches Bild. 70,3% der konservativ behandelten Patienten litten nach 3 Jahren unter einer relevanten Instabilität [34]. Jakobsen beschrieb 2007 nach einem Follow-Up von 10 Jahren, dass 75% der Patienten über eine unbefriedigende Situation auf Grund von rezidivierenden Subluxationen, Schmerzen und relevanten Einschränkungen im alltäglichen Leben klagten [60]. Bei älteren Patienten finden sich bei traumatischen Erstluxationen neben der Ruptur der Kapsel typischerweise eine Ruptur der Rotatorenmanschette. Bei jungen Patienten ohne Hyperlaxität hingegen kommt es häufig zu einer Ablösung des Kapsel-Labrum-Komplexes, welcher geringe Einheilungstendenzen hat. So lassen sich die hohen Rezidivraten nach primär traumatischer, anteriorer Luxation im Alter unter 20 Jahren erklären. Diese liegen in der Literatur bei 64-94% [44]. Die absolute Operationsindikation besteht bei der verhakten, geschlossenen nicht reponierbaren Luxation sowie im Falle eines begleitenden Gefäßschadens. Außerdem bei der knöchernen Bankart-Läsion mit kritischem Gelenkflächendefekt, einer dislozierten Tuberculum-majus-Fraktur oder begleitender Ruptur der Sehne des M.subscapularis [44]. Außerhalb der Notfallindikation soll die Indikation zur Operation laut Habermeyer aufgrund folgender Punkte gestellt werden [44]. - adäquates Trauma ohne Selbstreposition - hoher Funktionsanspruch - mit Bankart-Läsion und Hill-Sach-Defekt - nach Ausschluss einer Hyperlaxität Seite 14

1 Einleitung - im Alter zwischen 16 und 30 Jahren - gute Compliance 1.4.1 Überblick über gängige Operationsverfahren In der Therapie der traumatischen Schulterluxationen konkurrieren offene mit arthroskopischen Stabilisierungsverfahren. Lange Zeit galten offene Operationsmethoden als Goldstandard in der Therapie. Mit zunehmender Erfahrung und Entwicklung der Instrumente auf dem Gebiet der Schulterarthroskopie lassen sich auch mit arthroskopischen Verfahren gute und reproduzierbare Ergebnisse erzielen. Des Weiteren überzeugen minimal-invasive Methoden durch geringere Morbidität, schnellere Rehabilitation und bessere kosmetische Ergebnisse [61]. Grundsätzlich lassen sich vier verschiedene offene Operationsverfahren unterscheiden [44]: - Refixation des kapsulolabralen Komplexes am Glenoidrand o Reinsertion des Labrums mittels transossärer Nähte (Op nach Bankart) o Raffung und Reinsertion der Kapsel mit Staplern (Op nach Du Toit und Roux) o Limbusverschraubung (nach M.E. Müller) o Fixierung der kapsuloligamentären Strukturen mit Ankern - Kapselraffungen o T-förmige Inzision und Dopplung der Kapsel (Kapselshift nach Neer) o Vertikale glenoidseitige Kapselinzision und Doppelung der Kapsel (Kapselshift nach Warren) o Horizontale Kapselinzision, Doppelung und Fixierung mit Fadenanker (Kapselshift nach Jobe) o Humeralseitge Ablösung der Gelenkkapsel, Vernähen mittels U-Nähten (Kapselshift nach Matsen) o Verkürzung und Doppelung der Supscapularissehne und der Kapsel (Op nach Putti-Platt) o Ventrale Raffung und Distalisierung der Subscapularissehne (Op nach Magnusson-Stack) o Raffung durch Umlenkung und Ventralisierung (Op nach Boicev) Seite 15

1 Einleitung - Drehosteotomien des proximalen Humerus o Rotation des Humerus nach außen (nach Weber) o Rotation des Humerus nach innen (nach Saha) - Kochenblockoperationen o Subperiostales Einschieben eines Knochenspans (Op nach Eden-Hybinette) o Extraartikuläre Spanplastik (Op nach Lange) o J-Span-Plastik nach Resch o Coracoidtransfer nach Bristow-Latarjet Die heutigen arthroskopischen Verfahren beinhalten die Refixation des Kapsel-Labrum- Komplexes. Dies kann mit einer Kapselshift-Operation kombiniert werden. Im Prinzip folgen sie einer modifizierten Bankart-Operation. Die Variationen ergeben sich aus den verschiedenen Verankerungstechniken und dem Ausmaß des begleitenden Kapselshifts. Um den Erfolg der arthroskopischen Operation zu gewährleisten, empfiehlt Habermeyer sich an folgende Grundsätze zu halten [44]: - ausreichende Mobilisierung des zu refixierenden Gewebes - Anfrischen des knöchernen Pfannenrandes - Refixation des Kapsel-Labrum-Komplexes mittels Naht, Anker oder Staples - Beheben eventueller Begleitverletzungen Es werden transglenoidale Naht-Techniken von nicht-transglenoidalen intraartikulären Techniken unterschieden. Transglenoidalen Techniken: Nach Durchstechen des Kapsel-Labrum-Komplexes mit nicht-resorbierbarem Material werden die Fäden durch einen transglenoidalen Knochenkanal ausgeleitet und dort verknotet. - Operation nach Caspari - Dreipunkt-Limbusnaht nach Morgan Nicht-transglenoidale intraartikuläre Techniken: Refixation des Kapsel-Labrum-Komplexes mittels bioresorbierbaren Anker und Fibrewire, die intrartikulär geknotet werden. Seite 16

1 Einleitung - Metallstaples - Staples aus Biomaterialien (z.b. Suretac) - Ankertechnik (z.b. Mitek) 1.5 Fragestellung In der hier vorliegenden Arbeit wird das klinische Outcome der Patienten beschrieben, die im Department für Orthopädie und Unfallchirurgie der Albert-Ludwig-Universität Freiburg mit der Diagnose anteriorer Schulterinstabilität operativ versorgt wurden. Das hier betrachtete operative Verfahren ist ein arthroskopische Stabilisierung im Sinne einer intraartikulären Ankertechnik. Da für den jeweiligen Erfolg einer operativen Therapie die korrekte Indikationsstellung und Patientenselektion von großer Bedeutung ist, wurde in dieser Arbeit der Frage nachgegangen, ob es Merkmale gibt, die das postoperative Ergebnis wesentlich beeinflussen können. Dazu werden Männer und Frauen, einzelne Altersgruppen, berufliche und sportliche Belastung der Schulter, während der Operation eingebrachtes Material, traumatische zu habituellen Luxationen sowie Primär- zu Revisionseingriffen verglichen. Das Hauptaugenmerk wird hierbei auf die postoperative Reluxationsrate sowie die Funktionalität der operativ versorgten Schulter in Alltag, Beruf und Sport gelegt. Dazu wurden im Wesentlichen klinische Scores zur Evaluation der Schulter zu Hilfe genommen. Sowohl der Constant-Murley Score als auch der modifizierte Score nach Rowe beinhalten objektive und subjektive Parameter, die ein gutes Bild des postoperativen Outcomes geben. Aber auch andere klinische Daten, wie die postoperative Reluxation, das Beruf- und Sportniveau und die Patientenzufriedenheit wurden erhoben. Im Anschluss müssen sich die erhobenen Daten im Literaturvergleich anderen operativen Techniken stellen. Insbesondere werden sie den veröffentlichen Daten offener Verfahren standhalten müssen, wurde doch die offene Bankartoperation schon von Rowe [107] als Goldstandard beschrieben. Außerdem ist das hier beschriebene Verfahren mit anderen arthroskopischen Operationen, die nichtresorbierbare Dübel oder transglenoidale Nähte verwenden, zu vergleichen. Seite 17

2 Material und Methoden 2 Material und Methoden 2.1 Arthroskopische Schulterstabilisierung Die in dieser Arbeit eingeschlossenen Patienten wurden nach einem standardisierten Verfahren in der Art eines modifizierter Bankart-Repairs mit knotenloser Fadenankertechnik operiert. Sie wurden nach Allgemeinanästhesie in Seitenlagerung auf einer Vakuummatratze für die arthroskopische Stabilisierung vorbereitet. Nach Desinfektion und sterilem Abdecken wurde der jeweilige Arm in einem Doppelarmhalter mit 6 kg Horizontal- und 2 kg Vertikalzug befestigt. Zur Orientierung wurden die anatomischen Landmarken (Klavikula, Akromioklavikulargelenk, Akromion, Processus coracoideus) eingezeichnet und ein typisches dorsales Portal (im soft spot 2cm unterhalb und 2cm medial der posterolateralen Akromionecke) angelegt. Es folgte die diagnostische Arthroskopie. Die Arthroskopie gibt dem Operateur die zuverlässigste Information über die vorliegende Schultergelenkläsion und stellt so die letzte Möglichkeit zur Ursachenklärung dar [130]. Anschließend wurden unter Sicht zwei weitere Arbeitszugänge angelegt. Dabei handelte es sich um ein typisches anteriores und ein anterosuperiores Portal. Es folgte die Mobilisation des Labrums bis die Muskulatur des M. subscapularis sichtbar wurde, sowie das Anfrischen des vorderen Glenoidrandes mit Hilfe eines Bankart-Raspatoriums. Zur Überprüfung der ausreichenden Mobilisation des Gewebes wurde der sog. Absaugtest durchgeführt. Hierzu wurde die Spülflüssigkeit vollständig abgelassen, sodass sich das Labrum glenoidale an das Glenoid anlegen konnte. Bei weiter inferiorer Kapseltasche wurde regelhaft ein inferiorer Kapselshift durchgeführt. Dazu erfolgte die Inzision des inferioren Kapsel-Labrum-Komplexes jenseits der 06:00 Uhr Position auf einer Länge von ca. 1,5 cm. Die Ankerpositionierung sowie deren Anzahl hing von der Größe und Lokalisation des Defektes ab. Durchschnittlich wurden 2-3 Anker im Glenoid versenkt. Der Labrum-Kapsel- Komplex wurde mehrfach, in der Regel mit 4-5 festen nicht-resorbierbaren Fibrewire der Stärke 0 gefasst. Bei Durchführung eines Kapselshiftes wurden inferior bevorzugt resorbierbare Fäden (PDS der Stärke 1) benutzt. Diese wurden nach ventral ausgeleitet, um dort in den knotenlosen BioPushLock-Anker eingefädelt zu werden. Nach selektivem Anspannen der Fibrewire wurden der Anker definitiv im Glenoid eingeschlagen und anschließend die überstehenden Fadenenden gekürzt. Hierdurch erfolgte, falls notwendig, auch ein inferiorer Kapselshift. Seite 18

2 Material und Methoden Typischerweise erfolgte der Fadentransfer mit einem sogenannten Fadenlasso. Nicht selten ist es jedoch nicht möglich, die Fäden mit diesem Instrument im Bereich des inferioren Kapselpouches optimal zu platzieren, so dass eine Caspari-Zange benutzt wurde. Da diese keine Fiberwire-Fäden transportieren kann, wurden dann entsprechend PDS-Fäden verwendet. a b c Abbildung 7: a Beladen des BioPushLock-Ankers mit Fibrewire, b Einschlagen des Ankers an seiner definitiven Position, b Kürzen der Fadenenden [29] In den meisten Fällen wurde der vorhandene Defekt zusätzlich mit einem weiteren Faden- Anker-System, einem sog. BioFASTak-Anker, refixiert. Dieser Anker ist bereits mit Fäden beladen, die ventral des Labrums als U-Naht verknotet wurden. Die ventrale Position des Knotens ist von Bedeutung, um mögliche Irritationen im Gelenkbereich vermeiden zu können. Ebenso müssen überstehende Ankeranteile verhindert werden, um einer Materialarthrose vorzubeugen. Ein weiterer Nachteil der intraartikulären Knotentechnik kann neben dem gerade angesprochenen Fadenimpingement auch die punktuelle Fixation auf kleiner Fläche sein und so zum Einschneiden des Fadens ins Gewebe führen, besonders bei schlechter Qualität des Gewebes. Das Versagen der Konstruktion bei Außenrotation des Armes kann die Folge sein [1]. Seite 19

2 Material und Methoden Abbildung 8: Labrumrefixation über Einzelknopfnaht und BioFASTak-Anker [29] Abschließend erfolgten die Kontrolle der Festigkeit und der Fixation mit einem Tasthaken, sowie die Bilddokumentation. Nach Hautnaht und sterilem Wundverband wurde ein Gilchrist- Verband angelegt. Die verwendeten Implantate sind wie folgt zu charakterisieren: BioPushLock-Anker: BioFASTak-Anker: Fibrewire: PDS: bioresorbierbarer knotenloser Fadenanker aus poly L-lactide acid (PLLA) bioresorbierbarer Fadenanker aus poly L/D-lactide (PLDLA), beladen mit einem oder zwei Fibrewire nicht-resorbierbares Nahtmaterial aus ultra-high-molecular-weight Polyethylene, Multifilament mit Polyestermantel resorbierbares Nahtmaterial aus Polydiaxone Das postoperative Schema wurde standardisiert durchgeführt. Alle operierten Schultern wurden initial im Schlingenverband ruhiggestellt. Der Arm befand sich hierbei in Adduktion und Innenrotation, wobei Hand und Ellenbogen aus der Schlinge heraus beübt werden durften. Die Dauer der Immobilisation betrug 3 Wochen. Danach war der Gilchrist-Verband nur noch nachts zu tragen. In der Zeit zwischen der 4. und 6. postoperativen Woche war der Bewegungsumfang bis zur Neutralposition limitiert. Außenrotationsbewegungen sollten gemieden werden. Ab der sechsten Woche war der Bewegungsumfang der Schulter wieder freigegeben. Im Rahmen einer standardisierten Physiotherapie folgte in Stufen zunächst die Verbesserung des Bewegungsumfanges begleitet von einem schulterzentrierenden Muskelaufbaues. Nach 3 Monaten wurden sportartspezifischen Übungen freigegeben. Dabei sei bemerkt, dass Überkopfarbeiten bzw. Überkopfsportarten erst nach sechs Monaten postoperativ wieder betrieben werden durften. Seite 20

2 Material und Methoden 2.2 Patientenkollektiv Im Department für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universitätsklinik Freiburg wurden im Zeitraum von August 2006 bis Juli 2008 129 Patienten mit der Diagnose Schulterluxation bzw. Schulterinstabilität operiert. Bei 20 Patienten wurde ein offenes Operationsverfahren gewählt. 111 Patienten erhielten eine arthroskopische Stabilisierung. Aus der Studie wurden 49 Patienten aus den folgenden Gründen ausgeschlossen. Neben den 20 offen operierten waren es zwei Patienten mit erheblichen Begleitverletzungen, 24 Patienten mit zusätzlicher SLAP- Läsion und drei Patienten, bei denen anderes Material benutzt wurde. Das Follow-up betrug mindestens sechs Monate. Somit wurden 80 Patienten in die Studie eingeschlossen. Unter Berücksichtigung der Patienten, die nicht zu einer klinischen Nachuntersuchung bereit waren, ergibt sich bei einer Follow-up-Rate von 80 % ein Kollektiv von 64 Patienten. Das nachuntersuchte Patientenkollektiv setzte sich aus 12 Frauen (18,8%) und 52 Männer (81, 3%) zusammen. Insgesamt war 38 mal (59,4%) die linke und 26 mal (40,6%) die rechte Schulter betroffen. Das Durchschnittsalter lag bei 28,5 Jahren. Der jüngste Patient war zum Zeitpunkt der Operation 16 Jahre, der älteste 65 Jahre alt. Diagramm 1 zeigt die Altersverteilung in fünf Altersgruppen. Über die Hälfte der Patienten befindet sich im Alter zwischen 21 und 40 Jahren. Diagramm 1: Altersverteilung nach Jahren 17 (26,6%) der untersuchten Patienten waren bereits an der betroffenen Schulter voroperiert. Davon erhielten drei Patienten zuvor eine offene Stabilisierung, 14 mal wurde bereits ein arthroskopisches Verfahren gewählt. Hinzuzufügen ist, dass bei vier (6,25% des Gesamtkollektivs) dieser Patienten bereits eine arthroskopische Stabilisierung an der Universitätsklinik Freiburg in gleicher Art wie die hier zu untersuchende durchgeführt wurde. Seite 21

2 Material und Methoden 2.2.1 Beruf und Sportniveau Ein wichtiger Aspekt, der in vorliegender Arbeit betrachtet werden soll, ist das postoperative Berufs- und Sportniveau. Zur besseren Vergleichbarkeit wurden hierzu die Patienten hinsichtlich ihres Berufes als auch ihrer regelmäßig ausgeübten Sportart in drei Gruppen eingeteilt. Gruppe 1 enthält Berufe und Sportarten, die keinerlei Belastung für das Schultergelenk darstellen. Beispiele für Berufe sind Büroangestellte, Lehrer oder Verkäufer. Auch Schüler, Studenten oder Arbeitslose wurden dieser Gruppe zugeordnet. Betrieben die Patienten Ausdauertraining, wie Radfahren oder Fitness fielen sie in Gruppe 1 der Sportarten. Im Vergleich dazu wurden Gärtner, Köche, Krankenschwestern, Fußballspieler und Tänzer in die zweite Gruppe eingeteilt. Die Belastung der Schulter ist hier eine mittlere Intensität. Als Berufsgruppen mit sehr hoher Beanspruchung des Glenohumeralgelenkes wurden Handwerker mit häufigen Überkopfarbeiten betrachtet. Dies sind zum Beispiel Dachdecker, Elektriker oder Kfz-Meister. Ebenso großen Belastungen sind Patienten ausgesetzt, die regelmäßig Volleyball spielen oder Ringen. Die Verteilung der einzelnen Gruppen stellt sich wie folgt dar. In die erste der Berufsgruppen fielen 45 (70,3%) aller Patienten. Gruppe 2 enthält 11 (17,2%) Patienten. Lediglich 8 (12,5%) der Patienten übten einen Beruf mit hoher Beanspruchung der Schulter aus. In Gruppe 1 der Sportarten befinden sich 18 (28,1%) Patienten. 14 (21,9%) Patienten betreiben eine Sportart der zweiten Gruppe und 32 (50%) der Patienten beanspruchen die Schulter mit hoher Intensität beim Sport. Diagramm 2 stellt die Verteilung in die einzelnen Gruppen zur besseren Übersicht dar. Diagramm 2: Verteilung der Berufs- und Sportgruppen Seite 22

2 Material und Methoden Nimmt man die Berufsgruppen und Sportgruppen zusammen befinden sich 36 (65,3%) Patienten in einer Gruppe mit hoher Schulterbeanspruchung. D.h. also entweder in Berufsgruppe 3 und/oder in Sportgruppe 3. Alle anderen 28 (34,7%) Patienten belasten in Arbeit und Sport die Schulter mit eher niedriger Intensität. 2.2.2 Verletzungsmuster In die Studie eingeschlossen wurde sowohl die Schulterinstabilität nach adäquatem Trauma, als auch die habituelle Schulterinstabilität. Bei 54 Patienten (84,4%) ist ein adäquates Initialtrauma erinnerlich. Von diesen Patienten waren zehn (15,6% des Gesamtkollektives) bereits schon einmal an der betroffenen Schulter operiert worden. Lediglich zehn Patienten (15,6%) litten an habitueller Schulterinstabilität, wobei hier sieben (10,9% des Gesamtkollektives) schon voroperiert waren und die erneute Instabilität durch ein inadäquates Trauma wie Haare kämmen hervorgerufen wurde. Weiterhin kann man das untersuchte Patientenkollektiv in die Gruppe mit Erstluxation und in die Gruppe der Patienten mit Rezidivluxationen einteilen. Bei 24 Patienten (37,5%) konnte anamnestisch nur eine Luxation erhoben werden. Jedoch berichteten 40 Patienten (62,5%) mehrere Luxationen bis zum Operationsdatum erlebt zu haben. Die Anzahl der Rezidivluxationen variiert zwischen einer und 25 Rezidivluxationen nach Initialluxation. Im Mittel erlebten die Patienten 2,6 Luxationen. 2.2.3 Operationsdaten Nach Erstluxation vergingen im Mittel 41,7 Monate bis die Patienten operativ versorgt wurden. 13 Patienten (20,3%) wurde innerhalb eines halben Jahres operiert, 26 Patienten (40,6%) vor Ablauf eines Jahres nach Erstluxation. Betrachtet man die Dauer der einzelnen Operationen zwischen Schnitt und Naht stellt man fest, dass über die Hälfte (65,6%) aller Eingriffe in einer Zeit unter 90 Minuten erfolgte. Im Mittel betrug die Operationszeit 87,4 Minuten. Der kürzeste Eingriff dauert 35 Minuten, der längste 192 Minuten. Das in dieser Arbeit betrachtete Stabilisierungsverfahren erfordert den Einsatz verschiedener Fadenanker, Fibrewire und PDS-Nähte. Es zeigt sich, dass in der Mehrzahl der Fälle (87,5%) sowohl ein BioPushLock- als auch ein BioFASTak-Anker eingebracht wurden. Die Anzahl der Fibrewire betrug im Mittel 4,8. Bei 15 (23,4%) der 64 Patienten griff man zusätzlich auf PDS- Nähte zurück, um eine Kapselraffung mit der Caspari-Zange durchzuführen. Im überwiegenden Teil der Patienten des Patientenkollektivs wurde eine zusätzliche Seite 23

2 Material und Methoden Kapselraffung vorgenommen. Dies war in 87,5% aller Operationen der Fall. Lediglich bei acht (12,5%) Patienten wurde darauf verzichtet. 2.3 Nachuntersuchung Das Zeitintervall zwischen Operation und Nachuntersuchung betrug im Mittel 14,5 Monate. Der kürzeste Zeitraum war den Einschlusskriterien entsprechend sechs Monate, der längste 29 Monate. Die Daten wurden durch Einsicht in die Krankenakten, Operationsberichte und mittels standardisierter klinischer Scores erhoben. Ebenso wurde ein Fragebogen zu Hilfe genommen, der von den Patienten selbst ausgefüllt werden konnte. Dieser wurde an diejenigen Patienten versandt, die aufgrund der räumlichen Entfernung die körperliche Nachuntersuchung nicht persönlich wahrnehmen konnten. Das war bei 12 Patienten (18,8%) der Fall. 2.3.1 Klinische Scores Die Beurteilung des Operationsergebnisses anhand standardisierter klinischer Scores stellt eine einfache, effektive und häufig angewandte Methode dar, die den Vergleich verschiedener Studien zum gleichen Thema vereinfacht. Im Allgemeinen basieren die Scores jeweils auf objektiven und subjektiven Komponenten, die getrennt voneinander dargestellt, eine unabhängige Interpretation der gewonnenen Daten ermöglichen sollen. Während Schmerz und Funktion als subjektive Parameter zu betrachten sind, fließen Stabilität, Bewegung und Kraft in die objektive Bewertung ein. 2.3.1.1 Score nach Constant und Murley Der Score nach Constant und Murley enthält zu 35% subjektive und zu 65% objektive Kriterien [78]. Zu den subjektiven Parametern zählen Schmerz, Aktivitäten des täglichen Lebens und Arbeitshöhe. Beweglichkeit und Kraft werden als objektive Komponenten herangezogen. Die maximal zu erreichende Punktzahl beträgt 100, was einer schmerzfreien, voll beweglichen und funktionstüchtigen Schulter gleich zu setzten ist. Andererseits stellen null Punkte eine Schulter mit stärksten Schmerzen und ohne relevante Funktion dar. Der Schmerz wird vom Patienten anhand vier Kategorien bewertet, die jeweils einer festen Punktzahl zugeordnet sind. Maximal sind bei völliger Schmerzfreiheit 15 Punkte zu erreichen. Seite 24