Predigt über Markus 7,31-37 von Pfarrer Thomas Lunkenheimer Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege. Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Und sogleich taten sich seine Ohren auf und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. Und er gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend. Liebe Gemeinde! Wie mag es sich anfühlen, wenn man nicht hören und nicht sprechen kann? Wenn schöne Musik nichts in uns zum Klingen bringt? Wenn ich nicht sagen kann, was mir wichtig ist? Mir fällt es schwer, mich in Menschen hineinzuversetzen, die diese Bürde zu tragen haben. Ich stelle mir vor, dass das fehlende Hör- und Sprachvermögen den Alltag oft schwierig macht. Es kann zu Missverständnissen kommen. Oder man wird übergangen. Wie gut, wenn dann Leute da sind, die einem helfen. So wie in unserer Geschichte: Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war. Was für ein Glück für den taubstummen Mann. Das ist mein erster Gedanke. Doch dann frage ich mich: Warum kommt dieser Mann nicht selber? Er kann doch laufen. Er kann Jesus doch mit Gesten auf sein Schicksal aufmerksam machen. Es wird nicht erzählt, wer diesen Mann zu Jesus bringt. Seine Verwandten? Freunde? Nachbarn? Sie meinen es sicher gut. Aber es kann auch schwierig sein, wenn immer andere wissen, was für mich gut ist. Wenn über meinen Kopf hinweg entschieden wird. Wenn ich nichts zu sagen habe. So kann ein Mensch auch zum Verstummen gebracht werden. 1 von 5
Nicht nur eine Krankheit oder eine Behinderung können dazu führen, dass Menschen stumm werden. Manchen schenkt man einfach kein Gehör. Man nimmt sie nicht ernst. Was sie zu sagen haben, wird überhört. Auch das kann einem die Sprache verschlagen. Ich denke an das Schicksal der vielen Flüchtlinge. Da wird über Aufnahmequoten diskutiert. Da wird eingeteilt in echte Flüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge. Da werden Zäune gebaut und Menschen "rückgeführt". Aber wer hört sich ihre Geschichte an? Wer hört zu, wenn sie davon erzählen, wie ihr Zuhause zerstört und ihr Leben bedroht wurde? Oder wie die Armut ihnen jede Lebensperspektive genommen hat? Und wie schrecklich die Flucht war? Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war. Was brachte diesen Mann zum Verstummen? Hat auch ihm keiner zugehört? Der wohlmeinende Vorschlag der Helfer zeugt allerdings von Einfühlungsvermögen: Und sie baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege. Jesus hat viel durch sein Wort bewirkt. Doch in diesem Fall ist offensichtlich etwas anderes wichtig. Die segnende Berührung. Der Zuspruch durch persönliche Nähe. Darum diese Bitte: Leg ihm die Hand auf. Wer schon einmal einen Segnungsgottesdienst mitgefeiert hat, der weiß, dass es etwas anderes ist, ob ich den Segen - wie sonst üblich - zugesprochen bekomme oder ob mir dabei auch die Hände aufgelegt werden. Die Hände vermitteln in besonderer Weise, worum es beim Segen geht: Dass Gott mich umhüllt und beschützt. Dass er mir ganz nah ist, mein Leben teilt und mir Kraft schenkt. Die Helfer in unserer Geschichte wissen das auch. Und sie meinen, dass müsse ihrem taubstummen Bekannten doch gut tun. Doch Jesus geht zunächst nicht auf ihre Bitte ein. Er nimmt kein Bad in der Menge um so nebenbei dem einen oder anderen die Hände aufzulegen. Stattdessen nimmt Jesus den taubstummen Mann aus der Menge beiseite. Jesus wendet sich ihm ganz persönlich zu. Er lässt nicht länger die anderen für diesen Mann reden. Er sucht eine echte Begegnung mit ihm. Ohne Schaulustige. Und ohne die gut gemeinten Worte der anderen. 2 von 5
Auch in anderen Geschichten erfahren wir, wie Jesus Menschen beiseite nimmt. Wie er das vertrauliche Gespräch sucht. Oder wie er auch selber in die Einsamkeit geht, um dort ungestört mit Gott zu reden. Wer von uns sehnt sich nicht danach, Gott so zu begegnen. In vertraulicher Nähe. Und so dass ich spüre: Ich bin wirklich gemeint. Gott wendet sich mir zu. Mir ganz persönlich. Auch im zwischenmenschlichen Bereich ist das nicht selbstverständlich. Mit der Post erreichen mich viele Briefe, die mich freundlich mit meinem Namen ansprechen. Manche erwecken den Eindruck, als schreibe mir da ein guter Bekannter. Und doch sind es nur Werbesendungen. Und meinen Namen hat ein Computer eingesetzt. Manchmal wird Vertraulichkeit nur vorgegaukelt. Doch dann hilft sie nicht weiter. Jesus begegnet dem Mann abseits der Menge. Was er tut, klingt für uns eher befremdlich. Er legt dem Mann die Finger in die Ohren und benetzt seine Zunge mit Speichel. Er berührt den Mann dort, wo der Heilung nötig hat. Wir sprechen manchmal davon, dass jemand die Finger in die Wunde legt. Jesus tut das auch. Allerdings um zu heilen, um zu segnen. Vielleicht muss Jesus auch mir die Finger in die Wunden meines Lebens legen, damit dort Heilung geschieht, wo ich sie am nötigsten brauche. Und dann sah Jesus auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Jesus nimmt wahr, was dieser Mann zu erdulden und zu erleiden hat. Und er denkt: Himmel, hilf! Mit einem Seufzer wendet er sich Gott zu. Und ich frage mich, ob dieses Hefata! Tu dich auf, nicht auch zum Himmel hin gesprochen ist. Vielleicht steckt darin nicht nur eine Aufforderung an den Taubstummen, sondern auch ein Gebet. Möge sich doch der Himmel auftun, damit diesem Menschen endlich geholfen wird. Damit er offen wird für Worte und Musik. Für freundlichen Zuspruch und Ermutigung. Für die Menschen und die Welt um ihn. 3 von 5
Jesus bittet darum, dass sich auch für diesen Menschen der Himmel auftut. So wie Jesus es selber erlebt hat bei seiner Taufe. Da wird uns ja erzählt, wie Jesus Gottes Stimme hörte: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen. Diese große und wunderbare Zusage Gottes gilt uns allen. Sie wird uns zugesprochen in der Taufe. Und wenn uns die Hände aufgelegt und wir gesegnet werden, dann steht diese Liebeserklärung Gottes im Zentrum. Nur manchmal sind wir taub für diesen Zuspruch, weil wir so viele andere Stimmen im Ohr haben. Stimmen, die uns einreden wollen, wie klein und unbedeutend wir sind. Das sind Sätze wie: Wer bist du schon? Oder: Das packst du doch ohnehin nicht. Oder: Da gibt es viele andere, die das besser können als du. Jesus hat sein Leben lang an dieser Zusage Gottes festgehalten: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen. Er hat sich nicht davon abbringen lassen. Weder von seinen Gegnern, die ihm diese Gottessohnschaft absprechen wollten. Noch von den Anhängern, die ihn am liebsten zum König gemacht hätten. Du bist mein lieber Sohn. Du bist meine liebe Tochter. In diesen Worten liegt heilende Kraft. Und diese Kraft erfahren wir nur, wenn sich auch für uns der Himmel auftut. Hefata! Tu dich auf! Wie wichtig ist das für unser eigenes Leben. Und auch im Blick auf die vielen Menschen, die in unserer Welt Leid tragen, sollte das unsere Bitte sein: Dass der Himmel sich auftun möge und auch sie spüren: Ich bin von Gott geliebt. Mein Schicksal ist ihm nicht egal. Mit der Kraft seiner Liebe ist er für mich da. Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. Der Himmel tut sich auf und dieser Mensch wird frei. Auch er kann sich öffnen. Kann in neuer Weise teilnehmen am Leben und sich mit einbringen. 4 von 5
Viel Leid in unserer Welt hat damit zu tun, dass Menschen in sich selbst gefangen sind. Durch innere oder äußere Barrieren. Dazu muss man nicht krank oder behindert sein. Wer nur seine eigenen Interessen, seine Macht und sein Wohlergehen im Blick hat, ist in anderer Weise aber nicht weniger unfrei als die Menschen, die offensichtlich Not leiden. Und damit sich etwas ändert, muss sich der Himmel auftun. Jesus sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Zum Schluss staunen alle. Womöglich haben sie selber nicht damit gerechnet, dass Gottes Zuwendung in unserem Leben tatsächlich etwas verändert. Doch nun erinnern sie sich daran, was ganz am Anfang der Bibel steht: Er hat alles wohl gemacht. Als Gott sich seine Schöpfung besah, da war alles sehr gut. Und schon der Prophet Jesaja hatte angekündigt: die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend. In unserer Welt gibt es so viel Leid. Viele schlimme Dinge passieren. Und doch haben wir die Hoffnung, dass nicht alles bleibt, wie es ist. Manches Mal ist uns wie Jesus zum Seufzen zumute. Doch der Blick zum Himmel hilft weiter. Und die Bitte: Tu dich auf! Gott hilf jetzt!, diese Bitte bleibt nicht unerhört. Unsere Predigtgeschichte erzählt von einem taubstummen Mann, dem Gott die Ohren und den Mund öffnet. Doch zugleich klingt hier mehr als ein Einzelschicksal an. Weil es so viele Menschen gibt, deren Ohren verschlossen sind. Auch heute. Und vielleicht gehöre ich dazu. Aber wenn ich mich von Gott anrühren lasse, kann ich fei werden. Und dann öffnet sich auch mein Herz. Für meine Mitmenschen und für Gott. Dann breitet sich der Friede aus, der höher ist als alle Vernunft. Dieser Friede Gottes bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserm Herrn. Amen. Predigt über Markus 7,31-37 am 12. Sonntag nach Trinitatis (23.08.2015) in der St. Laurentiuskirche Neuendettelsau von Pfr. Thomas Lunkenheimer 5 von 5