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Erklärung von Jiro Aichi, Leitender Stellvertretender Minister für Finanzen, Regierung Japans bei der 23. Jahrestagung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung Warschau, Polen, 15. Mai 2014 1. Einleitende Bemerkung Herr Vorsitzender, Herr Präsident, meine sehr verehrten Gouverneure, meine Damen und Herren: Im Namen der Regierung Japans möchte ich der polnischen Regierung, dem Gastgeber dieser Jahrestagung, und den Bürgern Warschaus für ihren warmen Empfang meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Es sind fast zwei Jahre vergangen, seitdem Suma Chakrabarti im Juli 2012 sein Amt als Präsident der EBWE antrat. In dieser Zeit hat sich der Präsident führend dafür eingesetzt, die Transformationswirkung der EBWE-Projekte weiter in den Vordergrund zu rücken. Auch hat er Anstrengungen unternommen, die Effektivität von EBWE-Projekten, etwa durch den politischen Dialog mit den Einsatzländern, zu erhöhen. Japan schätzt die Führungsrolle des Präsidenten bei diesen Bemühungen sehr. Seit dem großen Erdbeben im östlichen Japan sind rund drei Jahre vergangen. Ich stamme aus der Stadt Sendai in der Präfektur Miyagi, einer der Regionen, die vom Erdbeben und dem Tsunami verwüstet wurden. Ich amtiere nicht nur als leitender Stellvertretender Minister für Finanzen, sondern auch als leitender Stellvertretender Minister für den Wiederaufbau. Seit der Katastrophe haben wir freundliche Unterstützung und Worte der Ermutigung von Polen, dem Gastgeberland dieser Jahrestagung, sowie von anderen Mitgliedsländern und Mitarbeitern der EBWE erhalten. Ich möchte bei dieser Gelegenheit im Namen der Menschen im Katastrophengebiet und aller Japaner erneut unsere Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. 2. Herausforderungen für die EBWE (1) Allgemeine Bemerkungen Vor fast einem Vierteljahrhundert wurde die EBWE gegründet, mit dem Ziel, den Übergang der mittel- und osteuropäischen Länder zu offenen Marktwirtschaften zu begleiten. In dieser Zeit sind im Transformationsprozess bedeutende Fortschritte gemacht worden. Zum Beispiel haben sich Demokratie und Marktwirtschaft in Mittel- und Osteuropa immer fester etabliert, und viele Länder der Region sind inzwischen Mitglieder der EU. Wir glauben, dass die EBWE bei dieser Entwicklung eine sehr wichtige Rolle gespielt hat. AM028g-X 2
Aus der durch den Zusammenbruch von Lehman Brothers und die europäischen Staatsverschuldungsproblematik ausgelösten Wirtschafts- und Finanzkrise entwickelte sich eine instabile Situation, die Mittel- und Osteuropa erheblich in Mitleidenschaft zog und dort unter anderem zu Exporteinbußen und einem Rückgang von Kapitalzuflüssen führte. In letzter Zeit hat es jedoch Anzeichen einer Erholung gegeben, und dank Verbesserungen im externen Umfeld sowie einer starken Nachfrage nach Exporten ist eine Beschleunigung des Wachstums zu verzeichnen, wenn sich auch die Situation von Land zu Land unterschiedlich gestaltet. In der Zwischenzeit hat die EBWE auf angemessene Art auf diese Krisen reagiert, zum Beispiel durch Vergrößerung des Umfangs ihrer Aktivitäten. Den Einsatz der EBWE schätzen wir sehr. (2) Förderung des Transformationsprozesses in den frühen Transformationsländern (ETC) Im Vergleich zu den mittel- und osteuropäischen Ländern sehen sich die frühen Transformationsländer (ETC), darunter zentralasiatische und kaukasische Länder, mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die sie lösen müssen, um den Übergang zur offenen Marktwirtschaft schaffen zu können. Es wird zukünftig wichtig sein, dass die EBWE ihre Anstrengungen vermehrt auf Projekte in diesen Regionen richtet. Um den Transformationsprozess der ETC-Länder zu unterstützen, halten wir es für wichtig, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer nationalen Volkswirtschaften insgesamt durch den Ausbau von kleinen und mittleren Betrieben und die Verbesserung der Energieeffizienz zu stärken. Japan ist bereit, gemeinsam mit der EBWE in den ETC-Ländern zu arbeiten. Japan freut sich darauf, den Japan-EBWE-Kooperationsfonds (JEFC) bestmöglich zu nutzen und gleichzeitig die herausragende Technik und Fachkenntnisse Japans in höherem Maße einzusetzen. (3) Ukraine In der Zwischenzeit wirft die instabile Situation in der Ukraine einen langen Schatten über die Zukunft dieser Region als Risikofaktor. Die Ukraine sieht sich vor einem Hintergrund politischer Umwälzungen mit harten wirtschaftlichen Bedingungen konfrontiert. Die Instabilität der Ukraine könnte die Wirtschaft der Region als Ganzes destabilisieren und die bisherigen Errungenschaften des Transformationsprozesses aufs Spiel setzen. Um dies zu verhindern, sollten Länder aus aller Welt sowie internationale Organisationen koordinierte, effektive und zeitnahe Hilfe leisten. Der EBWE, die bis dato den Transformationsprozess der Ukraine unterstützt hat, sollte dabei eine besonders wichtige Rolle zukommen. Für die EBWE ist die Ukraine das zweitgrößte Einsatzland. Um die ukrainische Wirtschaft zu stabilisieren, sollte die EBWE ihrer Tätigkeit in der Ukraine vermehrte Anstrengungen widmen, vor allem, um dem Privatsektor zu helfen. Auch sollte die AM028g-X 3
EBWE in Betracht ziehen, ihre Tätigkeiten in den Nachbarländern, die unter dem Einfluss der ukrainischen Situation wirtschaftlich destabilisiert werden könnten, auszuweiten. Angesichts der aktuellen Lage in der Ukraine hat Japan im März dieses Jahres ein Hilfspaket von bis zu 150 Milliarden Yen zugesagt. Dieses schließt technische Zusammenarbeit im Rahmen des Japan-EBWE-Kooperationsfonds (JECF) ein. (4) Neue Einsatzländer (Zypern und die Länder des südlichen und östlichen Mittelmeerraums [SEMED-Region]) Japan begrüßt die Entscheidung der EBWE, Zypern auf vorübergehender Basis Hilfe zukommen zu lassen. Wir halten es für äußerst wichtig, dass die EBWE Zypern hilft, durch die Umsetzung von Strukturreformen das Finanzsystem zu stärken, die fiskalische Nachhaltigkeit zu sichern und den wirtschaftlichen Aufschwung zu erreichen. Anderseits müssen wir darauf hinweisen, dass uns bewusst sein muss, dass Zypern Hilfe erhält, obwohl es Mitglied der EU ist und über ein ausreichend hohes Pro-Kopf-BIP verfügt. Wir hoffen, dass die Zeit bald gekommen ist, wo Zypern den wirtschaftlichen Aufschwung erlebt und keine Hilfe mehr von der EBWE benötigt. Von dieser Warte aus gesehen, schätzt Japan die Entscheidung der EBWE, für ihre Tätigkeit in Zypern einen festen zeitlichen Rahmen zu setzen. Auch die Begleitung des Transformationsprozesses der Länder des südlichen und östlichen Mittelmeerraums (SEMED-Region) gestaltet sich nach wie vor als wichtige Herausforderung. Die internationale Gemeinschaft muss Anstrengungen unternehmen, den Reformschwung in diesen Ländern wirtschaftlich zu unterstützen. Für seinen Teil stellt Japan im Rahmen der Deauville-Partnerschaft bilaterale Hilfe an Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA) bereit. Seit dem Ausbruch der als Arabischer Frühling bezeichneten Demokratiebewegung hat sich Japan verpflichtet, diese Länder mit konzessionären Finanzierungen (Yen-Darlehen) zu unterstützen. Zur Erleichterung der Finanzierungsaufnahme an den internationalen Kapitalmärkten hat die Japan-Bank für internationale Zusammenarbeit (JBIC) eine Garantie für von Tunesien ausgegebene Anleihen in japanischen Yen (Samurai-Bonds) gegeben. Darüber hinaus hat Japan für den Dreijahreszeitraum ab 2013 eine Gesamtsumme von 12 Millionen US-Dollar für den MENA Transition Fund zugesagt, der von der Weltbank verwaltet wird und die Aufgabe hat, die notwendige technische Unterstützung auf international koordinierte Art und Weise bereitzustellen. Erst kürzlich hat Japan einen Beitrag von 4 Millionen US-Dollar in einer darauf basierenden zweiten Runde des Hilfsprogramms geleistet. Wir freuen uns darauf, dass diese Hilfe Früchte trägt und der MENA-Region wirtschaftliche Stabilität bringt. AM028g-X 4
(5) Graduierungsgrundsatz Die Graduierung vom Status eines Einsatzlandes ist ein konkreter Meilenstein der EBWE, der die erfolgreiche Transformation eines Landes besiegelt. Wir glauben, dass die Förderung der Graduierung notwendig ist nicht nur, um die finanziellen Mittel für die Expansion der Aktivitäten in neuen Einsatzländern freizusetzen, sondern auch, um die Erfolge der Tätigkeit der EBWE unter Beweis zu stellen. Es ist wichtig, die Graduierung von Einsatzländern zu fördern, indem man ihnen schnell eine effektivere Hilfe bietet und ihnen je nach ihrem Transformationsstatus einen beschleunigten Transformationsprozess ermöglicht. Bis jetzt hat Japan seine Hoffnung bekräftigt, dass die EU-7-Länder (Polen, Ungarn, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen) möglichst schnell graduieren. Die mitteleuropäischen und baltischen Länder haben beständige Transformationsbestrebungen unternommen. Japan begrüßt die Tatsache, dass die dem Gouverneursrat vorgelegte mittelfristige Orientierung klar zum Ausdruck bringt, dass Fortschritte beim Transformationsprozess die Tätigkeiten der EBWE in Umfang, Breite und Höhe verringern werden. Ich hoffe, dass der Pfad der Graduierung in Zukunft präziser abgesteckt wird. (6) Mittel- und langfristiger Ausblick Entwicklungsbanken wie die Weltbank haben das Ziel, mit der Armutsbekämpfung in Verbindung stehende Ziele durch mittel- und langfristige Entwicklungsfinanzierungen zu erreichen. Im Gegensatz dazu besteht die Rolle der EBWE darin, das reibungslose Funktionieren von Marktwirtschaften zu unterstützen. Darüber hinaus ist das Prinzip der Additionalität ein wichtiges Merkmal der EBWE. Dieses Prinzip besagt, dass die EBWE nur dann einschreiten sollte, wenn private Finanzinstitute nicht imstande sind, die notwendige Finanzierung allein aufzubringen. In der Zukunft wird es immer wieder Länder geben, die beim Übergang zur offenen Marktwirtschaft Unterstützung benötigen. Im Zuge des wirtschaftlichen Chaos, das auf den Zusammenbruch von Lehman Brothers folgte, haben wir gelernt, dass sogar die Länder, die im Transformationsprozess erhebliche Fortschritte gemacht haben, beim Aufkommen von Risiken Anfälligkeiten zeigen. Bei der Art von Instabilität, der sich die Ukraine ausgesetzt sieht, sollten öffentliche Finanzinstitutionen wie die EBWE eine leitende Rolle bei der Bereitstellung von Hilfe spielen. Angesichts dieser Umstände kommt der EBWE selbstredend noch eine sehr bedeutende Rolle zu. AM028g-X 5
Langfristig ist es dennoch natürlich, dass die EBWE ihre Tätigkeiten zurückfährt, wenn sie erfolgreiche Fortschritte hin zur Erfüllung ihrer Ziele macht. Der Erfolg der Aktivitäten der EBWE sollte nicht am Umfang ihrer Projekte festgemacht werden, sondern an der Qualität also am Fortschritt beim Übergang zu offenen Marktwirtschaften. 3. Schlussbemerkung Herr Vorsitzender, Herr Präsident, geschätzte Gouverneure, meine Damen und Herren: Kurzfristig sollte die EBWE ihre Aktivitäten in der Ukraine und in anderen Ländern und Regionen, in denen es zu wirtschaftlicher Instabilität gekommen ist, aufstocken. Langfristig sollte die EBWE ihre Aktivitäten in den ETC-Ländern ausbauen, die im Transformationsprozess abgehängt worden sind. Anderseits sollte sich die EBWE nach der Stabilisierung der europäischen Wirtschaft weiterhin einer großen Vielzahl von Herausforderungen stellen, unter anderem der Frage der Umsetzung des Graduierungsgrundsatzes, der den Höhepunkt der Arbeit der EBWE darstellt. Japan wird seine Zusammenarbeit mit der EBWE fortsetzen, damit die Bank ihre Mission erfüllen kann: die politische und wirtschaftliche Unterstützung von Transformationsländern. Diesbezüglich wird sich Japan aktiv einbringen und auch in personeller Hinsicht, durch volle Ausnutzung seiner Technologie und seines Fachwissens, zur Arbeit der EBWE beitragen. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Aufmerksamkeit. AM028g-X 6