ELEKTROKLEINSTFAHRZEUGE HERAUSFORDERUNG AN DIE FAHRZEUGSICHERHEIT

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Transkript:

ELEKTROKLEINSTFAHRZEUGE HERAUSFORDERUNG AN DIE FAHRZEUGSICHERHEIT Energieeffiziente Elektrofahrzeuge sind im Durchschnitt deutlich kleiner und leichter als benzin- oder dieselbetriebene Fahrzeuge heutiger Bauart. Diese großen Geometrie-, Massen- und auch Steifigkeitsunterschiede führen zu einer ausgeprägten Crash-Inkompatibilität, die die Fahrzeugsicherheit vor eine völlig neue Herausforderung stellt. Unter der Leitung der Daimler AG arbeiten die Unternehmen Autoliv, IAV und der Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik der TU München daher gemeinsam an einem neuen, integralen Sicherheitskonzept für Elektrofahrzeuge. 24

AUTO REN ELEKTROMOBILITÄT IM URBANEN UMFELD Mai 2013 CHRISTIANE NETZKER arbeitet im Bereich Sicherheitskonzepte und ist Projektleiterin Sicherheitskonzept Visio.M bei der Daimler AG in Sindelfingen. RÜDIGER LANG ist Director Global Technical Alignment bei Autoliv B.V. & Co. KG in Dachau. LUTZ QUEDENBAUM ist Leiter der Abteilung Fahrzeugsicherheit bei der IAV GmbH in Gifhorn. BENEDICT SCHONLAU ist Leiter der Abteilung Aktive Sicherheit & Lichtfunktionen bei der IAV GmbH in Chemnitz. THOMAS HIERLINGER ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik der TU München. Automotive Engineering Partners Im Rahmen der globalen Diskussion zur Reduzierung des CO 2 - Ausstoßes wird dem großflächigen Einsatz von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben höchstes Potenzial beigemessen. Entsprechende derzeit auf dem Markt befindliche Fahrzeuge orientieren sich hinsichtlich Ausstattung, Leistung und Reichweite allerdings noch immer vorwiegend an den Vorbildern konventionell angetriebener Fahrzeuge. Das damit verbundene hohe Fahrzeuggewicht treibt den Energieverbrauch und somit auch die Größe und Masse des alternativen Energiespeichers nach oben die Gewichtsspirale beginnt. Eine Alternative dazu bieten Fahrzeugkonzepte, die als Lösung für spezifische Mobilitätsbedürfnisse entwickelt werden. Vor allem unter Berücksichtigung der Randbedingungen urbaner Mobilitätsmuster (Erfüllung mobiler Kernbedürfnisse, Kurzstrecken, wenige Fahrzeuginsassen) können die Anforderungen an die Ladekapazität elektrischer Energiespeicher deutlich gesenkt werden. Grundvoraussetzung hierfür ist eine konsequente Reduzierung von Gewicht und Fahrwiderstand. Von heute im Markt befindlichen Fahrzeugen ist bekannt, dass ab einem Massenverhältnis von 1:2 das Verletzungsrisiko für die Insassen des leichteren Fahrzeugs signifikant steigt. Eine weitere deutliche Reduzierung der Fahrzeugmasse von Elektrokleinstfahrzeugen gegenüber der heutigen Kompakt- und Kleinwagenklasse, die in Massenverhältnissen bis zu 1:4 resultieren kann, stellt die Fahrzeugsicherheit vor eine völlig neue Herausforderung. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt Visio.M entwickeln führende deutsche Technologieunternehmen und Wissenschaftler nun ein Mobilitätskonzept, das von Anfang an diesen Anforderungen genügt: ein effizientes Elektrofahrzeug mit minimalem Gewicht, das ein höchstmögliches Sicherheitsniveau bietet. Struktursicherheit, Insassenschutz und aktive Sicherheit sind unter Berücksichtigung der Zielvorgaben an Fahrzeuggewicht und -kosten jedoch nicht allein mit konventionellen Ansätzen realisierbar. UNFALLGESCHEHEN VON ELEKTROKLEINSTFAHRZEUGEN Mit der Entwicklung neuer, an die urbanen Mobilitätsbedürfnisse angepasster Fahrzeugkonzepte muss auch die Gültigkeit der heute etablierten Sicherheitsstandards in diesem spezifischen Einsatzspektrum überprüft werden. In einem ersten Schritt wurde daher in Zusammenarbeit mit der Verkehrsunfallforschung an der TU Dresden auf Basis der Unfalldatenbank GIDAS (German In-Depth Accident Study) das potenzielle Unfallgeschehen von Elektrokleinstfahrzeugen analysiert und dem allgemeinen Unfallgeschehen gegenübergestellt. Für Elektrokleinstfahrzeuge zeigen sich demnach : eine deutliche Abnahme von Längsverkehrsunfällen bei gleichzeitiger Zunahme von Seitenkollisionen : eine sehr geringe Relevanz seitlicher Pfahlanpralle : eine Zunahme des Anteils an Kollisionen mit Radfahrern und : keine Unterschiede bezüglich der Häufigkeit von Kollisionen mit Fußgängern sowie von Überschlägen. Die klassischen Lastfälle behalten also, mit Ausnahme des seitlichen Pfahlanpralls, auch für die urbanen Fahrzeugkonzepte von morgen ihre Bedeutung. Für diese Lastfälle sollte daher eine Struktursicherheit erzielt werden, die den heutigen Maß- 25

Kritische Fahrsituation Unfall und Folgeverletzungen nahezu unvermeidbar Unfall Sicherer Zustand Sicheres Fahren Erkennen und Verhindern kritischer Situationen Aktive Unfallvermeidung Reduzierung der Unfallschwere ❶ Zeitliche Abfolge einer Unfallsituation stäben entspricht. Obwohl die geringe Masse der Kleinstfahrzeuge dabei insgesamt zu einer Absenkung der Gesamtunfallenergie führt, kann das kleinere und leichtere Fahrzeug bei einer Kollision mit einem massereichen Gegner nicht davon profitieren, sondern muss einen erheblichen Anteil der Kollisionsenergie aufnehmen, was zu einer Erhöhung der Insassenbelastungen führt. INTEGRALES SICHERHEITSKONZEPT FÜR DIE FAHRZEUGE VON MORGEN Der Herausforderung dieser außerordentlich hohen Anforderungen unter der Zielsetzung einer deutlichen Gewichtsminimierung begegnet das Projekt Visio.M mit einem konsequent auf die urbanen Sicherheitsanforderungen ausgerichteten integralen Sicherheitskonzept. Es beinhaltet eine umfassende Strategie zum situationsabhängigen Zusammenspiel von Sensorik, Datenverarbeitung, Fahrzeugstruktur und verschiedensten Komponenten zur Reduzierung der Insassenbelastung, um höchste Aktive Sicherheit und im Fall der Fälle bestmöglichen Insassenschutz sicherzustellen. Das dafür entwickelte ganzheitliche Sicherheitskonzept orientiert sich dabei an der zeitlichen Abfolge einer möglichen Unfallsituation, ❶. Die einzelnen Schritte sind in den folgenden Absätzen dargestellt. SICHERES FAHREN Ein übersichtliches Display und das ausreichende Leistungsvermögen des Visio.M- Fahrzeugs ermöglichen dem Fahrer, ohne Ablenkung im Verkehrsfluss mitzufahren. Das innovative dreiteilige Sitzkonzept ohne Längsverstellung basiert auf dem Augpunkt-Fix -Prinzip, bei dem sich die individuelle Sitzeinstellung nicht wie gewohnt an einer feststehenden Pedalerie, sondern an einem fixen Augpunkt orientiert. In Verbindung mit einer ergonomisch optimierten Auslegung des Fahrzeuginnenraums gewährleistet es für alle Insassen unabhängig von deren Größe das gleiche optimale Sichtfeld und leistet damit einen signifikanten Beitrag zur Wahrnehmungssicherheit. 360 -ERFASSUNG DER UMGEBENDEN VERKEHRSSITUATION Das für das Visio.M-Fahrzeug konzipierte Pre-Crash-Sensorsystem aus Radar- und Kamera-Sensoren, ❷, ermöglicht im urbanen Verkehrsgeschehen eine 360 -Erfassung der Fahrzeugumgebung und bildet die Basis für die frühzeitige Erkennung drohender Auffahr-, Heckund Seitenunfälle. FAHRERUNTERSTÜTZUNG ZUR VERMEIDUNG KRITISCHER FAHRSITUATIONEN Auf die urbane Nutzung abgestimmte Fahrerassistenzsysteme wie zum Beispiel Stauassistent, Spurhalte- und Blind-Spot- 26 ❷ 360 -Erfassung der Fahrzeugumgebung

Überwachung unterstützen den Fahrer in unübersichtlichen und kritischen Fahrsituationen. Gegebenenfalls greifen sie mit überstimmbaren Aktionen in Form von Bremsunterstützung und Fahrdynamikregulierung in das Fahrgeschehen ein. AKTIVE UNFALLVERMEIDUNG Durch den Einsatz von elektronischen Stabilisierungsprogrammen (ESP) wird das Risiko eines seitlichen Pfahlanpralls noch einmal deutlich reduziert. Autonome Notbremsungen bei erkannten kritischen Verkehrssituationen im Folgeverkehr können Auffahrunfälle aktiv vermeiden oder zumindest durch die Reduzierung der Aufprallgeschwindigkeit deutlich entschärfen. VORAUSSCHAUENDE AKTIVIERUNG VON INSASSENSCHUTZSYSTEMEN ❸ Aluminium-CFK-Hybridstruktur des Visio.M-Fahrzeugs Stuft das Pre-Crash-Sensoriksystem die Fahrsituation als so kritisch ein, dass ein Unfall mit drohender Verletzung der Insassen unvermeidbar erscheint, werden Insasse und Fahrzeug bestmöglich auf den Unfall vorbereitet. Im Fahrzeug sorgen adaptive elektrische Gurtstraffer für die optimale Kontrolle und Begrenzung der Insassenbelastung vor und schließlich auch während der Fahrzeugkollision. Die Ingenieure von Daimler, IAV, Autoliv und der TU München gehen im Projekt Visio.M aber noch einen Schritt weiter: Erstmals werden nicht nur reversible Systeme in den verbleibenden Millisekunden vor einem als unvermeidbar eingestuften Unfall aktiviert, sondern auch irreversible Maßnahmen ausgelöst. Diese konsequente Nutzung der wertvollen Zeit vor dem eigentlichen Crash eröffnet völlig neue Möglichkeiten, die ausgeprägte Massen- und Geometrie- Wir entwickeln, was bewegt IAV Ihr Partner für Automotive Engineering 2013 30 Jahre IAV Mehr über uns erfahren Sie auf: www.iav.com

❹ Simulation von Verkehrsszenarien Inkompatibilität von Elektrokleinstfahrzeugen adäquat zu adressieren. Im Fokus steht hierbei insbesondere die bedarfsgerechte Verlängerung der effektiv wirksamen Deformationszonen im Front- und Seitenbereich des Fahrzeugs zur Reduzierung des auf den Insassen wirkenden Crash-Pulses. Im Projekt wird daher unter anderem die Wirkung von pyrotechnisch ausgelösten Außenairbags und crashaktiven Strukturelementen untersucht. Vor allem bei einem Seitenaufprall besteht aufgrund des geringen Abstands zwischen Tür und aufprallseitigem Insassen die Gefahr schwerer Verletzungen. Aus diesem Grund wird zusätzlich eine aktive seitliche Verschiebung des aufprallseitigen Insassen zur Fahrzeugmitte hin vorgesehen. Zusätzlich kann damit infolge der Vorbeschleunigung auch der auf den Insassen wirkende Crash-Puls weiter reduziert werden. ENERGIEABBAU UND ERHALT DES ÜBERLEBENSRAUMS Im eigentlichen Moment der Kollision kommt insbesondere der Fahrzeugstruktur eine Schlüsselrolle zu. Sie muss einerseits eine steife Fahrgastzelle zur Sicherung des Überlebensraums und andererseits ausreichend Deformationsbereich zum gezielten Energieabbau bereitstellen. Das Strukturkonzept des Visio.M-Fahrzeugs basiert daher auf einer Aluminium- CFK-Hybridbauweise, ❸. Die geschlossene Fahrgastzelle wird durch ein innovatives, mehrteiliges Monocoque aus kohlen stofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) mit ultraleichten Sandwichmaterialien gebildet. Diese aus dem Rennsport bekannte Struktur erlaubt in Verbindung mit Leichtbau-Materialien, Fahrzeuge mit hoher Struktursteifigkeit und minimalem Gewicht auszustatten. Die Struktur des Vorder- und Hinterwagens besteht aus Aluminiumprofilen, um eine definierte 28 Energieabsorption mit hinreichender Festigkeit und Steifigkeit zu erzielen. AKTIVIERUNG VON INSASSENSCHUTZSYSTEMEN WÄHREND DER FAHRZEUGKOLLISION Der Einsatz der vorgestellten innovativen Kompatibilitätskonzepte, die das Fahrzeug mithilfe reflexartiger Anpassungen der Fahrzeugstruktur bedarfsgerecht auf den unvermeidbaren Aufprall vorbereiten, bietet die Chance, die Komplexität und damit auch das Gewicht der schließlich zum eigentlichen Crashzeitpunkt aktivierten Insassenrückhaltesysteme zu reduzieren. Eine Kombination aus Dreipunkt-Gurt und zusätzlichem Zweipunkt-Gurt auf der Fahrzeuginnenseite erlaubt die bestmögliche Ankopplung der Insassen an den Sitz. Der elektrisch kontrollierte und adaptiv steuerbare Dreipunkt-Gurt ermöglicht auch während der Fahrzeugkollision eine ideale Anpassung der Gurtkraft, um die Belastungswerte des Insassen im biomechanisch verträglichen Bereich zu halten. Die für das Visio.M-Fahrzeug vorgesehenen Airbags werden nur zur Vermeidung harter Anpralle der Insassen an die Fahrzeugstrukturen und zur Verhinderung von Interaktionen zwischen den beiden Insassen eingesetzt. FAHRZEUG IM SICHEREN ZUSTAND Zur Vermeidung von Stromschlag- und Brandrisiken wird das Hochvoltsystem sofort nach Erkennen eines schweren Aufpralls von der Batterie elektrisch getrennt und entladen. ABSICHERUNG IN SIMULATION UND VERSUCH Das vorgestellte integrale Sicherheitskonzept für Elektrokleinstfahrzeuge wird im Rahmen des Projekts Visio.M an einem Versuchsträger umgesetzt und durch numerische Simulationen und verschiedenste Komponenten- und Gesamtfahrzeugversuche abgesichert. Eine besondere Herausforderung stellt hierbei die Abstimmung des Zusammenspiels der einzelnen aktiven, passiven und integralen Sicherheitssysteme für die spezifischen Unfallarten dar. Mithilfe eines Simulationstools wird daher untersucht, welche Verkehrsszenarien zu den relevanten kritischen Situationen führen können, ❹. Für jedes dieser Szenarien wird dann ein Aktionskonzept festgelegt, das die kritische Situation auflöst oder bestmöglich entschärft. Darauf aufbauend können die Verbaupositionen, Sichtwinkel und Reichweiten der Umfeldsensoren festgelegt und die spezifischen Auslösezeitpunkte der integralen Sicherheitssysteme abgeleitet werden. In Verbindung mit der situationsadaptiven Optimierung der Interaktion von Fahrer und Fahrzeug ermöglicht das für Visio.M konzipierte holistische Sicherheitskonzept die Umsetzung eines adäquaten Sicherheitsniveaus für urban genutzte Elektrokleinstfahrzeuge bei gleichzeitiger Minimierung des Fahrzeuggewichts. DANKE Das Projekt Visio.M wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Neben der Daimler AG, Autoliv B.V. & Co. KG, IAV GmbH und der TU München beteiligen sich BMW AG (Konsortialführer), Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Continental, E.ON AG, Finepower GmbH, Hyve AG, InnoZ GmbH, Intermap Technologies GmbH, LION Smart GmbH, Neumayer Tekfor Holding GmbH, Siemens AG, Texas Instruments Deutschland GmbH und TÜV Süd AG.