Die Bevollmächtigte der Freien Hansestadt Bremen 02.11.2015 beim Bund, für Europa und Entwicklungszusammenarbeit Abt. Europa und Entwicklungszusammenarbeit Vorlage für die 4. Sitzung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten, internationale Kontakte und Entwicklungszusammenarbeit der Bremischen Bürgerschaft am 17. November 2015 TOP 9.1 Vorschlag der Europäischen Kommission zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion Hintergrund: Die Europäische Kommission hat am 21. Oktober 2015 ihre Mitteilung Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion 1 vorgestellt. Sie knüpft damit an den Bericht der fünf Präsidenten Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden, der am 22. Juni 2015 erschien, an. Die zentrale Aussage des Berichts ist, das notwendige Krisenmanagement der letzten Jahre hinter sich zu lassen und den Weg zu einer stärkeren, vollständigen Union zu ebnen. Diese Union soll auf dem Fundament einer dauerhaften, fairen und demokratisch legitimierten Basis stehen und zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand für alle BürgerInnen beitragen. Ziel ist die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion in einem dreistufigen Verfahren bis 2025. Die Kommission setzt mit den nun vorgestellten Maßnahmen die erste Stufe dieses Prozesses um. Das Maßnahmenpaket der Kommission beinhaltet eine Neugestaltung des Europäischen Semesters, eine verbesserte wirtschaftspolitische Steuerung, eine geschlossene Vertretung des Euro-Währungsgebiets nach außen sowie ein Europäisches Einlagensicherungssystem zur Vollendung der Bankenunion. Das neugestaltete Europäische Semester und das verbesserte Instrumentarium für die wirtschaftspolitische Steuerung gelten dabei für alle EU-Mitgliedstaaten. Der Vorschlag der Kommission für eine geschlossene Außenvertretung des Euro-Währungsgebietes betrifft die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Die Einrichtung eines Europäischen Einlagensicherungssystems betrifft die Mitgliedstaaten, die Mitglied der Bankenunion sind. Ein neugestaltetes Europäisches Semester : Das Europäische Semester wurde 2011 im Rahmen der Europa-2020-Strategie eingeführt. Es ist ein jährlicher Zyklus zur Koordinierung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten der EU und folgt einem festen Zeitplan: Im November veröffentlicht die Europäische Kommission den Jahreswachstumsbericht und den Warnmechanismus-Bericht. Im Jahreswachstumsbericht legt die Kommission die Prioritäten der EU zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum dar. Im Warnmechanismus-Bericht werden die Mitgliedstaaten identifiziert, bei denen weitere Analysen in Form einer eingehenden Überprüfung erforderlich sind, um Vorhandensein und Art möglicher makroökonomischer Ungleichgewichte festzustellen. 1 http://ec.europa.eu/priorities/economic-monetary-union/docs/single-market-strategy/communication-emu-steps_de.pdf 1
Im Februar veröffentlicht die Kommission dann die Ergebnisse der eingehenden Überprüfungen, in denen sie etwaige makroökonomische Ungleichgewichte des jeweiligen Mitgliedstaates aufzeigt. Im April legen die Mitgliedstaaten dann ihre Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sowie ihre nationalen Reformprogramme vor. Nach Analyse dieser Programme veröffentlicht die Kommission im Mai die länderspezifischen Empfehlungen, die maßgeschneiderte politische nicht verbindliche! - Empfehlungen an die Mitgliedstaaten in den Bereichen enthalten, die die Kommission in den nächsten 12 bis 18 Monate als prioritär ansieht. Die Kommission veröffentlicht dabei länderspezifische Empfehlungen sowohl für jeden einzelnen Mitgliedstaat als auch für die Eurozone als Ganzes. Das Europäische Semester wird künftig in zwei aufeinanderfolgende Stufen unterteilt, bei denen klarer zwischen der europäischen und der nationalen Komponente unterschieden werden soll. In einer ersten Stufe erfolgen die Gespräche und Empfehlungen zum Euro- Währungsgebiet. In einer zweiten Stufe finden dann die Gespräche über die einzelnen Mitgliedstaaten statt. Hierdurch sollen sich die gemeinsamen Herausforderungen in den länderspezifischen Empfehlungen zukünftig vollständig und kohärent widerspiegeln. Die Kommission kündigte auch an, Entwicklungen in den Bereichen Beschäftigung und Soziales im Rahmen des neu gestalteten Semesters besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, indem sie ihnen im Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten eine stärkere Bedeutung beimisst und die Sozialpartner stärker in den Prozess einbezieht. Um das Europäische Semester demokratischer zu gestalten, soll sich das Europäische Parlament zu den wirtschafts- und sozialpolitischen Prioritäten der EU äußern können. Der Beitrag des Parlaments soll bei der Vorbereitung des Jahreswachstumsberichts 2016 berücksichtigt werden. Außerdem schlägt die Kommission vor, nach der Veröffentlichung des Jahreswachstumsberichts und nach Vorlage ihrer Vorschläge für die länderspezifischen Empfehlungen eine Plenardebatte mit dem Europäischen Parlament zu führen. Die Kommission möchte die nationalen Parlamente ebenfalls eng in die Annahme der nationalen Reform- und Stabilitätsprogramme einbinden. Eine verbesserte wirtschaftspolitische Steuerung: Die Kommission schließt hier an die in den politischen Leitlinien von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angekündigte stabilitätsorientierte Überprüfung der Gesetzgebung zum Sixpack und Twopack an. Das Sixpack und das Twopack sind Maßnahmenpakete, die die wirtschaftspolitische Steuerung in der EU (Sixpack) und im Euro-Währungsgebiet (Twopack) umfassend gestärkt haben. So müssen die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes im Rahmen des im Februar 2013 verabschiedeten Twopacks ihre Haushaltsentwürfe für das kommende Jahr vorab der Kommission sowie der Euro-Gruppe vorlegen. Die Kommission gibt zudem zu jedem Haushaltsentwurf eine Stellungnahme ab, in der sie insbesondere prüft, ob die Haushaltsentwürfe den Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts entsprechen. Das Six-Pack trat im Dezember 2011 in Kraft und bezieht sich vor allem auf die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. So können seit Inkrafttreten des Sixpacks etwa finanzielle Sanktionen gegen sich im Defizitverfahren befindliche Mitgliedstaaten verhängt werden, die die an sie gerichteten speziellen Empfehlungen des Rates für die Korrektur ihres übermäßigen Defizits nicht befolgen. Diese finanziellen Sanktionen greifen nur dann nicht, wenn eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten im Rat dagegen stimmt. Die Kommission kündigte an, hier weitere Daten und Erfahrungen abzuwarten, bevor sie entscheidet, ob sie legislativ tätig wird. 2
Zur Vervollständigung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums schlägt die Kommission dem Rat vor, den Mitgliedstaaten die Einrichtung nationaler Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit zu empfehlen. Die Kommission wird ihrerseits einen beratenden Europäischen Fiskalausschuss einrichten. Die nationalen Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit sollen den nationalen Regierungen bei der Umsetzung von Reformen zur Steigerung bzw. Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit beratend zur Seite stehen. Hierbei sollen sie insbesondere auf die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen eingehen. Die Kommission empfiehlt den Ausschüssen bei ihren Empfehlungen zur Wettbewerbsfähigkeit die Dynamik der Löhne und Gehälter, die Lohnnebenkosten, produktivitätssteigernde Faktoren, Innovationen und die Attraktivität der Wirtschaft als Unternehmensstandort zu berücksichtigen. Die nationalen Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit sollen bei ihrer Arbeit keinen Einfluss auf die Rolle der Sozialpartner nehmen, diese aber regelmäßig konsultieren. Die Aufgabe des beratenden Europäischen Fiskalausschusses wird es sein, Empfehlungen und Bewertungen zu haushaltspolitischen Fragen abzugeben. Er wird zudem bewerten, welcher fiskalpolitische Kurs in wirtschaftlicher Hinsicht und im Einklang mit den haushaltspolitischen Vorgaben der EU für das Euro-Währungsgebiet insgesamt angemessen ist. Er wird zudem die Umsetzung des finanzpolitischen Rahmens der EU überwachen und kann Vorschläge für die künftige Entwicklung der finanzpolitischen Rahmenvorschriften der Union unterbreiten. Der Ausschuss wird sich aus fünf Sachverständigen zusammensetzen und ein bestehendes funktionell eigenständiges, unabhängiges Gremium sein, das bei der Kommission angesiedelt sein wird. Eine einheitliche Außenvertretung des Euro-Währungsgebietes: Der Euro ist eine der globalen Leitwährungen und hinter dem US-Dollar und noch vor dem britischen Pfund und dem japanischen Yen die zweitwichtigste Leitwährung der Welt. Das Euro-Währungsgebiet ist gemessen am Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen nach den EU28 und den Vereinigten Staaten von Amerika und noch vor der Volksrepublik China zudem der drittgrößte Wirtschaftsraum der Welt. Der Euro ist jedoch im Gegensatz zum bspw. US-Dollar nicht einheitlich in internationalen Wirtschafts- und Finanzforen vertreten. Als wichtigen Schritt hin zu einer einheitlichen Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets hat die Kommission die schrittweise Einrichtung einer einheitlichen Vertretung im Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgemacht. Sie hat hierzu einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates vorgelegt. Den Euro-Mitgliedstaaten soll die einheitliche Vertretung im IWF ermöglichen, geschlossen für ihre gemeinsamen Interessen einzutreten. Für die einheitliche Vertretung des Euro-Währungsgebiets schlägt die Kommission dabei den Präsidenten der Euro- Gruppe vor. Für das IWF-Exekutivdirektorium sieht der Vorschlag der Kommission, nach Einrichtung einer oder mehrerer nur aus Mitgliedstaaten des Euroraums bestehender Stimmrechtsgruppen, eine Vertretung des Euro-Währungsgebiets durch den Exekutivdirektor einer Euroraum-Stimmrechtsgruppe vor. Vollendung der Bankenunion durch ein Europäisches Einlagensicherungssystem: Die Europäische Bankenunion wurde von der Europäischen Kommission als Reaktion auf die Finanzkrise, die ihren Anfang im Jahr 2008 nahm, vorgeschlagen. Sie lässt sich als Zweisäulenmodell beschreiben: Die beiden Säulen sind hierbei der gemeinsame Aufsichtsmechanismus (SSM = Single Supervisory Mechanism) und der einheitliche Bankenabwick- 3
lungsmechanismus (SRM = Single Resolution Mechanism). Unterlegt sind die beiden Säulen mit einem Einheitlichen Regelwerk, welches Regeln zu Eigenkapitalvorschriften für Banken, verstärkte Anlegerschutzvorschriften und Maßnahmen zur Prävention und Abwicklung von Bankinsolvenzen enthält und als Fundament der Bankenunion angesehen werden kann. Eine ursprünglich vorgesehene dritte Säule mit einem gemeinsamen Europäischen Einlagensicherungssystem für Bankeinlagen wurde zwischenzeitlich aufgegeben. Diese dritte Säule greift die Kommission nun wieder auf, um das Gefüge der Bankenunion insgesamt widerstandsfähiger zu machen. Von einem Europäischen Einlagensicherungssystem verspricht sich die Kommission, dass sich die BürgerInnen darauf verlassen können, dass ihre Einlagen unabhängig vom Standort sicher sind. Hierdurch sollen zukünftig bank runs, wie vor kurzem in Griechenland beobachtet, vermieden werden. Die Kommission wird noch in diesem Jahr einen Legislativvorschlag zur Einrichtung eines Europäischen Einlagensicherungssystems unterbreiten. Reaktionen: Udo Bullmann, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament, kritisiert die Fokussierung der Maßnahmen der Kommission auf das Konzept der Wettbewerbsfähigkeit. Strukturreformen müssten [ ] auch auf gesamtwirtschaftliche und -gesellschaftliche Indikatoren wie Investitionen in Forschung und Entwicklung oder Bildung schauen. Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, nennt das Maßnahmenpaket der Kommission [ ] einseitig und mutlos. Er bemängelt, dass sich die Kommission konsequenter Vorschläge zur Beseitigung zentraler Mängel der Eurozone wie etwa dem Demokratiedefizit der Euro-Gruppe oder fehlenden Ausgleichsmechanismen enthält. Manfred Weber, Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, sieht in einer nachhaltigen Haushaltspolitik, Strukturreformen und dem Verzicht auf zusätzliche Schulden den einzigen Weg aus der Krise. Die EVP begrüße daher die Vorschläge der Kommission, die auf eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten abzielen. Fabio De Masi, Mitglied der Europäischen Linken im Europäischen Parlament, sieht die Vorschläge der Kommission als nicht zielgerichtet an. Das Problem des Euros ist nicht zu wenig Wettbewerbsfähigkeit, sondern eine grundlegend falsche Wirtschaftspolitik., so De Masi. Ausblick: Der Bericht der fünf Präsidenten sieht ein dreistufiges Vorgehen zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion vor. Das weitere Vorgehen der Kommission wird sich maßgeblich an diesem Fahrplan orientieren. Mit dem heute vorgestellten Maßnahmenpaket hat die Kommission die Umsetzung der ersten Stufe des Prozesses eingeleitet. - Stufe 1 Vertiefung durch Handeln (1. Juli 2015 bis 30. Juni 2017): Die vorhandenen Instrumente und bestehenden Verträge sollen genutzt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit und die strukturelle Konvergenz in der EU zu fördern, eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten herbeizuführen und beizubehalten, die Finanzunion zu vollenden und die politische Rechenschaftspflicht zu stärken. - Stufe 2 Vollendung der WWU (enthält sich einer zeitlichen Angabe): Es sollen weiterreichende Maßnahmen eingeleitet werden, um den Konvergenzprozess verbindlicher zu gestal- 4
ten. Solche Maßnahmen können z.b. gemeinsam vereinbarte, in Rechtsform gegossene Konvergenz-Referenzwerte oder ein euroraumweites Schatzamt sein. - Stufe 3 (bis spätestens 2025): Am Ende der dritten Stufe soll der Vollzug aller genannten Schritte stehen. Als unmittelbar nächsten Schritt wird die Kommission noch dieses Jahr einen Legislativvorschlag zur Schaffung eines Europäischen Einlagensicherungssystems veröffentlichen (voraussichtlich am 24. November 2015). Mitte 2016 wird sie eine Expertengruppe einsetzen, die die rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Vorbedingungen für die im Bericht der fünf Präsidenten skizzierten längerfristigen Vorschläge prüfen wird. Im Frühjahr 2017 wird die Kommission ein Weißbuch vorlegen, welches die nächsten erforderlichen Schritte, einschließlich der rechtlichen Maßnahmen, die zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion in der zweiten Stufe nötig wären, skizzieren wird. Das Weißbuch wird in Konsultation mit den Präsidenten des Europäischen Parlaments, der Euro-Gruppe, der Europäischen Zentralbank und des Europäischen Rates ausgearbeitet. 5