Heilbronner Christophorus, Idee und Realisierung Ein Rückblick von Siegfried Krüger Der Verfasser dieser Zeilen war 1975 Kirchengemeinderat in der Martin-Luther-Kirche Heilbronn, als er den Auftrag für eine Bildmeditation (Postkarte) zum Christophorus bei einem Abendmahlsgottesdienst bekam. Damit begann für mich die Beschäftigung mit der für mich bis dahin nur undeutlich bekannten Legende. Danach habe ich auf Ausflügen und Reisen plötzlich die vielen Christophorus-Bilder bzw. Skulpturen an Häusern, an und in Kirchen und in Museen wahrgenommen. Das Heft Christophorus auf der Suche nach dem Großen vom damaligen Karlsruher Prälaten Martin Achtnich hat mir die Legende besonders nahe gebracht. Es geht letzlich darum, dass man bei dieser Suche dem Teufel dienen, aber auch Christus begegnen kann. Erst im Jahre 1984 schrieb ich dem mir bekannten Dekan Simpfendörfer einen Brief mit der Anregung, diese Legende in Heilbronn zu visualisieren. Nach einiger Bedenkzeit bekam ich eine ermutigende Reaktion, was dann zur Gründung des Förderkreises für christliche Kunst an der Kilianskirche führte. Förderkreis christliche Kunst an der Kilianskirche Heilbronn 1985 Herr Prälat i.r. Dr. Albrecht Hege, Heilbronn, Fichtestraße 38/1 Herr Dekan Gerhard Simpfendörfer, Heilbronn, Wilhelmstraße 18 Herr Pfarrer Dietrich Elsner, Heilbronn, Innsbrucker Straße 9 Herr Siegfried Krüger, Heilbronn, Dinkelsbühler Straße 12 Herr Dr. Andreas Pfeiffer, Heilbronn, Solothurner Straße 17 Herr Bürgermeister Ulrich Bauer, Heilbronn, Rathaus Herr Direktor Hans Jürgen Arnold, Deutsche Bank, Moltkestraße 8, Heilbronn Frau Ruth Flammer, Heilbronn, Dittmarstraße 74 + Frau Eva Beilharz-Albrecht, Heilbronn, Fleiner Straße 32 Herr Hans Walch, Schuhhaus Walch, Heilbronn, Kaiserstraße 33 + Herr Professor Walter Hellerich, Heilbronn, Rampachertal 22 + Frau Liselotte Kast, Heilbronn, Markgraf-Ludwig-Straße 4 Herr Uwe Jacobi, Heilbronner Stimme, Heilbronn, Allee 2 Herr Direktor Dr. Wilfried Wendhausen, Heilbronn, Bismarckstraße 114 Herr Kirchenmusikdirektor Hermann Rau, Heilbronn, Bismarckstraße 54 Herr Prälat Walter Bilger, Heilbronn, Alexanderstraße 70 + Herr Professor Dr. Walter Dörr, Heilbronn, Habrechtstraße 14 + Herr Gerhard Frey, Heilbronn, Frankfurter Straße 10 1
Bis zur Realisierung des Projektes im Jahre 1988 waren viele Sitzungen zur Formulierung einer Satzung, der Spendensammlung und Ausschreibung eines Wettbewerbes notwendig. Es fand ein Engerer Wettbewerb unter 4 eingeladenen Künstlern statt: - Jürgen Goertz, 6621 Angelbachtal - Karl-Ulrich Nuss, 7056 Weinstadt-Strümpfelbach - Professor Gunther Stilling, 7129 Pfaffenhofen - Professor Jürgen Weber, 3300 Braunschweig Fachpreisrichter Sachpreisrichter Stellvertretender Fachpreisrichter Stellvertretender Sachpreisrichter Stellvertretender Sachpreisrichter Prof. Richard Hess, Darmstadt Prof. Karl Henning Seemann, Löchgau Dr. Andreas Pfeiffer, HN Dekan Gerhard Simpfendörfer, HN Frau Ruth Flammer, HN Bürgermeister Ulrich Bauer, HN Prälat i.r, Dr. Albrecht Hege, HN Frau Eva Beilharz-Albrecht, HN Der Förderkreis entschied sich für den Entwurf von Jürgen Goertz. Herr Goertz hat die Legende durch 2 Kunstwerke (Bronze-Skulptur und Marmorwellen) hervorragend visualisiert, war aber bei dem Kopf des Christus anderer Meinung als der Förderkreis. 2
Der erste Christus sah nicht aus wie ein Hoffnungsträger, sondern wie ein geängstigtes, angsteinflößendes, gnomhaftes Wesen. Der Förderkreis bestand wegen der Abweichung vom angenommenen Wettbewerbsentwurf auf einer Änderung. Daran wäre die Realisierung fast gescheitert. In der Festschrift zur Eröffnung schreibt Herr Goertz aber, dass sein erster Entwurf der bessere war, wohl weil Christus einem nicht nur im Schönen und Ansehnlichen begegnet. 2 3
Nun sind 25 Jahre vergangen und Heilbronn darf sich immer noch über das Kunstwerk freuen. Erst jetzt aber vermittelte mir ein Film über Leben und Werk Leonardo da Vincis, in dem auch Leonardos vitruvianischer Mensch erwähnt wurde, interessante Einblicke in die Gedanken von Jürgen Goertz am Christophorus. 4
Meine Gedanken teilte ich Herrn Dr. Pfeiffer mit und erhielt den folgenden Mail-Brief: Am 21.11.2013 19:05, schrieb andreas.cicerone@web.de: Lieber Herr Krüger, ich finde es super, wie Sie erneut beim Christophorus wieder "Feuer" gefangen haben! Danke für Ihre Nachricht mit der Fotocollage Goertz/Leonardo! Im jetzigen Foto vom Christophorus ist sehr schön zu sehen, dass Goertz die vitruvianische Kombination von Kreis und Quadrat nicht wörtlich von Leonardo übernimmt, sondern das Quadrat im Kreis = Kosmos = Universum etwas vertieft und "nestartig" geborgen liegt. Natürlich ist diese "Bildfigur" mit Bezug auf Vitruv/Leonardo evident! Auch steht die kreisrunde "Schulterplatte" (= Schutzschild über der Herzgegend?) deutlich kompositorisch in Bezug zum nach oben sich öffnenden, krönenden "Heiligenschein" (= Nachrichten-Sende/Empfangs- Schale) des Christus-Jungen, des weiteren mittig zwischen den passiv gefalteten Händen und den lebendig-wachen, runden Augen (auch Haarschmuck!) des Kindes! Wunderbar und unglaublich ist es, wie/dass dieses Kunstwerk uns Beiden immer neue "Geheimnisse" offenbart!! Eben ein wirkliches Kunstwerk im klassischen Verständnis = vielschichtig, komplex, tiefgründig! Salutate la vita... Ihr Andreas Pfeiffer Zum besseren Symbolverständnis mögen die 2 folgenden Seiten beitragen. Auf der letzten Seite befindet sich der Text dieser zeitlosen Legende, wie er auch auf der Bronzetafel an der Kilianskirche zur lesen ist. Mich erfüllt noch immer Freude und Dankbarkeit gegenüber allen damals an der Realisierung Beteiligten, nicht zuletzt angesicht der aktuellen Schwierigkeit der Kunstvermittlung an der Kilianskirche im Dezember 2013 5
Leonardo da Vincis vitruvianischer Mensch Symbol für Symmetrie, Schönheit und Körperbewusstsein Die Idee des vitruvianischen Menschen basiert darauf, dass der aufrecht stehende Mensch sich sowohl in die Geometrie eines Quadrates, als auch in die eines Kreises einfügen kann. Sie stammt von dem römischen Architekten, Ingenieur und Namensgeber Vitruv, der sie bereits im 1. Jhr. vor Christus schriftlich festhielt. Das Quadrat Das Umgrenzt-Sein Das Quadrat mit seinen vier rechten Winkeln, seinem Gleichmaß in Länge und Breite bildet eine ruhende, statische, adynamische Figur. Es ist begrenzt im Gegensatz zu allem Unbegrenzten und Freien. Es wirkt wie in abgestecktes Feld. Raum, Feld, Grundriss, Platz sind denn auch die häufigsten Assoziationen zum Quadrat. Es hat symbolisch Bezug zur Erde, zu ihrer Ruhe, Schwere und Härte. Das Geviert, wie Martin Heidegger es nennt, wird oft auch zum heiligen Raum, zum heiligen Platz, den kein Unbefugter betreten soll. Schon der Vorhof des Tempels ist heilig, erst recht das innerste Geviert, das Zentrum. Auch der Kreuzgang vieler Klöster ist häufig als Geviert gestaltet und hat dadurch eine wohltuende, ruhige Ausstrahlung. Das Quadrat hat Beziehung zu den vier Himmelsrichtungen, überhaupt zu der Zahl Vier. Wenn wir es umschreiten, müssen wir viermal die Richtung wechseln. An den vier Ecken sind die sehr markanten Wendepunkte um jeweils 90 Grad mit zu vollziehen. Das Quadrat drückt aus, wie der Mensch die Erde in Besitz nimmt: durch Landvermessungen, Absteckungen, Rodungen und Aushebung des Grundes. Das Quadrat in seiner Rechtwinkligkeit hat im Vergleich zum Kreis etwas Hartes, Kantiges. Insofern hat es auch etwas sehr Konkretes, Festes und Fundamentales. Es betont die Endlichkeit im Gegensatz zum Kreis, dessen Linie im Grund nirgends endet und der dadurch zum Symbol der Unendlichkeit wurde. Der Kreis Das Umfangen-Sein Der Kreis verheißt Weite und Geborgenheit zugleich: Er verlockt dazu, umwandert und durchwandert zu werden. Von außen nach innen durchschritten, gibt er Konzentration, lässt eine Mitte finden. Von innen nach außen durchmessen, erschließt er immer größere Weiten des Raumes, bildet konzentrische Kreise, wird zuletzt Bild für den Kosmos. Der Kreis bedeutet Umfangen-Sein, Fülle, Reichtum, Gabe, auch Freude, Achtung, Wert. Was uns wichtig ist, kreisen wir ein, was uns lieb ist, umringen wir. Ring und Reif sind Symbole des Lebens und der Einheit. Der Kreis birgt und schützt, er ist frei von Ecken und Kanten. Der Kreis ist eine Form von Ganzheit und Geschlossenheit. Der Kreis ist das Runde schlechthin. 6
Zu den Ursprungserfahrungen mit der Gestalt des Runden gehört die Gebärde des Umarmens, mit der ein Mensch den anderen, eine Mutter ihr Kind liebevoll umschließt. Der Kreis bildet ein Zentrum, eine klare Mitte. Ihn zu betrachten zentriert auch den Betrachtenden. Er ist auch das Symbol für Vollkommenheit. Der Kreis bildet ein Innen: Das Umgrenzte, das Umschlossene, Integrierte, das Dazugehörige. Er bezeichnet ein Außen: Das Ausgegrenzte, Ausgeschlossene, Nichtintegrierte, das Nichtdazugehörige. Die dreidimensionale Gestalt des Kreises ist die Kugel. Sie ist mobil, beweglich, sie rollt, rotiert. Kreis und Kugel kommen in der Natur vielfach vor. Einfache Lebewesen sind vom Runden geprägt: Quallen, Seeigel. Beeren, Äpfel, Orangen, zahlreiche Früchte sind rund. Tier- und Menschenaugen sind rund, der Kopf, die Brust, der Bauch, vor allem auch der schwangere Mutterleib, sind rund. Die Sonne, der Vollmond, die Erde, die Planeten im All sind unserer Wahrnehmung nach rund. Zum Runden, zum Kreisen gehören Dynamik, Bewegung, Drehung, vor allem dann auch der Tanz. Die Symbolik des Kreises wird oft im Gegensatz zu der des Quadrats gesehen: Gilt das Quadrat als Symbol der Erde, des Irdischen in seiner Beschränktheit, so gilt der Kreis als Symbol des Himmels, des Kosmischen in seiner Entgrenztheit. Zeigt das Quadrat in seiner Kantigkeit das Hier und Jetzt der Realität an, so entspricht dem Kreis die Ewigkeit. Der Kreis stellt die Fülle, die Vollständigkeit, die Ganzheit dar. 7
Späte Erkenntnis Ich lade Sie noch ein, meinen Gedanken nach etwas eingehender Betrachtung der Skulptur zu folgen. Zu meiner Überraschung hatte ich etwas übersehen, war mir aber über die Deutung unsicher. Sicher aber war ich mir nur, dass ich nichts Zufälliges sah und der Künstler sich dabei etwas gedacht hatte. Meiner Bitte um Sehhilfe war Jürgen Goertz jetzt Prof. Dr. Jürgen Goertz bisher wohl bewusst nicht nachgekommen. Ich erkannte in dem folgenden Bild eine Andeutung der Arche Noah! Inzwischen habe ich gelernt, dass bei einem Kunstwerk nicht das Entscheidene ist, was der Künstler gedacht hat, sondern was es in mir auslöst, was es in mir an produktiven Gedanken und Empfindungen und Weiterentwicklungen bewirkt und das ist mindestens ebenso sinnvoll wie das, was der Künstler wollte. Ich fand auch heraus, dass die Sintflut/Arche durchaus etwas mit der Taufe des Christophorus zu tun hat, wird sie doch im Neuen Testament und bei den Kirchenvätern als Sinnbild der Taufe verstanden. Die Taufsymbolik von Tod und Auferstehung oder Neuschöpfung (2 Kor 5,17) kommt in der Achtzahl der in der Arche geretteten Personen zum Ausdruck mit Noach, dem Verkünder der Gerechtigkeit, als dem Achten (2 Petr 2,5). 8
Dem Bezug zu Leonardo da Vinci auf der Ostseite der Skulptur steht die Arche/Sintflut (2500 v. Chr.?) auf der Westseite an Tiefsinnigkeit nicht nach. In der Kilianskirche hat der Glaskünstler Professor Crodel die Arche und die Taufe Jesu auf der Südseite des Langhauses dargestellt. Zu meiner Überraschung sind diese auch nahe der Skulptur. 9
Nun gehört zu meiner Deutung natürlich auch noch der Bundesbogen Gottes. Nach der Flut übergibt JHWH die Verantwortung über die Erde den Menschen. JHWH schließt einen Bund mit Noach, verspricht, es werde nie wieder eine Sintflut geben, und setzt den Regenbogen als Zeichen hierfür in die Wolken. Gen 9,8 17 8 Dann sprach Gott zu Noach und seinen Söhnen, die bei ihm waren: 9 Hiermit schließe ich meinen Bund mit euch und mit euren Nachkommen 10 und mit allen Lebewesen bei euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Tieren des Feldes, mit allen Tieren der Erde, die mit euch aus der Arche gekommen sind. 11 Ich habe meinen Bund mit euch geschlossen: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben. 12 Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: 13 Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde. 14 Balle ich Wolken über der Erde zusammen und erscheint der Bogen in den Wolken, 15 dann gedenke ich des Bundes, der besteht zwischen mir und euch und allen Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch, und das Wasser wird nie wieder zur Flut werden, die alle Wesen aus Fleisch vernichtet. 16 Steht der Bogen in den Wolken, so werde ich auf ihn sehen und des ewigen Bundes gedenken zwischen Gott und allen lebenden Wesen, allen Wesen aus Fleisch auf der Erde. 17 Und Gott sprach zu Noach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich zwischen mir und allen Wesen aus Fleisch auf der Erde geschlossen habe. 10
Federzeichnung: Annedore Köster, HN 11
Zur vorstehenden Zusammenstellung erhielt ich einige Reaktonen Prälat i.r. Martin Achtnich schrieb am 19. Dezember 2013 Ja, der Christophorus lässt einen nicht los, wenn er einen mal berührt hat. Schön, was Sie da entdeckt haben mit dem vitruvianischen Menschen", mit dem Kreis und dem Viereck. Da lässt sich viel drüber sinnieren. Der Kreis symbolisiert ja immer das Umfassende, Ganze, Runde, Göttliche. Das Viereck symbolisiert die Welt (vierfach in Zeit und Raum: Vier Jahreszeiten, vier Himmelsrichtungen, vier Elemente usw.) Insofern ist das Symbol auf der Goertz'schen Christophorusfigur auch ein Hinweis, dass sich in der Begegnung zwischen Christophorus und dem Christuskind Gott und die Welt begegnen. Mir kam noch in den Sinn das sogenannte Mandala, eine besonders im buddhistischen Raum, aber auch in der abendländischen Symbolik immer wieder auftauchende Gestaltung. In der Analytischen Psychologie von C. G. Jung ist es ein zentrales Symbol für das Selbst", das Jung auch immer wieder in Träumen seiner Klienten begegnet ist. Beim Mandala allerdings ist umgekehrt der Kreis innerhalb des Vierecks. Im Zentrum ist der Schatz": Christus oder ein Heiliger oder eine Perle oder ähnliches. Als ich Anfang der Achtzigerjahre einmal in Indonesien auf Java war, fand ich sogar, dass der Grundriss des buddhistischen Tempels Borobodur so konzipiert war: Kreis im Viereck. Dr. Christoph Klawe schrieb am 16.12.2013 Zu den geometrischen Grundformen gehört auch das Dreieck. So kann man auch das Quadrat in 4 Dreiecke zerlegen. Dazu kann man im Symbollexikon nachlesen: http://www.symbolonline.de/index.php?title=dreieck Der Heilbronner Christophorus hat Kegelgestalt. Auch die Projektion eines Kegels ist ein Dreieck. Hat Herr Goertz das Dreieck im Christophorus so bedacht? 12
In der Meditation zum Hl. Christophorus ist irgendwo von der Begegnung mit dem "gewaltfreien Christus" die Rede. Aus der psychologischen Perspektive finde ich, dass diese Erwägung gar nicht zur Legende passt. Mir gefällt die Legende sehr, aber es geht ja geradezu als Kernthema um Macht, deren Ausübung selten gewaltfrei ist. Und der kindliche Christus, der sich von Offerus tragen lässt, kündigt sich ja keineswegs höflich an, sondern offenbart sich, als Offerus unter seiner Last fast im Fluss ertrinkt. Die folgende Taufe ist ja auch nicht ein gütig zelebrierter Akt, sondern ein unvorhergesehenes Untertauchen des Kopfes im Sinne eines beängstigenden "Tunkens"! Das spricht nicht gegen die Qualität der Legende und auch nicht gegen den sich offenbarenden Herren; gerade in der Zen-buddhistischen Tradition gibt es ja zahllose Geschichten darüber, dass man von der Erleuchtung getroffen wird wie von einem Schlag, und das mag sich in der Offerus-Legende ebenfalls widerspiegeln. Aber richtig gewaltfrei ist es eben nicht. Zum letzten Absatz von Herrn Achtnich merkt Herr Klawe an: "Dass der Tempel in Indonesien ein Kreis im Viereck war, liegt daran, dass in der Symbollehre der Chinesen der Kreis den Himmel, das Viereck die Erde repräsentiert: der Tempel ist ein Stück Himmel auf der Erde." Zu meiner Deutung von Einritzungen als Arche schrieb mir am 23.1.14 Herr Dr. Andreas Pfeiffer Lieber Herr Krüger, das grundsätzlich Überraschende und Schöne an der Bildenden Kunst ist ja, dass Sie uns als "bedächtig vortastend Sehende" bereichert, je mehr wir uns in sie vertiefen! Ihre geistreichen Überlegungen zur sogenannten "Arche" am Sockel des Christophorus kann und möchte ich deshalb nicht widersprechen! Sie stehen jedermann offen, zumal Goertz selbst bisher keine Festlegung/ Kommentar dazu abgegeben hat. Aber wir sollten dennoch die Tatsache nicht außer acht lassen, die der Zufall spielt! Oft sind es Zufälligkeiten im komplexen Herstellungsprozess eines Brozewerkes, z.b. beim Erkalten der siedensheißen Bronzeflüssigkeit in der Gussform, die zu Überraschungen auf der späteren Bronzehaut führen, die vom Künstler später im Vollendungsprozess entweder wegpatiniert oder bewusst stehen gelassen werden, weil sie ihm und auch uns als "Sehende" neue "Imaginationsräume" öffnen! Von Benvenuto Cellini bis zu Picasso finden wir hier "ein weites Feld"! Letzterer war in dieser Hinsicht wohl der Magier aller "Findungsmeister!" "Ich suche nicht, ich finde!" ; mit diesem höchst selbstbewussten Zitat motivierte er sich zu immer neue Schaffensperioden, die in der Rückschau von heute die Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert entscheidend verändert, d.h. mitgeprägt haben! Deshalb: Ein Hoch auf die "eterna fantasia!" und unser Erkenntnisvermögen... Saluta la vita, il sole e l arte! Andreas Pfeiffer 13
Zu meiner Deutung von Einritzungen als Arche schrieb mir am 23.1.14 Herr Prälat i.r: Martin Achtnich Lieber Herr Krüger, danke für die nun deutlicher sichtbaren Einritzungen. Die von Ihnen hergestellten Bezüge zwischen Taufe und Arche einerseits und den Bildern innen und am Christophorus andrerseits sind auf jeden Fall äußerst sinnvoll und hilfreich. Bei einem Kunstwerk ist ja das Entscheidende nicht, was der Künstler gedacht hat, sondern was es in mir auslöst, was es in mir an produktiven Gedanken und Empfindungen und Weiterentwickeln bewirkt - und das ist oft mindestens so sinnvoll wie das, was der Künstler wollte. Der Philosoph Gadamer sagte einmal, dass auch Texte - das gilt für Bilder genau so - in neuen Situationen Neues aus sich entlassen, was ursprünglich noch garnicht in ihnen enthalten war; dass sie in neuen Zusammenhängen "produktiv" sein können. Ob das von Ihnen Gesehene den Intentionen von Goertz entspricht, könnte letztlich nur er selber sagen. Es ist aber nicht entscheidend. Wirkung geht immer weiter. Mit herzlichen Grüßen Ihr Martin Achtnich Der Künstler Prof. Dr. Jürgen Goertz in Heidelberg heute 14
Nachtrag Mit dieser kleinen Dokumentation zum Heilbronner Christophorus bin ich zufällig auf eine umfassende Zusammenstellung des Christophoruskultes im Mittelalter gestoßen: Standorte und und Funktionen von Christophorusfiguren im Mittelalter von Yvonne Bittmann, Heidelberg 2003 http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/4350/1/bittmann.pdf Im Mittelalter entstand der Glaube, dass derjenige, der das Bild des Christophorus am Morgen andächtig betrachtet, an diesem Tag vor dem jähen Tod geschützt sei, den man für sein Seelenheil fürchtete. Darum die zahlreichen Christophorus- Darstellungen an, in und vor Kirchen und anderen Orten. Siegfried Krüger, Heilbronn im Februar 2014 15