Anti-Mobbing-Strategien für die Schule

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Transkript:

Schulen ohne Gewalt Anti-Mobbing-Strategien für die Schule Praxisratgeber zur erfolgreichen und nachhaltigen Intervention von Dr. Anne A. Huber 1. Auflage 2011 C. Link 2011 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 556 04274 8 schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

Teil II 7. Systemische Mobbingprävention und -intervention Jeder Fall ist anders Die genannten Vorgehensweisen bieten bei allen Detailaussagen nur eine grobe Orientierung zur Systemischen Mobbingintervention. Wir passen unser Vorgehen flexibel den Erfordernissen des Falls an. Wenn die Klasse beispielsweise bereits in der Manifestationsphase ist, beginnen wir nicht mit dem ersten Schritt Gewalthandeln benennen sondern mit dem dritten Schritt Mit den Aufhängern für Gewalt arbeiten. Bei schweren Übergriffen sind bereits vor der eigentlichen Intervention Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen sowie Anzeigen und weitere Schritte erforderlich. Zeitaufwand der Intervention Um die Aufmerksamkeitsspanne der Klasse nicht zu überfordern, setzen wir uns bei der eigentlichen Intervention ein Zeitlimit von zwei Schulstunden. Wenn man die Zeiten hinzu zählt, die für die Identifizierung des Opfers, das Vorgespräch, das zusätzliche Helfertraining, das Training mit der ganzen Klasse, die Vertragskontrolle, das Einfordern von Wiedergutmachungen und eine evtl. zusätzlich notwendige Arbeit mit weiteren Lehrkräften, dem Opfer, dessen Eltern und/oder außerschulischen Einrichtungen bzw. Behörden benötigt werden, wird deutlich, dass der tatsächliche Zeitaufwand bedeutend größer sein kann. 7.5 Praxisbeispiele Fallstricke in der Mobbingintervention das Beispiel Carmen Die Erfolgsaussichten einer Mobbingintervention werden geschmälert, wenn im Vorfeld unprofessionell agiert wird. Es besteht die Gefahr einer Verschlimmerung, die Klasse kann durch wohlgemeinte pädagogische Maßnahmen von der Konsolidierungs- in die Manifestationsphase geführt werden, wodurch eine erfolgreiche Intervention erschwert oder sogar unmöglich wird. Im Folgenden werden Fallstricke anhand eines Beispiels veranschaulicht und anschließend im Einzelnen erläutert. Fallbeispiel Carmen zur Veranschaulichung möglicher Fallstricke bei Mobbinginterventionen Carmen Winter (Name geändert) besucht die neunte Klasse. An einem Freitag nach der letzten Unterrichtsstunde braucht sie länger als üblich, um ihre Sachen zusammen zu packen. Herr Schmitt, ihr Klassenlehrer, bemerkt, dass sie offensichtlich wartet, bis alle Mitschüler den Raum verlassen haben. Er spricht sie an und erfährt zu seiner Überraschung von ständigen Attacken der Mitschüler gegen Carmen, z. B.: Schimpfwörter, Namenverunstaltungen, Verliebtheitssprüche, live und auch per SMS. Herr Schmitt ist irritiert und verunsichert, bisher hat er von alledem nichts bemerkt. Als Klassenlehrer unterrichtet er nur wenige Stunden in seiner Klasse. Er vereinbart mit Carmen einen Termin zum Einzelgespräch in der kommenden Woche. Darin erfährt er weitere Einzelheiten einer bereits vier Monate andauernden Schikane. Was das Mädchen vor allem verletzt: Wenn in Gruppenarbeiten etwas misslingt, machen die Mitschüler immer sie dafür verantwortlich. Ihre Versuche sich zur Wehr zu setzen, sind bisher alle gescheitert. Erst leise, dann laut hat sie ihre Mitschüler gebeten und gefordert damit aufzuhören und schließlich hat sie sie angeschrieen und beschimpft, was diese bloß amüsiert hat und alles nur noch schlimmer machte. Um keinen Fehler zu machen und genauere Informationen über die Täter zu erhalten, trifft sich Herr Schmitt noch ein zweites Mal mit Carmen. Er ist der erste Erwachsene, mit dem Carmen über ihr Leid spricht. Wie er erfährt, wissen auch die Eltern nichts von der Sache. Zwei Einzelgespräche einer schikanierten Schülerin mit ihrem Lehrer bleiben den Klassenkameraden nicht verborgen. Wie bewerten diese die Treffen? Das Verhalten von Carmen wird von einigen Schülern als Petzen interpretiert die Täterin und ihre Assistentinnen fühlen sich in ihrem Tun bestätigt. Bisher unbeteiligte Schüler sprechen nun auch von Carmens Petzen. Der Kreis derer, die der Schikane zustimmen, erweitert sich. Herr Schmitt hat bisher keine Erfahrung im Umgang mit Mobbing. In einem ersten Schritt scheint ihm jedoch wichtig, die Eltern zu informieren, worüber er auch mit Carmen spricht. Frau Winter ist mehr als überrascht. Ihre ersten Worte an die Tochter sind: Warum hast du mir denn nichts gesagt, vertraust du mir denn nicht? Wie erlebt Carmen diese Äußerung? Warum hat sie nichts gesagt? Carmen wusste, dass ihre Mutter ihr nicht wirklich helfen kann. Dass ihr Leid sie nur belasten würde. Carmen hat ihre Mutter mit ihrem Schweigen geschützt. Es war ein Liebesbeweis an ihre Eltern. Jetzt werden ihr deshalb Vorwürfe gemacht. Frau Winter will für ihre Tochter kämpfen. Sie bedrängt ihre Tochter, ihr die Namen der Täterinnen zu nennen. Frau Winter meldet sich telefonisch bei diesen. Was hatte sie für eine Reaktion erwartet und wie fällt diese tatsächlich aus? Die Eltern der Mobberinnen stellen sich schützend vor ihre Kinder und richten ihrerseits Schuldvorwürfe an Frau Winter und ihre Tochter (Kehren Sie mal vor ihrer eigenen Tür. Wissen Sie, was Ihre liebe Carmen zu unserer Tochter gesagt hat? ). Sie suchen weitere Verbündete in der Elternschaft. Damit wiederholt sich auf Elternebene eine Viktimisierung, die auf Schülerebene bereits seit Monaten besteht. 100

7. Systemische Mobbingprävention und -intervention Teil II Wie erleben und reagieren die Täterinnen und ihre Assistentinnen?: Sie fühlen sich in ihrem Tun bestätigt und legitimiert. Das schikanierende Verhalten verstärkt sich. Eine größere Zahl von Mitschülerinnen und jetzt auch Mitschülern attackiert Carmen mit Beleidigungen bzw. bestätigt deren Verhalten mit zustimmenden Kommentaren. Jetzt reicht es Herrn Schmitt! Seine Hoffnung, Carmens Eltern könnten etwas Positives bewirken, haben sich als unbegründet erwiesen. Er wird selbst aktiv, vereinbart mit den Haupttäterinnen einen Gesprächstermin und konfrontiert sie. Die beschuldigten Mädchen reagieren mit Bagatellisierungen und Rechtfertigungen. Trotzdem ändert sich etwas. Sandra, die Haupttäterin hält sich anschließend auffällig zurück. An ihre Stelle rücken die Assistentinnen. Es bleibt unklar, ob sie beauftragt sind oder selbstmotiviert um Sandras frei gewordene Stelle konkurrieren. Carmen geht es zunehmend schlechter. Vermehrt fehlt sie im Unterricht. Üblicherweise ziehen Fehlzeiten an der Schule Sanktionen nach sich. Herr Schmitt zögert, im Wissen um die Gründe von Carmens Fehlen, diese anzuwenden. Von den Mitschülern wird dieses Zögern argwöhnisch betrachtet. Für sie spiegelt sich darin die Ungerechtigkeit des Lehrers. Ihren Zorn richten sie auf Carmen. Schritt für Schritt solidarisieren sich immer mehr Schüler gegen Carmen. Der Werterahmen verschiebt sich. Im Bewusstsein der Schüler wird es zunehmend legitim, Carmen für ihr Verhalten zu bestrafen. Die Klasse gleitet von der Konsolidierungs- in die Manifestationsphase. Lehrer und Eltern haben mit ihren Aktionen nur das Beste gewollt und dabei das Gegenteil erreicht. Einzelgespräche mit dem Opfer beenden das Mobbing nicht Zuwendung ist ein heiß umkämpftes Gut in Schulklassen. Schüler können sehr empfindlich reagieren, wenn jemand mehr davon erhält als die anderen. Dies kann weitere Schüler gegen das Opfer aufbringen und die Aggressivität gegenüber dem Opfer verstärken. Gleichzeitig fühlen sich die Täter durch die Einzelgespräche verraten/verpetzt, sind verunsichert, weil sie nicht wissen, was hinter ihrem Rücken läuft und auf sie zukommt, haben das Opfer im Verdacht, falsche Sachen zu erzählen, um damit die Lehrkraft auf seine Seite zu ziehen und reagieren noch aggressiver. Da Einzelgespräche nichts daran ändern, dass das Opfer gegen die Übermacht der Angreifer keine Chance hat und von den Mitschülern keine oder zu wenig Unterstützung bekommt, wird Mobbing durch Einzelgespräche auch nicht beendet. Interventionen von Opfer-Eltern können zu einer Verschlimmerung führen Auch die Eltern der Mobbingopfer leiden. Sie sehen, wie ihrem Kind weh getan wird, sind wütend und wollen nicht untätig bleiben. In ihrer Verzweiflung rufen sie Täter-Eltern an, in der Hoffnung, dass diese ihre Kinder vom Mobbing abhalten. Dies kann aus zwei Gründen zu einer Verschlimmerung führen. Wenn die Eltern ihrem Kind tatsächlich Druck machen, geben diese den Druck an das Opfer weiter. Oder die Eltern stellen sich schützend vor ihr Kind und stärken diesem damit den Rücken. Im schlimmsten Fall greifen nun die Täter-Eltern die Opfer-Eltern an und es entsteht auf der Ebene der Eltern ein zweites System der Schikane. Dieselbe Dynamik kann entstehen, wenn ein Elternabend zu diesem Thema einberufen wird, um über das Problem zu reden. Verschlimmert wird diese Dynamik noch, wenn die Opfer-Eltern die Täter zur Rede stellen, um diese zu einer Beendigung der Angriffe zu bewegen. Täter zur Brust nehmen und/oder Schulstrafen: Sanktionen blockieren konstruktive Lösungsprozesse beim Täter Täter bringen Rechtfertigungsstrategien und Schutzbehauptungen vor wie: Wir machen doch nur Spaß! Der provoziert uns doch! Der nervt doch alle! Das ist doch normal!. Sie versuchen sich aus ihrer Verantwortung herauszureden und fühlen sich im Recht. Schulstrafen ermöglichen es ihnen auch gegenüber den Mitschülern in die Opferrolle zu gehen und ihre Empathie gegenüber dem eigentlichen Opfer weiterhin zu blockieren. Nun haben sie einen zusätzlichen Grund, um auf das Opfer loszugehen und potentielle Verteidiger des Opfers entwickeln eher Mitleid mit den Tätern und sind nicht mehr bereit, dem Opfer zu helfen. Die Täter sind wütend über die Bestrafung und rächen sich vielleicht beim Opfer nur diesmal geschickter oder versteckter oder indem sie andere dazu überreden oder zwingen. Bestrafungen und Schuldzuweisungen ändern nichts an der mangelnden Empathie der Täter für das Opfer und an ihren massiven Rechtfertigungsstrategien. Sie verhindern, dass sich Täter in den Lösungsprozess einbinden lassen und bei der Intervention mitarbeiten (siehe auch Mitgefühl fördern und Empathieblockaden auflösen in Abschnitt 4. Durchführung der Intervention). Bei der Bestrafung stellt sich noch ein weiteres Problem: Wer soll wie für was bestraft werden? Wer sind die Anführer? Sind sie wirklich eindeutig zu identifizieren? Soll jeder Anführer die gleiche Strafe bekommen, obwohl manche vielleicht mehr gemacht haben als andere? Woher weiß ich, dass mir alle Taten bekannt sind? Wo verläuft die Trennlinie zu den Unterstützern oder Assistenten? Wie bestrafe ich die Zustimmer, die durch Beifallsäußerungen zur Verstärkung der Angriffe beigetragen haben? Was mache ich, wenn die Hälfte der Klasse aus Assistenten und Claqueuren besteht? Soll ich die potentiellen Verteidiger des Opfers anklagen, weil sie nicht genug gegen 101

Teil II 7. Systemische Mobbingprävention und -intervention das Mobbing unternommen haben? Bestrafen wir die Desinteressierten, die weggeschaut haben, wegen unterlassener Hilfeleistung? Sollen wir dem Opfer Vorhaltungen und Vorwürfe machen, weil es sich nicht oder nicht früher offenbart hat und ihm deshalb eine Mitschuld geben? Da alle am System der Schikane mitschuldig sind, müssten theoretisch auch alle irgendwie bestraft werden. Doch wie sorge ich dafür, dass alle eine gerechte Strafe bekommen? Und was wäre damit für die Lösung des Problems gewonnen? Uns geht es um die Lösung des Problems: Da alle ihren Teil zum Problem beigetragen haben, erhalten auch alle die Gelegenheit, ihren Teil zur Lösung des Problems beizutragen. Mobbing ist ein gruppendynamischer Prozess, für den alle eine Mitverantwortung tragen. Deshalb erhalten auch alle die Gelegenheit eine Verantwortung für die Lösung mitzutragen. Die Mobbingintervention findet mit der ganzen Klasse statt und verzichtet auf Schuldzuweisungen und Strafen. Opfern Sonderrechte einräumen Manchmal verführt das Mitleid mit dem Opfer dazu, diesem Sonderrechte einzuräumen. Dies kann viele Formen annehmen. Beispielsweise wird auf Regelverstöße des Opfers anders reagiert als bei den Mitschülern. Während zum Beispiel der Rest der Klasse eine Fehlzeit spätestens am nächsten Tag schriftlich entschuldigen muss, wird beim Opfer darüber hinweggesehen. Oder das Opfer wird grundsätzlich in Schutz genommen. Wenn das Gerechtigkeitsempfinden der Klasse verletzt wird, besteht die Gefahr, dass noch mehr Schüler als vorher auf das Opfer losgehen. Schuldzuweisungen an Opfern können als Gewaltlegitimation verstanden werden Manchmal zeigen Opfer Verhaltensweisen, die auch die Erwachsenen nerven und die dazu führen, dass Verständnis für die Angriffe gezeigt wird: Der ist ja selber schuld, wenn (...)., Der muss sich nicht wundern, wenn (...), Der scheint seine Opferrolle ja zu genießen., In der Pubertät geht es eben mal etwas rauer zu.. Die Mitschüler spüren diese manchmal sehr subtilen Abwertungen, fühlen sich im Recht und verstärken ihre Angriffe. Kein Verhalten, egal welche Gefühle es auslöst, gibt dem Gegenüber das Recht auf verletzende Verhaltensweisen gar systematische Schikane. Mangelnde präventive Anstrengungen unterlaufen jede Mobbingintervention Wenig Sinn macht eine Mobbingintervention, wenn die Einrichtung keinerlei präventive Anstrengungen im Sinne der oben genannten Schwachstellen im System unternimmt. Der Mindeststandard besteht in der intensiven Arbeit am Thema Klassengemeinschaft. und der Entwicklung und Sicherung verbindlicher Regeln des Zusammenlebens. Ein leichterer Fall Julia Die vorangegangenen Ausführungen mit ihren Differenzierungen und Hinweisen zu Fallstricken, erzeugen vielleicht das Gefühl, dass jeder Fall schwierig und zeitraubend und komplex ist. Dies entspricht nicht der Wirklichkeit. In vielen Fällen ergibt sich die Arbeit am System der Schikane ganz natürlich aus der präventiven Arbeit mit einer Klasse und viele Opfer entsprechen nicht dem Stereotyp des eingeschüchterten und schwachen Opfertyps. Wir beschreiben deshalb im Folgenden, in verkürzter Form, die Arbeit an einem leichteren Fall mit einer 7. Klasse. Der Präventions- und Interventionszeitraum umfasste acht Zeitstunden, verteilt auf zwei Tage, und wurde von einem Pädagogen geleitet, der aus der Ich-Perspektive berichtet. Vorinformationen zur Schulklasse In zwei Telefonaten mit der Schulleiterin und der Klassenlehrerin erhielt ich erste Informationen zur Schulklasse. Man sagte mir, die Klasse sei äußerst problematisch. Es gäbe oft Streit, ein ständiges Gerangel zwischen Mädchen und Jungen. Es bestünde der Verdacht, dass ein Mädchen namens Julia (alle Namen sind geändert) gemobbt würde. Sie würde sich nicht mehr so oft melden wie früher. Einige Mädchen und Jungs würden sich Blicke zuwerfen, wenn sie etwas sagt und dann laut lachen oder abwertende Kommentare abgeben. Schüler würden sich weigern in Gruppenarbeitsphasen mit ihr zusammenzuarbeiten. In den vergangenen Wochen habe Julia mehrfach im Unterricht gefehlt. Allem Anschein nach findet derzeit die Konsolidierungsphase statt. Die Schikane geht zwar nicht nur von den Mädchen aus, sondern hat die Geschlechtergrenze überschritten ein Indiz für einen fortgeschrittenen Mobbingprozess doch scheinen noch nicht alle Schüler involviert, was die Erfolgsaussichten einer Intervention erhöht. 102

7. Systemische Mobbingprävention und -intervention Teil II Mit der Klasse Verhaltensregeln erarbeiten Julia meldet sich nach circa 45 Minuten das erste Mal zu Wort, als ich die Frage stelle: Wer von euch hat hier in der Klasse schon mal ein Schimpfwort abbekommen. Sie sagt: DiebeschimpfenmichallealsBrillenschlange und machen sich lustig über mich, weil ich mich nicht schminke. Anschließend herrscht absolutes Schweigen kein Flüstern Totenstille. Dieses Schweigen ist typisch für Situationen, in denen in Schulklassen das Mobbingverhalten zur Sprache kommt. Die Schüler haben ein Gespür für den Unterschied zwischen systematischer Schikane und den üblichen Attacken, unter denen mehr oder weniger alle leiden. In dieser Situation ist es meine Aufgabe, Julias Aussage und dem Schweigen Bedeutung zu geben, indem ich die Stille andauern lasse, meine eigenen Bewegungen und meine Stimme verlangsame und Julia verspreche, dass ich mich um ihr Anliegen kümmern werde. Julia spricht ihr Thema in der Klassenrunde selbst an, sie macht selbst den ersten Schritt zur Bearbeitung und erteilt mir damit den Auftrag, ihr zu helfen. Die Klassenlehrerin sagte mir später, wie erstaunt sie war, dass Julia so eindeutig aufgetreten sei. Voraussetzung hierzu war sicherlich mein vorheriges Einschreiten gegen alle Formen von Auslachen und sonstigen Abwertungen unter den Schülerinnen und Schülern. Ein verbindlicher Rahmen mit stabilen Regeln gibt Mobbingopfern die Sicherheit, die sie brauchen, um ihre Not anzusprechen und Hilfe einzufordern. Etwa zwanzig Minuten später meldet sich Julia erneut zu Wort. Ich hatte die Schüler beauftragt, in Einzelarbeit Halbsätze zu vervollständigen. Hier einige der Ergebnisse, die alle laut vorgelesen wurden: Am Verhalten meiner Mitschüler verletzt mich, dass immer beleidigt wird, egal was ist. sie mich auslachen, wenn ich was falsch mache. immer jemand lügt, dass Geschichten erfunden werden, wo man dann mit jemandem Stress bekommt. viele sich dazu beeinflussen lassen, Julia fertig zu machen oder über sie zu lästern und dass jemand in unserer Klasse ausgeschlossen ist und keine Chance hat. Jeder Schüler liest seinen Satz vor. Die Aussagen werden genutzt, um drei Regeln des Zusammenlebens zu formulieren: 1. Ich verletze niemanden mit Worten und Gesten (z. B. Stinkefinger). 2. Ich tue niemandem körperlich weh. 3. Ich achte das Eigentum der Anderen. Beginn der eigentlichen Intervention Auf der Basis dieser Regeln beginnt nun die Arbeit mit Julia, also die eigentliche Mobbingintervention. Aufgrund der Vorinformationen durch die Lehrerinnen, des Auftretens von Julia und der anschließenden spontanen Stille in der Klasse sowie der Bestätigung durch die vervollständigten Halbsätze kann auf weitere Methoden zur Identifikation des Mobbingopfers verzichtet werden. Julia braucht an dieser Stelle keine Unterstützung ihrer Motivation. Sie hat mir den Auftrag, ihr zu helfen, ja bereits erteilt. Die Klasse wird zu Beginn der Intervention darüber informiert, dass es nicht darum geht, Schuldige zu finden oder Einzelne zu bestrafen. Die wichtigste Frage ist, wie das Mobbing beendet werden kann und wer dabei mithilft. Bevor die Angriffe aufhören können, muss jedoch zunächst geklärt werden, wie diese aussehen. Wer offen darüber spricht, beweist seinen Mut. Um das Gewalthandeln benennen zu lassen, richtet sich meine erste Frage an die Klasse: Was bekommt Julia ab? Einzelne Schüler berichten: Sie wird als Brillenschlage beschimpft. Bei Gruppenarbeiten arbeitet niemand mit ihr zusammen. Es werden Sachen erzählt, die nicht stimmen, z. B. dass sie Läuse hat und ihre Kleider aus der Altkleidersammlung stammen. Diese und alle weiteren Berichte werden stichwortartig auf einem Flipchart notiert und sorgen für eine zunehmende Stimmung der Betroffenheit in der Klasse. Erst ganz am Ende frage ich Julia, was noch fehlt und was für sie am schlimmsten ist und sie ergänzt: Die machen sich über alles lustig, was ich sage und lachen mich ständig aus. Ich wende mich an die Klasse und lade sie zu Vermutungen über das innere Erleben des Opfers ein um ihr Mitgefühl zu fördern: Was glaubt ihr, wie sich Julia in der Klasse fühlt? Sabine meldet sich und sagt: Allein. Gerade will ich fragen, wer solche Erfahrungen kennt, um Parteinahme und Empathie für Julia zu stärken, als sich Aicha meldet und zu Julia gewandt äußert: Du sagst, dass du dazugehören willst aber du erzählst ja auch nie was von dir. Ich hab dich gestern was gefragt und du hast einfach durch mich durchgeguckt und nichts gesagt. Äußerungen dieser oder ähnlicher Art gibt es häufig. Opfern wird vorgeworfen, immer gleich zum Lehrer zu rennen, komisch zu riechen, ein Streber zu sein, sich seltsam zu verhalten oder immer auszurasten. Sie machen die Empathieblockaden der Mitschüler deutlich, die es zu lösen gilt. 103

Teil II 7. Systemische Mobbingprävention und -intervention Etikettierungsprozesse Wenn Schüler die Anteile des Opfers ins Gespräch bringen, besteht die Gefahr, dass sich das Opfer erneut verletzt fühlt oder sich die Schuld gibt. Denn: Vielleicht sind die Vorwürfe berechtigt? Lehrer berichten regelmäßig von auffälligen Eigenschaften oder Verhaltensweisen bei jenen Kindern und Jugendlichen, die in ihren Klassen gemobbt werden. Mechthild Schäfer und andere Vertreter der Forschungsgruppe gegen Mobbing an der Ludwig-Maximilian-Universität in München sagen, die Rolle des Opfers hänge nicht von den Eigenschaften des Opfers ab, sondern sei das Ergebnis einer Rollenzuschreibung durch die Gruppe (Schäfer, 2010). Dagegen spricht Dan Olweus, Pionier der Mobbingforschung in Europa von provozierendem Opferverhalten (Olweus, 2002). Wie passt das zusammen? Mobbingopfer weichen mit bestimmten Verhaltensweisen von der Normalität ab aber das tun wir alle. Das Wesentliche in der Entwicklung von Mobbing ist nicht das Verhalten der Opfer. Das Wesentliche ist der Etikettierungsprozess, in dem das Opfer zum Opfer gemacht wird. Trotzdem spricht Dan Olweus von provozierendem Opferverhalten. Er sagt, es sei wichtig, dass diese Kinder und Jugendlichen Reaktionsmuster finden, die ihre Umgebung weniger reizen. Diese Aussage ist gefährlich und richtig zugleich. Sie ist gefährlich, weil sie missverstanden werden kann, als sei das Opfer schuld an seiner Rolle, als könne das Opfer allein, mit einer eigenen Verhaltensänderung, das Mobbing beenden. Das Mobbing beenden können jedoch nur die Täter, ihre Helfer und die Gruppe, in der es passiert. Es liegt nicht in der Macht des Opfers. Deshalb ist der Appell Jetzt lass dich doch nicht so provozieren dann hören die schon wieder auf! falsch falsch und gefährlich. Die Aussage von Olweus ist richtig, weil bestimmtes Opferverhalten das Mobbing verstärken kann. Und so ist das auch bei Julia. Ihr Verhalten ist typisch für viele Mobbingopfer. Aufgrund der Erfahrung, mit jeder Aussage neue Angriffsfläche zu bieten, sagte sie irgendwann gar nichts mehr. Damit brüskierte sie auch wohlmeinende Mitschülerinnen. Sie liefert ihren Mitschülern Aufhänger für deren Gewaltverhalten. Sie ist gefangen in einem Wechselspiel: Ich sage nichts, weil ihr mich ausschließt. Wir schließen dich aus, weil du nichts sagst. Dieses Wechselspiel wird sichtbar, nachdem die Mitschülerin Julia vorwirft: Du erzählst ja nie was von dir. Es ist wichtig, diesen Einwurf aufzugreifen. Er hilft, die Mobbingdynamik zu verstehen. Glaubwürdigkeit und Offenheit der Gesprächsleitung Das Risiko der Offenheit der Gesprächsleitung für die Anteile bzw. scheinbaren Anteile des Opfers an der Mobbingdynamik liegt darin, dass die Gesprächsleitung einer Rechtfertigungsstrategie der Täter auf den Leim gehen kann. Die Chance liegt darin, dass das Verstehen der Mobbingdynamik nicht zu verwechseln mit dem Verständnis für die Gewalt Verhaltensänderungen und den Erfolg wahrscheinlicher machen. Es ist wichtig, Verständnis für die Wut der Klasse zu zeigen und gleichzeitig sehr deutlichzumachen,dassdiese Wut nicht zu Angriffen auf das Opfer berechtigt. Wenn offen miteinander gesprochen wird und die Klasse ihre Vorwürfe ihre Aufhänger für das Mobbingverhalten benennen darf, steigert dies die Glaubwürdigkeit der Gesprächsleitung, es ermöglicht, Rechtfertigungen zu entlarven, den Sinn des Mobbingverhaltens als Suche nach Macht und Ansehen aufzudecken, Anteile des Opfers in einem Verhaltensvertrag aufzunehmen und Parteinahme, Empathie und Toleranz für das Opfer zu fördern. Voraussetzung für einen qualifizierten Umgang mit den vorgetragenen Rechtfertigungen ist Gesprächsführungskompetenz, eine Fähigkeit, die nicht angelesen, sondern nur in einem intensiven Training erworben werden kann. Über einzelne Täter wird während der Intervention in Julias Klasse übrigens nicht gesprochen. Es geht rein um das schikanierende Verhalten. In der Mehrzahl der Interventionen kommen die Täter nicht zur Sprache. Auf diese Weise besteht die große Chance, dass sich die Täter positiv in den Veränderungsprozess einbinden (lassen). Nachhaltigkeit Es wird ein Vertrag erarbeitet, in dem Helfer/Anwälte für die Grundrechte festgehalten werden. Das Helfen wird trainiert. Die Klassenlehrerin kontrolliert den Verhaltensvertrag und die Einhaltung der Grundrechte. Im Klassenrat wird mindestens jede zweite Woche am Verhalten der Schüler und ihren sozialen Kompetenzen gearbeitet. Julia fühlt sich wesentlich wohler und kommt wieder regelmäßig zur Schule. Sie wird nicht mehr schikaniert, leidet jedoch darunter, wenige Kontakte zu haben und nicht beliebt zu sein. Die Klassenlehrerin sorgt durch Teamübungen dafür, dass sich die Schüler der Klasse besser kennen lernen. Daraufhin berichten einzelne Mitschülerinnen, dass sie festgestellt hätten, dass Julia ja eigentlich ganz nett sei. An dieser Stelle muss berücksichtigt werden: Es ist zwar möglich, diskriminierendes Verhalten zu bearbeiten und das Einhalten von Verhaltensregeln einzufordern; um Sympathien kann jedoch lediglich geworben werden, die Gesprächsleitung kann sie nicht regeln oder erzwingen.auchdieklassebestätigt,dassozialeklimasei besser geworden. 104

7. Systemische Mobbingprävention und -intervention Teil II Im Herbst übernimmt ein neuer Lehrer die Klasse. Einen regelmäßigen Klassenrat gibt es anschließend nicht mehr. Die Schikane gegen Julia beginnt erneut. Letztlich verlässt Julia die Klasse. Vier Monate Nacharbeit und Kontrolle durch die Klassenlehrerin waren zu kurz. Die wesentlichsten Fehler in der systemischen Mobbingintervention sind, keine Anwälte zu bestellen und eine unzureichende Kontrolle nach der Intervention. 7.6 Literatur & Links Alsaker, F. D. (2003). Quälgeister und ihre Opfer. Mobbing unter Kindern und wie man damit umgeht. Bern: Hans Huber. 324 S. Bischof-Köhler, D. (2000). Kinder auf Zeitreise. Theory of Mind, Zeitverständnis und Handlungsorganisation. Bern: Hans Huber. Grüner, T. (2006). Erfolgsbedingungen von Mehr-Ebenen-Programmen zur Gewaltprävention. In B. Bannenberg & D. Rössner (Hrsg.), Erfolgreich gegen Gewalt in Kindergärten und Schulen (S. 81-134). München: C. H. Beck. Grüner, T. (2008). Der Täter-Opfer-Ausgleich. In A. Schröder, H. Rademacher & A. Merkle (Hrsg.), Handbuch Konflikt- und Gewaltpädagogik. Verfahren für Schule und Jugendhilfe (S. 121-133). Schwalbach: Wochenschau. Grüner, T. & Hilt, F. (9. aktualisierte Auflage 2009). Bei STOPP ist Schluss! Werte und Regeln vermitteln. Lichtenau: AOL-Verlag. Omer, H. & von Schlippe, A. (2002). Autorität ohne Gewalt. Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen Elterliche Präsenz als systemisches Konzept. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 214 S. Omer, H. & von Schlippe, A. (2010). Stärke statt Macht. Neue Autotität in Familie, Schule und Gemeinde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 360 S. Olweus, D. (2002). Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten und tun können (3. korr. Aufl.). Bern: Hans Huber. 128 S. Schäfer, M. (2007). Mobbing unter Schülern: Phänomenologie, Dynamik und Ansätze zur Prävention/Intervention. In: Franz Petermann und W. Schneider. Enzyklopädie der Angewandten Entwicklungspsychologie. Göttingen: Hogrefe. Schäfer, M. & Herpell, G. (2010) Du Opfer!: Wenn Kinder Kinder fertig machen. Berlin: Rowohlt 256 S. Scheithauer, H., Hayer, T & Dele Bull, H. (2007). Gewalt an Schulen am Beispiel von Bullying. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 38 (3), 141-152. Links www.konflikt-kultur.de www.konflikt-kultur-freiburg.de www.agj-freiburg.de 7.7 Die Autoren Thomas Grüner und Franz Hilt haben das Fortbildungsprogramm Konflikt-KULTUR 1997 gemeinsam begründet und arbeiten seit 2005 mit den Methoden der systemischen Mobbingprävention und -intervention. Der Dipl.-Psychologe, Psychotherapeut (HPG) und Supervisor Thomas Grüner hat mehrere Jahre im Bereich Kinder- und Jugendschutz gearbeitet, bevor er im Jahr 1997 eine Tätigkeit in der Organisationsund Schulentwicklung aufnahm. Thomas Grüner ist Ausbilder für Mediation und Täter-Opfer-Ausgleich. Der Dipl.-Sozialarbeiter und Familienberater Franz Hilt leitet das Referat Prävention des AGJ-Verbandes mit den Abteilungen Kinder- und Jugendschutz sowie Fortbildung. Er ist seit 1997 in der Organisations- und Schulentwicklung tätig. Franz Hilt ist Ausbilder für Täter-Opfer-Ausgleich und Mediation (BM). 105