SchiedsamtsZeitung 72. Jahrgang 2001, Heft 03 Online-Archiv Seite 60-64 Organ des BDS. EC-Karte gestohlen, Geld abgehoben Wer zahlt?



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Transkript:

EC-Karte gestohlen, Geld abgehoben Wer zahlt? von Direktor des Amtsgerichts Burkhard Treese, Kamen Vor dem Amtsgericht in K. und nachfolgend vor der Berufungszivilkammer des Landgerichts D. schwebte ein Verfahren, dessen Ergebnis durchaus für jedermann von uns von Interesse sein kann. Ist hierin doch die Frage aufgetaucht, wer trägt letztlich das Risiko, wenn mit einer gestohlenen EC-Karte Geld abgehoben wird. Die Klägerin des Verfahrens besaß bei der beklagten Sparkasse ein Girokonto nebst EC-Karte mit einer persönlichen Geheimzahl. Am 17. 2. 1997 hielt sich die Klägerin in Düsseldorf auf. Unbekannte Täter stahlen der Klägerin aus deren Brieftasche u. a. die EC-Karte. Am 17. 2. gegen 19.15 Uhr und am 18. 2 gegen 0.06 Uhr wurde jeweils ein Betrag von 1.000, DM mittels der EC-Karte an einem Geldautomaten abgehoben. Die beklagte Sparkasse belastete das Konto der Klägerin insgesamt mit 2.020, DM. Am Abend des 18. 2. 1997 veranlasste die Klägerin die Sperrung der EC-Karte und erstattete Anzeige wegen Diebstahls. Die Klägerin behauptete im Verfahren vor dem Amtsgericht, der oder die Täter seien unter Einsatz modernster Technik in der Lage gewesen, die persönliche Geheimzahl der Klägerin zu entschlüsseln. Jedenfalls habe sie diese Geheimzahl nicht in ihrer Brieftasche aufbewahrt. Die Klägerin beantragte in der ersten Instanz, die beklagte Sparkasse zu verurteilen, die Belastungsbuchung zu stornieren. Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie war der Ansicht, dass die Klägerin ihre Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten grob fahrlässig verletzt habe. Sie behauptete, nach dem gesamten Geschehensablauf müsse die Klägerin ihre persönliche Geheimzahl gemeinsam mit der EC-Karte aufbewahrt haben. Eine Entschlüsselung der Geheimzahl sei hier nicht möglich gewesen. Das Amtsgericht K. erhob Beweis durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 1/6

In den Entscheidungsgründen des Urteils führte das Amtsgericht dann aus:»die zulässige Klage ist nicht begründet, weil die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Stornierung der vorgenommenen Buchung wegen positiver Vertragsverletzung bzw. nach Bereicherungsgrundsätzen gemäß 812 Abs. 1 BGB hat: Ein Anspruch nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung besteht nicht, weil die Belastung des Kontos der Klägerin keine schuldhafte Pflichtverletzung seitens der Beklagten darstellt. Denn die Klägerin hat ihrerseits gegen die ihr obliegenden Sorgfaltsanforderungen aus dem Vertragsverhältnis verstoßen. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins. Auch nach dem Urteil des OLG Hamm vom 17. 3. 1997 abgedruckt in NJW 1997, 1711 ff. verbleibt es dabei, dass im Regelfall nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins davon auszugehen ist, dass mittels gestohlener oder sonst abhanden gekommener Kreditkarten Bargeld an Automaten nur deshalb abgehoben werden konnte, weil der Karteninhaber mit seiner Geheimzahl nicht sorgfältig umgegangen ist (vgl. AG Frankfurt, Urteil vom 31. 10. 1997; AG Osnabrück, Urteil vom 24. 10. 1997, Leitsätze jeweils abgedruckt in NJW 1998, Seite VIII). Die vorgenannten Grundsätze greifen jeweils dann ein, wenn wie hier die Geheimzahl auch die Ziffern 6 bis 9 enthält. In diesem Fall beträgt die Trefferchance bei drei Versuchen 1 zu 3333. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge davon auszugehen, dass dem Täter das Abheben an dem Geldautomaten nur deshalb möglich geworden ist, weil der Karteninhaber mit seiner EC-Karte und der dazugehörigen Geheimzahl unsorgfältig umgegangen ist. Dieser gegen die Klägerin sprechende Beweis des ersten Anscheins ist nicht entkräftet. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. H. in seinem Gutachten vom 20. 7. 1998 kann sogar davon ausgegangen werden, dass sich der Täter vor den Abhebungen auf irgendeine nichttechnische Weise (Ausspähung, vorgefundene Notizen, leichtfertige Weitergabe an Dritte usw.) Kenntnis der Geheimzahl verschafft hat. Die Ausführungen des Sachverständigen sind insgesamt gut nachvollziehbar. Der Sachverständige hat sich mit allen Möglichkeiten der Geheimzahlermittlung befasst. Seine Ausführungen dazu, dass die Geheimzahl im vorliegenden Fall nicht erraten worden ist, teilt das Gericht uneingeschränkt. Bei beiden Geldabhebungen ist auf Anhieb die korrekte Geheimzahl eingegeben worden; es kann nur ein Rateversuch unternommen worden sein. Dies hält das Gericht unter Berücksichtigung der im vorliegenden Fall geltenden Trefferchancen für ausgeschlossen. Die Geheimzahl der Klägerin rangiert nun einmal nicht unter den 3000 wahrscheinlichsten. Nach Auffassung des Sachverständigen kann auch von einer fortbestehenden Ge- Nachdruck und Vervielfältigung Seite 2/6

heimhaltung des Institutsschlüssels und des Poolschlüssels ausgegangen werden. Auch insofern folgt das Gericht den Ausführungen des Sachverständigen, die insich schlüssig und gut nachvollziehbar sind. Die Ermittlungen dieser Schlüssel durch eine kriminelle Organisation hält der Sachverständige für unrealistisch. Nach Auffassung des Gerichts hätten dafür im vorliegenden Fall auch zu viele Faktoren gleichzeitig vorliegen müssen (Diebstahl, Systemkenntnis des Täters, Kontakt des Täters zu einer kriminellen Organisation, Ausgestattetsein dieser Organisation mit kostenintensiven Techniken,...). Unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens reicht diese theoretische Möglichkeit ebenfalls nicht aus, den gegen die Klägerin sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. Die Einwendungen der Klägerin gegen das Gutachten greifen nicht durch. Der Sachverständige schließt gerade die Einschaltung einer kriminellen Organisation im vorliegenden Fall aus. Auch der Einsatz eines Kartenlesegerätes ändert im vorliegenden Fall nichts daran, dass die Trefferchance für den Täter angesichts der Geheimzahl der Klägerin gering war. Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall eine Risikoverteilung vorzunehmen war. Einerseits kann von der Beklagten nicht verlangt werden, einen Verstoß gegen die in den AGB geregelten Sorgfaltsanforderungen im einzelnen darzulegen und zu beweisen; andererseits wäre auch die Klägerin nicht in der Lage, die Aufbewahrung ihrer Geheimzahl in ihrer Brieftasche auszuschließen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist es interessengerecht, zunächst von einem gegen den Karteninhaber sprechenden Beweis des ersten Anscheins auszugehen, wenn die Geheimzahl auch die Ziffern 6 bis 9 enthält. Dabei reicht die Möglichkeit, dass mit modernsten technischen Mitteln kriminelle Organisationen eine Geheimzahl entschlüsseln können, nicht aus, diesen gegen die Klägerin sprechenden Anscheinsbeweis zu entkräften. Aus den bereits genannten Gründen steht der Klägerin auch kein Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung aus 812 Abs. 1 BGB zu. Denn die Belastung des Kontos der Klägerin ist mit Rechtsgrund erfolgt, nachdem von einem Verstoß der Klägerin gegen die Sorgfaltsanforderungen auszugehen ist. Mit diesem Urteil war die Klägerin nicht zufrieden. Sie erhob Berufung. Die Berufungszivilkammer des Landgerichts hob das Urteil des Amtsgerichts auf und verurteilte die beklagte Sparkasse, die Belastungsbuchungen zu stornieren. Im Nachdruck und Vervielfältigung Seite 3/6

Gegensatz zu den Ausführungen des Amtsgerichts K. hielt die Berufungszivilkammer die Berufung für zulässig und begründet. Sie führte dazu aus:»die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Stornierung der Tenor näher bezeichneten Belastungsbuchungen aus 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Beklagte ist zur Rückgängigmachung der beanstandeten Belastungsbuchungen verpflichtet, weil sie diese vorgenommen hat, ohne hierzu aus dem Vertragsverhältnis zur Klägerin berechtigt zu sein. Es fehlt nämlich an einer Weisung der Klägerin zur Ausführung der durchgeführten Auszahlungen. Unstreitig wurde der Klägerin ihre EC-Karte entwendet und anschließend die missbräuchliche Transaktion durchgeführt. Im Falle einer missbräuchlich Verwendung der EC-Karte an EC-Geldautomaten fehlt es aber an einer wirksamen Anweisung des Karteninhabers, da die Weisung nicht vom Karteninhaber, sondern von einem Unberechtigten erteilt wird. Grundsätzlich steht der Bank daher im Fall einer missbräuchlichen Verwendung der EC-Karte gegenüber dem Karteninhaber kein Aufwendungsersatzanspruch zu. Dieser gesetzlich normierten Risikoverteilung zwischen kartenausgebender Bank und Karteninhaber entspricht auch die zwischen der Beklagten und der Klägerin gemäß Abschnitt III Ziff. 2.4 der Besonderen Bedingungen für EC- Karten vertraglich vereinbarte Verpflichtung der Beklagten, wonach diese als kartenausgebende Bank im Fall missbräuchlicher Verwendung der EC-Karte an EC-Geldautomaten auch die bis zum Eingang der Verlustanzeige entstehenden Schäden übernimmt, wenn der Karteninhaber die ihm nach diesen Bedingungen obliegenden Pflichten erfüllt hat. Dass die Klägerin als Karteninhaberin ihre vertraglichen Verpflichtungen aus Abschnitt II Ziff. 6.4 der Besonderen Bedingungen für EC-Karten verletzt hätte, etwa mit der PIN nicht sorgfältig umgegangen ist, hat die Beklagte nicht bewiesen. Die Beklagte hat keinerlei konkrete Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein schuldhaftes Verhalten der Klägerin ableiten ließe. Sie hat sich vielmehr lediglich auf den von Rechtsprechung und Literatur statuierten Anscheinsbeweis gestützt, wonach der Einsatz einer EC-Karte unter Verwendung der richtigen PIN den Beweis des ersten Anscheins dafür begründet, dass der Karteninhaber entweder selbst verfügt oder durch sorgfaltswidriges Verhalten zum Missbrauch der EC-Karte beigetragen hat. Dieser Anscheinsbeweis ist nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall, der das sog.»alte PIN-Verfahren«betrifft, erschüttert. Insoweit folgt Nachdruck und Vervielfältigung Seite 4/6

die Kammer den Entscheidungen des OLG Hamm (NJW 1997, 1711 ff.) und des Amtsgerichts Frankfurt/Main (Computer und Recht 1998, 723 ff.). Allerdings hält es die Kammer anders als das Oberlandesgericht Hamm im vorliegenden Fall nicht für eine vernünftigerweise in Betracht zu ziehende Möglichkeit, dass der Dieb der EC- Karte die PIN erraten hat. Dagegen spricht, dass 1. die PIN zwei Zahlen oberhalb des Zahlenraumes von eins bis vier enthält, 2. selbst bei Vorhandensein eines Kartenlesegerätes zur Ablesung der beiden sog. Offsets die tatsächliche PIN nicht zu den wahrscheinlichsten 3000 Kombinationen gehört, 3. ein Zurückstellen des Fehlerzählers auf der Karte vorliegend nicht möglich war, da sich die beiden Geldausgabeautomaten in Düsseldorf im sog. Online-Verfahren befanden, so dass Fehlversuche in der Autorisierungszentrale festgehalten worden wären und eine Manipulation damit keine weiteren Versuche ermöglicht hätte, 4. kein Fehlversuch erfolgt ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. ist es aber auch wenn er es für nicht wahrscheinlich hält unzweifelhaft möglich, eine Entschlüsselung der PIN anhand der auf der Karte abgespeicherten Daten vorzunehmen. Hierzu bedarf es lediglich eines ausreichend großen Rechners. Dass vergleichbare Berechnungen in den USA bereits stattgefunden haben, ergibt sich aus dem Urteil des Amtsgerichts Frankfurt/Main (a.a.o.). Die Richtigkeit dieser Ausführungen hat der Sachverständige Dr. H. bei seiner mündlichen Anhörung bestätigt. Die Kammer hält es auch durchaus für möglich, dass eine verbrecherische Organisation sich diese Möglichkeiten zu Eigen gemacht hat, um durch Straftaten in erheblichem Umfang Beute zu machen. Angesichts der europaweiten Möglichkeiten lassen sich die auch jetzt noch erheblichen Kosten durchaus amortisieren. Die gestiegene Anzahl der Straftaten, die sich aus der Statistik des Bundeskriminalamtes ergibt, ist auch durchaus ein Anhaltspunkt für eine derartige Möglichkeit. Insoweit kann auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts Hamm und des Amtsgerichts Frankfurt/Main verwiesen werde. Da die Klägerin den Anscheinsbeweis nur erschüttern muss, ist die Klage begründet«. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 5/6

Die Klägerin hat letztlich somit Erfolg im Kampf gegen ihre beklagte Sparkasse gehabt. Sie wird sicherlich daraus gelernt haben, dass so wie sie es auch vorgetragen hatte, auch künftig Geheimzahlen und Scheckkarten getrennt zu halten. Ungeachtet aller technischen Möglichkeiten muss man es dem Dieb nicht noch mundgerecht servieren, indem z. B. die PIN auf der Scheckkarte vermerkt wird. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 6/6