Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Abentheurlicher Simplicissimus Teutsch

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Transkript:

1 Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Abentheurlicher Simplicissimus Teutsch 1. Inhalt Melchior Sternfeld von Fuchshaim (= Simplicius ) erzählt in fünf Büchern die wichtigsten Stationen seines Lebens, das nicht zuletzt wegen des Dreißigjährigen Krieges durch vielfach wechselndes Geschick und zahlreiche Abenteuer geprägt ist. Nach dem Tod seiner Mutter lebt der junge Simplicius ohne Kenntnis seines Namens und seiner adligen Herkunft auf einem Bauernhof im Spessart. Durch einen Soldatenüberfall vertrieben, wird er von einem Eremiten (wie er später erfährt: seinem Vater) aufgenommen und in der christlichen Lehre unterwiesen. Nach dem Tod des Einsiedlers führt Simplicius Weg in das Umfeld deutscher und schwedischer Offiziere, wo er mehrere Initiationen erlebt, etwa die Investitur zum Narren im Kalbsfell in Hanau oder das metaphorische Venusberg- Erlebnis als Beau Alman ( schöner Deutscher ) in Paris. In dieser Rolle und als berüchtigter Dragoner ( Jäger von Soest ) erweist er sich als Landstörtzer (vgl. Abschnitt 3), dessen Verfehlungen eine solide Grundlage für späteren Reue-Bedarf bilden. Mehrfach unglücklich verheiratet, pilgert Simplicius nach Maria Einsiedeln, wird erneut Offizier, beendet seine unstete Reise im Schwarzwald, erfährt seine Familiengeschichte und erkundet in Form einer naturgeschichtlichen und mythologischen Initiationsreise ins Reich der Sylphen das Geheimnis des Mummelsees. Nach einer mit weiteren Abenteuern verbundenen Reise über Moskau, Korea, Japan, Macao, Konstantinopel und Rom lässt er sich mit Beendigung des Dreißigjährigen Krieges als Einsiedler im Spessart nieder. Die Fortsetzung des Romans, die sog. Continuatio, erzählt von Simplicius erneutem Aufbruch, der ihn als Pilger nach Ägypten führt. Nach zahlreichen Erlebnissen verschlägt ihn ein Schiffbruch auf eine Insel, wo er ein erneutes Eremitendasein beginnt. Er widmet sich fortan dem Schreiben, um seine Erlebnisse aufzuzeichnen das Ergebnis ist der vorliegende Roman. 2. Entstehung und Wirkungsgeschichte Der 1621/22 im hessischen Gelnhausen geborene Hans Jakob Christoph ( Christoffel ) von Grimmelshausen, der seit 1649 als Schaffner, später auch als Gastwirt und Dorf-Schultheiß tätig war, tritt erst 1666 literarisch in Erscheinung und publiziert bis zu seinem Tod im Jahre 1676 etwa 3000 Druckseiten. Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch (ausführlicher Titel: Folie 2) ist 1668 in Nürnberg erschienen und hat sofort einen fulminanten Publikumserfolg gezeitigt. Dem Nachdruck des Jahres 1669 steht eine selbstständig gedruckte Fortsetzung des Romans zur Seite, die Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi Oder Der Schluß desselben. Bereits in der Vorrede zum Satyrischen Pilgrim (1666) hatte Grimmelshausen ein Werk angekündigt, das sich»ad infinitum«erstreckt. Entsprechend gruppiert er in der Vorrede zum zweiten Teil seines letzten Romans (Das wunderliche Vogel-Nest; 1675) diejenigen seiner Werke, die das Schicksal von (Neben-)Figuren des Simplicissimus-Romans zum Gegenstand haben, zu einer Serie von 10 Simplicianischen Schriften. Diese setzen sich wie folgt zusammen: die fünf Bücher des Simplicissimus Teutsch selbst; die Continuatio als 6. Buch; Trutz Simplex (1670) als 7. Buch; Der seltzame Springinsfeld (1670) als 8. Buch; sowie als 9. und 10. Buch die 1672 und 1675 publizierten Teile von Das wunderbarliche Vogel-Nest.

2 Dabei handelt es sich nicht um eine lineare Weiterentwicklung des Stoffes, sondern um Variationen einzelner Episoden. Nur drei seiner Schriften hat Grimmelshausen unter seinem Namen veröffentlicht; die anderen Werke verwenden kunstvolle Anagramme des Namens, z.b. German Schleifheim von Sulsfort, Melchior Sternfels von Fuchshaim oder Samuel Greiffensohn von Hirschfeld. Ähnlich wie Defoes Robinson Crusoe hat der Simplicissimus ein eigenes Genre hervorgebracht. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert waren die sog. Simpliziaden sehr erfolgreich und haben zahlreiche Plagiatoren und Nachahmer angeregt (vgl. etwa Johann Beer: Der symplicianische Welt-Kucker Oder Abentheuerliche Jan Rebhu; 1677/79). 3.»Ein Werck ad infinitum«: Unabschließbarkeit des Romans Neben Anklängen an den französischen roman comique sowie die deutschsprachige Schwank- und Schelmenliteratur steht Grimmelshausens Roman vor allem in der Tradition des spanischen Picaro-Romans. Dieser hatte sich in Spanien im 16. Jahrhundert als Gegenmodell zum Ritterroman herausgebildet (Vorbild: Amadís de Gaula; 1508ff.). Romane wie La vida de Lazarillo de Tormes (anonym; 1554) und Mateo Alemáns Guzmán de Alfarache (1599) lagen ab dem frühen 17. Jahrhundert in deutscher Übersetzung vor. Im Mittelpunkt dieses Romantypus steht ein pícaro, ein gemeiner Kerl von üblem Lebenswandel (vgl. span.: picardía : Schelmerei; im 17. Jahrhundert mit Landstörtzer übersetzt). Anders als die statisch-unschuldigen Helden der Schwank- und Schelmenliteratur durchlaufen die Protagonisten des Picaro-Romans eine Entwicklung, und zwar im Sinne einer christlich-erbaulichen Ausrichtung. Die bekehrten, von der Welt geheilten Picaros enden nach einem linearen Dreischritt von Sünde, Reue und Buße meist entsagungsvoll als Eremiten (und unterscheiden sich damit von den edlen Helden des Ritterromans, die die Launen des Schicksals überstehen und für ihre Beständigkeit und Tapferkeit belohnt werden). Auf den ersten Blick scheint Simplicius ein typischer pikarischer Held zu sein. Er tritt als reuevoll auf seine unstete Jugend zurückblickender Ich-Erzähler auf, dessen retrospektiver Schreibakt als Teil der Buße fungiert und ein moralisch besserungsfähiges Individuum vermuten lässt. Die Beichte erweist sich jedoch als moralisch zweifelhaft: In der Continuatio werden Aussagen des Ich-Erzählers aus den ersten fünf Büchern als Lüge entlarvt. Der Ich-Erzähler gesteht etwa, dort geschilderte Reiseerlebnisse nie erlebt zu haben. Dass er den lügenhaften Charakter von Reiseerzählungen durch den Unterhaltungsanspruch des Erzählten, also durch die Erwartungshaltung des Publikums legitimiert und sich somit eine poetische Lizenz zur Lüge ausstellt, stellt für einen bußfertigen Erzähler eine wenig überzeugende Endstation seiner Entwicklung dar. So wenig eine lineare Entwicklung des Protagonisten zu beobachten ist, so wenig folgt der Roman einer zyklischen Struktur. Erstens kehrt Simplicius zwar zwischenzeitlich in den Spessart und damit zu seinem Ausgangspunkt zurück, bricht von dort jedoch wieder auf. Zweitens kommt die Raumbewegung zwar am Schluss der Continuatio zu einem Ende; das aktive Reisen findet jedoch im Schreibprozess, der das Erlebte erneut vergegenwärtigt, auf anderer Ebene eine Fortsetzung. Diese Unabschließbarkeit charakterisiert auch die Erzählsituation. Zwar setzt sich die Roman- Serie nicht, wie programmatisch postuliert,»ad infinitum«fort, spielt jedoch mit ihrer logischen Unabschließbarkeit. Indem Grimmelshausen eine komplexe Herausgeberfiktion aufbaut (vgl. Folie 8) und die Autorschaft durch mehrere Erzähler- und Herausgeber- Instanzen verschleiert, entsteht der Eindruck einer ins Unendliche reichenden Verschachtelung von Erzählebenen. Einen gemeinsamen Fluchtpunkt besitzen die verschiedenen Rahmen

3 lediglich durch die jeweiligen Namen, aus denen sich stets der Name der realen Autor-Instanz (also Grimmelshausens selbst) als Anagramm entschlüsseln lässt. 4. Poetologische und emblematische Lesarten Analog zur strukturellen Offenheit des Romans hat sich der in der Forschung vielfach unternommene Versuch, einen eindeutigen Sinn zu erschließen, als vergeblich erwiesen. Solche einseitigen Interpretationen (etwa die astrologische Lesart des Romans oder die Konzentration auf satirisch-zeitkritische Tendenzen) werden durch den Text zwar gestützt, vermögen aber nicht, alle Deutungsdimensionen des Romans zu integrieren. Der Text selbst problematisiert Fragen der Sinn-Konstruktion und der Sinn-Kohärenz, wie im Folgenden anhand der poetologischen und emblematischen Strukturen des Romans erläutert werden soll. Der Roman stellt sich explizit (vgl. Folien 2 und 9) in den Dienst der barocktypischen Wirkungsästhetik, die in Anlehnung an Horaz das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden will. Dabei reflektiert der Roman ein epochenspezifisches zeichentheoretisches Problem, das das Verhältnis von Bezeichnetem und Zeichen, von Medium und Botschaft betrifft: Durch das Angenehme (den rhetorischen Schmuck) wird das Nützliche (die Moraldidaxe) verschleiert und gerät in Gefahr, gar nicht oder zumindest missverstanden zu werden. Eine ähnliche Problematik der Ver- und Entschlüsselung findet sich in der für das Barock charakteristischen Emblematik. Ein Emblem besteht aus drei Teilen: der als Motto fungierenden Inscriptio, der illustrierenden Pictura sowie der erklärenden Subscriptio. Dabei dient die Pictura dem Angenehmen, droht aber die eigentliche Botschaft zu verdunkeln und bedarf der kommentierenden Subscriptio. Emblematische Strukturen finden sich im Roman auf mehreren Ebenen: a) im Roman als Ganzes, in dem die Titelei als Inscriptio, der Komplex der ersten fünf Bücher als Pictura und die Continuatio als Subscriptio verstanden werden kann; b) im übergreifenden Titelkupfer (Folie 12): Der Roman-Titel bildet die Inscriptio, die Illustration der Chimäre die Pictura und der beigefügte Text die Subscriptio; c) in verschiedenen Passagen des Romans: Im 9. Kapitel der Continuatio etwa wird Simplicius durch die Figur Baldanders ein emblematisch strukturiertes Sprachspiel mitgeteilt (Folie 13). Die Pictura erscheint auf den ersten Blick unverständlich, zumal eine erläuternde Subscriptio fehlt. Diese erschließt sich erst, wenn man die Inscriptio als Leseanweisung versteht und selbstreferenziell auf die Pictura anwendet. Es ergibt sich also durchaus ein Sinn; dieser bedarf aber eines Schlüssels. Die Heterogenität des Textes kündigt sich bereits im Titelkupfer an (Folie 12). Die monströse Chimäre gilt spätestens seit Horaz Ars poetica als Sinnbild für unzulässige Stil-Mischungen. Bei Grimmelshausen illustrieren die Gestalt der Chimäre (insbesondere der Satyr-Kopf), ihre anstößige Geste sowie das aufgeschlagene Buch, dessen Abbildungen die disparaten Inhalte des Romans ankündigen, die dezidierte Abkehr von der klassischen Regelpoetik. Letztlich scheint es nur die Literatur selbst zu sein, die die heterogenen Fäden der Romanhandlung zu integrieren vermag. Der Chimäre des Titelkupfers ist als Titelblattillustration der Continuatio das geflügelte Dichterross Pegasus gegenübergestellt (Folie 15), das in der Mythologie (und in vielen emblematischen Darstellungen) zum Sieg über die monströse Chimäre beiträgt. Jedoch ist das Verhältnis von Chimäre und Pegasus in der Mythologie ambivalent. Und auch hier erstreckt sich die semantische Reichweite der Chimäre des Titelkupfers über den ganzen Roman und hebt den Pegasus des 6. Buches in gewisser Weise wieder auf. Das Heterogene wird folglich nicht vollständig geglättet; das Problem wird zwar vielfach illustriert, bleibt aber letztlich unabschließbar.

4 5. Literaturhinweise 5.1 Textausgabe Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von: Werke I, 1: Simplicissimus Teutsch. Herausgegeben von Dieter Breuer. München 1989 (Bibliothek deutscher Klassiker; 44). 5.2 Forschungsliteratur Battafarano, Italo Michele: Grimmelshausens Kritik an der Ideologie seiner Zeit. Ungleichzeitigkeit und Alltagsdenken im Simplicissimus und Courasche. In: Daphnis 5 (1976), S. 295-203. Bauer, Conny: Das Phönix-Kupfer von Grimmelshausens Abentheuerlichem Simplicissimus. Zur Forschungslage. In: Text und Kontext 8 (1980), S. 43-62. Gersch, Hubert: Geheimpoetik. Die Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi, interpretiert als Grimmelshausens verschlüsselter Kommentar zu seinem Roman. Tübingen 1973 (Studien zur deutschen Literatur; 35). Habersetzer, Karl-Heinz:»Ars Poetica Simpliciana«. Zum Titelkupfer des Simplicissimus Teutsch. In: Daphnis 3 (1974), S. 60-82 [Teil 1], sowie: Daphnis 4 (1975), S. 51-78 [Teil 2]. Heidenreich, Helmut (Hg.): Pikarische Welt. Schriften zum europäischen Schelmenroman. Darmstadt 1969 (Wege der Forschung; 163). Heßelmann, Peter: Gaukelpredigt. Simplicianische Poetologie und Didaxe. Zu allegorischen und emblematischen Strukturen in Grimmelshausens Zehn-Bücher-Zyklus. Frankfurt/M. [u.a.] 1988 (Europäische Hochschulschriften I; 1056). Heßelmann, Peter: Simplicissimus redivivus. Eine kommentierte Dokumentation der Rezeptionsgeschichte Grimmelshausens im 17. und 18. Jahrhundert (1667-1800). Frankfurt/M. 1992. Lemke, Gerhard: Die Astrologie in den Werken Grimmelshausens und seiner Interpreten. Zur Diskussion über den Sternenglauben in der barocken Dichtung. In: Argenis 1 (1977), S. 63-105. Rötzer, Hans Gerd: Picaro, Landstörtzer, Simplicius. Studien zum niederen Roman in Spanien und Deutschland. Darmstadt 1972 (Impulse der Forschung; 4). Schmitt, Axel: Intertextuelles Verwirrspiel Grimmelshausens Simplicianische Schriften im Labyrinth der Sinnkonstitution. In: Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen- Gesellschaft 15 (1993), S. 69-87. Schöne, Albrecht: Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock. 3. Auflage mit Anmerkungen München 1993 [1964].

5 Tarot, Rolf: Simplicissimus und Baldanders. Zur Deutung zweier Episoden in Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch. In: Argenis 1 (1977), S. 107-129. Triefenbach, Peter: Der Lebenslauf des Simplicius Simplicissimus. Figur, Initiation, Satire. Stuttgart 1973. Weydt, Günther:»Komm Trost der Nacht«. Christoph von Grimmelshausens»Nachtigallenlied«seine Quellen und sein Charakter. In: Deutsche Barocklyrik. Gedichtinterpretationen von Spee bis Haller. Herausgegeben von Martin Bircher und Alois Maria Haas. Bern München 1973, S. 153-166. Wieckenberg, Ernst-Peter: Zur Geschichte der Kapitelüberschrift im deutschen Roman vom 15. Jahrhundert bis zum Ausgang des Barock. Göttingen 1969 (Palaestra; 253).