Innovative Arzneimittelversorgung im Spannungsfeld zwischen Nutzenbewertung und Sicherstellung des medizinischen Fortschritts Roger Jaeckel, Leiter Gesundheitspolitik, GlaxoSmithKline Gemeinsame Fachtagung von Novartis, GlaxoSmithKline und BKK Landesverband Bayern München, 24.09.2013
Nutzendimensionen von Arzneimitteln 1 2 Patientenrelevanter Nutzen Gesellschaftlicher Nutzen 3 4 Versorgungsrelevanter Nutzen Volkswirtschaftlicher Nutzen
Ökonomische Zuordnung der unterschiedlichen Nutzendimensionen von innovativen Arzneimitteln monetäre Bewertung Patientenrelevanter Nutzen individuelle/ Indikationsspezifische Perspektive Versorgungsrelevanter Nutzen Volkswirt- Schaftlicher Nutzen kollektive Perspektive Gesellschaftlicher Nutzen nicht monetäre Bewertung
1 Patientenrelevanter Nutzen
Übersicht: Das AMNOG-Verfahren Freie Preisgestaltung Rabatt/Festbetrag Erstattungsbetrag Stellungnahme + Anhörung Markteintritt Hersteller reicht Dossier ein IQWiG führt Nutzenbewertung durch G-BA beschliesst über Zusatznutzen Hersteller und GKV-SV verhandeln über Erstattungsbetrag Ohne ZN: durch ZVT limitiert Schiedsstelle legt einen Erstattungsbetrag (rückwirkend) fest Festbetrag (wenn möglich) 3 Monate 3 Monate 6 Monate 3 Monate Quelle: vfa Phase I: Frühe Nutzenbewertung Phase II: Vereinbarung des Erstattungsbetrages
Relevante Kriterien der AMNOG-Nutzenbewertung 35a SGB V Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen 1. zugelassene Anwendungsgebiete, 2. medizinischer Nutzen, 3. medizinischer Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie, 4. Anzahl der Patienten und Patientengruppen, für die ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen besteht, 5. Kosten der Therapie für die gesetzliche Krankenversicherung, 6. Anforderung an eine qualitätsgesicherte Anwendung
Wie konsistent sind Nutzenbewertungsergebnisse nach dem AMNOG? Quelle: IGES Arzneimittel-Atlas 2013
Gesamtgesellschaftliche Bewertungsaspekte Ökonomische Bewertungsaspekte Patientenrelevante Nutzenkriterien Nutzenbewertungsaspekte von Arzneimitteln im internationalen Vergleich Kriterium der Bewertung/ Land G E R A U T A U S C A N C S K D N K E S P FI N F R A IT A I R L N L D N Z L P O L S W E G B R Patientenrelevanter (Zusatz-)Nutzen X X X X X X X X X X X X X X X X Kosteneffektivität bzw. Kosten-Nutzen X X X X X X X X X X X X Pharmakologische Merkmale X X X X X X X Auswirkungen auf das Budget (X) X X X X X X X X X X X X X Preise in anderen Ländern X X X X X X X X X Zu erwartender Umsatz (X) X X X Fertigungs- und Entwicklungskosten der pu`s X X X X Behandlungsalternativen X X X X X X X X X X Bedarf der Gesellschaft X X X Public Health Auswirkungen X X Soziale, ethische Erwägungen X X X X X X X Prioritäten der Regierung X Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Zentner et al. 2006; Busse 2012
2 Gesellschaftlicher Nutzen
Der gesellschaftliche Nutzen von Arzneimitteln
Innovative Arzneimittel tragen zur Steigerung der Lebenserwartung bei Quelle: vfa
Krebsneuerkrankungen und -todesfälle in Deutschland 450.000 400.000 Neuerkrankungen Todesfälle 350.000 300.000 250.000 200.000 150.000 0 Quelle: vfa nach Robert-Koch-Institut Foto: Klicker/Pixelio 1980 1990 1995 2000 2005 2010
Herz-Kreislauf-Erkrankungen seltener tödlich 500.000 500.481 491.653 Anzahl der Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland 450.000 462.992 429.407-29,5 % 400.000 395.043 350.000 367.361 352.689 300.000 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Quelle: vfa nach Statistischem Bundesamt
Das Vermeiden von Krankheiten gehört ebenso zum Wirkungsbereich von Arzneimitteln Masernfälle in den USA 1950-2005 Impfstoff seit 1963 Rötelnfälle in den USA 1966-2005 70000 60000 50000 Impfstoff seit 1969 40000 30000 20000 10000 0 1966 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 Keuchhusten in den USA 1940-2005 Impfstoff seit Mitte der 1940er Poliofälle in den USA 1950-2005 inaktivierter Impfstoff seit 1955 oraler Lebendimpfstoff seit 1963 Letzter Fall in den USA Quelle: vfa nach Center of Disease Control (CDC), USA
3 Versorgungsrelevanter Nutzen
Arzneimittel-Innovationen befördern den Strukturwandel Effektiveres Behandlungsmanagement Ambulant vor stationär Geringerer Ressourceneinsatz Reduzierung der Behandlungskosten Problem: der Entlastungseffekt ist häufig nicht sichtbar!
Keine Berücksichtigung mehr von Asthma bronchiale im Morbi-RSA 2013 Bei der Krankheitsauswahl im Morbi-RSA werden insbesondere Krankheiten mit schwerwiegendem Verlauf und kostenintensive chronische Krankheiten berücksichtigt, die mind. das 1,5-fache der durchschnittlichen Leistungsausgaben über alle Versicherten übersteigen. Euro 3400 3300 3274,83 3200 3100 3245,36 3000 2900 2800 2700 2600 2500 2709,06 2525,58 2795,53 2732,27 2009 2011 2013 Asthma bronchiale Ausgabenwert Schwellenwert Jahr Quelle: Bundesversicherungsamt
Entwicklung von HIV/AIDS Fällen in Deutschland Euro 10000 9000 60000 Euro 8000 50000 7000 40000 6000 5000 30000 4000 3000 20000 2000 10000 1000 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 0 stationär behandelte AIDS Patienten AIDS Prävalenz in Deutschland Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand: 2007, Robert Koch-Institut, Stand: 2012
Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung als Strukturinnovation im deutschen Gesundheitswesen Ambulant Stationär Schwere Verlaufsformen Seltene Erkrankungen Hochspezialisierte Leistungen u.a. onkologische Erkrankungen, HIV/Aids u.a. Mukoviszidose, Tuberkulose u.a. CT/MRT gestützte Leistungen
4 Volkswirtschaftlicher Nutzen
Der volkswirtschaftliche Nutzen von Arzneimitteln
Deutschland ist weltweit Nr. 2 bei klinischen Studienzentren Internationales Ranking nach Prüfzentren 1. USA (49.472) 2. Deutschland (7.359) 3. Frankreich (4.628) Essen Hamburg Hannover Leipzig Berlin 4. Kanada (4.186) 5. Japan (3.951) 6. Italien (3.246) Mainz Frankfurt Dresden 7. Spanien (3.242) 8. Russland (3.061) 9. Polen (2.882) 10. UK (2.866) Heidelberg München TOP 10 Studienorte nach Anzahl der klinischen Studien in Deutschland 2011 Quellen: vfa, Clinical Trial Magnifier 02/2011; www.clinicaltrials.gov
Fazit
Schlussfolgerungen Innovative Arzneimittel tragen im beachtlichen Umfang zur Sicherstellung des medizinischen Fortschritts bei Eine innovative Arzneimittelversorgung kann auf Dauer mit reinen Kostendämpfungsmaßnahmen nicht aufrecht erhalten werden Der monetäre Wert eines innovativen, patentgeschützten Arzneimittels geht weit über den Regelungsbereich des AMNOG hinaus Das AMNOG reduziert die Bewertungsperspektive auf den Bereich der GKV und behindert somit systemrelevante Lösungsansätze Zu fordern ist ein mehrdimensionaler Bewertungsansatz, der bereits in ersten Ländern Anwendung findet
Faktor Gesundheit als künftige gesellschaftliche Herausforderung Gesundheit als Wettbewerbsfaktor Demographischer Wandel (echte) Innovationen als Treiber des medizinischen Fortschritts Faire Erstattungspreise Patentschutz Wert/Anerkennung von Innovationen