Lesegeschwindigkeit: Grundlagen, Förderhinweise und Materialien

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Lernstand 5 Deutsch Lesegeschwindigkeit: Grundlagen, Förderhinweise und Materialien Inhaltsverzeichnis 1. Lesegeschwindigkeit und basale Lesefähigkeit... 2 2. Aufbau des Lesegeschwindigkeitstests... 3 3. Förderung der Lesegeschwindigkeit... 4 4. Kriterien für geeignete Trainingstexte... 5 5. Unterrichtsvorschläge... 6 L5 D-LG Fördermaterial LS

Zusammenfassung Die Lesegeschwindigkeit ist ein Indikator dafür, inwieweit Teilprozesse des Leseprozesses automatisiert ablaufen. Erst wenn sich der Leseprozess unbewusst und mühelos vollzieht, werden die kognitiven Ressourcen für das eigentliche Leseverständnis verfügbar. Eine Förderung der Lesegeschwindigkeit führt deshalb nachweislich zu einer Steigerung des Leseverständnisses. Die Handreichung Lesegeschwindigkeit: Grundlagen, Förderhinweise und Materialien zeigt die Hintergründe des Indikators Lesegeschwindigkeit auf und gibt Hinweise zu geeigneten Trainingstexten und Förderverfahren, deren Wirksamkeit empirisch überprüft wurde. Die darin vorgestellten Verfahren dienen dazu, den unterrichtlichen Förderprozess zu unterstützen. Sie können daher, wann immer sinnvoll, durch eigene, erprobte Förderkonzepte ergänzt werden. 1. Lesegeschwindigkeit und basale Lesefähigkeit Am Ende ihrer Grundschulzeit sollten Kinder in der Regel flüssig und genau lesen können. Diese Fähigkeit, Wörter auf einen Blick zu erkennen und ihre Aussprache sowie Bedeutung abzurufen, wird auch als basale (grundlegende) Lesefähigkeit bezeichnet. Die Teilprozesse der basalen Lesefähigkeit müssen weitgehend automatisiert ablaufen, damit während des Lesens nicht zu viele Informationen im Arbeitsgedächtnis gespeichert werden. Diese würden kognitive Ressourcen binden, die für die Sinnerschließung, also das eigentliche Textverständnis, benötigt werden. Man kann sich diesen Prozess am Beispiel des Autofahrens verdeutlichen. 1 Der Fahranfänger benötigt noch seine volle Konzentration für die Bedienung des Fahrzeugs. Erst wenn diese Fertigkeiten automatisiert wurden, werden die kognitiven Kapazitäten frei, um beispielsweise vorausschauend den Verkehr zu beobachten und / oder ein Gespräch mit dem Beifahrer zu führen. In Hinblick auf den Leseprozess bedeutet das: Es muss beunruhigen, wenn ca. 15 Prozent der Kinder in Deutschland auch am Ende der Grundschulzeit noch deutliche Defizite im Bereich der basalen Lesefähigkeit zeigen, da sie dann kaum auf die Bedeutung des Gelesenen achten können. 2 Als bester Indikator für die basale Lesefähigkeit gilt in der Leseforschung die Lesegeschwindigkeit. 3 Eine Schülerin bzw. ein Schüler, die oder der schnell und flüssig Bedeutung der basalen Lesefähigkeit Wie lässt sich die basale Lesefähigkeit messen? 1 Vgl. Rosebrock, Cornelia, et al.: Leseflüssigkeit fördern. Lautleseverfahren für die Primar- und Sekundarstufe. Klett / Kallmeyer Verlag, Seelze 2011, S. 17 f. 2 Vgl. Schneider, Hansjakob, et al., Expertise: Wirksamkeit von Sprachförderung, Bildungsdirektion des Kantons Zürich, Zürich 2013, S. 16. Abrufbar auch unter der URL http://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/ fileadmin/user_upload/expertise_sprachfoerderung_web_final_03.pdf (Stand: 29.6.2015) 3 Vgl. Rosebrock (2011), S. 17 f. L5 D-LG Fördermaterial LS 2/16

lesen kann, verfügt auch über eine hohe Lesegenauigkeit und über einen hohen Automatisierungsgrad beim Dekodieren von Einzelwörtern (Wortverstehen). Die Lesegeschwindigkeit ist zwar abhängig von den Anforderungen der Textvorlage und der Leseintention, doch lässt sich als Richtwert für das Ende der Grundschulzeit ein Wert von etwa 100 Wörtern pro Minute bei einer Fehlerquote von höchstens 5 Prozent ansetzen. 4 Grundsätzlich ist zu bedenken, dass der Erwerb der Lesefähigkeit mit der Grundschule nicht abgeschlossen ist und sich die Lesegeschwindigkeit noch mindestens bis zum 15. Lebensjahr steigert. 5 Deshalb sollte die Förderung der Lesegeschwindigkeit bzw. Leseflüssigkeit insbesondere im Unterricht der fünften und sechsten Klassenstufe, letztlich aber bis zum Ende der Sekundarstufe I einen hohen Stellenwert haben. Zahlreiche Studien belegen, dass mit der Steigerung der Lesegeschwindigkeit auch eine Steigerung des Leseverständnisses einhergeht, und zwar auch dann, wenn die Verstehensprozesse gar nicht gesondert gefördert werden. 6 Warum ist eine Förderung wichtig? 2. Aufbau des Lesegeschwindigkeitstests Der vorliegende Test orientiert sich an gängigen Lesegeschwindigkeitstests. 7 Das Testheft enthält eine Liste von 65 Aussagesätzen, für die entschieden werden muss, ob die jeweilige Aussage richtig oder falsch ist. Damit soll gewährleistet werden, dass die Sätze auch wirklich genau gelesen werden. Die Aussagen sind inhaltlich so einfach gehalten, dass ihre Bewertung keine Probleme bereitet und somit möglichst kein Leseverständnis getestet wird. Da die Länge der Sätze sukzessive zunimmt, lässt sich zudem überprüfen, ob die Schülerinnen und Schüler auch eine höhere Anzahl von Informationen kurzfristig in ihrem Arbeitsgedächtnis speichern können. Innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit soll eine möglichst große Anzahl der vorgegebenen Aussagesätze genau gelesen werden. Haben Schülerinnen und Schüler im vorliegenden Test maximal 31 der Sätze korrekt bearbeitet, kann das als Hinweis auf einen deutlichen Rückstand in ihrer Lesefähigkeit angesehen werden. Sie gehören damit mit hoher Wahrscheinlichkeit zur oben genannten Risikogruppe der 15 Prozent Schülerinnen und Schüler in Deutschland und haben einen spezifischen Förderbedarf. Den Ursachen muss individuell und ggf. in Verbindung mit weiteren Beobachtungen / Tests nachgegangen werden. In diesem Zusammenhang ist zu klären, inwieweit sich die Defizite allein durch unterrichtliche Fördermaßnahmen aufarbeiten lassen. Ferner können Schülerinnen und Schüler, Was ist mit der Aneinanderreihung von Aussagesätzen beabsichtigt? Wann besteht Förderbedarf? 4 Vgl. Rosebrock (2011), S. 62. 5 Vgl. Behrens, Ulrike, et al. (Hg.): Bildungsstandards Deutsch: konkret, Cornelsen Schulbuchverlage, Berlin 2014, S. 124. 6 Vgl. Schneider (2013), S. 17 f. 7 Vgl. z. B. Auer, Michaela, et al.: Salzburger Lese-Screening für die Klassenstufen 5-8 (SLS 5-8). Verlag Hans Huber, Bern 2005. L5 D-LG Fördermaterial LS 3/16

die im Lesegeschwindigkeitstest schlecht abschneiden, ein unauffälliges Ergebnis im Leseverständnistest erzielen. Auch können Schwierigkeiten beim lauten Lesen mit guten Ergebnissen im Lesegeschwindigkeitstest sowie im Leseverständnistest einhergehen. Für diese Schülerinnen und Schüler ist zu prüfen, inwiefern eine Förderung der Lesegeschwindigkeit sinnvoll ist und nicht vielmehr der Fokus auf das Leseverständnis gelegt werden sollte. Überdurchschnittliche Ergebnisse können hingegen Hinweise auf vorliegende Begabungen liefern, die sich in Form zusätzlicher Herausforderungen berücksichtigen lassen. 3. Förderung der Lesegeschwindigkeit Zur Förderung der Lesegeschwindigkeit finden sich zwei unterschiedliche Ansätze: das Vielleseverfahren und das Lautleseverfahren. 8 Beim Vielleseverfahren geht man davon aus, dass sich durch eine Steigerung des Lesepensums der Wortschatz des Lesenden erweitert und somit die Lesegeschwindigkeit zunimmt. Zu diesen Fördermaßnahmen zählen beispielsweise feste Zeiträume für stilles Lesen im Unterricht oder Lesewettbewerbe (Lese-Olympiaden o. Ä.). Allerdings ist die Wirksamkeit solcher Maßnahmen nicht eindeutig nachgewiesen. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass gerade den schwachen Leserinnen und Lesern die Voraussetzungen für diese Vielleseprogramme fehlen, so dass der Fördereffekt gering bleibt. Nachweislich effektiver sind dagegen die Fördermaßnahmen des Lautleseverfahrens. Hierunter zählen Verfahren, bei denen Schülerinnen oder Schüler ausgewählte Texte nach vorgegebenen Prinzipien laut bzw. halblaut vorlesen. 9 Dabei lassen sich zwei grundsätzliche Vorgehensweisen unterscheiden: Verfahren des wiederholenden Lesens und Verfahren des begleitenden Lautlesens. Beim wiederholenden Lesen liest die Schülerin bzw. der Schüler einem lesekompetenten Partner einen Text so oft vor, bis dies mit einer zuvor definierten Lesegeschwindigkeit und Fehlerfreiheit gelingt. Bei einem solchen wiederholten Lautlesen prägen sich zumindest häufiger vorkommende Wörter oder Buchstabenkombinationen (Vorsilben usw.) dem orthografischen und semantischen Lexikon des Lesers ein. So wird ein Sichtwortschatz auf- und ausgebaut, der ein rascheres, ganzheitliches Dekodieren der Wörter ermöglicht, ohne dass die Wörter umständlich zusammenbuchstabiert (phonologisch rekodiert) werden müssen. Verfahren des begleitenden Lautlesens zeichnen sich dadurch aus, dass ein schwächerer Leser einen Text gemeinsam mit einem stärkeren Leser laut vorliest. Förderung durch das Vielleseverfahren Förderung durch das Lautleseverfahren Wiederholendes Lautlesen Begleitendes Lautlesen 8 Vgl. Schneider (2013), S. 18 ff. oder Rosebrock (2011), S. 20 ff. 9 Vgl. dazu und zum Folgenden: Rosebrock (2011), S. 22 ff. L5 D-LG Fördermaterial LS 4/16

Der stärkere Leser dient dabei als Lesevorbild, an dem sich der schwächere Leser orientieren kann. Hierbei lassen sich drei Vorgehensweisen unterscheiden: Synchronlesen: Der schwächere und der stärkere Leser tragen den Text gleichzeitig laut oder halblaut vor; Echolesen: Der schwächere Leser wiederholt die vom stärkeren Leser vorgetragenen Sätze zeitverzögert; Lückenlesen: Der stärkere Leser trägt den Text vor und setzt an bestimmten Stellen aus, an denen der schwächere Leser weiterlesen muss. Auch bei diesen Trainingsverfahren werden die Worterkennung und damit die Lesegeschwindigkeit durch die Vorbild- und Korrekturfunktion des kompetenteren Lesers gefördert. Grundsätzlich müssen diese Fördermaßnahmen von dem verbreiteten Reihumlesen eines unvorbereiteten Textes im Unterricht unterschieden werden. Das Reihumlesen bleibt als Fördermaßnahme weitgehend unwirksam, da die Lesezeit gerade für schwächere Leserinnen oder Leser zu kurz ausfällt, in der Regel keine Zeit bleibt, um mit dem Text vertraut zu werden, und der Wiederholungseffekt fehlt. Dagegen haben Untersuchungen zur Wirksamkeit des Lautleseverfahrens gezeigt, dass beispielsweise Trainings nachweislich erfolgreich waren, die während 15 Wochen mit jeweils 3 x 20 Minuten pro Woche durchgeführt wurden. 10 Problematisierung des Reihumlesens Zeitbedarf der Fördermaßnahmen 4. Kriterien für geeignete Trainingstexte Lesetexte, die zur Förderung der Lesegeschwindigkeit im Lautleseverfahren eingesetzt werden, müssen besonderen Anforderungen genügen. 11 Insbesondere sollte darauf geachtet werden, dass die Texte die Übenden zwar herausfordern, aber nicht überfordern. Gerade schwächere Leserinnen und Leser sind auf Erfolgserlebnisse angewiesen und müssen erleben können, dass Lesen lustvoll und interessant sein kann. Deshalb sollte man bei der Textauswahl besonderen Wert auf die Korrelation von Thema, Textinhalt und Lebenswelt der Altersstufe legen. Auch sollte der Text beispielsweise durch spannende oder lustige Elemente zum Lesen motivieren. Ein wichtiges Kriterium für die Verwendbarkeit eines Textes im Rahmen des Lautleseverfahrens ist sein sprachliches Niveau. Enthält ein Text beispielsweise zu viele unbekannte Wörter, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass diese ins mentale Lexikon übergehen und dadurch zur Automatisierung des Leseprozesses beitragen. Interessanterweise sind die häufig genutzten und damit bekannten Wörter einer Sprache eher die kürzeren und weniger bedeutungskomplexen Wörter. Motivierende Trainingstexte Sprachliches Niveau der Trainingstexte 10 Vgl. Schneider (2013), S. 21. 11 Vgl. zum Folgenden Rosebrock (2011), S. 62 ff. Hier findet sich auch eine Sammlung von Trainingstexten auf unterschiedlichen Anforderungsstufen. L5 D-LG Fördermaterial LS 5/16

Deshalb lässt sich als Kriterium für die Schwierigkeit eines Textes u. a. auch der Prozentsatz der enthaltenen längeren Wörter verwenden. 12 Hinzu kommen die durchschnittliche Satzlänge, die Anzahl der Fremdwörter, die Anzahl der Wortwiederholungen usw. In der Leseforschung wurden inzwischen verschiedene Verfahren entwickelt, um die Einfachheit bzw. Komplexität eines Textes empirisch zu ermitteln. So lässt sich beispielsweise anhand des Lesbarkeitsindex Lix eine Einstufung von Lesetexten vornehmen, die sich in der Praxis bewährt hat. 13 Hilfestellung: Der Lesbarkeitsindex Lix Auch die implizite und explizite Struktur eines Textes spielt eine wichtige Rolle für seine Lesbarkeit. Ist ein Text so konzipiert, dass er sich vom Allgemeinen zum Besonderen entwickelt, Sachverhalte mit Beispielen veranschaulicht, bekannten Textmustern oder Textsorten folgt, wird dadurch der Verstehensprozess beim Lesen wesentlich vereinfacht. Unter Umständen lassen sich auch Texte vereinfachen, um ihre Lesbarkeit zu erhöhen oder aus einem Text unterschiedliche Fassungen mit verschiedenen Schwierigkeitsstufen zum binnendifferenzierten Einsatz zu generieren. Vereinfachende Maßnahmen können beispielsweise darin bestehen, Didaktische Anpassung der Texte den Text neu zu formatieren und dabei nach jeder sinngemäß zusammengehörenden Wortgruppe eine neue Zeile zu beginnen; ungewohnte und längere Wörter durch alltägliche und kürzere Wörter zu ersetzen; abstrakte Wörter durch konkrete und anschauliche Wörter zu ersetzen; Sätze zu kürzen und zu vereinfachen (insbesondere bei komplexeren Hypotaxen); Sätze mit Konnektoren explizit zu verbinden; adverbiale Bestimmungen in Nebensätze umzuformen; Passivkonstruktionen ins Aktiv umzuformen; die Textlänge insgesamt zu verkürzen. 14 5. Unterrichtsvorschläge Im Folgenden finden sich fünf erprobte Trainingsmethoden zur Lesegeschwindigkeit aus unterschiedlichen Veröffentlichungen. Die Wirksamkeit der jeweiligen Me- Empirisch erwiesene Trainingseffekte 12 Vgl. Best, Karl-Heinz: Sind Wort- und Satzlängen brauchbare Kriterien zur Bestimmung der Lesbarkeit von Texten? In: Wichter, Sigurd / Busch, Albert (Hg.): Wissenstransfer - Erfolgskontrolle und Rückmeldungen aus der Praxis. Verlag Peter Lang, Frankfurt/Main 2006, S. 25. 13 Unter der URL http://www.psychometrica.de/lix.html findet sich ein komfortabler Online-Rechner für den Lix. Der durchschnittliche Lix von Texten, die zur Lektüre in Klassenstufe 5 geeignet sind, beträgt für Erzähltexte etwa 32 und für Sachtexte etwa 35. 14 Als Beispiel für eine solche didaktische Modulation von Texten können auch die Übungstexte der unteren Lernstandsstufen aus den Fördermaterialien des Lernstands 5 zum Leseverständnis dienen. Ein Vergleich mit der jeweiligen Originalversion des Textes auf Lernstandsstufe 3 zeigt, an welchen Stellen Vereinfachungen bzw. Klärungen vorgenommen wurden. L5 D-LG Fördermaterial LS 6/16

thode wurde empirisch nachgewiesen. Die Trainings werden in unterschiedlichen Sozialformen durchgeführt und können alle im Klassenverband eingesetzt werden. Durch ihre abwechslungsreiche und motivierende Konzeption wirken sie einem vorschnellen Ermüdungseffekt entgegen. Dort, wo an die Trainingstexte besondere Anforderungen gestellt werden, sind Beispiele vorgegeben, anhand derer sich beliebig viele weitere Texte erstellen lassen. Wenn die Trainingsgruppen eigenständig arbeiten und die Aufgabenstellungen komplexer ausfallen, ist es sinnvoll, den Schülerinnen und Schülern Kurzanleitungen als Erinnerungsstütze auszuhändigen. Für zwei der Trainingsverfahren sind solche Vorlagen ausgearbeitet worden. Da in den anderen Fällen kleinschrittiger vorgegangen wird und die Lehrkraft stärker steuernd eingreifen muss, erübrigen sich dort entsprechende schriftliche Vorgaben. Zusatzmaterialien L5 D-LG Fördermaterial LS 7/16

Methode Lautlesetandem 15 Merkmale Synchronlesen je eines stärkeren Lesers (Trainers) mit einem schwächeren Leser (Sportler) Wiederholtes Lesen eines Textes, bis Fehlerfreiheit und angemessene Lesegeschwindigkeit / Betonung erreicht werden Durchführung im Klassenverband möglich Zeitbedarf: ca. 15 Minuten pro Trainingseinheit über mehrere Wochen Vorbereitung Einteilung der Lesetandems durch die Lehrkraft Bereitstellung geeigneter Trainingstexte (Ausschnitte aus Jugendbüchern, kürzere geschlossene Texte wie z. B. Fabeln, Sagen): - pro Text ca. 300 Wörter (vgl. nachfolgendes Textbeispiel) - Texte mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden Bereitstellung der Trainingsanleitungen in ausreichender Anzahl (evtl. laminiert, vgl. nachfolgendes Beispiel) Ablauf Beide Trainingspartner sitzen dicht nebeneinander. Nach einem verabredeten Signal beginnt das gemeinsame Lesen. Beide Trainingspartner lesen von der gleichen Textvorlage, der Trainer führt beim Lesen den Finger / einen Stift mit. Bei Lesefehlern hat der Sportler zunächst die Möglichkeit, sich selbst zu korrigieren. Ansonsten korrigiert der Trainer. Danach wird das Synchronlesen am entsprechenden Satzanfang fortgesetzt. Nach längerer fehlerfreier Einlesephase kann der Sportler auf ein verabredetes Zeichen hin auch allein weiterlesen, wobei der Trainer leise mitliest und weiterhin den Finger mitführt. Der Trainer markiert fehlerhaft gelesene Wörter im Text, um den späteren Lernfortschritt zu dokumentieren. Der Text wird mindestens 4-mal bzw. so oft vom Sportler laut gelesen, bis er fehlerfrei und in angemessenem Tempo / mit angemessener Betonung vorgetragen werden kann. Jeder Lesedurchgang wird mit einem Häkchen unter dem Text dokumentiert. Anschließend wird der Text der Lehrkraft vorgetragen. Diese entscheidet, ob der Text weiter eingeübt werden muss oder ein neuer / anspruchsvollerer Trainingstext gewählt werden kann. Weiterführung Stellt man eine Sequenz von Texten mit ansteigendem Schwierigkeitsgrad zusammen, so kann sich jedes Tandem in seinem eigenen Tempo von einer Stufe auf die nächste vorarbeiten. Schwächere Tandems werden u. U. die schwierigsten Textstufen nicht erreichen, dafür wird die Selbstorganisation und Eigenverantwortung der Tandems gestärkt. Das Training in Lesetandems kann auch als Vorbereitung auf Vorlesewettbewerbe, beispielsweise auf den jährlichen Vorlesewettbewerb des deutschen Buchhandels, eingesetzt werden. Auf Grundlage der Lautlesetandems lässt sich auch eine Lese- Weltmeisterschaft innerhalb der Klasse organisieren, an deren Ende beispielsweise die Teams mit dem größten Lernfortschritt oder die fairsten Trainer gekürt werden. 15 Dieses Verfahren wurde von Rosebrock mit ihrem Team entwickelt und an über 1000 Schülerinnen und Schülern an Frankfurter Schulen erfolgreich erprobt; vgl. Rosebrock (2011), S. 97 ff. Hier finden sich auch detaillierte Angaben zum genauen Vorgehen. L5 D-LG Fördermaterial LS 8/16

Trainingsanleitung für das Lesetandem Ihr bildet jetzt für einige Zeit ein Team: Einer von euch ist der Trainer, der andere der Sportler. Wie ihr aus dem Sport wisst, ist es für den Sportler sehr wichtig, dass ihn der Trainer bei den Übungen gewissenhaft begleitet, aber auch unterstützt und ermutigt. Der Erfolg eurer gemeinsamen Arbeit ist also stark davon abhängig, dass ihr fair und respektvoll miteinander umgeht. Geht jetzt folgendermaßen vor: 1. Setzt euch dicht nebeneinander. Ihr müsst gemeinsam aus der Textvorlage lesen können. 2. Beginnt, den Text gemeinsam halblaut vorzulesen. Der Trainer führt den Finger oder einen Stift unter der Textstelle mit. Das Tempo bestimmt der Sportler. Startet auf ein verabredetes Signal hin (z. B. 3 2 1 los). 3. Macht der Sportler einen Lesefehler, kann er sich innerhalb von 4 Sekunden selbst korrigieren (am besten zählt der Trainer dazu im Kopf bis 4). Ansonsten korrigiert der Trainer den Fehler. Anschließend wiederholt der Sportler den ganzen Satz noch einmal fehlerfrei und liest weiter. 4. Nach längerem fehlerfreiem Lesen kann der Sportler alleine weiterlesen. Er gibt dem Trainer ein verabredetes Zeichen (z. B. auf den Arm tippen). Der Trainer liest still weiter und führt weiterhin den Finger / Stift mit. Bei einem Lesefehler wird korrigiert, wie unter 3. beschrieben. Danach liest der Trainer wie am Anfang wieder halblaut mit. Hat der Sportler wieder längere Zeit fehlerfrei gelesen, kann er alleine weiterlesen. 5. Lest den Text auf diese Weise mindestens viermal oder so oft, bis ihn der Sportler fehlerfrei, flüssig und gut betont vorlesen kann. Setzt nach jedem Durchgang ein Häkchen unter dem Text. 6. Nehmt Kontakt mit eurer Lehrerin / eurem Lehrer auf, wenn der Lesevortrag flüssig und fehlerfrei gelingt. L5 D-LG Fördermaterial LS 9/16

Textbeispiel zum Lesetandem 16 Andreas Schlüter: Level 4 - Die Stadt der Kinder Die Sonne warf ihren hellen Strahl durchs Fenster und traf Ben genau ins Auge. Ben blinzelte, schielte zu seinem Radiowecker und war im Nu hellwach. Sechs Uhr dreißig zeigte der Wecker. Eigentlich hätte Ben noch eine halbe Stunde schlafen können, aber an diesem Tag erschien es ihm unmöglich. Aufgeregt sprang er aus dem Bett. Heute war der Tag der Tage. Heute bekam er endlich das neue Computerspiel. Frank, sein bester Freund, wollte es mit in die Schule bringen. Ben hatte ihm im Gegenzug die schöne, goldene Halskette versprochen, die er einst von seiner Oma geschenkt bekommen hatte. Ein stolzer Preis. Einen kurzen Moment überlegte Ben noch einmal, ob er auf das Tauschgeschäft tatsächlich eingehen sollte. Seine Großmutter wäre bestimmt nicht begeistert, wenn sie wüsste, dass er die Kette gegen ein Computerspiel eintauschen würde. Aber er hatte es sich zwei Wochen lang überlegt und nun eine Entscheidung getroffen. Das Computerspiel war ihm wichtiger. In Windeseile zog Ben sich an. Er griff in die Schublade der Wäschekommode und erwischte zwei Socken, eine rote und eine grüne. Schnell noch Pullover und Hose. Minuten später steckte er den Kopf durch die Tür des Zimmers seiner Mutter. Hallo, Mami! Gibt s heute kein Frühstück? Bens Mutter schreckte aus dem Bett hoch. Hektisch blickte sie zum Wecker: Sechs Uhr dreiunddreißig. Gott sei Dank, sie hatte nicht verschlafen. Ben?, fragte sie erstaunt. Es ist halb sieben. Du hast doch noch eine Dreiviertelstunde Zeit bis zum Frühstück. Was bist du denn jetzt schon auf? Ich muss heute eher los, drängelte Ben. Ich bekomme ein neues Computerspiel! Das darf nicht wahr sein, stöhnte Bens Mutter und ließ ihren Kopf zurück ins warme, kuschelige Kissen fallen. Und deshalb weckst du mich eine halbe Stunde zu früh? ( ) 285 Wörter / LIX ca. 31 Setzt nach jedem Lese-Durchgang ein Häkchen. 16 Das Textbeispiel ist folgendem Jugendbuch entnommen: Andreas Schlüter, Level 4, 2003 Arena Verlag GmbH, Würzburg. Mit freundlicher Genehmigung des Arena Verlags, www.arena-verlag.de L5 D-LG Fördermaterial LS 10/16

Methode Lese-Sprinter 17 Merkmale Jeweils einminütiges, wechselseitiges Vorlesen eines Textes in Partnergruppen aus zwei etwa gleichstarken Lesern Wiederholtes Lesen des Textes, um weitgehende Fehlerfreiheit bei möglichst hoher Lesegeschwindigkeit zu erreichen Rollenwechsel von Trainer und Sprinter während der Trainingseinheit Durchführung im Klassenverband möglich Zeitbedarf: ca. 10 Minuten pro Trainingseinheit über mehrere Wochen Vorbereitung Einteilung der Partnergruppen durch die Lehrkraft Bereitstellung geeigneter Trainingstexte (z. B. aus altersgemäßen Jugendbüchern): - pro Text ca. 160 Wörter (vgl. nachfolgendes Textbeispiel) - fortlaufende Angabe der Wortanzahl an jedem Zeilenende - Tabelle zum Eintragen der gelesenen Wortanzahl, der Lesefehler sowie des Gesamtlesewertes - eventuell Staffelung der Texte nach Schwierigkeitsstufen Bereitstellung der Trainingsanleitungen in ausreichender Anzahl (evtl. laminiert, vgl. nachfolgendes Beispiel) Ablauf Jeder der beiden Lesepartner hat den Text als Kopie vor sich liegen. Die Lesepartner legen fest, wer zuerst Trainer und Sprinter sein soll. Nach einem verabredeten Signal beginnt der Sprinter, den Text so schnell wie möglich und fehlerfrei vorzulesen. Der Trainer liest still mit und unterstreicht die Lesefehler im Text, die der Sprinter nicht unmittelbar bemerkt und selbst korrigiert. Nach genau einer Minute stoppt der Trainer den Sprinter. Der Sprinter markiert die erreichte Textstelle und zählt mit Hilfe der Zeilenangaben die gelesenen Wörter. Die Summe wird in die Tabelle eingetragen. Der Trainer zählt die Anzahl der Lesefehler und trägt sie in die Tabelle ein. Anschließend wird die Differenz als Gesamtlesewert in die entsprechende Spalte eingetragen. Nun wird das gleiche Verfahren mit jeweils vertauschten Rollen dreimal wiederholt, so dass am Ende jeder den Text zweimal laut gelesen hat. Bei jedem Durchgang wird eine andere Farbe zum Unterstreichen der Lesefehler verwendet, damit ein optisches Auseinanderhalten möglich ist. Weiterführung Vgl. Lautlesetandem 17 Vgl. Beeken, Marie-Christin, et al.: Der Lesesportler. Fördermaterial Lesen. Unveröffentlichtes Material der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, o. J. Dort findet sich auch eine umfangreiche Zusammenstellung von Lesetexten, allerdings für die Klassenstufen 3 und 4. Eine Kurzversion des Trainingsprogramms findet sich unter der URL http://www.quop.de/uploads/media/grundschulzeitschrift_2013-7.pdf L5 D-LG Fördermaterial LS 11/16

Trainingsanleitung für den Lese-Sprinter Diese Trainingsmethode soll euch helfen, zu sicheren und schnellen Lesern zu werden. Dazu bildet ihr ein Team aus Trainer und Sprinter. Wichtig ist, dass ihr fair miteinander umgeht. Fehler werden nicht diskutiert und keiner lacht den anderen aus. Vielmehr sollte der Trainer den Sprinter ermutigen und bei Verbesserungen loben. Geht jetzt folgendermaßen vor: 1. Jeder hat eine eigene Kopie des Lesetextes vor sich liegen. Zudem braucht ihr zwei Stifte in unterschiedlichen Farben. 2. Legt fest, wer zuerst Trainer und wer Sprinter sein soll. Keine Sorge: Beim nächsten Durchgang wechseln die Rollen. 3. Der Sprinter liest jetzt für genau eine Minute so schnell und fehlerfrei wie möglich. Der Trainer startet das Lesen mit einem verabredeten Signal (z. B. 3 2 1 los). 4. Der Trainer liest still mit und unterstreicht dabei die Lesefehler im Text, die der Sprinter nicht selbst bemerkt. Nach genau einer Minute gibt er ein Signal zum Beenden des Sprints. 5. Der Sprinter markiert die erreichte Textstelle, zählt die gelesenen Wörter mit Hilfe der Zeilenangaben und trägt sie in seine Tabelle ein. Der Trainer nennt dem Sprinter die Anzahl der Lesefehler. Der Sprinter trägt sie in seine Tabelle ein. Anschließend zieht der Sprinter die Anzahl der Lesefehler von der Anzahl der gelesenen Wörter ab und trägt die Zahl in die letzte Spalte seiner Tabelle ein. 6. Nun wird der Sprint dreimal wiederholt. Dabei werden jedes Mal die Rollen vertauscht. Am Ende war jeder zweimal Trainer und zweimal Sprinter. Bei jedem Durchgang wird vom Trainer eine andere Farbe zum Unterstreichen der Lesefehler verwendet. L5 D-LG Fördermaterial LS 12/16

Textbeispiel zum Lese-Sprinter 18 Michael Ende: Der Wunschpunsch An diesem letzten Nachmittag des Jahres war es schon ungewöhnlich früh stockdunkel geworden. Schwarze Wolken hatten den Himmel verfinstert und ein Schneesturm fegte seit Stunden durch den Toten Park. Im Inneren der Villa Alptraum regte sich nichts außer dem flackernden Widerschein des Feuers, das mit grünen Flammen im offenen Kamin brannte und das Zauberlabor in gespenstisches Licht tauchte. Die Pendeluhr über dem Kaminsims setze rasselnd ihr Räderwerk in Gang. Es handelte sich um eine Art Kuckucksuhr, nur dass ihr kunstvolles Spielwerk einen wehen Daumen darstellte, auf den ein Hammer schlug. Aua!, sagte sie. Aua! Aua! Aua! Aua! Es war also fünf Uhr. Für gewöhnlich machte es den Geheimen Zauberrat Belzebub Irrwitzer immer ausgesprochen guter Laune, sie schlagen zu hören, aber an diesem Silvesterabend warf er ihr einen eher gramerfüllten Blick zu. Er winkte ihr mit einer lustlosen Handbewegung ab und hüllte sich in den Rauch seiner Pfeife. Mit umwölkter Stirn brütete er vor sich hin. Er wusste, dass ihm größere Unannehmlichkeiten bevorstanden, und zwar sehr bald, spätestens um Mitternacht bei Jahreswechsel. ( ) 10 18 29 40 50 58 68 80 90 97 102 111 121 132 144 157 166 171 171 Wörter / LIX ca. 36 gelesene Wörter: Lesefehler: Gesamtlesewert (Wörter minus Fehler): 1. Sprint 2. Sprint 18 Das Textbeispiel ist folgendem Jugendbuch entnommen: Michael Ende: Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch, 1989 Thienemann Verlag in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH, Stuttgart L5 D-LG Fördermaterial LS 13/16

Methode Chorlesen 19 Merkmale Ziel: Alle Schülerinnen und Schüler können einen Text simultan im Klassenverband vortragen Schwächere Leser können sich vom Lesefluss der besseren Leser mitziehen lassen; keine Stigmatisierung durch Allein-Lesen vor der gesamten Klasse Ausbau des Sichtwortschatzes durch wiederholtes Lesen Durchführung im Klassenverband möglich Vorbereitung Bereitstellung geeigneter Texte, z. B. Gedichte mit Refrain, Raps, dialogische Texte (auch aus Lesebüchern) Ggf. Aufteilung des Textes in sinnvolle Lese-Abschnitte Ablauf Der Text wird zunächst von der Lehrkraft vorgelesen, um ein Beispiel für einen angemessenen Textvortrag zu geben. In einer individuellen Übungsphase versuchen die Schülerinnen und Schüler, den Text flüssig (halb-)laut zu lesen. Sinnvoll ist es, danach über Zwischenstationen zum chorischen Lesen überzugehen, z. B: - Wechsel von chorisch gelesenen Passagen mit Passagen, die von einzelnen (stärkeren) Lesern vorgetragen werden (z. B. bei Gedichten mit Refrain, Raps, dialogischen Texten); - kumulatives Lesen, d. h. der erste Satz wird nur von einem Leser vorgetragen, bei jedem weiteren Satz kommt ein weiterer Leser hinzu, bis am Ende die ganze Klasse im Chor liest; - Lesen in Kleingruppen: Der Text wird in Abschnitte aufgeteilt, die jeweils einer Kleingruppe zugewiesen werden; die Gruppen bereiten das chorische Lesen ihres Abschnitts vor, am Ende wird der Gesamttext zusammenmontiert und vorgetragen. Nach allen Zwischenschritten sollte am Ende ein chorischer Vortrag des gesamten Textes stehen. Weiterführung Eventuell Präsentation der Texte, die im Laufe des Schuljahrs auf diese Weise erarbeitet wurden, im Rahmen eines Rezitationsabends Eventuell Ausbau der Rezitation zu einem szenischen Spiel 19 Vgl. Rosebrock (2011), S. 38 f. Rosebrock orientiert sich hier an Verfahren aus der amerikanischen Leseförderung, beispielsweise Opitz, Michael / Rasinski, Timothy, Good-bye round robin. Twenty-five effecitive oral reading strategies. Portsmouth NH 1998. L5 D-LG Fördermaterial LS 14/16

Methode Simultanlesen mit Hörbuchaufnahmen 20 Merkmale Begleitendes Lautlese-Verfahren; die Funktion des Lesepartners übernimmt der professionelle Sprecher der Hörbuchaufnahme Ziel: Alle Lesenden tragen den Text laut, in angemessenem Tempo und zumindest ansatzweise mit passender Intonation vor Verstärkung des Fördereffektes durch häufigen Wechsel der Textvorlage (z. B. durch abschnittsweises Erlesen eines Jugendbuchs) Durchführung im Klassenverband oder auch individuell möglich Zeitbedarf: ca. 15 Minuten pro Trainingseinheit über mehrere Wochen Vorbereitung Bereitstellung von Hörbuchaufnahme und Druckversionen in entsprechender Anzahl (z. B. Andreas Steinhöfel, Rico, Oskar und die Tieferschatten oder Erich Kästner, Emil und die Detektive als Audiobook und Taschenbuch - beide Bücher können beispielsweise über eine längere Phase abschnittweise im Unterricht erlesen werden) Organisation eines Abspielgeräts Ablauf Die Schülerinnen und Schüler hören den Text entweder im Klassenverband über Lautsprecher oder individuell über Kopfhörer; dabei lesen sie halblaut mit. In einer anschließenden Übungsphase versucht jeder einzelne, kleinere Textabschnitte laut und flüssig zu lesen, wobei er sich an den Vorgaben des professionellen Vorlesers orientiert. Im Anschluss sollte das Verfahren mit einem neuen Text bzw. Textabschnitt fortgesetzt werden. Varianten Im Internet finden sich Präsentationen literarischer Texte aus Textvortrag und Fließtext. 21 Diese können mit Kopfhörern gehört und mitgelesen werden. In Schulen, die ein Sprachlabor besitzen, kann der Schülervortrag vom Lehrenden individuell mitgehört und zusätzlich eine Fehlerkorrektur vorgenommen werden. Verfügt der Lesende über eine Hörbuchversion, kann das Training auch individuell zuhause durchgeführt werden. 20 Vgl. Rosebrock (2011), S. 35 f. 21 Ein Märchen zum Hören und Mitlesen findet sich beispielsweise unter der URL https://www.youtube.com/watch?v=byfbzamnpbq&feature=plcp L5 D-LG Fördermaterial LS 15/16

Methode Leseflüssigkeits-Workshop 22 Merkmale Kombination aus texterschließenden und lesefördernden Verfahren Vorausgehende Texterschließung soll einen angemessenen Textvortrag erleichtern Durchführung im Klassenverband Zeitbedarf: ca. 20 bis 25 Minuten pro Trainingseinheit über mehrere Wochen Vorbereitung Einteilung der Partnergruppen durch die Lehrkraft Bereitstellung geeigneter Lesetexte (z. B. fortlaufende Abschnitte aus Jugendbüchern, kürzeren Erzählungen, Märchen, Sagen, Erzählgedichten) Evtl. Wandplakat für die Wortschatzarbeit Ablauf Die Lehrkraft führt zunächst in den Text ein (Ort, Personen, Vorgeschichte usw.) und liest dann den Text laut vor. Die Klasse liest den Text leise mit. Anschließend werden im Unterrichtsgespräch der Inhalt des Textes sowie die Angemessenheit des Lesevortrags durch die Lehrkraft diskutiert. Dabei können auch Alternativen des Textvortrags erprobt werden. Den Schülerinnen und Schülern sollen die vielfältigen Dimensionen eines angemessenen Textvortrags für ihr eigenes Leseverhalten bewusst werden. Die Lehrkraft liest den Text erneut vor: diesmal in einzelnen Abschnitten, die von den Schülern chorisch wiederholt werden. Im Anschluss bildet die Klasse Lesetandems und übt einen angemessenen und flüssigen Lesevortrag ein (vgl. Methode Lautlesetandem ). Im nächsten Schritt präsentieren einzelne Tandems ihren Textvortrag vor der Klasse. Abschließend kann eine vertiefende Wortschatzarbeit stattfinden: Die Schülerinnen und Schüler wählen drei Wörter aus dem Text aus, die ihnen besonders interessant erscheinen, und schreiben sie auf ein Wandposter. Die Wörter können erläutert, auf ihre Herkunft untersucht und für spätere Unterrichtshandlungen (z. B. kreative Schreibaufträge) verwendet werden. 22 Vgl. Rosebrock (2011), S. 42 ff. Rosebrock referiert auch hier ein Verfahren der amerikanischen Leseförderung: Reutzel, D. Ray: Hey teacher, when you say,fluency, what do you mean? Developing fluency in elementary classrooms. In: Rasinski, Timothy, et al. (Hg.): Fluency instruction. Research-based best practices. New York u. a. 2006, S. 63-85. Eine Kurzfassung zu diesem und weiteren Verfahren findet sich auch unter der URL http://www.timrasinski.com/presentations/ira07tim_rasinski_2.pdf. L5 D-LG Fördermaterial LS 16/16