I. Ausgangslage: abgerufen am

Ähnliche Dokumente
I. Ausgangslage: 1

Reform des Sexualstrafrechts

Stellungnahme des Bundesverbandes der Autonomen Frauennotrufe Österreichs zu SEXUELLER GEWALT GEGEN FRAUEN UND MÄDCHEN ALS MENSCHENRECHTSVERLETZUNG

8735/AB. vom zu 9139/J (XXV.GP)

Textgegenüberstellung

Inhaltsverzeichnis. Teil A Ausgewählte Bereiche des Strafrechts Allgemeiner Teil. Literatur- und Rechtsgrundlagenverzeichnis... 9

Anita Marfurt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Bundesamt für Justiz, Fachbereich Internationales Strafrecht. 22. November 2013

ZAHLEN und FAKTEN ZU SEXUELLER GEWALT GEGEN FRAUEN

DATEN und FAKTEN ZU SEXUELLER GEWALT GEGEN FRAUEN

I:\g01\g01ap\DP Produktion\2017\2 Februar\Manuskripte\F 1702 Schwinn.docx Seite Überschrift: Zu: Kommentar, DP 1/17.

Rechtliche Rahmenbedingungen der Gewaltprävention

... Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung

Verjährungsfristen von Sexualstraftaten

Verjährungsfristen von Sexualstraftaten

Eckpunktepapier zur Reform des Sexualstrafrechts mit dem Grundsatz Nein heißt Nein

Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff

Internationale Hilfe im Kampf gegen häusliche Gewalt Zur Istanbul-Konvention des Europarates. Prof. Dr. Stefanie Bock

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Strafgesetzbuch die für die Jugendarbeit von Bedeutung sein können

per

Geschlechtsspezifische Gewalt Internationale Vereinbarungen als Chancen für die Schweiz

Sexualpädagogisches Konzept der Kinder- und Jugendhäuser Lollar

Ein NEIN reicht völlig aus!

I. Materieller Teil/1.

INDIKATOREN ZU GEWALT UND VERGEWALTIGUNG IN DER PARTNERSCHAFT FÜR POLIZEI UND JUSTIZ

GESETZESTEXT. BGBl. I 110/ Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird - 2. Ärztegesetz-Novelle

STATISTISCHES JAHRBUCH DER STADT ZÜRICH 2009

Strafrechtliche Konsequenzen bei der Weitergabe von Informationen

ÜBEREINKOMMEN DES EUROPARATES ZUR VERHÜTUNG UND BEKÄMPFUNG VON GEWALT GEGEN FRAUEN UND HÄUSLICHER GEWALT. Istanbul- Konvention ANGSTFREI GEWALTFREI

Gewalt in engen sozialen Beziehungen, in Fällen von Nachstellung (Stalking) sowie in Fällen von Kindeswohlgefährdung

Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung. Fragen und Antworten

19.1 Polizei und Kriminalität 402 RECHTSPFLEGE

Das neue sexualstrafrecht. heißt. Frauenbüro

Intervention der Kantonspolizei Bern bei sexueller Gewalt

Inhalt des Vortrages:

Sexualstrafrecht reformieren - aber richtig! Positionspapier der Staatlichen Koordinierungsstelle nach Art. 33 UN-BRK

Graz. Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark. Landespolizeikommando Steiermark - Landeskriminalamt. Presseaussendung

Rechtlicher Rahmen und mögliche Auswirkungen der freiwilligen Partnerinformation

Häusliche Gewalt. (Gewalt im häuslichen Nahbereich)

Kriminalstatistik Jänner Dezember 2010

Internationale Instrumente und Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer

Überblick über die wesentlichen Änderungen des 2. Gewaltschutzgesetzes BGBl. I 2009/40 (2. GeSchG) in Geltung ab

POLIZEILICHE KRIMINALSTATISTIK NIEDERÖSTERREICH JAHR 2016

10172/AB. vom zu 10615/J (XXV.GP) Diese Anfrage beantworte ich nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:

Übung Strafrecht. Das wird ihm eine Lehre sein!

Ratifizierung der Istanbul-Konvention: Wo stehen wir? 11. Mai 2011 = Auflage zur Unterzeichnung. 11. September 2013 = Unterzeichnung durch die Schweiz

9916/AB. vom zu 10378/J (XXV.GP)

Stellungnahme. Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V.

Kriminalstatistik 1. Halbjahr 2011 Vorarlberg

Entwurf eines... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht

Das Jugendstrafgesetz was müssen Schulen wissen?

1182/AB. vom zu 1208/J (XXVI.GP) GZ: BMI-LR2220/0468-II/8/2018 Wien, am 22. August 2018

Christina Clemm Nein heißt nein? Entwicklungen im Sexualstrafrecht Kongress 10 Jahre bff Erfahrung Debatte Veränderung, Berlin, 02.

Probleme des Einheitstatbestandes sexueller Nötigung/ Vergewaltigung

S y n o p s e. der Änderungsvorschläge für die Vorschriften über den Menschenhandel. (Entwürfe für ein Strafrechtsänderungsgesetz - 180b, 181 StGB)

Begutachtungsverfahren zum Strafprozessänderungsgesetz 2014 BMJ-S /0001-IV 3/2014

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Schutzrichtungen j StGB

Strafrecht BT Lösungsskizze

Geschlechtsspezifische Gewalt nationale Konferenz 22. November Brigitte Huber, Bruno Wenk,

Die Strafbarkeit der sexuellen Handlungen mit Kindern nach Art. 187 StGB

17. Wahlperiode /2326

Bundesrat Drucksache 41/18 (Beschluss) Gesetzentwurf des Bundesrates

Gewalt an Kindern und Jugendlichen Eine Spurensuche in die Vergangenheit

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Aufsichtspflicht & Sexualstrafrecht. 37. Arbeits- und Jahrestagung des VDF Region Süd , Altleiningen Jutta Elz

225/A(E)-BR/2017. vom Entschließungsantrag

Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen

Fakten und Zahlen zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Cordelia Nawroth Kinderschutzkoordinatorin Jugendamt Mitte

Boris Mattes. Der strafrechtliche Schutz vor der Ausbeutung der Arbeitskraft unter besonderer Berücksichtigung des 233 StGB

Bundesgesetz über die Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Personen

ÜL-C Ausbildung. Prävention sexualisierter Gewalt im Sport

Dieses Mal ist nicht die Treppe

- Antrag der Länder Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein- Westfalen -

Schweigen schützt die Falschen Prävention und Intervention sexualisierter Gewalt im Sport

Parlamentarische Initiative Verbot von sexuellen Verstümmelungen

Fassung vor 2002 Geltende Fassung Entwurf. 180a Ausbeutung von Prostituierten (1) Wer gewerbsmäßig einen Betrieb unterhält oder leitet, in dem

Bundesrat. am 18. März Thema

2016 Deutsches Institut für Menschenrechte. Alle Rechte vorbehalten.

Richtlinie Nr des Generalstaatsanwalts vom 22. Dezember 2010 betreffend die polizeilichen Einvernahmen (Stand am )

Schwerpunkte der geplanten Änderungen des Sexualstrafrechts

Kinderschutz im SBFV. Prävention sexualisierter Gewalt (PSG) im Fußball. Ute Wilkesmann Präsentation 2018

Vergewaltigung von Frauen in Siidafrika

Informationen der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern

Grenzen achten! Prävention sexualisierter Gewalt in den J-GCL. Grundinformationen 1

12. Österreichweite Statistik 2015 mit Erläuterungen und Reformvorschlägen

Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.

Konversatorium Strafrecht III Nichtvermögensdelikte

Bundesrat Drucksache 625/06 (Beschluss) Stellungnahme des Bundesrates

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom 14. April 2011

PRÄVENTION VON SEXUALISIERTER GEWALT IM SPORT

Köln, den A. Gesetzentwurf der Bundesregierung. I. Schutzlücke, Analyse der Ist-Situation

Jugendgerichtsgesetz 1998 JGG

Vorläufige Polizeiliche Kriminalstatistik Jänner bis September 2008/2009 Vorarlberg

VERGEWALTIGUNG SEXUELLER MISSBRAUCH GEWALT IN DER FAMILIE

Grundlagen multiinstitutioneller Arbeit zur Prävention von schwerer Gewalt Rosa Logar, M.A.

Prävention sexualisierter Gewalt in Jugendverbänden

Transkript:

Stellungnahme zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Council of Europe Treaty Series No 210) Österreich hat mit 14.11.2013 das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt ratifiziert. Das als Istanbul-Übk bekannte Übereinkommen tritt in Folge der Ratifizierung durch Andorra als 10. Land mit 1. August 2014 in Kraft und ist damit für alle Staaten, die das Übereinkommen ratifiziert haben, verbindlich. Österreich hat sich daher durch die Ratifizierung dazu verpflichtet, die Bedingungen des Übereinkommens auch umzusetzen. Die Istanbul-Konvention ist gezielt gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt gerichtet und legt Mindeststandards für Prävention und Schutz gegen diese Gewaltformen fest und fordert von den ratifizierenden Staaten das Angebot von Unterstützungsleistungen für Betroffene, wie Hotlines, medizinische Leistungen, spezifische Beratungen und Rechtshilfen. Als Bundesverband der Autonomen Frauennotrufe Österreichs und damit der in Österreich einzigen Fachberatungsstellen für Frauen und jugendliche Frauen als Opfer von sexueller Gewalt nehmen wir daher zur Umsetzung des Übereinkommens im Bereich der sexuellen Gewalt gegen Frauen in Österreich Stellung: I. Ausgangslage: Sexuelle Gewalt als Form der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist leider immer noch weit verbreitet. Sexualisierte 1 bzw. sexuelle Gewalt wird als Mittel zur Diskriminierung von Frauen eingesetzt und dient dazu, die männliche Vormachtstellung über die Frauen in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen. Lt. Kriminalstatistik 2013 sind zwar die Anzeigen bezüglich Delikten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung im Verhältnis zu 2012 leicht rückläufig, liegen aber immer noch bei 2.662 Anzeigen für 2013 (im Vergleich: 2.766 Anzeigen im Jahr 2012). Die Aufklärungsquote durch die Ermittlungsbehörden liegt dabei lt. Kriminalstatistik bei 82,3 %. 2 1 Zu den Begrifflichkeiten siehe http://www.gewaltinfo.at/fachwissen/formen/sexualisiert/; abgerufen am 9.5.2014 2 http://www.bmi.gv.at/cms/bk/publikationen/krim_statistik/2013/2732014_hp_krimentwicklung.pdf abgerufen am 9.5.2014. 1

Betrachtet man die Statistik jedoch über einen längeren Zeitraum, so zeigt sich, dass allein die Anzeigen wegen Vergewaltigung ( 201 StGB) seit dem Jahr 2002 von 625 auf 977 im Jahr 2011 gestiegen sind. Dabei wird auch in dieser Publikation betont, dass die Aufklärungsquoten bei Gewaltdelikten in Österreich konstant hoch sind. 3 Anders aber die Verurteilungsrate: Diese ist bei strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zwar ebenfalls seit Jahrzehnten konstant, jedoch im Vergleich zu anderen Straftaten konstant niedrig. Konkret lag die absolute Zahl an Verurteilungen wegen Sexualstraftaten im Jahr 2012 bei 665 Verurteilungen oder 2,2% im Verhältnis zur Gesamtzahl an Verurteilungen. 4 Im Vergleich dazu lag der Anteil der Verurteilungen von Straftaten gegen Leib und Leben bei rd 20 % und Straftaten gegen fremdes Vermögen bei rd. 36 %. 5 Lt. gerichtlicher Kriminalstatistik der Statistik Austria erfolgten im Jahr 2012 86 Verurteilungen wegen Vergewaltigung ( 201 StGB), 46 Verurteilungen wegen geschlechtlicher Nötigungen ( 202 StGB), 129 Verurteilungen wegen sexuellem Missbrauch und schweren sexuellen Missbrauch von Minderjährigen ( 206, 207 StGB) sowie 20 Verurteilungen wegen sexuellem Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person, z.b. durch Einsatz von KO-Tropfen ( 205 StGB). II. Theoretischer Hintergrund: Eine Ursache für die im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung auffällig niedrige Verurteilungsrate, aber auch für die darin begründete niedrige Anzeigerate liegt darin, dass eine Strafbarkeit des Verhaltens (Vergewaltigung, geschlechtliche Nötigung) bei erwachsenen Opfern nur dann gegeben ist, wenn der Einsatz von Gewalt und/oder eines Nötigungsmittels nachgewiesen werden kann. In der Praxis zeigen sich dort Probleme, wo das von sexueller Gewalt betroffene Opfer aus unterschiedlichen Gründen keinen nachweisbaren Widerstand leistet bzw. sich zwar verbal, aber nicht bzw. nicht ausreichend körperlich wehrt. Solche Fälle, in denen das Opfer (z.b. eine erwachsene Frau) dem Geschlechtsverkehr oder der geschlechtlichen Handlung für den Täter erkenntlich nicht zustimmt, z.b. weil sie schreit, weint, sich steif macht, das Gesicht wegdreht, aber sich aus Furcht und Angst nicht körperlich wehrt, sind daher grundsätzlich nicht strafbar und eine Verurteilung nicht aussichtsreich, was viele Opfer von einer Anzeige abhält. Dies gilt unabhängig davon, ob das Opfer die sexuellen Handlungen von vornherein verweigert oder vorerst zugestimmt hat, dann aber weitere Handlungen ablehnt. 3 http://www.bmi.gv.at/cms/bk/publikationen/krim_statistik/files/2011/krimstat_entwicklung_2011.pdf; abgerufen am 16.9.2013; vgl. auch Die Entwicklung der Kriminalität in Österreich 2004 bis 2013: http://www.bmi.gv.at/cms/bk/publikationen/krim_statistik/2013/2732014_krimstat_2013_broschuere.pdf abgerufen am 9.5.2014. 4 Der Hauptanteil der Verurteilungen nach dem 10. Abschnitt erfolgten nach 207a StGB (pornografische Darstellung Minderjähriger): Gerichtliche Kriminalstatistik 2012, Statistik Austria 2012, S. 41. 5 Gerichtliche Kriminalstatistik 2012, Statistik Austria 2012, S. 40. 2

Gründe dafür, dass sich Frauen nicht (ausreichend) körperlich wehren, sind unter anderem: - der Täter ist körperlich überlegen, - es sind mehrere Täter beteiligt, - Schockzustand des Opfers - Angst davor, den Täter zu provozieren, - ein abgelegener Tatort bzw. der Tatort häuslicher Bereich und daher keine zu erwartende Hilfe, - der Täter war schon früher/oft gegen das Opfer gewalttätig, - Stockholm-Syndrom. Diese Fälle von sexuellen Übergriffen sind nur dann von der Strafbarkeit nach 201, 202 StGB erfasst, wenn zur Überwindung des Widerstands des Opfers seitens des oder der Täter eine Gewaltanwendung bzw. ein Nötigungsmittel (z.b. Freiheitsentziehung, gefährliche Drohung) eingesetzt wurde und nachgewiesen werden kann. Damit allerdings wird das Recht auf sexuelle Integrität und Selbstbestimmung anders als andere Persönlichkeitsrechte nicht umfassend als Ausdruck des freien Willens geschützt, sondern werden Opfer durch die Rechtslage dazu angehalten, ihre sexuelle Integrität und Selbstbestimmung durch aktive Abwehrhandlungen verteidigen zu müssen. 6 III. Vorgaben des Istanbul-Übereinkommens Das im Jahr 2011 in Istanbul beschlossene Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt umfasst sowohl - Maßnahmen auf gesetzlicher Ebene, und zwar sowohl a) im materiellen Recht (Art. 29 ff.) als auch b) im Prozessrecht (Art. 49 ff) und - formuliert allgemeine Verpflichtungen der Vertragsstaaten zum Schutz der Opfer vor (weiteren) Gewalttaten (Art. 18 ff) IV. Derzeitiger Umsetzungsstand des Istanbul-Übereinkommens in Österreich: Der EWL-Barometer on Rape in the EU 2013 7 hat für Österreich ergeben, dass die österreichischen Strafgesetze zwar einige Bestimmungen des Übereinkommens ausreichend umsetzen, andere Bestimmungen jedoch unzureichend umgesetzt sind bzw. gänzlich fehlen und damit die Mindeststandards des Übereinkommens insgesamt nicht erfüllt sind. Etwas positiver beurteilt der EWL-Barometer die Datensammlung über Gewalt gegen Frauen in Österreich. 6 Vgl. M.C. v Bulgaria, appl no 39272/98 u.a. 7 EWL Barometer on Rape in the EU 2013, European Women`s Lobby Juni 2013. 3

1. Mängel im materiellen Recht Prüfungsgegenstand des genannten EWL-Barometers war die erforderliche Umsetzung des Übereinkommens im österreichischen Strafrecht im Hinblick auf den Vergewaltigungstatbestand (Rape) in Art. 36 des Istanbul-Übereinkommens: Art. 36 Abs. 1) Sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass folgendes vorsätzliches Verhalten unter Strafe gestellt wird: a) nicht einverständliches, sexuell bestimmtes vaginales, anales oder orales Eindringen in den Körper einer anderen Person mit einem Körperteil oder Gegenstand; b) sonstige nicht einverständliche sexuelle bestimmte Handlungen mit einer anderen Person; c) Veranlassung einer Person zur Durchführung nicht einverständlicher sexuell bestimmter Handlungen mit einer dritten Person. 2) Das Einverständnis muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden. 3) Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Abs. 1 auch auf Handlungen anwendbar ist, die gegenüber früheren Eheleuten oder Partnerinnen oder Partnern im Sinne des internen Rechts begangen wurden. 1.1 Umsetzung Art. 36 des Übereinkommens durch die 201, 202 StGB bzw. 205 ff StGB? Diesbezüglich kritisiert die EWL, dass die Umsetzung dieses Artikels des Übereinkommens durch 201 StGB unzureichend ist, und zwar als im 201 (bzw. 202) StGB nicht das Fehlen des Einverständnisses des Opfers als Tatbestandsvoraussetzung ausreichend ist, sondern in 201 StGB als Tatmittel der Einsatz von Gewalt oder ein Nötigungsmittel (Freiheitsentziehung oder gefährliche Drohung) gefordert ist. Diesem Urteil des EWL muss in Bezug auf die 201, 202 StGB zugestimmt werden; zur vollständigen Überprüfung der ausreichenden Umsetzung des Übereinkommens durch das österreichische Strafrecht muss jedoch der gesamte 10. Abschnitt des StGB ( Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung ) herangezogen werden. Art. 36 des Istanbul-Übk fordert in Abs. 1 lit. a) 1. die Strafbarkeit des unfreiwilligen und damit nicht einverständlichen Beischlafs sowie 1. die Strafbarkeit der unfreiwilligen bzw. nicht einverständlichen, dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung, und zwar unabhängig vom Einsatz von Gewalt oder einer gefährlichen Drohung. Es reicht nach dem Übereinkommen für eine Strafbarkeit aus, dass die andere Person mit dem Beischlaf oder der gleichzusetzenden Handlung nicht einverstanden ist. Dabei ist dieses fehlende Einverständnis aufgrund der jeweiligen Begleitumstände zu beurteilen. 4

Grundsätzlich ist die Strafbarkeit des Beischlafs und diesem gleichzusetzende Handlung in 201 StGB (Vergewaltigung) geregelt, allerdings dient diese Norm ebenso wie 202 StGB (geschlechtliche Nötigung) dem Schutz vor unfreiwilligen, unter Einsatz von Nötigungsmitteln [Gewalt oder gefährliche Drohung] erzwungenen geschlechtlichen Handlungen. 8 Aufgrund der Voraussetzung des Tatmittels der Gewalt oder gefährlichen Drohung ist daher das Übereinkommen durch 201 StGB nicht umgesetzt. Art. 36 Abs. 1 lit b) fordert zusätzlich die Strafbarkeit der sonstigen nicht einverständlichen sexuell bestimmten Handlungen mit anderen Personen: Hier ist zu allererst an 202 StGB zu denken, der die Strafbarkeit der sonstigen geschlechtlichen Handlung regelt, allerdings wird auch hier als Tatmittel der Einsatz von Gewalt oder gefährlicher Drohung vorausgesetzt und ist damit auch durch 202 StGB das Istanbul-Übereinkommen nicht ausreichend umgesetzt. Die 206, 207 ff. StGB regeln die Strafbarkeit des (schweren) sexuellen Missbrauch von Unmündigen, Jugendlichen sowie 205 StGB den sexuellen Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person. Diese Normen enthalten als Strafbarkeitsvoraussetzung keinen Einsatz von Gewalt oder gefährlicher Drohung. Die sexuelle Integrität dieser Personengruppen steht entweder aufgrund des Alters (Unmündige bzw. Jugendliche), der Wehrlosigkeit (z.b. aufgrund von KO-Tropfen) oder der sexuellen Selbstbestimmungsunfähigkeit 9 (psychisch oder geistig beeinträchtigte Personen) unter besonderem Schutz. In diesem Bereich ist der Art. 36 Abs. 1 (und zwar auch lit. c) und 2 des Istanbul- Übereinkommens umgesetzt, anders als nach den bisherigen Ausführungen bei Erwachsenen bzw. sexuell mündigen Personen. 1.2 Umsetzung Art. 36 des Istanbul-Übereinkommens durch 218 StGB Sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen? Soweit die in Art. 36 des Istanbul-Übereinkommens geschilderten Handlungen (nicht einverständliches sexuell bestimmtes vaginales, anales oder orales Eindringen in den Körper einer anderen Person mit einem Körperteil oder Gegenstand = österr. Recht: Beischlaf oder Beischlaf gleichzusetzende Handlung) sowie sonstige nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen mit einer anderen Person von den 201, 202 StGB nicht erfasst sind, fallen diese Handlungen des Art. 36 Abs. 1 lit. a und b des Istanbul-Übereinkommens in die Strafbarkeit des 218 StGB. Allerdings sind diese Handlungen nach dem Übereinkommen unter dem Titel sexual violence including rape unter Strafe zu stellen. Mit dieser Benennung drückt sich auch eine bestimmte 8 Hinterhofer in: Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg) Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (ab 1992), Vorbem 201 ff Rz 15. 9 Hinterhofer in: Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg) Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (ab 1992), 205. 5

Bewertung dieses unerwünschten Verhaltens aus. Die Strafbarkeit der gegenständlichen Handlungen gemäß 218 StGB als sexuelle Belästigung stellt daher keine ausreichende Umsetzung des Übereinkommens dar, auch die systematische Einordnung fast am Ende des 10. Abschnitts der strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung ist ungeeignet. Dazu kommt, dass die Tathandlung des Art. 36 Abs. 1 lit c des Istanbul-Übereinkommens ( an/mit Dritten ) von 218 StGB gar nicht erfasst ist und außerdem die Strafdrohung der sexuellen Belästigung mit nur bis 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen unverhältnismäßig niedrig ist und damit nicht den Vorgaben des Übereinkommens (von wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen) entspricht. 10 Zusätzlich ist der 218 Abs. 1 StGB als bloßes Ermächtigungsdelikt ausgestaltet. 1.3 Ergebnis zum materiellen Recht: Auch unter Berücksichtigung der Anwendbarkeit des 218 StGB (zusätzlich zu 201, 202 StGB) auf die in Art. 36 angeführten strafbaren Handlungen ist eine ausreichende Umsetzung der Istanbul- Konvention im Bereich der Sexuellen Gewalt einschließlich Vergewaltigung nicht gegeben, und zwar aus folgenden Gründen: a) Die Überschrift und die systematische Einordnung des 218 ( Sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlung ) entspricht nicht der geforderten Bewertung als sexual violence. b) Die Strafbarkeit der Tathandlung in Art. 36 Abs. 1 lit. c des Istanbul-Übk ( Veranlassung einer Person zur Durchführung nicht einverständlicher sexuell bestimmter Handlungen mit einer dritten Person ) ist bei sexuell mündigen Personen ohne Einsatz von Gewalt oder gefährlicher Drohung auch von 218 StGB nicht erfasst und fehlt daher gänzlich. c) Die Strafdrohung in 218 ist zu gering ist, um sicherzustellen, dass die nach diesem Übereinkommen umschriebenen Straftaten mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen bedroht werden, die ihrer Schwere Rechnungen tragen (Art. 45 Abs. 1 des Istanbul-Übk), und d) 218 Abs. 1 StGB ist (bloß) als Ermächtigungsdelikt ausgestaltet. 2. Mängel im Strafprozessrecht Hier verweist der EWL-Barometer positiv auf das Angebot der der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung im österreichischen Strafprozessrecht. Die Kritik des EWL bezieht sich auf den Bereich der Prävention von sexueller Gewalt gegen Frauen, wo er auf das Fehlen von Initiativen und Projekten hinweist (siehe Punkt V. 2.). 10 Art. 45 Abs. 1 Istanbul-Übereinkommen Sanktionen und Maßnahmen. 6

52 Abs. 1 StPO: Seit 1.1.2014 muss dem Beschuldigten im Rahmen der Akteneinsicht auf Antrag auch eine Kopie der Bild- und Tonaufnahme der kontradiktorischen Einvernahme ausgefolgt werden oder ist ihm nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zu gestatten, Kopien selbst herzustellen. Zwar wurde diese Bestimmung dahingehend zum Schutz schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter entschärft, als dem Beschuldigten die Pflicht zur Geheimhaltung dieser Aufnahmen aufzuerlegen ist. 11 Eine Verletzung dieser Geheimhaltungspflicht ist demnach nach 301 Abs. 2 StGB ( Verbotene Veröffentlichung ) mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedroht. Da diese nachträgliche Strafdrohung keinen ausreichenden Schutz vor dem Missbrauch dieser Aufnahmen der kontradiktorischen Einvernahme darstellt und zudem bereits während der kontradiktorischen Zeugeneinvernahme als Teil der Hauptverhandlung bzw. vorgezogener Hauptverhandlung die Verteidigungsrechte gewahrt sind, ist der 52 Abs.1 StPO dahingehend zu berichtigen, dass die Bild- und Tonaufnahmen der kontradiktorischen Einvernahmen generell (alternativ von Minderjährigen und Opfern sexueller Gewalt) vom Recht ausgenommen werden, Kopien/Abzüge/Ablichtungen ausgefolgt zu erhalten. 3. Mängel bei der Erfüllung der allgemeinen Verpflichtungen Urteil EWL-Barometer: Kritisiert wird in Österreich das Fehlen aktueller Studien zur sexuellen Gewalt an Frauen bzw. zur Strafverfolgung sexueller Gewalt. Tatsächlich spielen Vergewaltigungsmythen und Geschlechtsstereotypen immer noch eine Rolle, und zwar auch bei RichterInnen und Staatsanwälten/Staatsanwältinnen bzw. den Ermittlungsbehörden: In rape cases, women victims have to be trustworthy. V. Umsetzungsempfehlungen: 1. Gesetzesmaßnahmen: 203 StGB-neu Sexueller Übergriff Dieses neue Delikt muss sämtliche Tathandlungen des Art. 36 (lit. a-c) des Istanbul- Übk erfassen, ohne auf das Tatmittel der Nötigung oder Gewalt abzustellen. Alternative: - Änderung der Überschrift des 218 StGB, - Ergänzung der Veranlassung von geschlechtlichen Handlungen an Dritten und - Verschärfung der Strafdrohung Problem: - systematische Einordnung des 218 StGB! 11 Vgl. RV zu Strafprozessänderungsgesetz 2013, BGBl. I 195/2013. 7

- Die sexuelle Belästigung muss aufgrund der Vorgaben des Übereinkommens in Artikel 40 in einer eigenen Norm umfassend unter Strafe gestellt werden. 52 StPO: Ausnahme für Ton- und Bildaufnahmen im Rahmen der kontradiktorischen Einvernahmen bei Verfahren wegen sexueller Gewalt. Diese KEV-Aufnahmen (DVD) dürfen dem Beschuldigten bzw. seinem Vertreter nicht ausgefolgt werden. 2. Präventionsmaßnahmen: - Förderung und Subvention von Präventionsprojekten im Bereich der sexuellen Gewalt - Aufklärung und (gesellschaftspolitische) Bewusstseinsarbeit über Vergewaltigungsmythen und Geschlechtsstereotypen und den Zusammenhang mit sexueller Gewalt - Auftragsvergabe: Studie über Einfluss von Vergewaltigungsmythen und Geschlechtsstereotypen auf die Strafverfolgung und Rechtsprechung im Bereich der sexuellen Gewalt 3. Schutzmaßnahmen: Im Art. 22 fordert das Istanbul-Übk die Sicherstellung und ausreichende Finanzierung spezialisierter Hilfsdienste: Da die fünf bestehenden Frauennotrufe in den Bundesländern Wien, Oberösterreich, Steiermark, Salzburg und Tirol die bislang einzigen spezialisierten Fachberatungsstellung bei sexueller Gewalt sind, fordert der Bundesverband der autonomen Frauennotrufe Österreichs 1. die Sicherstellung und ausreichende Finanzierung der bestehenden fünf österreichischen Frauennotrufe als Fachberatungsstellen bei sexueller Gewalt sowie 2. die Ausstattung aller Bundesländer mit einer Fachberatungsstelle bei sexueller Gewalt (es fehlen derzeit die Bundesländer Niederösterreich, Kärnten, Vorarlberg und Burgenland). und sicherzustellen, dass diese Fachberatungsstellen bei sexueller Gewalt als spezialisierte Hilfsdienste und Opferschutzeinrichtungen behördlicherseits anerkannt werden. 3. die kriminologische und qualitative Sozialforschung im Bereich sexualisierter Gewalt voran zu treiben. Linz/Salzburg/Wien/Innsbruck/Graz, am 20.5.2014 Dr.in Andrea Jobst-Hausleithner DSA Ursula Kussyk BAFÖ Bundesverband der autonomen Frauennotrufe Österreichs 8