Einführungsvortrag. des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Herrn Hartmut Koschyk MdB.

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Transkript:

Einführungsvortrag des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Herrn Hartmut Koschyk MdB Tagung Minderheiten in Europa Herausforderung und Perspektiven am 8. Juli 2015 Temeswar/Timişiora Rumänien 1

Ich möchte mich sehr herzlich für Einladung zu dieser Tagung bedanken, die gemeinsam vom Außenministerium Rumäniens, vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien, von der Konrad- Adenauer-Stiftung sowie von der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa ausgerichtet wird. Diese vier Kooperationspartner greifen mit dieser Tagung eines der zurzeit drängendsten Probleme in Europa und der Welt auf. Ich habe die beeindruckende Festveranstaltung zum 25. Jahrestag der Gründung des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien im März dieses Jahres in Herrmannstadt, die Sie unter das Thema Nationalität und Identität gestellt haben, noch in sehr guter Erinnerung. Der Festredner von bundesdeutscher Seite, Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier, zitierte Ihren neugewählten Präsidenten, Klaus Johannis, mit einer für das Thema der Festveranstaltung richtunggebenden Aussage: Ich bin rumänischer Staatsbürger, also Rumäne. Ich bin ethnisch Deutscher. Mein Deutschtum hat nichts mit der Bundesrepublik als Staat zu tun, sondern mit der Sprache und der Kultur. Für Bundesaußenminister Steinmeier und die deutsche Bundesregierung insgesamt sind das Bekenntnis einer nationalen Minderheit zu ihrer eigenen Sprache, Geschichte und Kultur und die allgemeinem Loyalität gegenüber dem Heimatstaat, kein Widerspruch, sondern vielmehr die Voraussetzung für ein gutes Zusammenleben zwischen Minderheits- und Mehrheitsbevölkerung. Frank-Walter Steinmeier hob völlig zu Recht bei der Veranstaltung das besonders aktive Engagement der deutschen Minderheit für den Gesamtstaat hervor. Hier gibt es eine selbstbewusste Minderheit, verwurzelt in der eigenen Kultur, die sich und deshalb funktioniert es für das Land engagiert, in dem sie lebt und zu Hause ist. Der Bundesaußenminister betonte aber auch die besondere Verpflichtung des Staates und der Mehrheitsbevölkerung gegenüber den nationalen Minderheiten. Ich darf in diesem Zusammenhang Papst Johannes Paul II. zitieren, der in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1989 u.a. folgendes sagte: 2

In einer wirklich demokratischen Gesellschaft den Minderheiten die Teilnahme am öffentlichen Leben zu gewährleisten, ist ein Zeichen für einen gehobenen gesellschaftlichen Fortschritt. Er gereicht all jenen Nationen zur Ehre, in denen allen Bürgern in einem Klima wirklicher Freiheit eine Teilnahme garantiert ist." Und hier sind wir schon mitten im Thema unserer Konferenz: Minderheiten in Europa Herausforderung und Perspektiven. Das Minderheitenschutz-Konzept des Völkerbundes zwischen den beiden Weltkriegen litt u.a. an dem entscheidenden Mangel, dass eine nationale Minderheit, die in ihren Rechten, sogar in ihren vertraglich verbrieften Rechten verletzt wurde, erst unter den Mitgliedern des Völkerbundes eine Regierung finden musste, die sich für den Schutz dieser Minderheit einsetzte. Wie gefährlich dieses Schutzmacht-Konzept ist, zeigt sich aktuell am russisch-ukrainischen Konflikt, wo eine behauptete Verletzung oder Bedrohung von Rechten einer nationaler Minderheiten zum Vorwand für eine völkerrechtswidrige Annektion und für das ständige Intervenieren auf fremden Staatsgebiet genommen wird. Das Schutzmacht-Konzept ist also nicht nur ein untaugliches Mittel, sondern eine ständige Gefahr für den Frieden in Europa. Deshalb liegt es auf der Hand, dass ein wirksamer Minderheitenschutz mit stabilisierender Wirkung, der für alle Minderheiten in Europa, also auch für die ohne Schutzmacht besteht, nur auf supranationaler, europäischer Ebene angelegt und letztlich auch umgesetzt werden kann. Besondere Verdienste hat sich auf diesem Gebiet der Europarat erworben: Mit dem Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz Nationaler Minderheiten, das am 1. Februar 1998 in Kraft trat, wurde jede Diskriminierung einer Person wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit sowie eine Assimilierung gegen ihren Willen verboten. Weiterhin verpflichtet es die Vertragsstaaten zu umfangreichen Fördermaßnahmen im Bereich der Bildung, der Kultur, des Schulwesens und des gesellschaftlichen Lebens. Ergänzt wird das Rahmenübereinkommen durch die im selben Jahr in Kraft getretene Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, deren Ausgangspunkt das unveräußerliche Recht der Menschen, sich im privaten und öffentlichen Leben ihrer eigenen Regional- und Minderheitensprachen zu bedienen, ist. Mit der Charta sollen traditionell 3

in einem Vertragsstaat gesprochenen Sprachen geschützt und gefördert werden. In Deutschland organisiert das Bundesministerium des Innern unter meiner aktiven Mitwirkung nicht nur regelmäßig Implementierungskonferenzen mit Vertretern der nationalen Minderheiten und der zuständigen Bundes- und Länderministerien, in denen die Umsetzung des Rahmenübereinkommens und der Sprachen- Charta erörtert und weiterentwickelt wird. Von mindestens ebenso großer Wirkung für den Schutz der Minderheiten sind vielmehr auch die sogenannten Staatenberichte, die jede Regierung in regelmäßigen Abständen an den Europarat in Bezug auf den Minderheitenschutz in ihrem Land abgeben muss. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass in den anschließenden Prüfungen durch Kommissionen des Europarats sehr konkret nachgefragt wird und dass diese Kommissionen immer auch den Kontakt zu den Minderheiten selbst suchen. Die Regelungen des Europarats haben aber in einem Punkt leider ein großes Defizit: Minderheitenrechte werden juristisch nur als Rechte einzelner Personen eingeräumt. Notwendig ist meiner Meinung nach aber ein echtes Volksgruppenrecht, wo die Minderheiten gegenüber ihrem Heimatstaat auch kollektiv Rechte einfordern können. Selbstverständlich gibt es mittlerweile in Europa eine Reihe gelungener Regelungen auf nationaler Ebene, wo die Minderheit über eine starke Selbstorganisation verfügt, die von der Regierung auch als Gesprächspartner auf Augenhöhe akzeptiert wird. Rumänien und das Demokratische Forum gehören zu diesen Beispielen. Die Rechte einer Minderheit dürfen aber nicht von dem guten Willen der jeweiligen Regierung abhängen. In den 80er Jahren gab es eine Reihe von Vorstößen von Abgeordneten aus dem Europaparlament, vor allem aus den Reihen der dortigen Paneuropa-Gruppe, für ein Europäisches Volksgruppenrecht, die aber leider nicht zu Ende geführt werden konnten. Neben dem Europarat kommt für den Minderheitenschutz in Europa auch der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine entscheidende Rolle zu. Sowohl in der Schlussakte von Helsinki 1975, als auch in dem Kopenhagener Dokument von 1990 haben die OSZE-Teilnehmerstaaten anerkannt, dass die Achtung der 4

Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten eines fester Bestandteil des Gesamtkorpus der universellen Menschenrechte ist. Bundesaußenminister Steinmeier hat in seiner genannten Rede zu Recht darauf hingewiesen, dass die Achtung der Minderheitenrechte auch ein wesentlicher Sicherheitsfaktor im internationalen Bereich ist. Die OSZE hat mit dem Amt des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten, derzeit besetzt mit der Finnin Astrid Thors, im Jahre 1992 ein politisches Instrument geschaffen, mit dem frühzeitig vermittelt und damit zur Konfliktvermeidung bzw. -eindämmung beigetragen werden kann. Ich bin Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ausgesprochen dankbar, dass er den Minderheitenschutz zu einem der Schwerpunkte des deutschen Vorsitzes der OSZE im nächsten Jahr machen möchte. Bei der Vorstellung seines entsprechenden Programms vor dem Ständigen Rat der OSZE letzte Woche (2.7.2015) sagte der Bundesaußenminister wörtlich: Ich spreche vom Schutz von Minderheiten. Dieser Kontinent Europa ist heute, im Osten wie im Westen, ein sehr, sehr vielfältiger Kontinent. Minderheiten in modernen Staaten sollten geschützt werden, damit sie Gesellschaften zusammenbringen und nicht entzweien; und schon gar nicht dürfen wir zulassen, dass Minderheiten in Konflikten instrumentalisiert werden. Auch die Ebene der Vereinten Nationen darf bei der Frage des völkerrechtlich verbindlichen Minderheitenschutz nicht außer Acht gelassen werden. Für mich war es bei meinem kürzlichen Besuch im österreichischen Außenministerium in Wien sehr beeindruckend, wie nachhaltig sich die Republik Österreich innerhalb der Vereinten Nationen für eine Weiterentwicklung des völkerrechtlich verbindlichen Minderheitenschutzes engagiert. Völlig zu Recht werden sich jetzt wohl einige der Anwesenden nach der Rolle der Europäischen Union fragen. Zwar formulieren die Kopenhagener Kriterien von 1993, die für den Beitritt neuer Mitglieder von der Europäischen Union aufgestellten wurden, unter den politischen Kriterien für einen Beitritt auch die Achtung und den Schutz von Minderheiten. Allerdings bezieht sich dieses nur auf den Beitrittsprozess, eine Aufnahme ins EU-Gemeinschaftsrecht blieb bis heute zu meinem großen Bedauern aus. 5

Meiner Meinung nach sollte sich das ändern! Deshalb bin ich der allgemein anerkannten europäischen Dachorganisation für die Volksgruppen und nationalen Minderheiten, der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) mit Sitz in Flensburg ausgesprochen dankbar, dass sie 2013 die Europäische Bürgerinitiative "Minority SafePack" auf den Weg gebracht hat, mit der erstmals die angestammten Rechte autochthoner Minderheiten auch in EU- Gemeinschaftsrecht verbindlich festgeschrieben würden. Leider hat die vorherige Kommission die Registrierung wegen angeblicher Nichtzuständigkeit abgelehnt, wogegen jetzt Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht ist. Dass für diese Europäische Bürgerinitiative die notwendige Zahl von einer Million Unterschriften völlig problemlos erreicht worden wäre, daran habe ich angesichts des Umstandes, dass jeder zehnte EU-Bürger einer nationalen Minderheit angehört, keinen Zweifel. Ich habe durchaus die Hoffnung, dass sich die neue Kommission dieser Problematik außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens mit dem Ziel einer zukunftsorientierten Lösung annehmen wird. Der Präsident der FUEV, Hans Heinrich Hansen, hat sich Ende letzten Jahres bereits mit dem u.a. für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte zuständigen Ersten Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, zu einem Gespräch getroffen. Wir sollten aber nicht nur klagend in die Zukunft blicken. Viel zu lange haben wir in Europa von Minderheitenfragen als Minderheitenproblemen gesprochen, die es zu lösen gelte. Ich wende mich mit Nachdruck gegen diese Formulierung. Sie verleitet allzu leicht zu dem Trugschluss, dass das Problem die Minderheiten selbst sind. Minderheiten sind in Europa allerdings kein Problem, sondern ein Reichtum, ein Vermächtnis aus einer langen Geschichte der Vielfalt und des über die Jahrhunderte ganz überwiegend gedeihlichen und sich gegenseitig bereichernden Zusammenlebens unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Überall dort in Europa, wo die Titularstaaten ihre Politik gegenüber den nationalen Minderheiten in ihrem Staat nicht auf eine einfache 6

Toleranz, also ein bloßes Dulden reduzieren, sondern ihre Politik von einer positiven Akzeptanz bestimmt ist, hat sich gezeigt, dass eine solche Minderheitenpolitik auch dem Wohle des ganzen Landes einschließlich der Mehrheitsbevölkerung dient. Hierfür gibt es in Europa durchaus positive Beispiele, etwa die deutschsprachige Minderheit in Südtirol oder die deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien. Nicht zuletzt die Ergebnisse der heute hier in Temeswar erfolgreich abgeschlossenen, mittlerweile 18. deutsch-rumänischen Regierungskommission für Angelegenheiten der deutschen Minderheit in Rumänien geben mir die Veranlassung, unter diesen Beispielen auch die Politik des rumänischen Staates gegenüber der deutschen Minderheit aufzuführen, und das nicht erst, seitdem mit Klaus Johannis ein Angehöriger der deutschen Minderheit Staatspräsident geworden ist. Zum Erfolg der Politik der Bundesregierung für die deutschen Minderheiten im östlichen Europa und in den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion trugen immer auch die unterstützenden Maßnahmen für den Aufbau einer wirtschaftlichen Basis in den jeweiligen Heimatgebieten bei. Dabei achten wir immer darauf, dass auch die übrige Bevölkerung aus diesen Maßnahmen einen Nutzen ziehen kann. Diese Einbeziehung auch der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen ist ein m.e. bislang noch nicht hinreichend berücksichtigter Aspekt. Diesem Aspekt muss sich auch die Europäische Union zuwenden. Erfreulicherweise hat sie hier seit ihrer Roma-Strategie 2011 die soziale und wirtschaftliche Integration der Roma auf ihre Fahnen geschrieben. So arbeiteten die Mitgliedstaaten nationale Roma-Strategien bzw. integrierte Pakete mit politischen Maßnahmen im Rahmen ihrer breiter angelegten Politik der sozialen Einbeziehung mit den vier Kernbereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsvorsorge und Wohnraum aus und übersandten ihre Berichte Ende des Jahres 2011 an die Kommission. Seitdem müssen die Mitgliedstaaten jährliche Fortschrittsberichte zur Umsetzung der Roma-Strategien erstellen und die Kommission hierüber unterrichten. Diese wertet die Berichte aus, veröffentlicht die Ergebnisse in Mitteilungen und unterrichtet das Europäische Parlament über den Fortschritt. 7

Vielleicht wird über die gesamteuropäische Zusammenarbeit bei der Roma-Integration innerhalb der Europäischen Union die Einsicht über die Notwendigkeit einer Festlegung von Mindeststandards für den Minderheitenschutz auch durch EU-Gemeinschaftsrecht wachsen. Die Bundesregierung und auch ich als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten werden in unseren diesbezüglichen Bemühungen jedenfalls nicht nachlassen. Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier hat in seiner bereits erwähnten Rede im März in Herrmannstadt zwei entscheidende Prinzipien für die europäische Minderheitenpolitik genannt: Erstens, sind in Europa die Bewahrung der Identität als Minderheit, ihr Schutz und ihre Förderung heute als eigenständige Menschenrechte weithin anerkannt. Kein Staat, der diesen Schutz nicht garantiert, kann der Europäischen Union beitreten. Hierin besteht der Kern einer zivilisatorischen Errungenschaft. Eine zweite europäische Lehre aus der Vergangenheit ist es, den Schutz von Minderheiten über die bloßen Beziehungen zweier Staaten zueinander zu stellen. Wir haben gemeinsame Institutionen und ein Rechtssystem geschaffen, das über unseren bilateralen Beziehungen steht. 8