Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit Muslime und Christen im europäischen



Ähnliche Dokumente
Die Post hat eine Umfrage gemacht

Erfahrungen mit Hartz IV- Empfängern

Elternzeit Was ist das?

Meinungen der Bürgerinnen und Bürger in Hamburg und Berlin zu einer Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele

Vertrauen in Medien und politische Kommunikation die Meinung der Bürger

Qualität und Verlässlichkeit Das verstehen die Deutschen unter Geschäftsmoral!

Glaube an die Existenz von Regeln für Vergleiche und Kenntnis der Regeln

Lineargleichungssysteme: Additions-/ Subtraktionsverfahren

DIE NATIONALEN REGLEMENTIERUNGEN DES BERUFSZUGANGS IN DEN AUGEN DER BEVÖLKERUNG

M03a Lernstraße für den Unterricht in Sekundarstufe I

Leben im Alter im Erzbistum Köln Umfrage im Auftrag des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln e.v.

1. Weniger Steuern zahlen

Einstellungen der Deutschen gegenüber dem Beruf der Putzfrau

Weltweite Wanderschaft

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?

Leichte-Sprache-Bilder

Was ist Sozial-Raum-Orientierung?

Dieses erste Kreisdiagramm, bezieht sich auf das gesamte Testergebnis der kompletten 182 getesteten Personen. Ergebnis

Hautkrebsscreening. 49 Prozent meinen, Hautkrebs sei kein Thema, das sie besorgt. Thema Hautkrebs. Ist Hautkrebs für Sie ein Thema, das Sie besorgt?

EINSTELLUNGEN UND HALTUNGEN ZU FOLTER

Verband der TÜV e. V. STUDIE ZUM IMAGE DER MPU

Meinungen zum Nichtraucherschutzgesetz

Private Unfallversicherungen bei Selbstständigen - Ergebnisse einer repräsentativen Studie von Forsa - November 2009

Welche Staatsangehörigkeit(en) haben Sie?... Mutter geboren?...

40-Tage-Wunder- Kurs. Umarme, was Du nicht ändern kannst.

Evangelisch-Lutherisches Pfarramt St. Christophorus Siegen Dienst am Wort. vor zwei Wochen habe ich euch schon gepredigt, dass das

Private Familien-Unfallversicherung - Ergebnisse einer repräsentativen Studie von Forsa - Februar 2010

Kreativ visualisieren

Deutliche Mehrheit der Bevölkerung für aktive Sterbehilfe

Deutschland-Check Nr. 35

infach Geld FBV Ihr Weg zum finanzellen Erfolg Florian Mock

Evangelisieren warum eigentlich?

Private Senioren- Unfallversicherung

Leitbild. für Jedermensch in leicht verständlicher Sprache

Das Leitbild vom Verein WIR

Das Frauenbild im Islam.Analyse und Vergleich von Koran und Bibel

Die neue Aufgabe von der Monitoring-Stelle. Das ist die Monitoring-Stelle:

Was ist Leichte Sprache?

Meet the Germans. Lerntipp zur Schulung der Fertigkeit des Sprechens. Lerntipp und Redemittel zur Präsentation oder einen Vortrag halten

Persönliche Zukunftsplanung mit Menschen, denen nicht zugetraut wird, dass sie für sich selbst sprechen können Von Susanne Göbel und Josef Ströbl

Alle gehören dazu. Vorwort

Deutschland-Check Nr. 34

Statuten in leichter Sprache

Was ich als Bürgermeister für Lübbecke tun möchte

Der Klassenrat entscheidet

DAVID: und David vom Deutschlandlabor. Wir beantworten Fragen zu Deutschland und den Deutschen.

Bürgerhilfe Florstadt

Gutes Leben was ist das?

Repetitionsaufgaben Wurzelgleichungen

geben. Die Wahrscheinlichkeit von 100% ist hier demnach nur der Gehen wir einmal davon aus, dass die von uns angenommenen

predigt am , zu römer 16,25-27

Der Dreiklang der Altersvorsorge

Kulturelle Evolution 12

Meinungen zur Altersvorsorge

Gemeinsame Erklärung zur inter-kulturellen Öffnung und zur kultur-sensiblen Arbeit für und mit Menschen mit Behinderung und Migrations-Hintergrund.

Ergebnis und Auswertung der BSV-Online-Umfrage zur dienstlichen Beurteilung

Themenbereich "Trauer"

Meinungen zum Sterben Emnid-Umfrage 2001

Es gilt das gesprochene Wort. Anrede

Resultate 2. Umfrage «Reformakzeptanz Altersvorsorge 2020»

Resultate GfS-Umfrage November Wie bekannt ist das Phänomen Illettrismus bei der Schweizer Bevölkerung?

Mobile Intranet in Unternehmen

BPI-Pressekonferenz. Statement. Dr. Martin Zentgraf. Geschäftsführer der Desitin Arzneimittel GmbH und Mitglied des BPI-Vorstandes Berlin

1: 9. Hamburger Gründerpreis - Kategorie Existenzgründer :00 Uhr

Sparen in Deutschland - mit Blick über die Ländergrenzen

ONLINE-AKADEMIE. "Diplomierter NLP Anwender für Schule und Unterricht" Ziele

Ein und dieselbe Taufe

mehrmals mehrmals mehrmals alle seltener nie mindestens **) in der im Monat im Jahr 1 bis 2 alle 1 bis 2 Woche Jahre Jahre % % % % % % %

Andreas Rühl. Investmentfonds. verstehen und richtig nutzen. Strategien für die optimale Vermögensstruktur. FinanzBuch Verlag

Bürger legen Wert auf selbstbestimmtes Leben

Auslotung der Gefühle & Wünsche von Eltern und SchülerInnen zum Schuljahr 2011/2012

Ethik im Netz. Hate Speech. Auftraggeber: Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM)

Anleitung über den Umgang mit Schildern

Sparen in Deutschland - mit Blick über die Ländergrenzen

Online Banking. Nutzung von Online Banking. Ergebnisse repräsentativer Meinungsumfragen im Auftrag des Bankenverbandes April 2011

Stellen Sie bitte den Cursor in die Spalte B2 und rufen die Funktion Sverweis auf. Es öffnet sich folgendes Dialogfenster

Professionelle Seminare im Bereich MS-Office

Wenn man nach Beendigung der WINDOWS-SICHERUNG folgendes angezeigt bekommt

Das Thema von diesem Text ist: Geld-Verwaltung für Menschen mit Lernschwierigkeiten

Womit beschäftigt sich Soziologie? (1) Verschiedene Antworten:

Fremdsprachen. 1. Untersuchungsziel

S P E C T R A K T U E L L FREIE WAHL DER KRANKENVERSICHERUNG: SORGENVOLLER BLICK IN DIE ZUKUNFT 8/00. I:\PR-ARTIK\Aktuell00\08\Krank_neu.

Kurzanleitung. MEYTON Aufbau einer Internetverbindung. 1 Von 11

DIE GEFÜHLSWELTEN VON MÄNNERN UND FRAUEN: FRAUEN WEINEN ÖFTER ALS MÄNNER ABER DAS LACHEN DOMINIERT!

Jugendliche und Social Commerce

P R E S S E K O N F E R E N Z

DAVID: und David vom Deutschlandlabor. Wir beantworten Fragen zu Deutschland und den Deutschen.

Ideen für die Zukunft haben.

allensbacher berichte

Die Theorie der Praxis. Die Welt ist so komplex, dass man sie mittels bloßer Wahrnehmung nicht erfassen kann.

Meinungen zu nachhaltigen Geldanlagen

Kurzanleitung für eine erfüllte Partnerschaft

LIFO -Stärkenmanagement: Übungen und Spiele

Informationen zum Ambulant Betreuten Wohnen in leichter Sprache

Meinungen zu Volksbegehren und Volksentscheiden

Und der Schluß vom Beschluß: Beschlossen und verkündet hört sich an wie aus einer Gerichtsserie. Was soll das alles?

Antworten in Anhang dieser Brief! Montag, 23. Juli 2012

Ich kann auf mein Einkommen nicht verzichten. Die BU PROTECT Berufsunfähigkeitsversicherung.

Jeder Mensch ist anders. Und alle gehören dazu!

Transkript:

Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit Muslime und Christen im europäischen Vergleich Ruud Koopmans Während der hitzigen Kontroversen über Einwanderung und Islam zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden Muslime in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung weithin mit religiösem Fundamentalismus in Verbindung gebracht. Mancher hat gegen diese Assoziation argumentiert, der religiöse Fundamentalismus sei nur unter einer kleinen Minderheit der im Westen lebenden Muslime anzutreffen und sei auch unter Anhängern anderer Religionen zu finden, auch im Christentum. Doch den Behauptungen beider Seiten fehlt eine solide empirische Basis. Über die Verbreitung des religiösen Fundamentalismus unter muslimischen Einwanderern ist wenig bekannt. Es gibt praktisch keine aussagekräftigen Daten, die einen Vergleich mit einheimischen Christen erlauben. Religiöser Fundamentalismus beschränkt sich eindeutig nicht auf den Islam. Der Begriff geht auf eine protestantische Erneuerungsbewegung in den USA zu Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, die die Rückkehr zu den Fundamenten des christlichen Glaubens durch die strikte Befolgung und die wörtliche Interpretation der Regeln der Bibel propagierte. Viele Untersuchungen zum religiösen Fundamentalismus christlicher Protestanten haben gezeigt, dass dieser stark und durchgängig mit Vorurteilen und Feindseligkeit gegenüber ethnischen und religiösen Fremdgruppen sowie gegen abweichende Gruppen wie Homosexuelle verbunden ist. Dagegen wissen wir wenig darüber, wie groß der Anteil jener muslimischen Minderheiten ist, die sich in westlichen Ländern an fundamentalistische Interpretationen des Islam halten. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass muslimische Einwanderer sich häufiger als die Mehrheit der Bevölkerung als religiös definieren, sich stärker mit ihrer Religion identifizieren, dass sie religiöse Praktiken wie das Gebet oder den Besuch der Moschee öfter ausüben und religiöse Vorschriften wie Halal -Speisen oder das Tragen eines Kopftuchs häufiger einhalten. Doch die Religiosität als solche sagt wenig darüber aus, in welchem Umfang solche religiösen Überzeugungen und Praktiken als Fundamentalismus gelten können und mit Feindseligkeit gegenüber anderen Gruppen einhergehen. Kurz gefasst: Fast die Hälfte der in Europa lebenden Muslime findet, dass es nur eine gültige Auslegung des Koran gibt, dass Muslime zu den Wurzeln des Islam zurückkehren sollen und dass religiöse Gesetze wichtiger sind als weltliche. Anhand dieser Indikatoren zeigt eine WZB-Studie in sechs Ländern, dass der religiöse Fundamentalismus unter Muslimen deutlich weiter verbreitet ist als unter Christen. Der Befund ist insofern besorgniserregend, als mit religiösem Fundamentalismus ein erhöhtes Maß an Fremdgruppenfeindlichkeit einhergeht. Summary: Almost half of European Muslims agree that there is only one interpretation of the Koran, that Muslims should return to the roots of Islam, and that religious rules are more important than secular laws. Based on these items, a WZB study shows that religious fundamentalism is much more common among Muslims than among Christians. This is alarming in the light of the strong link between religious fundamentalism and outgroup hostility. Die SCIICS-Studie (Six Country Immigrant Integration Comparative Survey) des WZB zu Einwanderern und Einheimischen in sechs europäischen Ländern Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Österreich und Schweden stellt erstmals eine solide empirische Basis zur Beantwortung dieser Fragen bereit. 2008 wurden 9.000 Personen mit türkischem oder marokkanischem Migrationshintergrund und eine einheimische Vergleichsgruppe befragt. Nach der weithin anerkannten Fundamentalismus-Definition von Bob Altemeyer und Bruce Hunsberger lässt sich religiöser Fundamentalismus anhand von drei Schlüsselelementen definieren: Die Gläubigen sollen zu den ewigen und unabänderlichen Regeln, die in der Vergangenheit festgelegt wurden, zurückkehren. Diese Regeln lassen nur eine Interpretation zu und sind für alle Gläubigen bindend. Religiöse Regeln haben Vorrang vor weltlichen Gesetzen. Diese Aspekte des Fundamentalismus wurden anhand folgender Aussagen gemessen, die Einheimischen, die sich als Christen bezeichneten (das waren 70 WZB Mitteilungen Heft 142 Dezember 2013 21

Prozent der befragten Einheimischen), und Befragten türkischer und marokkanischer Herkunft, von denen sich 96 Prozent als Muslime bezeichneten, vorgelegt wurden: Christen [Muslime] sollten zu den Wurzeln des Christentums [Islam] zurückkehren. Es gibt nur eine Auslegung der Bibel [des Korans] und alle Christen [Muslime] müssen sich daran halten. Die Regeln der Bibel [des Korans] sind mir wichtiger als die Gesetze [von Deutschland; bzw. des anderen Landes, in dem die Studie durchgeführt wurde]. Grafik 1 zeigt, dass religiöser Fundamentalismus in den westeuropäischen muslimischen Gemeinschaften kein Randphänomen ist. Fast 60 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Muslime zu den Wurzeln des Islam zurückkehren sollten; 75 Prozent meinen, dass nur eine Auslegung des Korans möglich ist, an die sich alle Muslime halten sollten; und 65 Prozent sagen, dass ihnen religiöse Regeln wichtiger sind als die Gesetze des Landes, in dem sie leben. Durchgängig fundamentalistische Überzeugungen mit der Zustimmung zu allen drei Aussagen finden sich bei 44 Prozent der befragten Muslime. Unter sunnitischen Muslimen mit türkischem Hintergrund (45 Prozent Zustimmung zu allen drei Aussagen) sind fundamentalistische Haltungen etwas seltener als unter solchen mit marokkanischem Hintergrund (50 Prozent). Unter Aleviten, einer türkischen Minderheitsglaubensrichtung innerhalb des Islam, kommen fundamentalistische Überzeugungen viel seltener vor (15 Prozent). Entgegen der Annahme, dass der Fundamentalismus eine Reaktion auf die Ausgrenzung durch das Gastland ist, finden wir den niedrigsten Grad an Fundamentalismus in Deutschland, wo der Islam bisher nicht gleichberechtigt mit christlichen Glaubensrichtungen als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt wurde und Muslime auch ansonsten weniger religiöse Rechte genießen als in den anderen fünf Ländern. Doch selbst unter deutschen Muslimen sind fundamentalistische Ansichten weitverbreitet: 30 Prozent der Befragten stimmen allen drei Aussagen zu. Vergleiche mit anderen deutschen Studien zeigen bemerkenswert ähnliche Ergebnisse auf. So stimmten 2007 in der Studie Muslime in Deutschland 47 Prozent der befragten deutschen Muslime der Aussage zu, das Befolgen der Regeln der eigenen Religion sei wichtiger als die Demokratie, genauso viele, wie der Anteil jener in unserer Studie, die meinten, dass die Regeln des Koran wichtiger sind als die deutschen Gesetze. Christen Muslime 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0 % Rückkehr zu den Wurzeln Nur eine wahre Auslegung, die bindend ist Religiöse Regeln sind wichtiger als säkuläre Gesetze Stimme allen drei Aussagen zu Grafik 1: Religiöser Fundamentalismus unter einheimischen Christen und muslimischen Einwanderern in Westeuropa 22 WZB Mitteilungen Heft 142 Dezember 2013

Ein weiterer bemerkenswerter Befund in Grafik 1 ist, dass religiöser Fundamentalismus unter Muslimen sehr viel weiter verbreitet ist als unter einheimischen Christen. Zwischen 13 und 21 Prozent der Christen stimmen den einzelnen Aussagen zu, und weniger als 4 Prozent können als konsistente Fundamentalisten bezeichnet werden, da sie allen drei Aussagen zustimmen. In Übereinstimmung mit dem bisherigen Wissensstand über den christlichen Fundamentalismus ist die Zustimmung zu diesen Aussagen unter den Anhängern der Hauptströmung des Protestantismus (4 Prozent stimmen allen Aussagen zu) etwas höher als unter Katholiken (3 Prozent) und am ausgeprägtesten (12 Prozent) unter den Anhängern kleinerer protestantischer Gruppen wie den Siebenten-Tags-Adventisten, den Zeugen Jehovas und den Pfingstkirchlern. Doch selbst unter diesen Gruppen ist die Befürwortung des Fundamentalismus wesentlich geringer als unter sunnitischen Muslimen. Die Ansicht der türkischen Aleviten über die Rolle der Religion gleicht dagegen viel stärker der der einheimischen Christen als der der sunnitischen Muslime. Da sich die demografischen und sozioökonomischen Profile der muslimischen Einwanderer und der einheimischen Christen stark unterscheiden, und da es aus der Literatur bekannt ist, dass sich marginalisierte Menschen der Unterschicht stärker von fundamentalistischen Bewegungen angezogen fühlen, wäre es natürlich möglich, dass diese Unterschiede auf die soziale Klasse und nicht auf die Religion zurückzuführen sind. Die Ergebnisse der Regressionsanalyse unter Berücksichtigung von Bildungsniveau, Arbeitsmarktstatus, Alter, Geschlecht und Familienstand zeigen, dass einige dieser Faktoren Variationen beim Fundamentalismus innerhalb der beiden religiösen Gruppen erklären; sie erklären jedoch nicht die Differenz zwischen Muslimen und Christen, ja, sie verringern sie nicht einmal. Ein Grund zur Sorge ist die Tatsache, dass fundamentalistische Haltungen unter jungen Muslimen ebenso weitverbreitet sind wie unter älteren, während sie bei jungen Christen sehr viel seltener anzutreffen sind als bei älteren Christen. Ruud Koopmans ist Direktor der Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung und Gastprofessor für Politische Wissenschaften an der Universität Amsterdam. Zum 1. November 2013 hat er außerdem einen Ruf auf eine S-Professur für Soziologie und Migrationsforschung der Philosophischen Fakultät III der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen. [Foto: privat] ruud.koopmans@wzb.eu Die Forschung zum christlichen Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten hat eine starke Feindseligkeit gegenüber anderen Gruppen aufgezeigt, die als Bedrohung der religiösen Eigengruppe gesehen werden. In welchem Umfang finden wir diese Verbindung auch im europäischen Kontext? Um diese Frage zu beantworten, verwenden wir drei Aussagen: Ich möchte keine Homosexuellen als Freunde haben. Juden kann man nicht trauen. Die Muslime wollen die westliche Kultur zerstören. [Für Einheimische] Die westlichen Länder wollen den Islam zerstören. [Für Personen mit türkischem oder marokkanischem Migrationshintergrund] Grafik 2 (s. S. 24) zeigt, dass die Feindseligkeit gegenüber Fremdgruppen unter einheimischen Christen keineswegs zu vernachlässigen ist. Immerhin 9 Prozent sind offen antisemitisch und stimmen der Aussage zu, dass man Juden nicht trauen kann. In Deutschland ist dieser Prozentsatz sogar noch höher (11 Prozent). Ähnlich viele lehnen Homosexuelle als Freunde ab (durchschnittlich 13 Prozent in allen Ländern, 10 Prozent in Deutschland). Muslime sind wenig überraschend die Fremdgruppe, die den höchsten Grad an Feindlichkeit hervorruft: 23 Prozent der einheimischen Christen (in Deutschland 17 Prozent) glauben, dass die Muslime die westliche Kultur zerstören wollen. Nur wenige einheimische Christen sind allen drei Gruppen gegenüber feindselig eingestellt (1,6 Prozent). Wenn wir alle Einheimischen in Betracht ziehen und nicht nur die Christen, ist das Niveau der Fremdgruppenfeindlichkeit etwas geringer (8 Prozent gegen Juden, 10 Prozent gegen Homosexuelle, 21 Prozent gegen Muslime und 1,4 Prozent gegen alle drei). Diese Zahlen für Einheimische sind schon beunruhigend genug, doch sie werden durch den Grad der Fremdgruppenfeindlichkeit unter europäischen Muslimen weit in den Schatten gestellt. Fast 60 Prozent lehnen Homosexuelle als Freunde ab, und 45 Prozent denken, dass man Juden nicht trauen kann. Während etwa jeder fünfte Einheimische als islamfeindlich gelten kann, ist das Ausmaß der Phobie gegen den Westen für die es sonderbarerweise kein Wort gibt, man WZB Mitteilungen Heft 142 Dezember 2013 23

könnte sie Abendlandphobie nennen unter Muslimen viel höher; 45 Prozent glauben, dass der Westen den Islam zerstören will. Diese Resultate stimmen mit dem Ergebnis einer Studie des Pew Research Center aus dem Jahr 2006 überein, wonach etwa die Hälfte der Muslime in Frankreich, Deutschland und Großbritannien glaubt, dass die Anschläge vom 11. September nicht von Muslimen ausgeübt wurden, sondern vom Westen und/oder von Juden geplant wurden. Christen Muslime 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0 % Will keine homosexuellen Freunde Juden kann man nicht trauen Westen/Muslime sind auf Zerstörung aus Stimme allen drei Aussagen zu Grafik 2: Fremdgruppenfeindlichkeit unter einheimischen Christen und muslimischen Einwanderern in Westeuropa Ein gutes Viertel der Muslime zeigt Feindlichkeit gegenüber allen drei Fremdgruppen. Im Gegensatz zu den Ergebnissen zum religiösen Fundamentalismus ist die Fremdgruppenfeindlichkeit unter türkischstämmigen Muslimen (30 Prozent stimmen allen drei Aussagen zu) weiter verbreitet als unter marokkanischstämmigen Muslimen (17 Prozent). Unter Aleviten (13 Prozent stimmen allen drei Aussagen zu) ist der Grad der Fremdgruppenfeindlichkeit wesentlich geringer als unter sunnitischen Muslimen türkischer Herkunft (31 Prozent), die Differenz ist jedoch kleiner als beim religiösen Fundamentalismus. Ein besorgniserregender Aspekt ist der Fakt, dass die Fremdgruppenfeindlichkeit unter jungen Muslimen nicht wesentlich geringer ist als unter älteren, während unter einheimischen Christen der Unterschied zwischen den Generationen beachtlich ist. Auch hier müssen wir natürlich sicherstellen, dass die Differenzen zwischen Muslimen und Einheimischen nicht auf die unterschiedliche demografische und sozioökonomische Zusammensetzung dieser Gruppen zurückzuführen ist, denn es ist bekannt, dass Fremdenfeindlichkeit unter sozial benachteiligten Gruppen höher ist. Multivariate Regressionsanalysen zeigen tatsächlich, dass dies der Fall ist, doch die Berücksichtigung sozioökonomischer Variablen reduziert die Gruppenunterschiede kaum. Zudem sind die Gruppendifferenzen viel größer als die sozioökonomischen Unterschiede. So ist der Unterschied in der Fremdgruppenfeindlichkeit zwischen Personen mit niedrigem Bildungsniveau und solchen mit Universitätsabschluss etwa halb so groß wie der Unterschied zwischen Muslimen und einheimischen Christen. Wenn wir den religiösen Fundamentalismus mitberücksichtigen, erweist dieser sich als das mit Abstand wichtigste Zeichen für Fremdgruppenfeindlichkeit und erklärt die meisten Differenzen in den Niveaus der Fremdgruppenfeindlichkeit zwischen Muslimen und Christen. Auch die größere Fremdgruppenfeindlichkeit unter türkischstämmigen Sunniten im Vergleich mit den Aleviten erklärt sich fast ausschließlich durch das höhere Niveau des religiösen Fundamentalismus 24 WZB Mitteilungen Heft 142 Dezember 2013

unter den Sunniten. Ein weiterer Indikator dafür, dass religiöser Fundamentalismus der entscheidende Faktor für die Fremdgruppenfeindlichkeit ist, ist der Fakt, dass er auch der wichtigste Prädikator in separaten Analysen der Christen und der Muslime ist. Anders gesagt, der religiöse Fundamentalismus erklärt nicht nur, warum muslimische Einwanderer Fremdgruppen gegenüber generell feindlicher eingestellt sind als einheimische Christen, sondern auch, warum einige Christen und einige Muslime fremdenfeindlicher sind als andere. Diese Befunde widersprechen ganz klar der oft gehörten Behauptung, dass islamischer religiöser Fundamentalismus in Westeuropa ein Randphänomen ist oder sein Ausmaß sich nicht vom Fundamentalismus unter Christen unterscheidet. Beide Behauptungen sind offensichtlich falsch, wenn fast die Hälfte der europäischen Muslime den Aussagen zustimmt, dass die Muslime zu den Wurzeln des Islam zurückkehren sollten, dass es nur eine einzige Auslegung des Koran gibt und dass die im Koran festgeschriebenen Regeln wichtiger sind als säkulare Gesetze. Von den einheimischen Christen kann nicht einmal jeder 25. in diesem Sinne als fundamentalistisch bezeichnet werden. Darüber hinaus ist religiöser Fundamentalismus keine unschuldige Form strenger Religiosität, wie die enge Beziehung zur Feindlichkeit gegenüber Fremdgruppen sowohl bei Christen als auch bei Muslimen zeigt. Das Ausmaß des islamischen religiösen Fundamentalismus wie auch seine Korrelate Homophobie, Antisemitismus und Abendlandphobie sollten bei politischen Entscheidungsträgern ebenso wie bei den Führern muslimischer Gemeinschaften ernsthafter Grund zur Besorgnis sein. Natürlich sollte religiöser Fundamentalismus nicht mit der Bereitschaft, religiös motivierte Gewalt zu unterstützen oder sich gar daran zu beteiligen, gleichgesetzt werden. Doch angesichts seiner starken Beziehung zur Fremdgruppenfeindlichkeit ist es sehr wahrscheinlich, dass er einen Nährboden für die Radikalisierung bietet. Gleichwohl sollte man auch nicht vergessen, dass die Muslime in Westeuropa nur eine relativ kleine Bevölkerungsminderheit sind. Relativ gesehen sind die Niveaus des Fundamentalismus und der Fremdgruppenfeindlichkeit unter Muslimen zwar viel höher, in absoluten Zahlen gibt es aber mindestens genauso viele christliche wie muslimische Fundamentalisten in Westeuropa, und die große Mehrheit der Homophobiker und Antisemiten sind nach wie vor Einheimische. Wie ein sowohl von den Muslimen als auch von Christen respektierter religiöser Führer einst sagte: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. WZB Mitteilungen Heft 142 Dezember 2013 25